Kriminalfall Andreas Kühn

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Andreas Kühn (* 13.August 1973) wurde im sog. Gorillamasken-Bankräuber-Fall als Täter verurteilt. Er wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung, versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung im Jahre 2001 vom Landgericht Stuttgart zu 13 Jahren Haft verurteilt. Kühn beteuerte hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Banküberfälle stets seine Unschuld. Er sieht sich als Opfer eines Justizirrtums.[1][2]

Banküberfälle in Stuttgart[Bearbeiten]

In Stuttgart ereigneten sich am 2. August 1995, 18. Oktober 1995 und am 19. März 1998 spektakuläre Banküberfälle, ferner ein versuchter Banküberfall am 26. Mai 1997. Bei der Aufsehen erregenden Raubserie hatte der Täter insgesamt 25.000 Euro erbeutet.[3] Bei dem ersten Überfall trug der Täter eine Clownsmaske, bei den übrigen Fällen jeweils eine Gorilla-Maske, welche über den gesamten Kopf gezogen war.[1][3][4] Nach dem Täter war insbesondere in der TV-Sendung Aktenzeichen XY ungelöst im ZDF gefahndet worden.

Festnahme, Angriff auf einen Richter[Bearbeiten]

Der gelernte Maurer Andreas Kühn wurde im Juli 2000 verhaftet und am 26. Juli 2000 wegen des Verdachts der schweren räuberischen Erpressung dem Haftrichter am Amtsgericht Stuttgart vorgeführt. Nachdem dieser den Haftbefehl erlassen hatte, stürzte sich Kühn unvermittelt auf den hinter seinem Schreibtisch sitzenden Richter und versuchte, diesen mit einem auf dem Tisch liegenden Brieföffner in den Hals zu stechen. Daran konnte er von einem Kriminalbeamten durch einen Schuss ins Bein aus dessen Dienstwaffe gehindert werden.[1][2][4]

Verurteilung[Bearbeiten]

Bei einer Durchsuchung der Wohnung Kühns aus anderem Anlass wurde am 28. Oktober 1999 eine Sammlung von 14 Zeitungsausschnitten gefunden, die sich alle mit den vier Banküberfällen befassten. Im Wandkalender Kühns für das Jahr 1995 fand sich für die zwei Tattage des Jahres 1995 jeweils ein Eintrag „Ü“, was die Ermittler als Abkürzung für "Überfall" erachteten. Kühn begründete dies mit beruflichem Interesse an diesen Kriminalfällen, weil er selbst im Sicherheitsgewerbe als Personenschützer tätig war.[1][2][5] Im Keller der Wohnung fand sich eine Spielzeugpistole, die einer echten Pistole vom Typ P08 bis ins Detail nachgebaut war. Kühn besaß zudem erlaubterweise eine echte Pistole vom Typ Glock 23 Kal. 40 Smith & Wesson.

Bei den beiden Überfällen 1995 wurde vermutlich eine echte oder nachgemachte Pistole vom Typ P08 benutzt. Die Beschreibung der Tatwaffe durch einen waffenkundigen Zeugen des Überfalls vom 26. Mai 1997 glich einer Pistole, wie sie Kühn besaß. Die Tatorte von drei Überfällen in den Jahren 1995 und 1997 lagen außerdem im Wohnumfeld von Andreas Kühn. Obwohl Kühn in finanziell beengten Verhältnissen lebte, gab er im Herbst 1995 etwa 6000 DM für Urlaubsreisen aus. Überdies entsprach die von mehreren Zeugen beschriebene auffallend hohe Stimmlage des Täters der Stimmlage von Kühn.[6] Ein pensionierter Kriminalbeamter, der als Gutachter im Prozess angehört wurde, sagte aus, dass das auf den Fotos der Überwachungskamera zu erkennende Ohr des Täters das Ohr von Andreas Kühn sein könnte.[1] Kühn wurde daher in einem Indizienprozess zu fünf Jahren Haft wegen der Banküberfälle sowie acht Jahren Haft wegen des Angriffs auf den Richter verurteilt.[3][6]

Wiederaufnahmeverfahren und Haftentlassung[Bearbeiten]

Der ehemalige Arbeitgeber Kühns, der Stuttgarter Unternehmer Rainer Glöckle, glaubt an die Unschuld Kühns. Infolgedessen sammelte Glöckle neue Beweise und Gutachten, die belegen sollen, dass Kühn wirklich unschuldig im Gefängnis ist.[2][7] 2008 beantragte ein von Kühn beauftragter Rechtsanwalt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Dazu legte er unter anderem ein neues anthropologisches Vergleichsgutachten vor. Darin war der Sachverständige Friedrich Wilhelm Rösing zu dem Ergebnis gekommen, dass der Täter der Banküberfälle vom 2. August 1995 und vom 18. Oktober 1995 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht identisch mit Andreas Kühn sei. Rösing hat in seinem Gutachten 17 Unterschiede der beiden Profile festgestellt, wie Haargrenze, Unterkieferwinkel, Ohren, Form der Wirbelsäule, u.a. Darunter war auch ein Leberfleck am Ohr des Täters.[1][2][3][4] Kühn hat dort jedoch keinen Leberfleck. Dieser Widerspruch war in dem ursprünglichen Urteil mit Schmutz auf der Kameralinse begründet worden. Hinsichtlich des versuchten Totschlags zum Nachteil des Haftrichters machte Kühn in dem Wiederaufnahmeantrag geltend, dass hierbei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei ihm in Betracht komme, da ihm in jener Situation eine schwere Straftat vorgeworfen wurde, die er nicht begangen habe.[4] Der Angriff auf den Richter war just in dem Moment erfolgt, nachdem der Richter zu Kühn gesagt hatte, dass er mit 10 Jahren Gefängnis rechnen müsse.[5]

Der Wiederaufnahmeantrag wurde vom Landgericht Ravensburg abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hin entschied das Oberlandesgericht Stuttgart im Juli 2009, dass der Wiederaufnahmeantrag zulässig ist, weil es ausreichend ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung Kühns wegen der Banküberfälle durch das Landgericht Stuttgart gebe.[1][3][4] Am 18. Juli 2012 wies das OLG Stuttgart die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiederaufnahmeantrags aber letztendlich ab.[6] Das OLG Stuttgart teilte dabei nicht die Einschätzung des Sachverständigen Rösing, sondern folgte den Ausführungen in einem anthropologischen Gutachten der Sachverständigen Ursula Wittwer-Backofen, welches vom Gericht eingeholt worden war. Jenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass Kühn anhand der Bilder aus der Überwachungskamera nicht sicher als Täter ausgeschlossen werden kann.[1]

Andreas Kühn wurde nicht nach zwei Dritteln der Haftzeit vorzeitig entlassen, weil er stets auf seiner Unschuld beharrte. Damit galt Kühn im Justizvollzug als Häftling, der sich der Reue und der Einsicht verweigert.[1]

Am 26. April 2012 wurde Kühn nach fast 12 Jahren aus der Haft entlassen.[8]

Sonstiges[Bearbeiten]

Der Fall Andreas Kühn war am 14. April 2009 Thema in der Johannes-B.-Kerner-Show im ZDF und am 26. Oktober 2009 Thema eines Beitrags im TV-Magazin Report Mainz.[5] Außerdem wurde am 18. Januar 2012 auf SWR 2 über den Fall berichtet.[9]

Andreas Kühn war zwischen 1996 und 2000 mehrfacher württembergischer und süddeutscher Meister sowie viermaliger deutscher Meister im karnevalistischen Garde-Schautanz mit der Traditionsgarde der Gesellschaft Zigeunerinsel Stuttgart 1910 e.V.

Literatur[Bearbeiten]

  • Thomas Darnstädt: Der Richter und sein Opfer: Wenn die Justiz sich irrt. ISBN 978-3-492-05558-1, Seite 208-211
  • Svenja Müller: Die Wahrheit hinter der Maske, in: Hinter den Zeilen - Ein Medienreport, ISBN 978-3-86351-511-9, Seite 171-188
  • Andreas Kühn: "Ausgetanzt 4392 Tage Unschuldig im Gefängnis" ISBN:9 783757 806149 erschienen am 19.April 2024

Einzelnachweise[Bearbeiten]

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