Superkultur

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Eine Superkultur ist so ähnlich wie ein Superheld ohne Feinde. Obwohl dieser Vergleich infantil und anspruchslos wirken kann, ist das erste Kriterium des Status’ einer Kultur als Superkultur, dass sie keine evidenten Feinde hat.

Kulturelle Einordnung[Bearbeiten]

Eine Superkultur braucht sich nicht gegen andere kulturelle Aspekte oder Elemente zu definieren oder sich zu verteidigen. Eine Superkultur lebt sozusagen ihr eigenes Leben über den Subkulturen, Teilkulturen, Gegenkulturen und der Hauptkultur einer gegebenen Gesellschaft. Sie hat in ihrem Kern keine Elemente, die eine Gefahr für andere Kulturen darstellen, d. h. sie hat keinen direkten kulturellen Gegenpol. Andererseits hatten bspw. Punks die Yuppies als Gegenpol, Hippies hatten den Krieg und die bürgerliche Gesellschaft, Hip-Hopper hatten die Armut, das Ghetto und den Rassismus als Feind, der Kapitalismus hatte den Sozialismus und die Ravekultur in den 1990er Jahren hatte Grunge , Britpop und Hip-Hop als kulturelle Gegenspieler.

Natürlich kann keine Kultur zu hundert Prozent in einer Gesellschaft repräsentiert sein, aber eine Superkultur hat so umfangreiche und tiefgehende Elemente, dass sie in irgendeiner Weise in einer Großzahl des kulturellen Spektrums vertreten ist. Man muss deshalb annehmen, dass eine Superkultur keine schwerwiegenden gesellschaftlichen oder kulturellen Gegensätze hat.
Eine Superkultur muss sich an Traditionen anlehnen und sich ständig erneuern, sie muss mit der Zeit gehen. Deswegen muss sie Technologie und Fortschritt huldigen, sich aber zugleich vor vorgegebenen Traditionen nicht scheuen. Eine Superkultur hat Elemente, die im alltäglichen Leben verankert sind und zugleich in der Freizeit genossen werden. Sie bewegt sich nicht in einem kulturellen Feld, sondern in vielen zugleich. So kann sie bspw. gleichzeitig Anteilnahme an der Modewelt, Businesswelt, der Musikindustrie, der Werbung, Wochenendkultur, Reiseindustrie, Kulturindustrie haben. Sie kann Arbeit und Freizeit, Underground und Overground, lokal und global, Kunst und Kitsch zugleich sein, aber auch, ohne als übertrieben oder abstoßend repräsentiert zu wirken, diese Dinge in sich vereinen. Sie ist zugleich im Mainstream für jeden zugänglich und hat starke Underground-Verwurzelungen, wo Insiderwissen eine Voraussetzung für die Teilnahme an den kulturellen Aspekten ist. Also ist sie sowohl hegemonial vom Mainstream abgeschnitten, aber zur gleichen Zeit setzt sie keine weiteren Voraussetzungen oder ein Insiderwissen über sie voraus, um an ihr teilnehmen zu können. Sie ist weder Subkultur, Teilkultur, Gegenkultur oder Hauptkultur. Eine Superkultur ist nichts dergleichen und dennoch ist sie in all den genannten Varianten des kulturellen Spektrums repräsentiert. Sie hat subkulturelle Elemente in der Form von Underground-Bewegungen und anti-bürgerlichen Wertvorstellungen. Die teilkulturellen Elemente, die, wie im Theorieabschnitt erwähnt, Hollstein zufolge ihr Eigenleben innerhalb der Hauptkultur führen, könnten sich als Zweige einer Superkultur innerhalb der Hauptkultur verselbstständigen. Gegenkulturell ist eine Superkultur in der Gesellschaft repräsentiert, wenn sie ein Gegengewicht sein kann, ohne dass sie das größere Bild der gegebenen Superkultur beeinflusst, d.h. dass es sich in den gegenkulturellen Elementen nicht direkt um die Superkultur handelt, sondern dass sich die respektive Gegenkultur an Elementen der Superkultur bedient, ohne zugleich ihren Status als feindlos zu beeinflussen. Dies bedeutet natürlich auch, dass eine Superkultur fest in dem kulturellen Spektrum einer Gesellschaft verankert sein muss, das man sie „normal“ nennt, obwohl dieser Begriff eine sehr vage Bezeichnung ist. Nichtsdestotrotz werden mit „normal“ die traditionellen bürgerlich-kulturellen Wertevorstellungen und ein ebensolches Agieren in einer Gesellschaft gemeint. Die Superkultur beeinflusst hier nicht Wertevorstellungen oder das Agieren der Angehörigen der Hauptkultur. Angehörige von Subkulturen, Teilkulturen, Gegenkulturen oder der Hauptkultur können sich prinzipiell an den Elementen, Aspekten und dem kulturellen Kapital einer Superkultur frei bedienen, ohne dass sich ihr eigenes Angehörigkeitsgefühl oder das Bild, das andere von ihnen haben, dadurch verzerrt wird. Hierauf folgend hat eine Superkultur auch nur wenige wirkliche AnhängerInnen, die man an ihrer Kleidung, Ausdrucksweise oder an ihrem Benehmen erkennt, und dies gestattet TeilnehmerInnen an Elementen einer Superkultur ihr eigenes kulturelles Wesen, ihre kulturelle Zugehörigkeit und ihr Image in ihr zu repräsentieren. Zusammenfassend schwebt eine Superkultur als genreübergreifende, allgegenwärtige und feindlose Kultur über den anderen kulturellen Aspekten einer Gesellschaft, und hat zugleich überall ihre Fäden im Spiel.

Die Superkultur RAVE[Bearbeiten]

Underground und Overground

Anfang der 2000er Jahre zog sich die Ravekultur erstmals zurück in den Underground. Viele sprachen vom Tod des Techno und der Ravekultur. Aber wie der Autor Tobias Rapp feststellte: “Heute hat sich Techno in den Underground zurückgezogen, dort erneuert er sich.“ (TGS. Berlin Kultur, 03.03.09). Um sich aus den Mainstreamklammern der Kulturindustrie zu befreien musste die Ravekultur erstmals öffentlich sterben, um nun im Underground und in der Öffentlichkeit so stark wie nie zuvor dazustehen. Ein Kriterium einer Superkultur ist es sowohl im Underground als auch im Overground repräsentiert zu sein. Der neue Underground florierte schon lange vor dem Niedergang der Ravekultur. Der Underground wie er in Anja Schwanhäußers interdisziplinärer Stadtforschung (Schwanhäußer 2010) geschildert wird, war und ist in Deutschland immer ein fester Bestandteil des urbanen Großstadtlebens. Der Underground ist mobil und ständig an neuen Orten zu finden, ob in Wäldern (Ebd. 205ff) oder in städtischen Räumen, die ihre Nutzung verloren haben und nun vom Ravekultur-Underground neu genutzt werden. Diese „... >>Temporäre(n) Autonome(n) Zone<<, bei der man sich weniger am Vergänglichen berauscht als vielmehr die Räume des Vergänglichen ... als Zukunftschance nutzt.“ (Ebd. S. 172) muss als Grundstein des Undergounds gesehen werden. Für den Underground ist die Location und die Vergänglichkeit des genutzten Partyraums genau so wichtig wie die Party selber. Schon Foucault wusste eine gewisse magische Anziehungskraft in der Ästhetik des Raumes zu sehen. In Foucaults „Heterotopie” beschreibt er die „Anderen Räume“ als ein Konzept von Räumen, in denen eine mythische oder reale Negation des uns bekannten und gewöhnlichen Raumes geschieht. Hier kann Wissen geschaffen und aktiviert werden, das die „Normalität“ des Restraumes in Frage stellt (Foucault 2005, S.71). So will auch der Berliner Ravekultur Underground die „Normalität“ in Frage stellen. Nun ist es für eine Superkultur nichtsdestoweniger wichtig, dass diese Räume oder Räume die eine ähnliche Funktion wie die „Temporären Autonomen Zonen“ des Berliner Techno Underground haben, für andere als ein kleine Gruppe von Insidern der Gesellschaft zugänglich sind. Auch wenn sich diese Welt gegen die Außenwelt abdichtet und es z.B. streng verboten ist in weltbekannten und berühmt berüchtigten Underground Clubs wie das Berghain in Berlin Fotos zu machen, sind diese Locations und Clubs für jedermann im Prinzip zugänglich. Der Underground ist nicht immer leicht zu identifizieren oder lokalisieren, weil es genau die Funktion des Underground ist, sich versteckt zu halten, um seine Authentizität im Angesicht einer Aneignung durch die Normalität nicht zu verlieren. Dabei hat sich die Ravekultur im Underground/Overground Verhältnis schon so weit differenziert, und der Underground hat das Vermögen sich, d.h. Location, Musik etc., ständig zu erneuern, dass eine Verankerung des Rave-Undergrounds stabil ist. Dies ist wie erwähnt vor allem in Berlin der Fall. Der Overground einer Superkultur ist nicht schwer zu definieren und zu finden, denn er befindet sich im allzugänglichen Mainstream. Ein guter Überblick über Mainstream Raves zeigt die Karte über Festivals aus dem Fanzine „Raveline“, die einschließlich EDM repräsentieren (siehe Appendix 4). Auch andere Megaevents wie Mayday oder FlyBermuda sind Großveranstaltungen der Ravekultur mit mehr als 10.000 Besuchern. Die vielleicht wichtigste Rolle der Overground Repräsentation der Ravekultur spielen soziale Internetmedien wie Facebook. Die Rolle von Facebook als interaktives Leitmedium ist unwiderruflich. Und so werden unzählige Overground Events durch Facebook promoviert und an Freunde weitergeleitet. Diese „offenen Events“ werden so allzugänglich, lokal wie global. Hiervon profitieren nicht nur Megaevents, sondern auch Underground Events. Sie benützen auch soziale Medien wie Facebook als Netzwerk. Jedoch geschieht dies bei Underground Events entweder im geschlossenen Netzwerk, das nur für Insider ist oder auf kleinerer Basis.

Global und Lokal

Wie erwähnt lassen sich seit der Allgegenwart der Internet Digitalisierung lokale Nischen auf globaler Basis verbinden, d.h. die mehrdimensionale Kommunikationsdynamik der Jugend ist nicht mehr nur ein Wechselspiel, wie z.B. bei den Ravern der 90er zwischen Kulturindustrie und Konsument, sondern jetzt auch zwischen Konsumenten in verschiedenen Ländern und zugleich Kulturindustrien in verschiedenen Ländern. Der Austausch von Erfahrungen, Ideen, Locations und Orten geschieht mit einem Mausklick. Zugleich bedeutet dies, dass sich lokale Szenen der Ravekultur mit anderen lokalen Szenen austauschen können. Obwohl man annehmen muss, dass sich einige lokale Szenen hegemonial von der Globalität des Internets abschirmen, um ihren Status als Nische und Subkultur zu behalten, sind viele lokale Strömungen, z.B. die musikalischen, global via Download zugänglich. Sie dienen hiermit zur Inspiration und ständigen Erneuerung der Ravekultur. Wie es der Niedergang der Ravekultur zeigte erfand die EDM sich einfach neu, bspw. in Richtung Dubstep oder Minimal , und dies hat sich mit dem Gebrauch von Internetmedien noch stärker durchgesetzt und verbreitet. Global setzten sich Rave Konzepte wie die immer wieder ausverkaufte „White Sensation“ durch. Das Konzept des Megaevents, der ganz in weiß um die Welt zieht, und fast immer ausverkauft ist, ist das Gegenstück der lokalen Ravekultur. Das Neue an dem Konzept ist auch, dass die Party zu dir kommt und du nicht länger an bestimmte Orte reisen musst, um Teil eines EDM-Megaspektakels sein zu wollen. Für die Ravekultur hatten bestimmte Städte, Orte, Inseln oder Clubs immer eine immense Anziehungskraft. Die globalen EDM-Hauptorte sind Städte wie Miami, London und Chicago. Ferienorte wie Ibiza (Spanien), Kho Phanghan (Thailand) und Goa (Indien) gelten als EDM geprägte Destinationen, wohin begeisterte EDM-Enthusiasten auf Urlaub fahren. Ganz vorne im globalem Wettlauf, um das lokale Partyzentrum oder die Partystadt schlechthin zu finden, ist Berlin. Tobias Rapp sieht den Grund hierfür in einem Sammelsurium aus Zufall und Ruf: „Der nationale Bezugsrahmen löst sich auf für Leute, die Techno hören. Irgendwann kommt jeder von ihnen nach Berlin. Denn hier passiert’s. Und man kann es sich leisten.“ (Tagespiegel vom 03.03.09, siehe Appendix 3). Die „Easyjetset Raver“ wie Rapp sie nennt kommen so von überall her und benutzten Berlin zur Zeit als Partyhauptstadt Europas. Eine Superkultur soll lokale Nischen, Szenen und Strömungen global zugänglich machen. Am Beispiel des Remixen von Tracks, was für die EDM typisch ist, ist ein sehr ausgeprägter Hang zum digitalen Teilen/Kaufen und Wiederbenützen von Musik zu erkennen. Dementsprechend können Internationale Tracks mit lokalen Einflüssen remixt werden. Dies ist mit dem Internet und dessen Filesharingdiensten ein Meilenstein für die EDM gewesen. Bei der Ravekultur dreht es sich jedoch nicht nur um die Digitalisierung der Musik die lokal und global zugänglich ist, sondern genau so um globale Nomaden, die sozusagen von „speziellen Raves zu speziellen Raves“ reisen. Anders gesagt: „The techno-futurist/revivalist ... – from local DIY tribes and regional scenes to a global movement of technomads celebrating significant celestial events.“ (St John 2004, S. 231). Demgemäß werden TeilnehmerInnen an lokalen ravekulturellen Events auch zu globalen TeilnehmerInnen an lokalen Szenen.

Gegen-, Sub-, Teil- und Hauptkultur

In den 90ern fingen Gegenkulturen gegen die Superlative Rave an groß zu werden. Schon 1997, am Höhepunkt der Mainstream-Ravekultur, manifestierten „Die Fucker“ sich mit einer Gegenbewegung gegen den Mainstream-Techno und die Love Parade. Die „Fuck Parade“ wurde ins Leben gerufen. 2010 sind immer noch mehr als 4.000 AkteureInnen bei der Fuck Parade dabei. Sie positioniert sich gegen- und subkulturell, damals wie heute „... gegen Gentrifizierung und den Ausverkauf der Subkulturen ...“ (TAZ, S. 21. 23.08.2010, siehe Appendix 5). 2010 positionierte sich die Fuck Parade zum 14. Mal gegen den Kommerz, gegen die Mediaspree und für den Erhalt der urbanen Freiräume. Von den Wagen donnert die harte Techno Richtung Gabber , aber auch moderner House wird gespielt. Die gegenkulturellen Agenden in der Ravekultur spiegeln sich auch in der Ethnografie von Anja Schwanhäußer wider (Schwanhäußer 2010). Eine detaillierte Schilderung des gegen- und subkulturellen Lebens in Berlin durchzieht das ganze Buch. Die gegenkulturellen Elemente der Ravekultur stehen jedoch eher neben den eigentlichen ausgedrückten Haltungen. Deshalb wird die Ravekultur nicht als Gegenkultur bezeichnet, sondern die einzelnen Events mit gegenkulturellen Statements (wie die Fuck Parade) benützen Elemente der Ravekultur um ihren Standpunkt auszudrücken. Dies verhindert ein negatives Bild gegenüber der Ravekultur von Seiten derer wogegen demonstriert wird. So spricht sich Kirk, ein Akteur der Berliner Ravekultur aus: „Man kann nicht länger als ein Jahrzehnt nur gegen irgendwas sein, das erschöpft sich. Irgendwann wollten die Leute auch einfach Spaß haben ... Und dann gab’s natürlich den Techno-Underground, der es geschafft hat, die politische Bewegung soweit zu morphen, dass man sagt, man kann durch das Feiern auch ein politisches Statement geben.“ (Schwanhäußer 2010, S. 66f). Die EDM wird somit nicht politisiert, sondern die Feier selbst wird politisiert, und das gestattet der Ravekultur sich über das politische Geschehen einer Gegenkultur zu legen, und im Grunde nichts über Pro oder Contra auszusagen. Als Teilkultur gibt sich die Superkultur Rave mit Elementen die seit der Mediatisierung und dem Aufstieg in den Mainstream Teil der Gesellschaft sind. Vorweggenommen ist der Begriff Teilkultur in diesem kulturellen Diskurs über eine angenommene Superkultur Rave als mehr oder weniger überflüssig zu betrachten, weil Techno als ein Teil der Hauptkultur alleine in den Großveranstaltungen repräsentiert ist. „Techno sei ein Lebensprinzip und deshalb lasse sich diese Kultur auch nicht als ein kurzfristiger Modetrend abstempeln, sondern sei Teil jugendlicher Identität.“ (Klein 2004, s. 34). EDM-Events sind Teilkulturen der deutschen Gesellschaft, sowohl im öffentlichen Raum als auch im Nachtleben in den Clubs. In der Hauptkultur spiegelt sich die Ravekultur mit populären Phänomenen in den verschiedensten Gesellschaften wieder. Der indische Bollywood Film hat mittlerweile Lieder im Techno Stiel (vierviertel Takt). Die größten Musikfestivals haben EDM Namen als Headliner, egal ob sie sich als Rockfestival branden oder nicht (i.e. Roskilde Festival, Glastonbury Festival, Coachella, Rock am Ring etc.). Riesige kommerzielle Raves (Vgl. Anderson 2009, S. 34ff) dienen als Werbegrundlage für die verschiedensten Firmen, von BMW bis hin zu Red Bull, und gelten als Geldquelle für viele Businessleute und die Branchenmaschinerie. Manche kommunale Politiker in z.B. Dänemark und Deutschland geben ihre Genehmigungen und manchmal sogar finanzielle Unterstützung für urbane EDM-Events, die die Stadt attraktiv und hip aussehen lassen und Touristen anziehen sollen (Distortion Festival , Strøm , Fuck Parade, Straßen Paraden a la Love Parade in Wien und Zürich , Techno in der Kirche , im Flughafen Tempelhof und in den Boutiquen der Großstädte). Die großen gesponserten Raves werden von RaveakteurenInnen allerdings nicht immer als positiv angesehen. Am Beispiel des Summer Raves in Berlin Tempelhof wurde die Kritik laut, dass der Rave von der Supermarktkette Kaiser’s gesponsert wurde , und er wurde so als Supermarkt-Rave abgestempelt. Nichts desto trotz ist die Zusammenarbeit der Ravekultur mit der Großindustrie ein wichtiges Indiz für die hauptkulturelle Rolle der Ravekultur. Auch das Faktum, dass die Kulturindustrie immer noch großes Interesse an der Ravekultur hat, zeigt sich in der hauptkulturellen Agenda mancher Elemente der Ravekultur.

Verankerung in der Gesellschaft[Bearbeiten]

„Techno ist die Musik, die die technokratische Konsumgesellschaft des Spätkapitalismus sich redlich verdient hat.“ (junge Welt, 28.09.2010. Siehe Appendix 7). Der Artikel in der linken Tageszeitung „junge Welt“ beschreibt zwar eher ein negatives Bild der Ravekultur Post Love Parade 2010 . Jedoch zielt diese Kritik eher auf Ideale und Werte der „Generation Techno“ und auf den Einfluss der Kulturindustrie als auf die EDM generell. So herrscht die Kritik, dass das Lustprinzip vor Realitätsprinzipien, auch bei Erwachsenen, tritt. Und das die Mainstream Ravekultur und der Drogenkonsum als Befreiung von dem tristen Alltag auftritt. Dies mag seine Richtigkeit haben. Dennoch ist das Lustprinzip in der zeitgemäßen Gesellschaft verankert, ob dies auf den Wegen der Kulturindustrie geschieht oder aus freiwilligen individuellen Wünschen, ist eher eine politische Debatte als eine kulturelle. Fakt bleibt, dass in der westlichen Gesellschaft das Lustprinzip herrscht. Damit gemeint ist, dass die meisten Menschen danach streben, wozu sie Lust haben, und nicht nach dem, was sie zum Überleben brauchen. Das Lustprinzip kann so als temporäre Flucht aus der Leistungsgesellschaft, in der wir leben gesehen werden. Die Ravekultur wird oft als Flucht vor Leistungsdruck, Verpflichtungen, Alltagsstress und dem Erwachsenenleben gesehen. Die Ravekultur mit all ihren differenzierten Events, kann banale Lustprinzipien erfüllen, weil sie momentan, unverbindlich und leicht zugänglich sein kann. Es müssen allerdings nicht gesponserte Megaraves sein, die die Anziehungskraft der EDM ausmachen. Schon 2005 bekam die aufsteigende IDM-Szene mehr und mehr Aufmerksamkeit. Mit „Permanente(r) Innovation“ und „Großkunstbewusstsein“ beschrieb der schon erwähnte Journalist, Autor und Techno Enthusiast Tobias Rapp die EDM 2005 (TAZ. 21.06.2005, Siehe Appendix 8.). Der künstlerische Aufstieg der EDM soll eher als Vervielfältigung, und nicht als Zerreißung der Szene gesehen werden. Seit dem endlichen und vollständigen Durchbruch der sozialen Möglichkeiten des Internets in den 00ern und in Verbindung mit dem Internet Phänomenen YouTube und „Filesharing“, kann sich jeder ohne größeren Aufwand in die ganze Welt broadcasten oder sich Tracks runterladen. Die meisten sind in unserer Gesellschaft darauf abgerichtet, dass Berühmt-Sein das höchste aller Dinge ist. Das Prinzip macht sich geltend in den neuen Möglichkeiten der DJ- und Elektroproduzenten-Welt. „(Das) die Zahl der Berliner Techno-Produzenten stetig steigt. Das liegt daran, dass die benötigte Hard- und Software mittlerweile für ein Paar hundert Euro erhältlich ist.“ (TGS 25.02.2010. Siehe Appendix 9), so Soziologe Jan-Michael Kühn. Diese ist nicht nur billig sondern mittlerweile auch so avanciert, dass man ohne größeren Aufwand DJen, und ohne größeres musikalisches Talent Musik produzieren kann (dies ist natürlich kein Qualitätsstempel). Zugleich verschwand die relative Anonymität des DJs oder Musikproduzenten der 90er, die eher im Hintergrund standen: „Producers, sound engineers, remixers, DJs ... the creative heroes of dance genres ... may entail hiring a model and dancers to lip-synch to the sampled vocals while the track’s composer prances behind a computer keyboard or DJ console at the back of the stage.“ (Thornton 1995, s. 4). Die Helden der elektronischen Musik bekamen mit dem Internet und dem neuen Kult von Persönlichkeiten, die sich von den Normen der Hauptkultur abtrennten, ohne einer eigentlichen Subkultur anzugehören, Rockstar-Status. Dass Typisierungen wie Rockstars in der Gesellschaft verankert sind, und das man sie entweder vergöttert oder widerlich findet, ist nichts Neues. Das Neue ist, dass der DJ mittlerweile Ikonenstatus genießt. Bspw. schildert der Dokumentarfilm „Justice – A cross the universe“ das französische „Electro House“-Duo Justice, und passend für den ganzen Film hört man, nach einer Show in den USA einen euphorischen Fan sagen: ”These guys are the new rock ’n’ roll!” . Und auch der Schöpfer von weltumspannenden Talentshows wie „American Idol“ und „Britain’s got talent“, Simon Cowell, will nun eine internationale DJ Talentshow machen, und begründet dies damit, dass DJs die neuen Rockstars sind (Politiken 26.01.2012. Siehe Appendix 11). Die neue Soft- und Hardware ermöglicht außerdem, dass es leichter ist für DJs live aufzutreten. Neben der sich in Szene setzenden Attitude der DJs ist das Live-Auftreten, das früher eher der Analogen Musik vorbehalten war, für viele eine Authentisierung der Ravekultur, also eine erneuerte authentische Kulturverankerung in der Gesellschaft. Das musikalisch Authentische der Ravekultur muss das Liveset sein. Thornton beschreibt die „Liveness“ der Ravekultur folgend: „What authenticates contemporary dance cultures is the buzz or energy which results from the interaction of records, DJ and Crowd.“ (Thornton 1995, S. 29). Wenn dies in den 90ern das Authentische der Ravekultur war, muss angenommen werden, dass dieser „buzz“ oder diese „energy“, mit den Live-Auftritten verschiedener DJs sich vervielfältigt hat. Der Rockstar-Status kann hierauf folgend wegen der Anerkennung der Musikkultur zur Verankerung der Ravekultur in der Gesellschaft dienen, d.h. das DJen und das Produzieren von EDM gewinnt nicht nur an Popularität, sondern auch an künstlerischer Integrität. Ein sehr treffendes Beispiel für die Verankerung in der deutschen Gesellschaft ist der schon erwähnte Artikel in der Süddeutschen Zeitung „Hyper, Alter“ (SZ, 30.04, 1. Und 2. - 05 – 2010. Siehe Appendix 12). Der Artikel beschreibt eine tiefe Verankerung der differenzierten Ravekultur. Deutsche Techno Pioniere verfolgen sowohl „bürgerliche Rituale“, werden mit der Limo zum Flieger gebracht, von den Politikern wegen Drogenenthaltsamkeit geliebt und bekommen 30.000 Euro pro Auftritt. Andere Urgesteine empfinden dies als Verrat und mixen „für den Moment“ und sind so auch wie die meisten DJs „finanziell an der Grenze“. Der weltberühmte DJ Sven Väth baut für 10 Millionen Euro einen Superklub und ist zugleich Buddhist. Während der 55 jährige Eigentümer des legendären Pionier-Technoclubs „Tresor“ ihm nachtrauert, bauen ihn andere 1 zu 1 wieder auf. Egal wie sich die alten und die neuen Stars und Amateure der deutschen Ravekultur sehen oder gesehen werden wollen, ob man Techno mag oder nicht, ist die Ravekultur in der deutschen Gesellschaft verankert, alleine auf Grund folgender Tatsache: „Techno ist ein Exportschlager in der deutschen Musik, wie er seit der Klassik vor 200 Jahren nicht mehr vorgekommen ist.“ (Ebd.).

Genre-infiltrierend und ohne Feinde[Bearbeiten]

„Das ist für mich ein Lebensgefühl. ... Viele denken, es wäre ein einfaches Bum-Bum zu dem man nur möglichst heftig feiert. Auch wenn die Musik in den Clubs läuft, ist sie doch sehr vielschichtig.“ (Szene Hamburg, Sep. 2008, S. 91) . So der Berliner Superstar des Minimal Paul Kalkbrenner. Die EDM ist ein Lebensgefühl, in einem anderen Interview erklärt Kalkbrenner: „Es ist die Musik unserer Zeit. ... Es geht um Arrangement, Feeling, Dramaturgie und um den Moment.“ (zitty 20-2008, 25. Sep. – 8. Okt., S. 58). Um dieses Lebensgefühl und die Musik unserer Zeit zu fangen, fingen unmittelbar nachdem die Öffentlichkeit Techno für tot erklärt hatte, eine breite Reihe von Rock, Hip Hop, R & B und Indie-Musiker an mit dem klassischen Vierviertel-Beat des Technos zu spielen. Alle wollten plötzlich in den Club. Es scheint als ob die einstigen Feinde des Musikgenres Techno, oder auf jeden Fall die konkurrierenden Genres, sich nun an den Elementen der EDM bedienten. Der Grund, warum der populär gewordene Mainstream-Techno von der Popmusik und sogar vom Schlager aufgesammelt wurde , kann in der Konformität und Einfachheit der EDM gesehen werden. Die Mainstream-EDM hat nicht wirklich Elemente in sich, die gehasst werden können – Musik ist wie alle andere Kunstrichtungen eine Frage des Geschmacks - deswegen kann man EDM sehr wohl nicht mögen, aber einen Hass produziert die Mainstream-EDM heute selten, denn er hat keinen anderen Ausdruck als die TeilnehmerInnen zum Feiern zu bringen. „Techno ist längst überall. Das gerade >>Bum-bum-bum des Beats<< ... ist in den Rock, den HipHop, den R&B diffundiert.“ (Welt am Sonntag, 20.05.2010, S.67.) Die Genreinfiltration fundiert in der ständigen Erneuerungen der Ravekultur, die aus der Popularisierung gewisser Elemente heraus entsteht. Dubstep wurde anfangs als Erneuerung, schmutzig und als Underground-Sound gesehen wurde, jetzt aber von der Hauptkultur aufgefasst, und Popikonen wie Britney Spears bauen demgemäß Dubstep-Elemente in ihre Popsongs ein. Das bedeutet nicht, dass ein Underground-Sound dazu gezwungen wird zu verschwinden, er wird allerdings von der Subkultur wo er entstanden ist erneuert. Im genannten Britney Spears Beispiel kann der breite Appeal der EDM-Sounds erkannt werden. So kann sich in irgendeiner Großstadt eine Underground-Dubstep-Party abspielen, während eine Hausfrau in Sachsen gerade Britney Spears’ Dubstep inspiriertes Lied im Radio hört. Dies verkörpert die Vielseitigkeit der Rezeption der EDM. Die Ravekultur hat sich langsam und ohne Zwang in andere Subkulturen, Teilkulturen und in die Hauptkultur eingefressen. Sie ist fester Bestandteil des Alltäglichen und hat einen Status der genreinfiltrierend und milieuübergreifend sein kann: „ ... den Status elektronischer Musik in manchen Städten des europäischen Kontinents, wo dieser Sound, obwohl er so gut wie nie in den Charts auftaucht, absolut milieuübergreifend Konsens stiften kann.“ (TAZ. 21.06.2005, Siehe Appendix 8.). In unserer Gegenwart steht die EDM sozusagen ohne wirkliche Gegner über den anderen Musikgenres (in den 90ern waren die Gegner noch Grunge, Hip-Hop, Rock, höhere Kunst usw.). Hip-Hopper haben heutzutage 120 BpM in ihren Liedern und Werbeagenturen verwenden EDM Tracks wegen dem breiten Appeal, um ihr Produkt zu verkaufen. DJs kleiden sich mittlerweile wie Rockstars und werden als Künstler anerkannt. Schon Jim Morrison von „The Doors“ prophezeite 1969, dass Künstlertum der EDM: „I can envision one person with a lot of machines-tapes, electronic setups-singing and speaking, and using a lot of machines.“ Die Ravekultur hat anno 2012 keine wirklichen Antagonisten, weder in anderen Subkulturen noch in der Hauptkultur. Sie scheint so differenziert und vielseitig zu sein, dass alle Genres außerhalb der EDM sich auch an ihr benützten (i.e. die EDM wird dadurch genreinfiltrierend). In den 90ern definierten sich die Raver noch gegen die Rocker oder Hip-Hopper und umgekehrt. Jetzt scheint es so als ob die anderen Genres EDM akzeptieren und in großem Stil auch in ihre Subkultur/Szene inkorporieren. Die Ravekultur ist vom „... integrierenden Element einer allwöchentlichen ästhetisch-erotischen Feierkultur, die den müßigen und empfänglichen Kindern der Großstadt und ihren Besuchern die wundervollsten Erlebnisse von Entgrenzung und Verschmelzung, des Aussteigens aus sozialen Rollen, ja eines kompletten Identitätswechsels anbietet.“ (Ebd.) durchzogen.

Konklusion[Bearbeiten]

Die subkulturellen Aspekte, wie Schwendter sie definiert, beruhen fast alle auf einer gewissen Art der Kulturambivalenz. Subkulturen entstanden schon immer wegen differenzierter Wertevorstellungen der Jugend gegenüber den älteren Repräsentanten einer gegebenen Gesellschaft. Das Wechselspiel zwischen Subkultur, und dem, was Schwendter und andere zeitgleiche Sozialwissenschaftler Hauptkultur nennen, definiert sozusagen eine Subkultur. Heutzutage sind diese Definitionskriterien hybrider geworden. Es wird nicht mehr im gleichen Stile von einer Hauptkultur gesprochen. Nichtsdestotrotz ist der Begriff nützlich, um in einer gewissen Form die Kulturmerkmale einer Gesellschaft zu beschreiben, wogegen sich Subkulturen definieren. Es sind eher die AkteureInnen einer Subkultur, die die Hauptkultur (die typischen die Werte, die Moral und Normen des bürgerlichen Establishments) definieren. Dementsprechend entstehen die meisten Subkulturen wegen differenzierter Wertevorstellungen gegenüber der von meist älteren Repräsentanten einer Gesellschaft geprägten Hauptkultur. Der deutsche Soziologe Karl Martin Bolte sah hierauf folgend Subkulturen als eine „antibürgerliche Gegenwertsbildung“ (Schwendter. S. 23), also als eine Werteschaffung, die sich gegen die Werte der Hauptkultur entwickelt. Was auch im Angesicht der frühen Ravekultur ihre Richtigkeit hat, allerdings ist die von ihm genannte Kulturambivalenz heutzutage eher ein Kampf, der sich in der Kulturindustrie abspielt als ein Kampf der Subkultur gegen Hauptkultur. Hiermit ist nicht gemeint, dass jugendliche Szenen sich nicht gegen die in der Gesellschaft verankerten Wertesysteme wie Kirche, Militär, Schule, Medien und Sittenhüter stellen. Nur sind die Wahlmöglichkeiten und Freiheiten in unserer Zeit dementsprechend groß und aufgeklärt, sodass die hauptkulturelle Macht von Instanzen wie Kirche, Militär, Schule und Sittenhütern gegenüber den Jugendlichen eher milde ist. Es gibt natürlicher Weise immer noch Regeln, Traditionen und Gesetze, wogegen man sich auflehnen kann, aber wie man an dem Beispiel der Raver der 90er sah, drückte sich die Gegenwertsbildung eher in einem „Ist mir egal“-Ethos aus als mit einer direkten subkulturellen Formation und darauffolgenden Konfrontation mit dem Establishment. Wie Kapitel 6 zeigt, formierten sich die Raver anfangs als Subkultur, und entstanden im Underground und als Gegenwertsbildung gegen den damals aktuellen Pop-Markt und die Gesellschaft. Allerdings ist ein wichtiger Punkt für Schwendter, dass eine Subkultur aus dem Proletariat heraus entsteht. In den USA und in England war dies der Fall mit der Subkultur Rave. In Deutschland hingegen formte sich die Ravekultur aus dem Mittelstand. Wie Albert Cohen meinte, lehnen Gegenkulturen (hierunter Subkulturen) Maßstäbe und Wertungssysteme der herrschenden Mittelklasse ab und erschaffen ihr eigenes Ersatzstatussystem innerhalb ihrer Gegenkultur. Dieses System beruht auf Handeln im gleichen Bezugsrahmen und einer hierauf folgenden Konformität. Weil sich die Ravekultur in Deutschland aus der Mittelschicht bildete, hatte man nicht die gleichen Bedürfnisse gegen eine herrschende Majorität zu kämpfen. Dennoch hatte die Ravekultur in Deutschland Werte, Normen und Moralvorstellungen, die der Hauptkultur nicht ins Konzept passte. Diese wurden jedoch eher ironisiert, sozusagen mit einem „Friede, Freude, Eierkuchen“ -Gewissen. Wie Schwanhäußer feststellt, gab es natürlich auch Strömungen die eher als subkulturell angesehen werden müssen. Demgemäß schildert sie die frühere Hausbesetzerbewegung, die jetzt in Berlin für die neue Underground-Ravekultur agiert. Ihre Subkultur war allerdings eher die der Hausbesetzer und nicht der Raver. In dem Punkt über emotionelle Subkulturen kann Schwendters Theorie immer noch fast ganz auf die Ravekultur angewendet werden. Von Anfang an war die Ravekultur eine emotionelle Subkultur, die sich später in eine emotionelle Mainstream-Kultur entwickelte. Und zweitens ist die Ravekultur unwidersprüchlich mit einer Praxis im Verhältnis zur Hauptkultur verbunden. Der Rave in sich selber ist diese Praxis, nicht nur eine Praxis, sondern eine emotionelle Praxis. Es besteht auch kein Zweifel darüber, dass die Ravekultur mittels des Interesses der Kulturindustrie Anfang der 90er einer Anpassung an die Hauptkultur unterworfen wurde. Die mehrdimensionale Kommunikationsdynamik der Raver gegenüber dem Kommerz hat sich so als gesteigerte Verinnerlichung von hauptkulturellen Elementen in der Subkultur Rave gezeigt. Bei Parsons Systemfunktionalismus tritt dies auf, weil die „normative Ausrichtung des Handelns“ eine inkorporierte Legitimation hat. Mittlerweile ist jedoch die Ravekultur selber zu dieser normativen Ausrichtung des Handelns, in Bezug auf die kontemporäre Musikproduktion geworden. Dementsprechend beinhaltet der Begriff Subkultur eine Unzahl von Definitionen, Ansätzen und Schlussfolgerungen. Für Jochen Bonz ist der Begriff der Subkultur als ein verschwindender Begriff zu sehen, und die Ursache hierfür ist ein Verschwinden der hegemonialen, basalen kulturellen Ordnung – das, was Schwendter Hauptkultur nennt -, in der sich die Subkultur reflektieren kann und aus der sie sich, wegen ihrer Verschiedenheit, definieren kann. Eine musikalische Subkultur kann sich natürlich immer im Angesicht anderer musikalischer Richtungen definieren. Allerdings bezieht sich jeder Kulturwissenschaftler, Soziologe oder Musikwissenschaftler auf andere Annahmen. Herauszuziehen ist, dass sich Subkulturen im Verhältnis zu etwas anderem sehen. Sie suchen sich meist bürgerliche Gegenpole und definieren ihre Gesellschaftsrolle hieraus. Es gibt heutzutage noch Subkulturen. Jedoch ist das Feindbild vieler Subkulturen in der transzendenten multikulturellen Gesellschaft von Heute mehr oder weniger unauffindbar. Der Begriff Szene oder Underground wird hierauf folgend, auf jeden Fall, wenn es um Subkulturen geht die ein musikalisches Fundament haben, eher den subkulturellen Strömungen gerecht. Es sind einige Gründe zu nennen, warum sich die Ravekultur in der deutschen Gesellschaft von Anfang an so stark verankerte. Anfänglich gab der Fall der Mauer ein gewisses kulturelles Vakuum frei. Es scheint sich in den ethnografischen Beschreibungen über den Anfang der Ravekultur von Gabriele Klein, Anja Schwanhäußer und Erik Meyer ein Ausdruck von einem Vakuum, das eine Ära wie der Kalte Krieg in zwischenmenschlichen Aspekten mit sich führen kann, heraus zu kristallisieren. Dieses Vakuum könnte zur Euphorie und zur Steigerung des „Feiern ohne Ende“-Ethos’, das in die Ravekultur inkorporiert ist, geführt haben. Die Superlative Rave ließ schlussendlich auch nicht lange auf sich warten. DJs aus den USA und England kamen nach Deutschland und wurden hier schnell bekannter als in ihren eigenen Ländern. Die Generation X feierte hierauf folgend die größten Erfolge der Ravekultur bis dato. Mit 3,5 Millionen Ravern war Deutschland das Land der Welt mit den meisten Ravern. Es schien, als ob die Ravemusik für die deutsche Jugend maßgeschneidert war. Es gab keine Tiefe, keinen Sinn, keine Politik, keine Statements außer dem PLUR-Ethos. Es schien, als ob die Ravekultur mit ihren von der Kulturindustrie vorprogrammierten und betrügerischen Lusterfüllungen wie gerufen kam. Die Generation nach der Gen. X, die Generation Y, schien nicht im gleichen Stil begeistert von der Leichtigkeit zu sein. Deshalb erlebte die Ravekultur nach der Superlative in den 90ern, am Ende des Jahrtausends, einen Rückgang an Popularität. Nicht nur das Generationsschisma ist der Grund für die Degression der Ravekultur, sondern auch andere Hauptgründe müssen zusammenfassend in Betracht gezogen werden. Der Niedergang des Techno ist auch eine natürliche Folge der Überbelichtung einer Popkultur. Die Kulturindustrie im Zusammenspiel mit den in ihr agierenden AkteureInnen war im gleichen Umfang beteiligt. Nach der Kommerzialisierung und Mainstreamisierung der Ravekultur schienen die authentischen Elemente verschwunden zu sein. Die Ravekultur war für viele der jüngeren Jugendlichen um 2000 voller Elemente, die fremd wirkten, z.B. das Tragen von Schnullern und Trillerpfeifen. Generell gesehen war die Techno-Version der Formel Pop nach der Superlative veraltet, und demgemäß puschte die Kulturindustrie neue Trends und Musikrichtungen, die an die Stelle von Techno kamen. Die Ravekultur zog sich mittlerweile in den Underground zurück, um sich in ihm zu erneuern (auch wenn es immer noch vereinzelte Top Platzierungen von EDM-Tracks in den Charts gab). Wie im Kapitel 7 definiert wird ist eine Superkultur im alltäglichen Leben verankert und wird zur gleichen Zeit in der Freizeit genossen. Sie bewegt sich nicht in einem kulturellen Feld, sondern in vielen zugleich. So kann sie sowohl in etlichen Bereichen der Kulturindustrie und in verschiedenen Underground-Szenen zugleich aktiv sein. Sie kann Arbeit und Freizeit, Underground und Overground, Lokal und Global, Kunst und Kitsch zugleich sein, und aber auch, ohne als übertrieben oder abstoßend repräsentiert zu wirken, diese Dinge vereinen. Sie hat sowohl subkulturelle, gegenkulturelle, teilkulturelle und hauptkulturelle Elemente. Aber am wichtigsten ist, dass eine Superkultur keine bedeutenden Kontrahenten haben darf, allzugänglich und allgegenwärtig ist. Sie muss zudem nicht nur eine Kultur ohne Feinde sein, sondern auch einen breiten Appeal haben, der verbunden mit der Möglichkeit, seine sonstige kulturelle Zugehörigkeit nicht aufs Spiel zu setzten, eine Superkultur ausmacht. Es ist nicht die Rockkultur oder die urbane Hip-Hop-Kultur die am dichtesten an diesen Status kommt. Sondern die Superkultur Rave, mit ihren Wertesystemen, Normen und ihrem Ethos ist sie eine Kultur ohne wirkliche Feinde, sie liegt behaglich über den Subkulturen und über der Hauptkultur, die sich an der Superkultur EDM bedienen und sie lässt sich wiederum von ihr bedienen. Sie ist für die meisten Menschen, obwohl sie im Alltag verankert ist, keine alltägliche Kultur, wie es die Hauptkultur oder andere Subkulturen sein können. Das bedeutet, dass Ravekultur eher eine Freizeitkultur ist, die sich aber von gängigen Freizeitkulturen unterscheidet, denn sie ist eine internationale, transkulturelle, globale Kultur und das macht sie so allzugänglich und allgegenwärtig. Und sie kann dies sein, weil sie keine politische, soziale oder gesellschaftskritische Botschaft hat (es gibt Ausnahmen) und weil ihre Hauptfunktion, als ein Katalysator für die Frustration der Menschen, die sie im Alltag angesammelt haben, gesehen werden muss. Die Ravekultur anno 2012 gewährt den Menschen die Möglichkeit zur Flucht aus dem Alltag, aus festen Regeln und Mustern. Die EDM hat keine festen Reglen, Wertesysteme oder Muster, sie ist was du willst, alle können teilhaben, weil man kein Angehöriger einer bestimmten Subkultur, eines bestimmten Wertesystems, einer Nationalität oder Kultur sein muss, oder bestimmten Normen folgen muss. Sie ist eine Kultur, die das Individuum, Nationalität, politische Überzeugung, sexuelle Orientierung, Rasse, Raum, Zeit und die sozialen Schichten überspringt. Hier wird das Individuum zur Masse, aber gleichzeitig ist die Masse von den verschiedensten Individuen zersetzt, die manchmal nur eines teilen, den Rave. Dies klingt wie eine Utopie, wie die „Rave-o-lution“. Und ein Rave kann zur Utopie werden. Allerdings dauert diese Utopie nur so lange wie ein Rave dauert. Die Superkultur Rave ist nicht das gleiche wie ein Rave. Denn nicht alle genießen es, auf einem Rave zu sein. Der Rave ist die Metamorphose des Alltags in Form einer utopischen Party. Die Superkultur Rave hingegen ist die prinzipielle Annahme, dass die Ravekultur die oben erwähnten Kriterien erfüllt. Die Frage ist natürlich, ob die Ravekultur sich nach dem Auf und Ab dieser Kultur, die in einer individuellen Masse dem DJ zugewandt gleichzeitig tanzt und hüpft, glitzert und lacht, ignoriert und aufmerksam ist, frei und doch von der Musik gefangen, die Kultur ist, die, als sie den Weg aus der Subkultur in die überexponierte Superlative des Mainstream, über den Rückgang in den Underground machte, auch zur Superkultur emporstieg? Das Fazit ist, dass die Ravekultur nicht zu hundert Prozent als Superkultur angesehen werden kann. Sie erfüllt viele der Kriterien und ist die Kultur, die am dichtesten an den Status herankommt. Allerdings gibt es kulturelle Elemente, die stark mit der Ravekultur verbunden sind, die immer noch bekämpft werden, so zum Beispiel die immer noch weitverbreitete Einnahme von Drogen wie Ecstasy. Ein anderes Elemente, das mit vor allem hauptkulturellen Zügen nicht vereinbar ist, ist die weitverbreitete illegale Distribution und das nicht genehmigte Remixen von EDM-Tracks, was Urheberrechte verletzt. Lässt man diese Fakten außer Acht, ist die Ravekultur mit ihren übrigen Elementen, die definiert, analysiert und diskutiert wurden, nahe dem Superkultur-Status. Unter allen Umständen ist die Ravekultur eine Superkultur im Bezug auf die zeitgemäße Musik- Produktion und -Rezeption. Demzufolge sehen andere Musikgenres zumeist nicht den EDM als rivalisierendes Genre, sondern benützten deren Elemente, um ihre eigene Musik zu produzieren. Die EDM wird somit zur hybriden Einflussquelle für die anderen Genres, sie liegt wie eine weiche Regenwolke über der zeitgemäßen Musik und lässt es nieseln.


Von: Benjamin F. Jochum. Auszug aus der Masterarbeit: Die elektronische Invasion - Rave, aus der Subkultur ind die Superkultur."

Literaturverzeichnis[Bearbeiten]

Sekundärliteratur

- Adorno, Theodor W. und Horkheimer, Max, ”Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente”, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1969. - Anderson, Tammy L., ”rave culture. The Alteration and Decline of a Philadelphia Music Scene”, Temple University Press, Philadelphia 2009. - Bonz, Jochen, ”Subjekte des Tracks. Ethnografie einer postmodernen / anderen Subkultur”, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008. - Klein, Gabriele, ”Electronic Vibration, Popkultur Theorie”, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004. - Foucault, Michel, ”Die Heterotopien. Der utopische Körper – zwei Radiovorträge”, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. - Meyer, Erik, ”Die Techno-Szene. Ein jugendkulturelles Phänomen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive”, Leske + Budrich, Opladen, 2000. - St. John, Graham, ”Rave Culture and Religion”, Routledge Advances in Sociology, New York 2004. - Schwendter, Rolf, ”Theorie der Subkultur”, Verlag Kiepenhauer & Witsch, Köln 1973. - Schwanhäußer, Anja, ”Kosmonauten des Underground. Ethnografie einer Berliner Szene”, Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010. - Thornton, Sarah, ”club cultures. Music, Media and Subcultural Capital”, Blackwell Publishers Ltd, Oxford 1995.

Primärquellen im Appendix

- Tagesspiegel, 20.07.2001, „Lasst die Popos sprechen“. Siehe Appendix 1. - Tagesspiegel, 06. 11. 2007, „Bassdrum mit Seitenscheitel“, Seite 23. Siehe Appendix 2. - Tagesspiegel, 03. 03. 2009, „Der ewige Morgen“. Siehe Appendix 3. - Raveline Nr. 214, 11. 01. 2011, „Festivalism“. Siehe Appendix 4. - Tageszeitung Berlin, „Die Fucker sind übrig geblieben“, 23. 08. 2010. Seite 21. Siehe Appendix 5. - http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadtleben/berlin-summer-rave-techno-festival-in-tempelhof/4129460.html. „Techno Festival im Tempelhof“, Siehe Appendix 6. - Junge Welt, „Seid ihr alle gut drauf?“ 28. 07. 2010, Nr. 172. Siehe Appendix 7. - Die Tageszeitung. 21.06.2005, „Der Wahnsinn! Der Wahnsinn!“, S. 15. Siehe Appendix 8. - Tagesspiegel, „Der Techno-Akademiker“, 25. 02. 2010, Seite 11. Siehe Appendix 9. - http://bermuda-berlin.de/fly-bermuda_en.html. Siehe Appendix 10. - Politiken Online, „Briternes Blachmann laver amerikansk talentshow for dj’s“, 26.01.2012. Siehe Appendix 11. - Süddeutsche Zeitung, „Hyper, Alter“, 30. April, 1. und 2. Mai – 2010. Seite 3. Siehe Appendix 12. - Szene Hamburg, Sep. 2008, „Die Party des Monats, Techno Total“, S. 91. Siehe Appendix 13. - zitty 20-2008, 25. Sep. – 8. Okt., „Gute Musiker sind meist auch gute Schauspieler“, S. 58. Siehe Appendix 14. - Welt am Sonntag, Nr. 20, „Ein Lob dem Bum-bum“, 20.05.2010, S.67. Siehe Appendix 15.


Weblinks[Bearbeiten]

- http://www.jugendkulturen.de/ - http://www.freitag.de/2003/38/03381702.php - http://www.postkiwi.com/2005/karl-mannheim-on-generational-cohorts/. - http://www.berlinloveparade.com/ - http://de.wikipedia.org/wiki/Love_Parade#cite_note-34). - . http://www.mayday.de/events/mayday/ - http://www.laut.de/Love-Parade/Techno-Event-endgueltig-abgesagt/17-05-2004. - http://www.jura-lotse.de/newsletter/nl12-002.shtml. - http://mitteldeutschland.partysan.net/clublife/westbam-beatboxrocker-prophet-der-raving-society/) - http://www.leksikon.org/art.php?n=83. - http://www.electronicmusicstyles.com/ - http://en.wikipedia.org/wiki/Trance_Music - http://en.wikipedia.org/wiki/Psytrance - http://en.wikipedia.org/wiki/Electro_house#2000 - http://en.wikipedia.org/wiki/Drum_and_bass - http://en.wikipedia.org/wiki/Dubstep#cite_note-0 - http.//diskokugel.de - http://berghain.de/ - https://www.facebook.com/profile.php?id=100001772867818 - http://bermuda-berlin.de/fly-bermuda_en.html. - http://www.berlin-summer-rave.de/ - http://cphdistortion.dk/ - http://stromcph.dk/ - http://www.kino-central.de/ - https://www.facebook.com/groups/205446376148386/ - http://www.sensation.com/ - http://www.imdb.com/title/tt1619014/ - http://www.gaffashop.dk/shop/justice-a-cross-45031p.html - http://www.mtv.com/news/articles/1655718/britney-spears-hold-it-against-me-gonna-inspire-people-skrillex.jhtml - http://www.chartsservice.de/historyd1.htm - http://www.groove.de/ - http://www.raveline.de/ - http://www.techno.de/frontpage/ - http://de-bug.de/ - http://www.streetfestival.at/Streetfestival_2011/INFO.html - http://www.streetparade.com/ - http://www.digitalmusicnews.com/permalink/2011/111228morrison - http://www.youtube.com/watch?v=iS3dIyHpAgc


Von: Benjamin F. Jochum. Auszug aus der Masterarbeit: Die elektronische Invasion - Rave, aus der Subkultur ind die Superkultur."

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