Terror-Paranoia

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Als Terror-Paranoia wird in Medien die übertriebene Angst vor Terrorismus und vor allem die oft überschießenden Vorkehrungen zur Terrorabwehr bezeichnet. Aus europäischer Sicht betrifft dies vor allem die USA.

Die Skepsis vieler Menschen über die Notwendigkeit von weitreichender Überwachung der elektronischen Kommunikation ist besonders seit den Enthüllungen von Edward Snowden über die Abhörpraktiken des National Security Agency (NSA) im Steigen. Während in den USA beklagt wird, dass Europäer das Trauma der Terroranschläge am 11. September 2001 nicht genügend ernst nehmen, empfindet man in Europa die amerikanischen Schutzmaßnahmen meist als übertrieben und den Menschenrechten bzw. dem Recht auf Privatsphäre zuwider laufend.

Zunehmende Eingriffe, Kontrollen und Überwachung[Bearbeiten]

Diese Problematik wird seit Jahren in den Medien diskutiert, in Konferenzen erörtert und in Parlamenten beraten - und wird dennoch immer gravierender. So äußerte Anfang Juni 2013 (5 Tage vor Snowdens erster Veröffentlichung) Frank La Rue, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit, in seinem Bericht an die UNO-Generalversammlung große Besorgnis, dass staatliches Abhören und Überwachen der elektronischen Kommunikation die individuelle Freiheit untergraben und der Demokratie schaden könnten.[1]

Aufgrund von Terrorismus-Gesetzen sind in den USA, dem UK und einigen andern Staaten Festnahmen ohne richterliche Anordnung und ohne Recht auf juristischen Beistand möglich. Anlässlich eines besonders krassen Falls,[2] der unbegründeten Festnahme des brasilianischen Journalisten David Miranda und Zerstörung seines Computers (18.8.2013 nach US-Druck auf Scotland Yard), schrieb der Chefredakteur der britischen Zeitung The Guardian: „Dadurch, dass sie es Terror nennen, setzen sie alle Regeln außer Kraft.“

Sehr scharf kritisierte der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter die Terrorismus-Gesetze bei einer Konferenz des Politik-Netzwerks Atlantik-Brücke: „Amerika hat derzeit keine funktionierende Demokratie ... Ich glaube, die Invasion der Privatsphäre ist zu weit gegangen. Und ich glaube, dass die Geheimnistuerei darum exzessiv gewesen ist.“ (Jimmy Carter: Spiegel Online) Über die Enthüllungen vom Edward Snowden sagte Carter, diese seien „wahrscheinlich nützlich, da sie die Öffentlichkeit informieren“.[3]

Zur fast lückenlosen Überwachung des internationalen Zahlungsverkehrs durch die NSA räumte die EU-Kommission 2011 ein, die USA könnten auf Überweisungen von einem EU-Land ins andere zugreifen, sofern diese über ein Service des SWIFT-Netzes erfolgen. Im September 2013 sprach nach heftigen Diskussionen EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström von einem möglichen Ende des Bankdaten-Abkommens [4][5], was auch das Europäische Parlament am 23. Oktober 2013 forderte.

Bei Umfragen äußern mehr als die Hälfte der EU-Bürger heftige Bedenken gegen die vielen Überwachungsmaßnahmen, während etwa 30% sie für die Terrorabwehr als hilfreich bezeichnen.

Diese Skepsis herrscht auch in England und in Spanien vor, obwohl diese selbst zum Ziel massiver Terroranschläge wurden: 191 Menschen starben am 11. November 2004 in den Pendlerzügen Madrids, und 56 Menschen bei den Terroranschlägen am 7. Juli 2005 in London. In New York waren unter den 3000 Opfern immerhin auch 129 Europäer.

Einige Fakten und Vergleiche[Bearbeiten]

Wieweit das globale Abhörnetz der NSA und anderer Organisationen gerechtfertigt ist, kann anhand einiger Fakten beurteilt werden. Seit September 2001 wurde unter anderem

  • in den USA ein eigenes Ministerium für Heimatschutz geschaffen, das insgesamt über 230.000 Beamte umfasst,
  • das Gefangenenlager in Guantánamo errichtet (und noch immer nicht aufgelöst)
  • die Einreise in die USA mit vielen Einschränkungen belegt
  • und der von der UNO nie autorisierte Einmarsch im Irak durchgeführt.

Besonders aufschlussreich ist folgender Zahlenvergleich:
Gegenüber den 230.000 Sicherheitsbeamten gab es 2012 insgesamt 14 US-Terroropfer - in Libyen ein Botschafter und weitere 3 Personen, durch den Rassisten beim Sikh-Tempel in Wisconsin 6 Bürger und der Attentäter, und beim Bostoner Marathonlauf 3 Menschen.

Gleichzeitig kommen jedes Jahr rund 30.000 Amerikaner durch Schusswaffen ums Leben. Doch bis heute gibt es keine ernsthafte Überprüfung der Waffenkäufer oder strengere Waffengesetze.

Sichtweisen in Amerika und Europa[Bearbeiten]

Zum Thema Terrorangst und -Abwehr zeigen sich deutliche Unterschiede im Vertrauen dies- und jenseits des Atlantiks zum Heer und den Sicherheitsdiensten. Während 78% der US-Bürger meinen, die Armee trage "eine Menge" zum Wohl der Gesellschaft bei [6], vertrauen Europäer allenfalls der staatlichen Gesundheits- und Sozialpolitik und der Rechtsstaatlichkeit. Sie misstrauen aber vielfach ihren Heeren und dem staatlichen Sicherheitsapparat.

In diesem Zusammenhang ergab eine Umfrage des Pew Research Center vom Frühjahr 2013, dass 65% der US-Bürger überzeugt sind, dass Wissenschafter besonders viel zum Nutzen der Gesellschaft beitragen; 63% meinen das von Ingenieuren und 72% von den Lehrern. Nicht nur bei letzteren dürfte Europa viel pessimistischer sein. Umfragedaten zur US-Polizei wurden aber nicht genannt.

Überwachungs- und Terror-Paranoia in der Literatur[Bearbeiten]

Mit dem Thema Überwachungs- bzw. Staatsparanoia befassen sich auch einige Autoren und Filmregisseure, beispielsweise Florian Henckel von Donnersmarck. Sein Spielfilm Das Leben der Anderen aus dem Jahr 2006, der schon als Henckels Debüt ein weltweiter Besuchererfolg wurde, stellt den Staatssicherheits-Apparat Ost-Berlins des Jahres 1984 in den Mittelpunkt und setzt sich auch kritisch mit der Geschichte der DDR auseinander. Ein Stasi-Hauptmann wird beauftragt, gegen einen Theaterschriftsteller und seine Frau belastendes Material zu sammeln. Zwar endet die Geschichte tragisch, zeigt aber gleichzeitig, wie wahre Kunst das Gute im Menschen hervorzubringen vermag.

Auch der Roman Marionetten von John le Carré (2008) behandelt - im Anschluss an 9-11 - einen paranoiden Generalverdacht gegenüber Moslems.

Von der allgegenwärtigen Terrorangst und Paranoia werden nicht nur viele US-Bürger erfasst, sondern auch manche Fernsehserien. Beispielhaft seien 24 (Fernsehserie) und das Nachfolgeformat Homeland genannt. Letzteres zeigt die Schattenseiten von Amerikas "Krieg gegen den Terror" besonders drastisch, indem u.a. traumatisierte Soldaten selbst zu Terroristen werden. Der Kritiker Stefan Kuzmany schreibt dazu: So klar wie kein TV-Format zuvor zeigt der Mehrteiler, was die permanente Paranoia aus dem Land der Freien gemacht hat. […] Auf welche Seite man auch blickt, es sind gebrochene Charaktere".[7]

Literatur[Bearbeiten]

  • Igmade (Stephan Trüby u.a., Hrsg.): 5 Codes: Architektur, Paranoia und Risiko in Zeiten des Terrors. Basel-Boston-Berlin 2006
  • Philipp H. Schulte: Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung – Eine rechtssoziologische Analyse, Waxmann-Verlag, Münster 2008

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. State communication surveillance undermines freedom of expression, warns UN expert, 4. Juni 2013
  2. US given 'heads up' on David Miranda detention, BBC News UK, 19. August 2013.
  3. Gregor Peter Schmitz: NSA-Affäre: Jimmy Carter kritisiert USA. In: Spiegel Online. 17. Juli 2013. Archiviert vom Original am 29. Juli 2013. Abgerufen am 29. Juli 2013.
  4. US-Spionage: NSA späht Banktransfers und brasilianischen Ölkonzern aus, Spiegel Online, 9. September 2013
  5. NSA-Spionage: EU-Kommission droht USA mit Ende des Swift-Abkommens, Spiegel Online, 13. September 2013
  6. Thomas Seifert: Die Vereinigten Staaten und das Leben der Anderen. Wiener Zeitung vom 29. Oktober 2013
  7. Leben und Leiden an der Heimatfront, Spiegel Online 5.Dez.2011

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