Lebensbewältigung
Die persönliche Lebensbewältigung eines Menschen zeigt sich in der Art und Weise, wie er im Leben sein individuelles Dasein meistert. Dabei ist die Bewältigung des Lebens ein mit Lebensarbeit verbundener, andauernder Prozess. Mit diesem Thema beschäftigen sich insbesondere Psychologen[1] und Sozialpädagogen[2]. Der Terminus Lebensbewältigung grenzt sich vom Begriff des Lebenstils bzw. von der alltäglichen Lebensführung ab, der sich in der Soziologie an partiellen Lebensproblemen orientiert, beispielsweise die alltägliche, methodische, gesunde, normale bzw. elitäre Lebensführung.
Nach Auffassung Sören Kierkegaards kann der Mensch bei der Lebensbewältigung seine Möglichkeiten entweder nutzen oder versäumen. Er verwandelt das Mögliche durch persönliches Handeln in Tatsachen: die Tür zum Glück gehe aber nach außen auf - wer sie "einzurennen" versuche, dem verschließe sie sich. Ein Schritt von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erscheine zwar verlockend, weil er in die Freiheit führe, er sei aber für den Menschen immer mit Angst verbunden[3]. Während sich Furcht auf etwas Bestimmtes richtet, bleibt Angst stets unbestimmt. Die Angst vor der Selbsterkenntnis ist im Wesentlichen die Angst davor, dass sich die Unbestimmtheit als eine Lebensrealität erweisen könnte. Sie ist die Flucht vor dem persönlichen Eingeständnis, dass eine sichere Deutung des Lebens stets misslingt[4].
Der Prozess der Lebensbewältigung[5] beginnt aus modellhafter Sicht mit persönlichen Zielsetzungen. Hier ist von Bedeutung, die persönlichen Ziele nicht zu hoch zu setzen. Damit der Mensch nicht aus Versagensängsten ns Negative abgleitet, sollte er sich positiv-realistische Ziele setzen, um Zufriedenheit zu erreichen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen. Nach dem Setzen der Ziele überlegt der Mensch im Rahmen der persönlichen Planung, auf welchen Wegen diese Ziele zu erreichen sind. Der Planungsphase folgt die Realisierung, um dabei einen persönlichen Erfolg zu erreichen. Die persönlichen Ziele sind Soll-Größen , die dem Menschen zur Orientierung dienen und ihm zeigen, wohin der Weg gehen soll. Dabei ist bedeutsam, dass der Mensch im Denken und Verhalten positiv bleibt und sich nicht durch die Wirren des Alltags bzw. durch Störgrößen vom eingeschlagenen Weg abbringen lässt.
Die persönliche Lebensbewältigung stellt also die Realisierung der persönlichen Pläne dar und wird in der Interpretation von Schopenhauer sehr stark durch unseren Willen geprägt[6]. Das menschliche Leben wird darüber hinaus durch viele Einflussgrößen der konkreten Lebensarbeit beeinflusst. Wilhelm Schmid formuliert als Philosoph der Lebenskunst:
„Arbeit ist all das, was ich in Bezug auf mich und mein Leben leiste, um ein schönes und bejahenswertes Leben führen zu können. […] Erstrebenswert erscheint jedoch, in jeder Arbeit ‚Fülle‘ und ‚Erfüllung‘ erfahren zu können, aufgrund der vielfältigen Vernetzung mit Anderen, nicht allein für sich sein zu müssen, sondern ‚unter Menschen sein‘ zu können; aufgrund der Vielzahl von Erfahrungen, die den Spielraum des Selbst erheblich erweitern; aufgrund von Herausforderungen, die gesucht und angenommen werden, in denen das Selbst wachsen und sich um Exzellenz bemühen kann.“
Lebensbewältigung umfasst aber viel mehr als nur einen zufriedenstellenden beruflichen Lebensweg,[8] denn sie bezieht sich auch auf personale, soziale und gesundheitliche Entwicklungen[9]. Die Lebensbewältigung wird nicht nur von außen beeinflusst, sondern der Mensch beeinflusst sein Leben auch selbst. Wer anderen Menschen Schaden zufügt, der schadet längerfristig auch der eigenen Lebenserfüllung[10].
Allerdings ist die Lebensbewältigung nicht so einfach, wie sie sich im Modell beschreiben lässt. Lebensbewältigung heißt in nicht wenigen Fällen erst einmal nicht mehr, als "über die Runden zu kommen." Dabei bleiben Richtung und Form offen, in der sich der Prozess der sozialen Integration bewegt. Dieser Erkenntnis liegt die gegenwärtige gesellschaftliche Erfahrung zugrunde, dass nicht mehr alle Individuen einfach in ein Modell gesellschaftlicher und subjektiver Entwicklung eingeordnet werden wollen, dessen Zielgrößen an den Prozess des gesellschaftlichen Fortschritts gebunden sind. In vielen Fällen erscheint Beratung zur Lebensbewältigung notwendig[11].
Dennoch beinhaltet das Konzept der Lebensbewältigung mehr als nur die Beschreibung des reinen "über die Runden Kommens". Mit seiner Hilfe finden wir einen Zugang zu Erscheinungen des alltäglichen Lebens. So kann die Lebensbewältigung als ein Paradigma gesehen werden, um sozialintegrativ nicht erfassbare Lebensprobleme von Familien, Kindern und Jugendlichen konzeptuell zu erfassen und damit begreifen zu lernen[12]. Ein solches Konzept lässt Platz für Theorien der Psychologie, der Psychoanalyse, der Mikrosoziologie bzw. für eine Sozialstruktur- und Gesellschaftsanalyse.
Literatur[Bearbeiten]
- Lothar Böhnisch, Werner Schefold: Lebensbewältigung. Weinheim/München 1985
- Helmut Fend, Friedrich Berger, Urs Grob (Hrsg.): Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Wiesbaden 2009
- Heinrich Hagehülsmann (Hrsg.): Beratung zur Lebensbewältigung. Paderborn 2011
- Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt. Suhrkamp, Berlin 2013, ISBN 978-3-518-42373-8. Neuauflage: Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-46570-7.
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- Hochspringen ↑ de:Rolf Oerter: Lebensbewältigung im Jugendalter. Weinheim 1985
- Hochspringen ↑ de:Helmut Fend: Wie das Leben gelingt und wie es so spielt. Lebensbewältigung im frühen Erwachsenenalter. In: Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Hrsg. Helmut Fend, Friedrich Berger, Urs Grob, Wiesbaden 2009, S. 449 ff.
- Hochspringen ↑ Joakim Garff: Kierkegaard, Biographie (2. Auflage) München 2006, S. 316 f.
- Hochspringen ↑ Tilo Wesche: Kierkegaard. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 2003, S. 316 f.
- Hochspringen ↑ de:Horst-Joachim Rahn: Zum Sinn des Lebens, Hamburg 2012, S. 253 ff.
- Hochspringen ↑ Arthur Schopenhauer: de:Die Welt als Wille und Vorstellung, München 1998
- Hochspringen ↑ Wilhelm Schmid: Was ist Arbeit?, momentum Magazin, Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin 13. Oktober 2012.
- Hochspringen ↑ Regina Schlager: Wie du deine Berufung achtsam gestaltest. Artikel erstmals veröffentlicht 2023. (zuletzt abgerufen am 11. März 2025)
- Hochspringen ↑ Helmut Fend: Bildungserfahrungen und produktive Lebensbewältigung - Ergebnisse der Life-Studie. In: Bildung über die Lebenszeit, Hrsg. Reinhard Fatke, Hans Merkens, Wiesbaden 2006, S. 32
- Hochspringen ↑ Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens, Berlin 2008, S. 140
- Hochspringen ↑ Heinrich Hagehülsmann (Hrsg.): Beratung zur Lebensbewältigung, Paderborn 2011
- Hochspringen ↑ de:Lothar Böhnisch, Werner Schefold: Lebensbewältigung, Weinheim/München 1985, S. 78