Todesfall Adem Özdamar

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Adem Özdamar (* 1982; † 5. März 2008 in Hagen) war ein Türke, der nach Drogenkonsum, Gewaltausbruch und anschließender Fesselung auf einer Hagener Polizeiwache reanimiert werden musste und im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt verstarb. Der Fall sorgte für Aufsehen, da von vielen Beobachtern ein Mitverschulden der Polizei vermutet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf bis zu seinem Tod[Bearbeiten]

Adem Özdamar hatte seit 2000 als Packer bei einer Gevelsberger Kunststofffabrik gearbeitet. Die Tageszeitung Westfalenpost recherchierte minutiös den Ablauf der Nacht, in deren Folge er starb:[1]

Özdamar rief am 18. Februar 2008 um 1:36 Uhr den Notruf bei der Leitstelle der Polizei auf der Hoheleye in Hagen an und berichtete vage, er werde von einem „Schwarzen“ bedroht. Um 2.04 Uhr rief er erneut den Notruf an und ein Streifenwagen fuhr zu seiner Wohnung. Wenig später, um 2.11 Uhr, trafen zwei Polizisten und eine Rechtsreferendarin bei Özdamar ein. Er schien verwirrt zu sein, machte aber als Fitnesssportler mit nacktem Oberkörper und einem Teleskopschlagstock in der Hand auf die Beamten einen gefährlichen Eindruck. Er verwies auf einen „Schwarzen”, der hinter dem Haus auf ihn lauere und ihn erschießen wolle. Gemeinsam gingen die Beamten in die Wohnung, durch das Haus und in den Garten, um nach Verdächtigen zu suchen. Während der vergeblichen Suche gab Özdamar an, schon seit Jahren Kokain zu konsumieren. Adem Özdamar sagte den Polizisten, er wolle sich zum Selbstschutz eine Pistole beschaffen und forderte die Dienstwaffe eines der Beamten. Daraufhin entschieden die Polizisten, den verwirrten und offenbar unter Verfolgungswahn leidenden Mann mit zur Wache Prentzelstraße zu nehmen.

Um 2:26 Uhr stieg Adem Özdamar mit in den Streifenwagen, weil er glaubte, dort sicher zu sein. Gleichzeitig forderte die Polizei einen Rettungswagen an, um ihn zu weiteren neurologischen Untersuchung in die Psychiatrie des Johannes-Hospitals in Boele bringen zu lassen. Bei der Ankunft auf der Wache wurde Özdamar plötzlich unruhig. Laut Polizei schaute er sich um und versuchte verängstigt, die Hintertür des Streifenwagens zu öffnen. Als dies aufgrund des Sicherungsmechanismus nicht sofort gelang, brach er den Türgriff ab. Von den beiden Polizisten wurde der Mann in den Vorraum der Wache geführt. Der Oberstaatsanwalt sagte später, Özdamar sei dort völlig „durchgedreht“, plötzlich über den Tresen gesprungen und zu einem Schreibtisch am Fenster gegangen. Er glaubte anscheinend, von dort aus seine Verfolger besser sehen zu können. Angeblich redeten die anwesenden Beamten beruhigend auf ihn ein. Özdamar attackierte einen der Beamten und dieser verteidigte sich zunächst mit Pfefferspray. Um 2:34 Uhr trafen weitere sieben Unterstützungskräfte gemeinsam mit einer dreiköpfigen Rettungswagenbesatzung in der Wache Prentzelstraße ein. Nach einem heftigen Handgemenge gelang es, den wild um sich schlagenden Adem Özdamar an einer von den Rettungskräften mitgebrachten Trage zu fixieren. Nachdem er an Händen und Füßen gefesselt worden war, wurde Özdamar von den Sanitätern medizinisch überwacht. Laut Staatsanwaltschaft hatten die Feuerwehrkräfte keine übermäßige Gewaltanwendung beobachtet. Um 2:45 Uhr wurde die Leitende Notärztin alarmiert, um den mittlerweile mit Kabelbindern gefesselten Mann mittels Medikamenten ruhigzustellen. Die Beteiligten berichten, dass Özdamar bis kurz vor dem Eintreffen der Ärztin randaliert habe.

Um 2:49 Uhr traf die Ärztin ein und stellte bei dem inzwischen unbeweglichen Özdamar den Ausfall der Vitalfunktionen, also des Pulses und der Atmung fest. Das Lösen der Kabelbinder dauerte fast drei Minuten und gleichzeitig begann die Ärztin mit der Untersuchung. Die Notärztin gab die Situation bei ihrer Ankunft wie folgt zu Protokoll: "Der Patient lag bäuchlings auf der Krankentrage und war mit Händen und Füßen fixiert. (...) Ich sagte, der Patient müsse sofort auf den Rücken gedreht werden. Ich versuchte, seinen Puls zu fühlen. Er war nicht mehr festzustellen."[2] Über mehr als 20 Minuten wurde Adam Özdamar reanimiert. Um 3.20 Uhr gelang tatsächlich die Wiederbelebung und die Kreislauffunktionen ließen sich soweit stabilisieren, dass Özdamar ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Dort wurde der Patient auf die Intensivstation gebracht und ein massives Hirnödem diagnostiziert. Durch eine Teilöffnung des Schädels sollte eine Einklemmung des Hirns verhindert werden. Aus bisher unbekannten Gründen wurde ein externer türkischer Mediziner hinzugezogen. Özdamar war jedoch schon hirntot.[3]

Weitere aber keinesfalls todesursächliche Verletzungen waren zahlreiche Blutergüsse (Hämatome) und Kratzspuren, Platzwunden am rechten Ohr, Oberlid und Stirnhöcker. Eine vermutete Fraktur des Nasenbeins (Nasenbeinbruch) wurde erst ausgeschlossen, jedoch später bei der Obduktion festgestellt.

Ermittlungen[Bearbeiten]

In der Gerichtsmedizin ist der lagebedingte Erstickungstod bei, wie hier, bäuchlings gefesselten Personen bekannt. Diese Todesursache ist anhand des Körpers nicht nachzuweisen, wohl aber durch genaue Rekonstruktion des Vorgangs herzuleiten. In den Vereinigten Staaten ist diese Fesselung seit den 1990er Jahren verboten, nachdem Dutzende Verhaftete in dieser Position gestorben waren. In seinem Obduktionsgutachten schreibt der Dortmunder Rechtsmediziner Rolf Zweihoff jedoch, der lagebedingte Erstickungstod sei hier „praktisch ausgeschlossen“.[4] Die vorliegenden Ermittlungsfakten deuteten darauf hin, dass der Verstorbene an einem Hirnödem aufgrund übermäßigem Drogenkonsums verstarb. Das Ödem ist laut Obduktion weniger auf die Reanimation als auf den hohen Kokainkonsum zurückzuführen.

Kritisiert wurde, dass Ärzte, die Özdamar bei seiner Einlieferung untersucht hatten, nicht als Zeugen befragt wurden und Videoaufnahmen aus der Wache nicht ausgewertet wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm und das Innenministerium Nordrhein-Westfalens deckten die Hagener Beamten: Der Anwalt der Familie Özdamar hatte beantragt, die Hagener Staatsanwaltschaft abzulösen, weil nach seiner Meinung die Ermittler Objektivität vermissen ließen. Sein 16-seitiger Antrag wurde von der Generalstaatsanwaltschaft binnen zwei Tagen abgelehnt, ohne dass die Ermittlungsakten aus Hagen von der Generalstaatsanwaltschaft eingesehen wurden. Die Familie machte die Polizei für den Tod von Adem Özdamar verantwortlich und hatte Strafanzeige unter anderem wegen Totschlags gestellt.

Das türkische Justizministerium hatte anschließend Özdamars Leiche in Istanbul ein zweites Mal obduzieren lassen. Die dortigen Mediziner warteten aber zunächst auf das Gehirn Özdamars, das bislang von den deutschen Behörden einbehalten wurde.[5]

Die Hagener Staatsanwaltschaft sprach im Juni 2008 die beteiligten Polizisten frei und stellte die Ermittlungen zum Tode von Adem Özdamar "mangels Tatverdacht" ein.[4]

Reaktionen[Bearbeiten]

Amnesty International und die damalige Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Herta Däubler-Gmelin, untersuchten den Fall.[4][6][7] Eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken vom April 2008 bezog sich unter anderem auf die Todesumstände Özdamars.[8]

Der damalige NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) musste in einer Sitzung des Innenausschusses Fragen der Opposition zu dem Fall Özdamar beantworten. Die Rechtsexperten von SPD und Grünen verlangtem, wenigstens disziplinarrechtliche Schritte gegen die beteiligten Polizisten zu prüfen.

Nach dem Tod Adem Özdamars griffen vor allem Medien in der Türkei und die Medien der türkischen Community in Deutschland den Fall auf. Die Titelseiten der großen türkischen Tageszeitungen zeigten das Bild von Adem Özdamar.

Siehe auch[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Das Protokoll einer rätselhaften Nacht. Westfalenpost am 18. März 2008, abgerufen am 18. Dezember 2012
  2. Verhängnisvolle Fesseln. Berliner Zeitung am 15. März 2008. Abgerufen am 18. Dezember 2008.
  3. Fall Özdamar vor dem Innenausschuss. Westfalenpost am 10. April 2008, abgerufen am 18. Dezember 2012
  4. 4,0 4,1 4,2 Ermittlungen zu Özdamar eingestellt. Frankfurter Rundschau am 24. Juni 2008, abgerufen am 18. Dezember 2012.
  5. Türke könnte in Gewahrsam erstickt sein. Die tageszeitung am 25. März 2008. Abgerufen am 18. Dezember 2012.
  6. Schläger in Uniform. Prügel, Schikane, Willkür: Amnesty International dokumentiert Fälle von Polizeigewalt in Deutschland – einige davon mit tödlichem Ausgang. Zeit Online am 8. Juli 2010. Abgerufen am 18. Dezember 2012.
  7. Täter unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland. Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.,Juli 2010, S. 29
  8. Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE vom 18. April 2008. Abgerufen am 18. Dezember 2012


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