Hellmuth Reinhard

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Hellmuth Reinhard[1] (* 24. Juli 1911 in Unterwerschen / Kreis Weißenfels; † 2002) war als SS-Sturmbannführer (SS-Nr. 121174) und Regierungsrat Leiter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Oslo.

Ausbildung und Studium[Bearbeiten]

Als Sohn des Gastwirts Frant Patzschke und seiner Ehefrau Lieberte Alma Löb zog die Familie im Jahre 1913 nach Leipzig um. Von 1918 bis 1921 besuchte er in Leipzig die Volksschule. Danach wechselter zum König-Albert-Gymnasium über und bestand im Jahre 1930 die Prüfung zum Abitur. An den Universitäten von Wien, Leipzig und Berlin studierte er das Fach Kunstgeschichte, um dann aber das Studium in der Disziplin Staats- und Rechtswissenschaften aufzunehmen. Am 19. April 1934 bestand der die Prüfung zur ersten juristischen Staatsprüfung.

Seine juristische Ausbildung setzte er in Rochlitz, Leipzig und Dresden fort. Die zweite juristischen Staatsprüfung bestand er am 15. Januar 1938.

Politische Orientierung[Bearbeiten]

Im Jahre 1925 wurde er Mitglied im Großdeutschen Jugendbund[2]. Danach trat er in den NS-Schülerbund ein. Da dieser sich später mit der Hitlerjugend (HJ) verband, wurde ihm 1933 das HJ-Ehrenzeichen verliehen. Mitglied im NS-Studentenbund war er von 1930 bis 1932. Am 4. März 1933 wurde er Angehöriger der SS. Mitglied der NSDAP (Mitglied Nr. 2382157) war er seit dem 15. Mai 1933.

Laufbahn in der SS[Bearbeiten]

Anfangs betätigte er sich in der SS im SD-Hauptamt Berlin als Sacharbeiter in der Abteilung für Rechtsberatung und Fürsorge. Ab 1935 nahm er eine Betätigung in der Außenstelle Leipzig auf, wo er mit Fragen der Wirtschaft betätigt war. Gleichzeitig konnte er dort seine juristische Ausbildung als Referendar fortsetzen. Nach der bestandenen Prüfung zum Assessor wurde er als hauptamtlicher Mitarbeiter beim SD des Reichsführers SS übernommen. Nach Wien wurde er im Herbst 1938 versetzt, wo er in der Leitung des "Arbeitskommandos der historischen Kommission des Reichsführers SS (RF SS)"[3] tätig wurde. Die Aufgabe der Komission bestand darin, die Aktenlage zu folgenden Punkten zu klären:

  • Die Ereignisse bei dem NS-Putsch vom 25. Juli 1934 in Österreich zu klären, dabei die Schuldigen sowohl auf nationalsozialistischer wie auf gegnerischer Seite festzustellen.
  • Die Personen festzustellen und festzusetzen, welche für die gegen SS-Männer in Österreich gerichteten schweren Bestrafungen verantwortlich waren.

Die Ergebnisse der Untersichung sollten dem SD-Hauptamt in Berlin übermittelt werden.

Laufbahn ab Kriegsbeginn 1939[Bearbeiten]

Zu Beginn des Krieges ab dem 1. September 1939 war er im Reichsinnenministerium als Bearbeiter für Grundstücksfragen eingesetzt. Nach Ausbruch des Krieges erfolgte seine Versetzung zum Bodenamt in Prag, wo er sich mit Angelegenheiten zur Klärung des Grundbesitzes beschäftigte. Nach dem Ersten Weltkrieg war in der Tschechoslowakei Grundbesitz des österreichischen Adels und anderer als Gegner der Tschechen betrachteter Personen beschlagnhamt worden.

Mitglied der Waffen-SS[Bearbeiten]

Ab dem 4. Juni 1940 wurde er Angehöriger des SS-Regiments Germania[4] in München. Dort absolvierte er einen Lehrgang für Reserve-Offiziere. Es folgt eine Abkommandierung zur SS-Division Wiking[5] in die Niederlande. Bei einer Übung im Gelände zog er sich so eine schwere Verletzung zu, dass der nicht mehr truppendienstlich verwendet werden konnte. So wurde er am 8. August 1941 zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Den Haag versetzt. Nach seinen Angaben wollte er aber diese Dienststelle in Amsterdam nicht einnehmen, da sie als "Zentralstelle für jüdische Auswanderung"[6] ausgebaut werden sollte. Am 3. November 1941 endete deshalb seine dienstliche Verwendung in den Niederlanden.

Leiter der Gestapo in Oslo[Bearbeiten]

Am 28. Januar 1942 wurde er zum BdS in Oslo versetzt. Die Wahl auf Reinhard wurde persönlich von Heinrich Himmler getroffen.[7] Dort übernahm er die Leitung der Abteilung IV, welche die Aufgaben der Gestapo ausführte. Bis Anfang Februar 1945 nahm er diese Aufgaben in Oslo wahr. In der Abteilung IV waren etwa 60 Angehörige[8] tätig. Dabei waren alle Taten zu bekämpfen, zu behindern und aufzuklären, die sich im Bereich der Dienststelle gegen das NS-Besatzungsregime richteten. Bis zum Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bestand der Widerstand der Norweger hauptsächlich in der Verbreitung von Flugblättern und Zeitschriften. Ab dem Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion begann in Norwegen der aktive Widerstand, der sich im Laufe der Jahre ständig steigerte.

Grundzüge des norwegischen Widerstandes[Bearbeiten]

Die herausragende Gruppe des Widerstandes war die Militärorganistion (genannt: Milorg), die sich aus norwegischen Offizieren zusammenstzte. Sie unterhielt etwa 40 Geheimsender und wurde von London aus unterstützt. Bis Ende 1944 sollte die Milorg nach Weisung ihrer Führung möglichst den bewaffeneten Kampf mit den deutschen Besatzungstruppen vermeiden. Allerdings kam es immer wieder bei den nächtlichen Versorgungsabwürfen für die Milorg zu Gefechten mit deutschen Einheiten. Erst ab Dezember 1944 nahm die Milorg den offenen militärischen Kampf mit den deutschen Besatzungstruppen auf.

Weiterhin bestanden norwegische Widerstandsgruppen, die nicht der Milorg unterstellt waren, die sich hauptsächlich auf Gegenpropaganda und Sabotage gegen die deutsche Besatzunsgmacht richteten. Diese Gruppen wurden als "Heimatfront" bezeichnet. Die Gruppen, die dabei von Kommunisten gelenkt wurden, waren die aktivsten und hatten eine strenge Leitungstätigkeit.

Eine besondere Widerstanstätigkeit ging von den Kommandos aus, die nach Norwegen über den See- oder Landweg geschleust wurden. Die Haupttätigkeit dieser Kommandos war die Sabotage von Anlagen der Wehrmacht und der deutschen Dienststellen. Wenn es dabei zu Kämpfen mit deutschen Einheiten kam, wurden diese mit aller Härte ausgetragen. Als Gegenmaßnahme griff die Gestapo zu den Mitteln der Folter durch Zwangsmittel bzw. der sogenannten "verschärften Vernehmung", die meistens mit schweren Prügelstrafen verbunden waren.

Reinhard wollte den Widerstand mit nachrichtendienstlichen Mitteln bekämpfen, weshalb er ein Referat N (Nachrichten) der Abteilung IV einrichtete. Nach anfänglichen Erfolgen kam es jedoch zu Differenzen mit seinem Vorgesetzten SS-Oberführer und BdS Heinrich Fehlis, der gewonnene Erkenntnisse immer sofort zu Fahndungen ausnutzen wollte. Reinhard wurde vorgeworfen, er führe bei der Gestapotätigkeit "alles zu wissenschaftlich auf". Letztlich steigerten sich die Unterschiede in der Fahndungsarbeit so sehr, dass ihm das Referat N entzogen wurde. Weiterhin gab es Spannungen zu Untergebenen, die als ältere Kriminalisten seine Tätigkeit nicht sehr schätzten, da er alle Angelegenheiten an sich zog. Das fürte bei Reinhard im Herbst 1944 zu einer solchen nervlichen Überlastung, so dass er einen Nervenszusammenbruch erlitt.

Einsatz im Raum Hokksund[Bearbeiten]

Am Morgen des 15. Oktober 1944 wurden im Raum Hokksund von deutschen Einheiten und Dienststellen Durchsuchungen und Festnahmen vorgenommen. Ein Objekt, das durchsucht werden sollte, war der Gasthof Sanden. Das Kommando wurde von dem SS-Hauptsturmführer Wilhelm Esser und dem SS-Oberscharführer Kurt Grünewald geleitet. Im Haus befand sich der Eigentümer Olav Sander, dessen Frau Gunvor Sander und die Kinder Asbjörn Sander und Ester Sander. Nach zwei Stunden ab Beginn der Durchsuchung kam Reinhard hinzu. Reinhard setzte auf die Durchsuchung eines Kellerraums, weil er dort unter Kartoffeln versteckt ein Radio vermutete.

Reinhard und Grünewald gingen mit Olav Sander in den Kellerraum, wobei Grünewald unter den Kartoffeln suchte. Sander stand vor Reinhard und kehrte ihm den Rücken zu. Reinhard und Grünewald waren jeweils mit einer Maschinenpistole bewaffnet. Als sich Sander zu Reinhard umdrehte, verlor Reinhard in seiner Anspannung die Nerven und gab auf Sander einen Feuerstoß mit seiner Maschinenpistole ab. Sander war sofort tödlich verletzt.

Die Aktion stellte sich als ein völliger Fehlschlag heraus, da die Suchtrupps nichts Verdächtiges fanden. Frau Sander und ihre Kinder wurden bis zum Kriegsende in das KZ Grini verbracht.

Versetzung zum KdS Reichenberg[Bearbeiten]

Mit Wirkung vom 1. Februar 1945 wurde Reinhard zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) nach Reichenberg versetzt. Fehlis verabschiedete Reinhard mit den Worten:

Sie sind wohl bei jedem und mit jedem angeeckt

In Reichenberg sollte er die Abteilung IV (Gestapo) übernehmen sowie die Vertretung vom KdS übernehmen. Doch als er dort ankam, befand sich die Dienststelle schon im Stadium der Auflösung.

Kriegsende und Nachkriegszeit[Bearbeiten]

Nach der Kapitulation ging er nach Freudenstadt zu seiner Familie. Danach kam er nach Schleswig-Holsein, wo es ihm durch Täuschung gelang, von den englischen Dienststellen eine Entlassungsurkunde auf den Namen Patzschke zu bekommen. Danach gin er nach Baden-Württemberg und wurde bis Januar 1946 Leiter des Straßenverkehrsamtes in Böblingen. Weil er nach Ansicht der US-Dienststellen nicht hinreichend Fahrzeuge beschlagnahmte, wurd er bis Herbst 1946 hinhaftiert.

Danach gin er nach Mannheim und nahm eine Beschäftigung bei einer US-Dienststelle auf. In Heidelberg fand er im Jahre 1949 bei dem Verlag "Recht und Gesellschaft" eine Anstellung. Es gelang ihm dort, Stellvertreter des Chefredakteurs der Zeitschrift "Der Betriebsberater" zu werden. Weiterhin nahm er eine publizistische Arbeit auf und gründete die Zeitschrift "Recht der internationalen Wirtschaft". Daneben wurde er Dozent an einer Akademie für Unternehmen in Fontainebleau.

Im April 1964 wechselte er die Arbeitsstelle und ging zum Verlag August Lutzeyer in Baden-Baden. Dort sollte er die Leitung der Redaktion der Zeitschrift "Europarecht" übernehmen.

Verhaftung und Prozesse[Bearbeiten]

Am 18. Dezember 1964 wurde er wegen eines Haftbefehls des Amtsgerichts Baden-Baden verhaftet. In einem Urteil vom 30. Juni 1967 des Landgerichts Baden-Baden wurde er wegen Beihilfe zum Mord in vier Fällen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt (Az: Ks 1/67). In der Revision urteilte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 15. August 1969 (Az: 1 StR 197/68), dass das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 20. Juni 1967 aufgehoben wird. Weiterhin wurde eine Neuverhandlung an das Schwurgericht beim Landgericht Karlsruhe angeordnet.

Zwar endete die Untersuchungshaft für ihn am 21. November 1968, aber wegen eines weiteren Haftbefehls des Landgerichts Karlsruhe vom 21. August 1968 blieb er weiter in Untersuchungshaft. In der Hauptverhandlung am 23. September 1970 entschied das Schwurgericht beim Landgericht Karlsruhe nach vier Verhandlungstagen, dass im Fall der Tötung von Olav Sander der Angeklagte Hellmuth Reinhard freigesprochen wurde (Az: III Ks 4/69). Die Deportation von 532 Norwegern jüdischen Glaubens in Konzentrationslager, die Reinhard mit angeordnet hat und als "Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung" vorgeworfen wurde, wurde wegen einer "Verfolgungsverjährung" nicht als strafwürdig angesehen.

Der Freispruch löste in Norwegen große Empörung aus. Der Staatsanwalt Bernhard Bitterwolff "hatte einen guten Eindruck von Reinhard: dieser sei gewandt gewesen und machte nicht den Eindruck eines brutalen Gestapo-Mannes"[9].

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. mit der Genehmigung des Polizeipräsidenten zu Berlin am 25. Mai 1939 hatte er die Genehmigung erhalten, seinen Geburtsnamen "Patzschke" in "Reinhard" zu verändern. Dabei war "Reinhard" der Mädchenname seiner Großmutter seines Vaters. Der eigentliche Grund für die Namensänderung soll darin bestanden haben, dass er ein Kommando an der Grenze von Jugoslawien zu Bulgarien übernehmen sollte, siehe: C.F. Rüter et al., Justiz und NS-Verbrechen, Band XXXIV, Lfd. Nr. 739, Mänchen 2005, S.583
  2. Großdeutscher Jugendbund
  3. Historische Kommission des Reichsfüherers SS (RF SS) in Wien
  4. Gliederung des SS-Regiments Germania (1940)
  5. SS-Division Wiking
  6. Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam
  7. Per Hinrichs: Gestapo in Oslo. Zur Herrschaftspraxis der Geheimen Staatspolizei in Norwegen 1940 bis 1945. GRIN Verlag, Hamburg 2000, ISBN 978-3-638-14304-2, S. 58.
  8. C.F. Rüter, ebenda, S. 584
  9. nach einem Gespräch mit Per Hinrichs vom 26. Juli 2000, in: Gestapo in Oslo. Zur Herrschaftspraxis der Geheimen Staatspolizei in Norwegen 1940 bis 1945. GRIN Verlag, Hamburg 2000, ISBN 978-3-638-14304-2, S. 58 FN 154.
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