Gemeinwohl-Ökonomie

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Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, das zwar marktwirtschaftlich ausgelegt ist, jedoch Gedanken des Gemeinwohls und der kooperativen Arbeit des Menschen den Vordergrund stellt. Es versteht sich als Systemalternative zu kapitalistischer Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft und zum Teil auch als eine Synthese aus diesen beiden bedeutenden historischen Entwürfen.

Entstehung und Entwicklung[Bearbeiten]

Der Autor und politische Aktivist Christian Felber hat in seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft, eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ (2008) [1] die Grundlagen zur Einführung einer Gemeinwohl-Ökonomie ausgearbeitet. Danach soll sich ein Kreis von UnternehmerInnen zusammengefunden haben, die das Modell gemeinsam mit Felber weiterentwickelten und in seinem Namen praktizieren.[2] Das Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie – Ein Wirtschaftsmodell für die Zukunft“ erschien im August 2010 – der Anhang enthielt bereits 70 Unternehmen, die das neue Modell unterstützen. Heute sind es bereits über 200 und es werden täglich mehr [3]. Im April 2011 erscheint bei „Actes Sud“ die französische Ausgabe „L´économie citoyenne“.[4] Ende 2010 haben sich bereits 45 Unternehmen zur Pioniergruppe Gemeinwohlbilanz gemeldet. Sie haben sich dazu bereit erklärt, eine Gemeinwohlbilanz zu erstellen und die Ziele bis zum Bilanzstichtag am 1. Oktober 2011 umzusetzen. Auf einer internationalen Pressekonferenz am 6. Oktober werden die Pionier-Unternehmen ihre Bilanzergebnisse bekannt geben.[5]

Grundgedanken[Bearbeiten]

Allgemeines[Bearbeiten]

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist tendenziell eine Form der Marktwirtschaft, in der jedoch die Motive und Ziele des (privaten) unternehmerischen Strebens umgepolt werden: Gemeinwohlstreben und Kooperation ersetzen Gewinnstreben und Konkurrenz. Sie geht davon aus, dass das Streben nach finanziellem Profit belohnt durch Marktgesetze, Werte wie Egoismus, Gier, Geiz, Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit fördert. Die Gemeinwohl-Ökonomie bietet ein wirtschaftliches Modell, die genau auf den Werten aufbaut, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Verantwortung, Mitgefühl, gegenseitige Hilfe und Kooperation. Unternehmen sollen nicht mehr für Finanzgewinn belohnt werden, sondern für ihr Streben nach dem Gemeinwohl und ihr kooperatives Verhalten. Diese humanen und nachhaltigen Verhaltensweisen werden anhand der „Gemeinwohlbilanz“ gemessen, welche die finanzielle Bilanz ablöst.[6]

Die Gemeinwohlbilanz[Bearbeiten]

Erfolg wird in der Gemeinwohl-Ökonomie nicht mehr am finanziellen Profit gemessen, sondern an Indikatoren, die den Beitrag des Unternehmens zum allgemeinen Wohl messen. Die der Bilanz zugrunde liegende „Gemeinwohl-Matrix“ schneidet die Grundwerte (Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung) auf der X-Achse mit allen „Berührungsgruppen“ (Stakeholder) eines Unternehmens auf der Y-Achse (z. B. Mitarbeitende, KundInnen, Zulieferer, Souverän, Umwelt, zukünftige Generationen).[7][8] In den Schnittfeldern befinden sich Kriterien, die „unternehmerischen Erfolg“ in der neuen Bedeutung messen, z. B.

  • Welcher Anteil der Vorprodukte stammt aus der Region?
  • Misst das Unternehmen den ökologischen Fußabdruck?
  • Wie hoch ist der Frauenanteil in den Führungspositionen?
  • Wie hoch ist die Einkommensdifferenz innerhalb des Unternehmens?
  • Dürfen die Beschäftigten mitbestimmen?
  • Werden die KundInnen-VertreterInnen in die Produktplanung einbezogen?
  • Wird offen kalkuliert?
  • Wird Know-how weitergegeben?
  • Wird das Unternehmen an die Beschäftigten vererbt?

In Summe befinden sich rund 30 Kriterien in der Bilanz, erreichbar sind maximal 1000 Punkte. In Zukunft sollen Unternehmen mit einer hohen Gemeinwohlpunktezahl, d.h. mit vielen freiwilligen Leistungen für das Gemeinwohl, in den Genuss rechtlicher Vorteile kommen, z.B.:

  • günstiger Steuersatz
  • niedriger Zolltarif (z.B. Fairer Handel)
  • günstiger Kredit bei der „Demokratischen Bank“ [9]
  • Vorrang beim öffentlichen Einkauf
  • Forschungskooperation mit öffentlichen Universitäten

Dadurch soll ethisches Verhalten auch rechtlich wertgeschätzt werden. Christian Felber kritisiert, dass traditionelle, unethische und nicht aus der Nahversorgung stammende Produkte billiger sind als biologische, fair gehandelte, ethische und aus der Nahversorgung stammende Produkte. Das ist verkehrt: Verantwortungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit werden auf dem Markt belohnt, da sie einen niedrigeren Preis erzielen können und dadurch verstärkt gekauft werden. Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie ist, dass die fair gehandelten, ökologischen, Nahversorgungs- und Bio-Produkte im Handel billiger werden als die unethischen. Zusätzlich sollte der Gemeinwohlerfolg eines Unternehmens bei Produkten und Dienstleistungen klar sichtbar sein. Dies könnte z.B. durch die farbliche Kennzeichnung der unterschiedlichen Gemeinwohlstufen erfolgen, in der als zusätzliche Information die Gemeinwohlzahl abgedruckt werden könnte. Infolge dieser neuen Erfolgsmessung und -kennzeichnung hätten auch die KonsumentInnen eine klare Orientierung für die Kaufentscheidung.[10][11]

Das Gemeinwohlaudit[Bearbeiten]

Die Gemeinwohlbilanz wird von einer neuen freien Berufsgruppe, der Gemeinwohl-AuditorIn kontrolliert – ganz analog zur WirtschaftsprüferIn, der/die heute die Finanzbilanz prüft. Zunächst wird die Bilanz unternehmensintern erstellt und geprüft (Controlling, interne Revision) und dann zum Audit gebracht, wo die Bestätigung, das Testat, erfolgt. Erst dann „gilt“ die Bilanz. Felber schlägt vor, um Betrugsversuchen vorzubeugen, dass das Gemeinwohlaudit vom Beratungsgeschäft gesetzlich getrennt werden sollte – analog zur Trennung des Beratungsgeschäftes von der Prüfungstätigkeit bei der Finanzbilanz. Denkbar ist, dass es aufgrund der Komplexität der Materie Audit-Teams braucht anstelle von Einzelpersonen.[10]

Literatur[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

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