Raschismus
Raschismus (russisch Рашизм, Transliteration Rašizm; englische Transkription Rashizm) oder, sehr selten, Russismus ist die informelle Bezeichnung der politischen Ideologie und sozialer Praktiken des Macht-Regimes in Russland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das auf der Idee der „Älterlichkeit des Bruder-Volkes“, seiner „besonderen Zivilisationtragenden Mission“ basiert, sowie auf Totalitarismus und Imperialismus der Sowjet-Art unter Einsatz der russischen Orthodoxie als moralischer Doktrin und auf Basis der geopolitischen Instrumente, vor allem Energieträger.[1][2][3]
Inhaltsverzeichnis
Etymologie und Definitionen[Bearbeiten]
Der Begriff Rashism entstand durch eine Wortschöpfung aus Begriffen Russia (englisch für Russland, wird wie Rascha ausgesprochen) und des internationalen Wortes Faschismus. Das Wort „Russismus“ ist eine deutliche Anspielung auf Rassismus. Raschismus ist eine Art der totalitären, faschistischen Ideologie,[4] Kombination von Grundlagen des Faschismus und des Stalinismus und umfasst die Rechtfertigung der Geopolitik Russlands, die auf die Besetzung und Annexion der Gebiete anderer Länder gezielt ist, wird oft als „Sammlung Russischer Böden“ (vergleiche Blut-und-Boden-Ideologie im Nazi-Deutschland) und stützt sich auf den lokalen Kollaborationismus.
Geschichte[Bearbeiten]
Der Begriff bekam 2008 weite Verbreitung in informellen Kreisen während der russischen Aggression gegen Georgien. Die zweite Welle der Verbreitung des Begriffs kam zu der Zeit der Annexion der Krim durch Russland[5][6][7], Abschuss von Boeing 777 in der Nähe von Donetsk am 17. Juli 2014 und dem Beginn des russisch-ukrainischen Krieges im Jahr 2014.[8][9][10][11][12]
Zuerst wurde der Begriff von Alexander Herzen im Roman Meine Vergangenheit und Gedanken [russ. “Былое и думы”] (1868) eingeführt, um die extremistischen Bewegungen in Russophilie zu definieren. Seiner Wiederbelebung verdankt der Begriff dem Präsidenten der Tschetschenischen Republik Itschkeria Djohar Dudajew, der das Hauptmerkmal des Russismus in der territorialen Expansion Russlands im Kaukasus sah. Schamil Bassajew und Aslan Maschadow setzten die Wahrnehmung fort. Zum Beispiel: „Euer großrussischer Traum - bis zum Hals in der Scheiße sitzend wollt ihr alle da reinziehen. Dies ist Russismus.“
Boris Grushin sah den Ursprung des Russismus in der feudalen Leibeigenschaft und Sklaverei[13], seine Gegner warfen ihm Russophobie vor. Aber auch russische Nationalisten nutzten den Begriff (als eine Kombination von „russischen Imperialismus“ mit dem „alltäglichen Nationalismus“) als Grundlage ihrer Ideologie. So rief der Nationalist Alexander Ivanov-Suharevskij das Bau-Projekt des Heiligen Rus aus - einer Supermacht (das klassische Reich) mit dem Volk der Slawen-Russen als Titelnation, die durch Blut, Sprache und Geschichte vereint ist.[14]
Unter vielen radikalen nationalistischen Bewegungen in Russland der 1990-er Jahre positionierte sich die ultrarechte faschistische Nationale Volkspartei Russlands (NVR), die 1994 von dem Theater-Regisseur Alexander Ivanov-Sukharev und Alexei Shyropayev nach Vorbild des italienischen Faschismus gegründet wurde, als Verteidiger der russischen Orthodoxie sowie der Kosakenbewegung und Verbreitete die Ideologie, die sie als Russismus bezeichnete. Diese Ideologie war eine Kombination von Populismus, antisemitischer und rassistischer Mystik sowie nationalen Ökologismus, Orthodoxie, und der Sehnsucht nach einem Zaren. Die Partei bestand aus wenigen tausend Mitgliedern, dennoch beeinflusste sie die außerparlamentarische rechte Szene in Russland durch die Zeitschriften Ich bin Russe, Nachlass der Vorfahren und Russlands Ära. Wegen Volksverhetzung bekam die Partei Probleme mit Verfassungsschutz, die Zeitschrift Ich bin Russe wurde 1999 verboten und Ivanov-Sukharev wurde zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner Freilassung blieb er lange Zeit eine wichtige Figur in den Kreisen um den russischen Schriftstellerverband und setzte seine Aktivitäten fort.[15]
Die wichtigsten Merkmale und Eigenschaften des Raschismus[Bearbeiten]
Dem Raschismus, der die Gestalt einer offiziellen Ideologie angenommen hat, liegen Ablehnung der Gewalt des Gesetzes und Auslegung des Gesetzes der Gewalt, Ablehnung der Souveränität von Nachbarn und Selbstbehauptung durch Willkür, Tyrannei und Gewalt zugrunde.[4] Eine der Grundlagen der geistigen Ideologie ist die Theorie der Russisch-Orthodoxen Kirche über die „von Gott auserwählten“ Russen.[16]
Nach Ansicht des russischen Historikers Alexander Skobov stellt der Raschismus eine eklektische Mischung aus großrusschischem Chauvinismus, Sehnsucht nach der sowjetischen Vergangenheit und orthodoxen Obskurantismus dar. Außerdem zeichnet sich der Raschismus durch Verachtung des Individuums aus, sowie durch die Bestrebung das Individuum in der Mehrheit aufzulösen und Minderheiten zu unterdrücken. Für den Raschismus ist Mistrauen gegenüber demokratischen Prozeduren inhärent, denn „alles ist nur ein Werkzeug für raffinierte Manipulationen“ – im Raschismus werden grobe Manipulationen bevorzugt. Raschisten gehen davon aus, dass der „Volksgeist“ und das „höhere allgemeine Interesse“ nicht durch formale Wahl-Mechanismen in Erscheinung treten kann, sondern auf dem irrationalen, mystischen Wege - durch einen Führer, der Führer geworden ist, weil er die anderen eliminieren konnte.[4]
Der Politologe Stanislaw Belkowski behauptet: Raschismus tarnt sich als Antifaschismus, hat aber ein faschistisches Gesicht und ist faschistischer Natur.[17]
In der raschistischen Ideologie sind seltsamerweise die Ansicht, die Welt sei ein Feld für einen totalen brutalen Kampf ums Überleben, und der Anspruch auf hohe Spiritualität vereint, die nach Meinung von Raschisten für den Rest der Welt unerreichbar ist.[4] Gleichzeitig stellt diese Ideologie die Quintessenz der Unterwürfigkeit und Rüpelhaftigkeit.[4]
Der Politologe Ruslan Klyuchnik stellt fest: Die russische Elite fühlt sich berechtigt, ihre eigene „souveräne Demokratie“ ohne Bezug auf westliche Standards zu bauen, aber mit Rücksicht auf die Traditionen des russischen Staates. Administrative Ressourcen sind in Russland ein Mittel zur Erhaltung der demokratischen Fassade, hinter der sich der Mechanismus der absoluten Manipulation von Willen der Bürger verbirgt.[18]
Ideologie des Raschismus[Bearbeiten]
Raschismus ist eine Quasi-Ideologie, die eine an sich widersprüchliche Mischung aus Imperialismus, Chauvinismus und religiösem Traditionalismus darstellt, die auf Nostalgie nach der sowjetischen Vergangenheit basiert. Diese Ideologie steht in Widerspruch zu den westlichen liberal-demokratischen Werten und Institutionen, wie z. B. freie Wahlen und andere Freiheitsrechte. Raschistische Ideologie basiert auf Hass und Neid gegenüber den westlichen Demokratien - vor allem in Europa und Nordamerika. In der Mitte dieser Ideologie ist der Kult des nationalen Führers, der Russlands Größe wiederhergestellt hat.[19]
Der Politologe Andrej Piontkovsky behauptet, dass die raschistische Ideologie weitgehend die Grundsätze des Nationalsozialismus hat, und die Reden und die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin ähneln einigen Äußerungen von Hitler.[20]
Laut Alexander Kostenko[21] ist Raschismus eine Ideologie, die auf Illusionen basiert und die Akzeptanz jeglicher Willkür wegen falsch interpretierten Interessen der russischen Öffentlichkeit rechtfertigt. In der Außenpolitik macht sich Raschismus unter anderem durch Verstöße gegen die Grundsätze des Völkerrechts, durch doktrinäre Interpretation der historischen Wahrheit ausschließlich zum eigenen Nutzen und durch Missbrauch des Veto-Rechtes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bemerkbar. In der Innenpolitik äußert sich der Raschismus in der Verletzung der Meinungsfreiheit, Verfolgung der Bewegung der Dissidenten, Ausnutzung von Medien zur Desinformation, usw. Nach Alexander Kostenkos Meinung ist Raschismus eine Äußerung von Soziopathie.
Raschismus hat eine bezüglich der Religion substituierende Funktion, die dem Adepten das Gefühl der Zugehörigkeit zum Kampf zwischen Gut und Böse gibt, was dem Leben einen Sinn gibt und dabei Strapazen und Opfer rechtfertigt – und von dem häufig diagnostizierten nationalen Minderwertigkeitskomplex befreit.[22]
Nach Mykola Tomenkos Auffassung ist Raschismus eine menschenfeindliche Ideologie, deren Inhalt sich nicht wesentlich vom Faschismus oder Stalinismus unterscheidet. Russland entfachte zunächst einen Informations- und Ideologiekrieg, nun unterstützt es weltweit Aktionen (auch militärische) gegen diejenigen, die die Ideologie der „Russischen Welt“ nicht unterstützen, und sorgt für die Umsetzung dieser Ideologie mit allen Mitteln.[23]
Oleg Hryniv ist der Ansicht, dass man zwischen Putinismus und Raschismus klar unterscheiden sollte, denn der Raschismus dient nur dazu, die advanturistische Politik des russischen Diktators Putin ideologisch zu rechtfertigen. Gemeint ist dabei der moskauer Imperialismus, unter dem sich ideologische Gegner (Kommunistische Ideologen, Chauvinisten und Antikommunisten) vereint haben, um die Länder wirtschaftlich und politisch zu erpressen, die auf dem Territorium des ehemaligen Reichs entstanden sind. Der Bolschewismus kann nur noch als eine Unterart von Raschismus angesehen werden. Seinerseits versucht der Moskauer Patriarch Kirill eine klerikale Variante von Raschismus zu realisieren, der Beleg dafür ist sein Konzept der „Russischen Welt“. Im Grunde geht es bei dem Raschismus um die Ablehnung der westlichen Zivilisation, der gegenüber die eigenartige russische (eurasische) Zivilisation gegenüber gestellt wird. Die Moskauer Intellektuellen sind sich, was den Autokraten Putin betrifft, einig: Er setzt alles darauf, den zaristischen und bolschewistischen Ukrayinozid zu vollenden. Heute ist der Raschismus die ideologische Grundlage des Putinismus. Die Geschichte hat bewiesen, dass der Raschismus in erster Linie die Vernichtung des Ukrainertums als nationaler Gemeinschaft vorsieht.[2]
Raschisten[Bearbeiten]
Anhänge der Ideologie des Raschismus werden üblicherweise als Raschisten bezeichnet, manchmal auch als Watniki (deutsch: Steppjacken mit Futter aus Watte).[19][24]
Die Psychologie von Raschisten ist die der Feindseligkeit, und der Einbildung, dass auch innerhalb von Russland überall Fremdlinge sind. Das ist die Psychologie von tief beleidigten Menschen, die eingebildete oder reale Demütigungen seitens des Westens erlitten haben. Aber „wenn Russland stark ist“, haben Raschisten angeblich die Möglichkeit, sich zu rächen.[19][25]
Eine bemerkenswerte Eigenschaft des Bewusstseins von Raschisten ist das Vertrauen auf die Stärke. Das nächste wichtige Merkmal von Raschisten ist die tote und polemische Auslegung der russischen Geschichte, und die ihre Verwandlung in eine Reihe von kultischen Daten, die Raschisten anbeten und in die sie glauben.[19]
Eine arrogante, misstrauische und allgemein feindselige Einstellung dieser „verdorbenen“ Welt gegenüber, die als eine potentielle Beute angesehen wird, schaffen es die Raschisten, mit einer kindlich naiven Beleidigung zu vereinbaren, dass „uns niemand mag“. Dabei möchten Raschisten eigentlich auch geliebt werden, wie etwa ein älterer Bruder. Raschisten übertragen patriarchalische Grundsätze auf die Beziehungen zwischen Völkern. Sie sind überzeugt, dass man die Liebe aufzwingen kann, dass die „Liebe durch Ertragen“ kommt – „wer schlägt, der liebt“, und zwar „zu ihrem eigenen Besten“.[4]
Raschismus in der Massenkultur[Bearbeiten]
- Lied Mein Kind, das ist - Raschismus, Boris Sevastyanov[26][27][28]
- Hymne von antiRaschisten, Vadim Dubovskoy[29]
- Raschismus kommt nicht durch!, aus dem Film Buratino[30]
- Wo fängt Scheusal an?[31]
Weblinks[Bearbeiten]
- Обыкновенный рашизм: Путин хочет стребовать с Украины газовый аванс
- Климентьев В.: Фашизм или в современной интерпретации рашизм в россии — это реальность. Политическая кухня. 23. März 2014. Abgerufen am 16. Januar 2015.
- Костенко А. Н: Рашизм - "детская болезнь", проходящая со временем?. Abgerufen am 16. Januar 2015.
- Леусенко О. В. Рашизм как идеология Кремля
- Борисов Сергей Сергеевич. Рашизм — Россия на краю
- Strategy of the Russian Empire. New Fascism is Ruscism!
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Остап Кривдик: «Рашизм», Ukrajinska Prawda (May 18, 2010)
- ↑ 2,0 2,1 Професор Олег Гринів: РАШИЗМ ІЗ ПРИЦІЛОМ НА УКРАЇНОЦИД
- ↑ Леусенко О.В.: Рашизм как идеология Кремля. Abgerufen am 16. Januar 2015.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 Александр Скобов. «Циммервальдская левая» // Грани.Ру / Блоги (в блоге Свободное место) 2014.03.22
- ↑ Росія і рашисти: хто стоїть за спиною Путіна
- ↑ Настоящий «рашизм»: в России составляют списки евреев, которых нужно депортировать как «несогласных» с Путиным
- ↑ Рашизм — не пройдет, или трудно быть человеком
- ↑ «Это, детка — Рашизм!» — новый хит про Россию заполонил Интернет [Видео]
- ↑ Томенко назвал борьбу с «рашизмом» новым серьезным мировым испытанием
- ↑ Мир должен осудить рашизм и нового фюрера в лице Путина и привлечь военных преступников к ответственности на Киевском процессе
- ↑ Остановить рашизм. Новый урок для мира
- ↑ Ігор Гулик «Рашизм»
- ↑ B. Grushin. "On the way to self-consciousness" "Nezavisimaya Gazeta". September 28, 2000
- ↑ A.Ivanov-Sukharevsky. "My creed is Ruscism" in "Era Rossiyi" #1(24), 1997 panorama.ru
- ↑ Marlène Laruelle In the Name of the Nation. Palgrave Macmillan, 2009, ISBN 978-0-23010123-4, S. 53.
- ↑ Олег Леусенко: Почему русские всех ненавидят? Даже себя.... 4. Mai 2014. Abgerufen am 16. Januar 2015.
- ↑ Путин будет захватывать новые территории, чтобы проложить путь к Балканам — эксперты. Больше читайте здесь.
- ↑ Ключник Р. М. Розвиток теорії та практики демократії: ретроспективний аналіз // Західна аналітична група. Режим доступу: http://zgroup.com.ua/article.php?articleid=5201
- ↑ 19,0 19,1 19,2 19,3 Алексей Мельников. Рашизм против россиян
- ↑ «Просто рашизм». Телеканал 1+1, March 24, 2014
- ↑ Олександр КОСТЕНКО: Що таке "рашизм"?. Газета «День». 18. März 2014. Abgerufen am 16. Januar 2015.
- ↑ Credo quia absurdum. Что такое рашизм?
- ↑ Микола Томенко: у ХХІ столітті з'явилася нова чума — «рашизм».
- ↑ Яких росіян називають "ватниками"?, Gazeta.ua. 4. Oktober 2014.
- ↑ Політичне життя росіян за три роки: стабільність від Кремля, рашизм і бунти під наглядом ОМОНу
- ↑ «That's, baby, Ruscism». Boris Sevastyanov, July 13, 2014
- ↑ Інтерв'ю: автор хіта «Это детка рашизм» Борис Севастьянов
- ↑ У Харкові на День Незалежності співали про рашизм
- ↑ Gіmn anti-ruscists’
- ↑ Рашизм не пройдет! ПТН ПНХ
- ↑ С чего начинается гадина?