Weng Chun Kung Fu
Das Weng Chun Kung Fu (Kantonesisch 永 Weng bzw. Hochchinesisch yǒng „ewig“, 春 cheun „Frühling“, 功夫 gōngfu „Fähigkeit“) ist eine Kampfkunst aus Südchina, vornehmlich Hong Kong. Es gehört neben anderen Kampfkünsten wie Hung Kuen, Tang Lang Quan und Wing Chun offiziell zu dem Kulturerbe von Hong Kong. [1] Weng Chun soll eigenen Legenden nach im Shaolin-Kloster in Dengfeng entstanden sein.[2] Damit gehört es zu den etwa 360 Shaolin-Kung-Fu-Stilen, die aus dem Kloster in Dengfeng hervorgegangen sind.[3]
Ein wesentliches Merkmal des Weng Chun Kung Fu ist das Fehlen jeglicher Bevorzugung der Kampfdistanzen. Schläge und Tritte mit Hand, Fuß, Ellenbogen, Knie und Schulter gehen nahtlos über in Würfe, Hebel und Würgegriffe, welche auch im Bodenkampf weitergeführt werden.[2]
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[Verbergen]Geschichte des Weng Chun Kung Fu[Bearbeiten]
Der wichtigste Weng-Chun-Großmeister der Neuzeit ist Chu Chung Man.[4][5][6] Er wurde anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts in Foshan geboren und hatte bei Lehrern verschiedener Kung-Fu-Stile viele Jahre Unterricht, darunter auch das Weng Chun Kung Fu.[7] Er war während des Zweiten Weltkrieges als praktizierender Arzt in Macau tätig, ab 1953 als Arzt in einem Krankenhaus in Hongkong. Chu Chung Man gilt als Schüler der fünften Generation des Weng Chun Kung Fu.[8]
Als Chu Chung Man 1953 nach Hongkong zog, traf er auf weitere Großmeister des Weng Chun Kung Fu, die vergleichsweise viele Schüler unterrichteten, darunter auch die Großmeister Tank Yik und Wai Yan. Wai Yan war ein wohlhabender Geschäftsmann und hatte großes Interesse daran, das Weng Chun Kung Fu zu erhalten. So funktionierte er eines seiner Warenhäuser in Kowloon kurzerhand in eine Akademie um, in welcher sich die Weng Chun Großmeister unter der Leitung von Chu Chung Man lange Zeit regelmäßig zum Austausch trafen.[8] Der Name des Warenhauses stand Pate für die die Akademie, welche als Dai Tak Lan Akademie zu einem wichtigen Zentrum des Weng Chun Kung Fu werden sollte.[9]
Wai Yan hatte später in den Neunziger Jahren einen deutschen Schüler, Andreas Hoffmann.[9] Dieser machte das Weng Chun erstmals auch außerhalb von China bekannt. Wie bei vielen anderen in Europa eingeführten asiatischen Kampfkunstarten wurde die klassische Lehrer-Schüler-Beziehung von Andreas Hoffmanns Verband durch eine Schulenstruktur mit Graduierungen durch Gurtfarben ersetzt. In dem Verband von Andreas Hoffmann gibt es weltweit etwa 40 Weng-Chun-Schulen, davon etwa 30 in Deutschland.[10]
Zwar gibt es noch einige chinesische Weng-Chun-Meister, die aus der Dai-Tak-Lan-Akademie hervorgegangen sind, diese ziehen es allerdings in der Regel vor, einige wenige selbst ausgewählte Schüler privat zu unterrichten.[11] Andreas Hoffmann unterhält bis heute Kontakte zu einigen dieser chinesischen Meister des Weng Chun, unter anderem zum Beispiel zu Tang Chung Pak. Dieser war einer der letzten engen Schüler von Tang Yik.[12] Ein deutscher Schüler von Tang Chun Pak betreibt beispielsweise in Berlin eine Kung-Fu-Schule, welche mit der klassischen Lehrer-Schüler-Beziehung arbeitet und auf Graduierungen verzichtet.[13]
Prinzipien des Weng Chun[Bearbeiten]
Im Weng Chun gibt es bestimmte Prinzipien für den Kampf, die dazu dienen, schnelle taktische Entscheidungen treffen zu können.[14] Auf diese Weise soll vermieden werden, dass der Kämpfer den Überblick verliert bzw. dem Kämpfer die Optionen ausgehen.[2] Hier die sieben wichtigsten Prinzipien des Weng Chun:
1. Prinzip Tai (nach oben ausheben):
Die Balance des Gegners durch Ausheben nach oben brechen.
2. Prinzip Got (nach unten schneiden):
Die Kraft des Gegners bei einer Attacke nach unten schneiden.
3. Prinzip Waan (seitliches Kreisen):
Die Kraft des Gegners nutzen, um ihn aus der Balance zu bringen. Übt der Gegner Druck aus, wird der Winkel zum Gegner geändert. Damit geht ein Angriff ins Leere, oder der Gegner läuft in eine Gegenattacke hinein.
4. Prinzip Kit (gegnerischen Raum einnehmen):
Abwehr einer Attacke, Einstieg in die Deckung des Gegners.
5. Prinzip Lan (eigenen Raum schaffen):
Den Gegner verriegeln, um eigenen Raum zu schaffen oder zu erhalten.
6. Prinzip Dim (etwa „zielen“, „Aufmerksamkeit lenken“):
Den Gegner durch einen schnellen, konzentrierten Angriff schockieren und verunsichern.
7. Prinzip Lau (fließen):
Im Weng Chun auch das „halbe Prinzip“ genannt, macht es die Hälfte des Weng Chun Kung Fu aus: Den Fluss der eigenen Aktionen aufrechterhalten, den Fluss des Gegners zerstören. Der Kämpfer fließt kontinuierlich wie Wasser in die Lücken der gegnerischen Deckung.
Das Konzept des Kiu Sao[Bearbeiten]
Im Weng Chun gibt es das Konzept der „Brücken zum Gegner“, welches als Kiu Sao (etwa „Brücken-Hände“) beschrieben wird.[2] Es hat damit eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Chi Sao des Wing Chun, dem Konzept der „klebenden Hände“.[15] Beiden Konzepten gemeinsam ist es, durch Berühren des Gegners seine Aktionen idealerweise im Voraus zu erfühlen, ohne, dass dies visuell geschieht. Ebenso dienen sowohl Kiu Sao als auch Chi Sao als „Brücken“ zu einem beginnenden Kampf, sozusagen als Einstieg. Beim Weng Chun wird jedoch vermehrt mit dem Winkel der Kämpfer zueinander gearbeitet. Das Kiu Sao ähnelt durch die resultierenden, kreisenden Bewegungen daher noch am ehesten dem Tuishou des Taijiquan (westl. Tai Chi).
Vergleich mit Wing Chun und dessen Prinzipien[Bearbeiten]
Weng Chun ist nicht zu verwechseln mit der Kampfkunst Wing Chun (Kantonesisch 詠 Wing bzw. Hochchinesisch yǒng „Lied“, 春 cheun „Frühling“), abgesehen von dem gemeinsamen Ursprung.[7] Das Kulturmuseum von Hong Kong listet Weng Chun und Wing Chun auch in englischer Sprache als separate Kampfkünste auf. [16] Ebenfalls wird in der Kampfkunstliteratur mehrheitlich davon ausgegangen, dass Weng Chun und Wing Chun unterschiedliche Stile sind.[17][18][19] [20] Um Verwechselungen aufgrund der sehr ähnlichen Aussprache der Schriftzeichen 永 ('ewig') und 詠 ('Lied') zu vermeiden, ließ Andreas Hoffmann das Weng Chun (als Transkription in lateinischer Schrift) markenrechtlich schützen.[21]
Im Wing Chun gibt es ebenfalls Kampfprinzipien; diese unterscheiden sich jedoch in Zahl und Inhalt vom Weng Chun.[22] Vergleicht man die Prinzipien, wird beim Weng Chun eher Wert darauf gelegt, den Winkel zum Gegner durch Umkreisen desselben permanent anzupassen, um offene Flanken zu nutzen oder einen Angriff umzulenken. Aufgrund der ausgeprägten Winkelarbeit wird die Kraft hier bei vielen Techniken ganz wesentlich aus dem Schwung einer Hüftdrehung gewonnen.[2] Im Unterschied dazu wird beim Wing Chun der Angriff eher geradlinig nach vorne ausgeführt und ein Weg gesucht, die Deckung direkt zu durchdringen, um einen möglichst kurzen und schnellen Weg zu nutzen.
Literatur[Bearbeiten]
- Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hongkong 2000. Roots of Wing Tsun
- Werner Lind: Das Lexikon der Kampfkünste. Sportverlag, Berlin 2001, ISBN 3-328-00898-5.
- Robert Chu, Rene Ritchi, Y. Wu: Complete Wing Chun: The Definitive Guide to Wing Chun's History and Traditions. Tuttle Publishing, 1998
- Benny Meng: The Treasures of Shaolin's six-and-one-half principles. In: Kung Fu and Tai Chi Magazine. Februar 2005, S. 92
- Andreas Hoffmann, Nadine Poerschke: Weng Chun Kung Fu. Budo International Publ. Co., Madrid 2011, ISBN 978-3-86836-183-4.
Weblinks[Bearbeiten]
- weng-chun.de Weng-Chun-Hauptquartier von Großmeister Andreas Hoffmann (Wai-Yan-Familie)
- shaolin-wengchun.com Webseite der Chu-Chung-Man-Familie (chinesisch)
- tangyik-wengchun.info Webseite der Tang-Yik-Familie, erstellt von Peter Scholz und Tang Chung Pak
- siulam-wingchun.org Webseite der Siu-Lam-Wing-Chun-Schule Berlin (Peter Scholz, Schüler der Tang-Yik-Familie)
Referenzen[Bearbeiten]
- Hochspringen ↑ South China Morning Post, 17.06.2014, Auf der Liste der 480 Kulturgüter von Hong Kong bei Position 367, Wing Chun bei Position 380, [1]
- ↑ Hochspringen nach: 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Andreas Hoffmann, Nadine Poerschke: Weng Chun Kung Fu. Budo International Publ. Co., Madrid 2011, ISBN 978-3-86836-183-4.
- Hochspringen ↑ Werner Lind: Das Lexikon der Kampfkünste. Sportverlag Berlin, 2001, ISBN 3-328-00898-5, S. 530
- Hochspringen ↑ Offizielle Liste der Kulturgüter Hong Kongs, hier wird Chu Chung Man als Großmeister der Neuzeit des Weng Chuns genannt, Position 3.64.1 [2]
- Hochspringen ↑ http://www.wingchunkungfu.de/wingchun-lexikon/Chu-Chung-Man.html
- Hochspringen ↑ Robert Chu, Rene Ritchi, Y. Wu: Complete Wing Chun: The Definitive Guide to Wing Chun's History and Traditions. Tuttle Publishing, 1998, S.92 [3], hier wird das Weng Chun fälschlicher Weise als "Jee Shim Wing Chun" bezeichnet
- ↑ Hochspringen nach: 7,0 7,1 Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hong Kong 2000, S. 371
- ↑ Hochspringen nach: 8,0 8,1 http://www.shaolin-wengchun.com/2008EN/history.html
- ↑ Hochspringen nach: 9,0 9,1 Robert Chu, Rene Ritchi, Y. Wu: Complete Wing Chun: The Definitive Guide to Wing Chun's History and Traditions. Tuttle Publishing, 1998, S.94 [4], hier wird Weng Chun fälschlicher Weise als "Jee Shim Wing Chun" bezeichnet.
- Hochspringen ↑ http://www.weng-chun.com/de/wengchun-schulen
- Hochspringen ↑ Eine Liste einiger u. a. auch chinesischer Weng-Chun-Meister: http://ewingchun.com/search/node/weng%20chun?page=1
- Hochspringen ↑ http://ewingchun.com/sifus/tang-chung-pak
- Hochspringen ↑ Peter Scholz, Siu-Lam-Wing-Chun Schule in Berlin, http://www.siulam-wingchun.org/
- Hochspringen ↑ Benny Meng: The Treasures of Shaolin's six-and-one-half principles. In: Kung Fu and Tai Chi Magazine. Februar 2005, Seite 92
- Hochspringen ↑ http://www.wing-chun-kungfu.de/wing-chun/chi-sao
- Hochspringen ↑ Liste der Kulturgüter Hong Kongs, Position 3.64 und 3.70 [5]
- Hochspringen ↑ Frank Paetzold: "Das Wing Tsun Buch", S.41, Books on Demand GmbH (2005) [6]
- Hochspringen ↑ Robert Hill: "World of Martial Arts", Kapitel 5, erster Absatz, lulu.com (2008)[7]
- Hochspringen ↑ Ben Judkins: "From the Archives: Global Capitalism, the Traditional Martial Arts and China’s New Regionalism", Chinese Martial Studies, 23.06.2015 [8]
- Hochspringen ↑ Benjamin N. Judkins, Jon Nielson: "The Creation of Wing Chun: A Social History of the Southern Chinese Martial Arts", State University of New York (2015) [9]
- Hochspringen ↑ https://register.dpma.de/DPMAregister/marke/register/300938500/DE
- Hochspringen ↑ Benny Meng, Steve Rudnicki: Misconceptions of Wing Chun als Snapshot vom 28. Dezember 2013 auf archives.org, abgerufen am 31. August 2015