Tatsache

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Tatsache (Kompositum aus „Tat“/vollendete Handlung und „Sache“/objektive Wirklichkeit) bezeichnet im Allgemeinen „alles Vorhandene, Geschehene oder Geschehende“, das auf dem Wege „äußerer oder innerer Wahrnehmungen erfasst wird“.[1] Tatsachen oder das Tatsächliche stehen für alles „Faktische“ (von lateinisch factum) und „Getane“ (lateinisch res facti), sie benennen je nach Wahrnehmung wirkliche, nachweisbar-wahre oder allgemein anerkannte Sachverhalte.

Kategorie des Glaubens oder Wissens[Bearbeiten]

Das Wort Tatsache wurde ursprünglich in Diskussionen über Glauben und Wissen als philosophische Kategorie[2] verwendet, z.B. 1778 von Lessing in der Schrift Über das Wörtlein Tatsache.[3] Das im 18. Jahrhundert im Deutschen noch neue Wort führte zur Frage, ob das Christentum sich auf Tatsachen berufen könne.[4] Von Johann Spalding wurde es aus dem Englischen matter of fact abgeleitett, was Joseph Butler 1756 in der Schrift The analogy of religion, natural and revealed, to the constitution and course of nature benutzte. Butler und Spalding meinen, Tatsachen sind Geschehnisse, die als Handlungen Gottes aufgefasst werden.[5] Leibniz unterscheidet Tatsachenwahrheiten (vérités de fait) von Vernunftwahrheiten (vérités de raison), dabei stehen wie bei David Hume Tatsachenwahrheiten für die Wirklichkeit. Kant unterscheidet in der Kritik der Urteilskraft Sachen der Meinung (opinabile), Thatsachen (scibile) und Glaubenssachen (mere credibile) als unterschiedliche Erkenntnisobjekte. Tatsachen sind demnach Wissensobjekte, die sich darin unterschieden, ob die Gründe, aus denen sie für wahr gehalten werden, objektiv bestehen oder auf subjektiven Wahrnehmungen und Überzeugungen beruhen.

Tatsachenlogik[Bearbeiten]

Gottlob Frege unterscheidet Tatsachen oder Sachverhalte von den Gedanken,[6]die sie auslösen. Gedanken sind für Frege die Intension von bestimmten sprachlich-logischen Sätzen. Diese entsprechen den Aussagen im logischen Sinne, die Wahrheitswerte beschreiben. Er macht im Gegensatz zu Bertrand Russell und anderen Vertretern der analytischen Philosophie nicht Tatsachen zur Extension von Sätzen, sondern die Wahrheitswerte selbst. Das liegt daran, dass Frege Sätze als logisch-komplexe Ausdrücke auffasst, die aus Eigennamen und Begriffs- oder Relationswörtern bestehen. Ein Satz ist wahr, wenn die im Satz vorkommenden Objekte die Satzfunktion erfüllen.
Wittgenstein entwickelt in seinem bekanntesten Werk Tractatus logico-philosophicus den Begriff Tatsache im Sinne von „das Seiende“. Von diesem Tatsachenbegriff ausgehend formuliert er in der Beschreibung der Logik von Welt und Wirklichkeit folgende Theoreme:

  • „Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.“
  • „Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.“
  • „Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen)“
  • „Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit.“

Im Positivismus wird eine Hypothese zu einer Tatsache, wenn sie durch Beobachtung verifiziert oder zumindest bestätigt wird. Seit der linguistischen Wende betonen Vertreter sprachphilosophischer und wissenschaftstheoretischer Ansätze, dass die verwendete Sprache Vorentscheidungen darüber fällt, was als Tatsache in Frage kommt. Die vor allem für den Neopositivismus entscheidende Trennung von Theorie und Empirie wird damit unscharf. Dem wissenschaftstheoretischen Modell, in dem allgemeine Hypothesen durch individuell beobachtbare Tatsachen empirisch bestätigt werden, stellt daher der kritische Rationalismus das Modell des Fallibilismus entgegen, wonach Beobachtungen nur vorläufig als Tatsachen gelten können, bis sie durch neue Beobachtungen widerlegt werden.

Kontingente Tatsachen

Sachverhalte, die im Allgemeinen als Widerfahrnis wahrgenommen und akzeptiert werden, beruhen auf kontingenten Tatsachen, wie z.B. die Erdanziehung, der Herzstillstand im Todesfall, das Arbeiten für den Lebensunterhalt oder Habgier in der negativen Anthropologie.
„Die spezielle Materieverteilung in einer RaumzeitRegion ist keine gesetzartige, sondern eine kontingente Tache“.[7]

Tatsache als Rechtsbegriff[Bearbeiten]

Tatsache ist ein unbestimmter Rechstsbegriff, der in Gesetzen zwar vorkommt, dort aber nicht definiert ist. Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände aus Gegenwart oder Vergangenheit, die Beweiskraft haben. Tatsachenbehauptungen sind Aussagen über noch zu verifizierende Sachverhalte. Tatsächliche, allgemein anerkannte Sachverhalte sind die Grundlage der Subsumtion und damit der Rechtsanwendung. Der Tatsachenbegriff umfasst sowohl innere als auch als äußere Tatsachen.

  • „Äußere Tatsachen“ beziehen sich auf etwas äußerlich wahrnehmbar Reales; dazu zählen Eigenschaften von Gegenständen oder Personen, etwa die Echtheit eines Kunstwerks oder die Fähigkeiten und Qualifikationen einer Person.
  • „Innere Tatsachen“ betreffen psychische Zustände wie etwa den Willen, eine Leistung des vorleistungspflichtigen Vertragspartners zu erfüllen. Zu beachten ist dabei, dass auch gegenwärtige Absichten, Motive, Vorstellungen oder Überzeugungen hinsichtlich künftiger Ereignisse eingeschlossen sind,[8] zukünftige Ereignisse werden teilweise in den Tatsachenbegriff einbezogen. Nach der Rechtsprechung genügt es für die Beweisbarkeit, wenn der Täter dem Opfer den Eindruck der Existenz des fraglichen Sachverhalts vermittelt.[9]
Tatsachenentscheidung

Tatsachenentscheidungen betreffen i.d.R. Sachverhalte, die einer augenblicklichen Entscheidung bedürfen, wie etwa bei sportlichen oder sonstigen Wettbewerben. Eine „Tatsachenentscheidung“ erfolgt nach unmittelbarer Beobachtung der äußeren Tatsachen durch Schiedsrichter bei gleichzeitiger Wahrnehmung der inneren Tatsachen, die auf der Auslegung und spontanen Anwendung der Regelwerke beruhen.

Siehe auch[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  • Fact, in Ted Honderich (Hrsg.): The Oxford Companion to Philosophy. Oxford University Press, Oxford 2005.
  • de:Lorraine Daston: Wunder, Beweise, Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. (Übersetzung aus dem Englischen von Gerhard Herrgott) Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3596147638.
  • Kevin Mulligan, Fabrice Correia: Facts (zuletzt abgerufen am 24. Juli 2024)

Weblinks[Bearbeiten]

 Wiktionary: Tatsache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Faktum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Hochspringen Siehe unter Tatsache in Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 18 , F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1973, S. 493, ISBN 3-7653-0000-4
  2. Hochspringen Kategorien sind „Grundbegriffe unseres Denkens“, vgl. Franz Austeda: Kategorien. In: Lexikon der Philosophie. 6., erweiterte Auflage. Hollinek, Wien 1989, ISBN 978-3-8511-9231-5, S. 184.
    Wissenschaftliche Kategorisierungen ermöglichen die zur Verständigung notwendige Konkretisierung abstrakter Begriffe, um sich in einer bewusst geplanten Ordnung von Wissen damit diskursiv auseinandersetzen zu können.
  3. Hochspringen Ephraim Lessing: Über das Wörtlein Tatsache (zuletzt abgerufen am 24. Juli 2024)
  4. Hochspringen Gottfried Gabriel: Tatsache in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4 (Hrsg. de:Jürgen Mittelstraß), J. B. Metzler, Heidelberg/Berlin 1996, ISBN 3-476-02108-4, S. 209f.
  5. Hochspringen Vgl. Eintrag Tatsache in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, Schwabe Verlag, Basel 1998, ISBN 978-3-965-0701-4, S. 913.
  6. Hochspringen Gottlob Frege: Sinn und Bedeutung
  7. Hochspringen Cord Friebe, Meinard Kuhlmann et al: Philosopie der Quantenphysik. Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2018, ISBN 978-3-662-54275-0.
  8. Hochspringen Münchner Kommentar/Hefendehl, § 263 Rn. 53, 63
  9. Hochspringen BGHSt. 8, 237, 239.
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