Substitutionsgestützte Ambulante Therapie

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Die Substitutionsgestützte Ambulante Therapie, häufig abgekürzt als SAT ist ein alternativer Ansatz zur Behandlung der Opiatabhängigkeit, der seit 2012 eine zunehmende Verbreitung im Suchthilfesystem findet. Nachdem in der Fachwelt lange Zeit umstritten war, ob Substituierte überhaupt in der Lage sind, von einer Psychotherapie zu profitieren, findet hier langsam ein Umdenken statt. Aktuelle Studienergebnisse, wie die der PREMOS-Studie[1], der bislang größten Studie zur Substitutionsbehandlung im deutschsprachigen Raum, zeigen, das die Zielgruppe durchaus in der Lage ist, von einer Kombination aus medizinischer Behandlung und psychotherapeutischen Ansätzen zu profitieren. So scheint es trotz Sedierung durch ein Substitut möglich zu sein, durch kontinuierliche Betreuung Veränderungsprozesse zu initiieren. Eine Verbesserung wurde insbesondere in den Lebensbereichen Arbeit, Wohnung, soziales Umfeld und allgemeine Lebenszufriedenheit festgestellt. Auch der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen sieht in seinen Richtlinien seit 2011 die Möglichkeit einer ambulanten Psychotherapie trotz Substitution vor [2]

Ein erstes schlüssiges Konzept wie eine ambulante medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker bei gleichzeitiger Substitutionsbehandlung aussehen könnte, wurde von Rüdiger Krause[3], einem deutschen Suchttherapeuten, entwickelt.

Hintergrund[Bearbeiten]

Das deutsche Suchthilfesystem ist historisch bedingt stark durch ein Abstinenzdogma geprägt. Obwohl sich Behandlungsansätze wie die Substitution Opiatabhängiger zunehmend etablieren (77400 Patienten in 2010[4]), setzten stationäre und ambulante Entwöhnungstherapien für Opiatabhängige nach wie vor zumeist eine Entzugsbehandlung voraus. Ein Blick in die deutsche Suchthilfestatistik offenbart rasch, dass viele Betroffene bereits an dieser Hürde, oder aber im weiteren Behandlungsverlauf scheitern. So scheiterten im Jahr 2010 rund 48% im Verlauf einer ambulanten und ca. 45% im Verlauf einer stationären Entwöhnungstherapie[5]. Dabei werden diejenigen Betroffenen, welche die vorhergehende Entzugsbehandlung nicht überstehen bzw. sich eine solche gar nicht erst zutrauen nicht einmal erfasst.


Zielsetzung des Behandlungsansatzes[Bearbeiten]

Übergeordnetes Ziel der SAT ist es, Opiatabhängigen in Substitutionsbehandlung eine ausstiegsorientierte, suchttherapeutische Behandlung mit niedriger Zugangsschwelle zu ermöglichen und dadurch die Zielgruppe, die durch ein abstinenzorientiertes Angebot erreicht werden kann, zu erweitern. Im Gegensatz zu anderen Behandlungsansätzen wird Abstinenz in der SAT nicht als Voraussetzung für eine Therapie angesehen, sondern als ein Ziel, das es in deren Verlauf zu erreichen gilt. Die konkreten Behandlungsziele werden von Krause anhand einer Zielhierarchie dargestellt, die wie folgt aufgebaut ist: Stabile Substitution ohne Beikonsum --> Stabilisierung der gesundheitlichen Situation --> Entwicklung persönlicher und beruflicher Lebensperspektiven --> Reduktion des Substituts --> Erwerb und Festigung alternativer Verhaltensweisen zum Konsum --> Verbesserung der Sozial- und Handlungskompetenz --> Beendigung der Substitution --> Stabilisierung der Abstinenz --> Abstinenz in Zufriedenheit. An dieser Stelle sind Parallelen zu Zielhirarchien anderen Experten, wie z.B. Körkel[6], zu erkennen, auf die Krause sich teils auch bezieht.

Phasen der Behandlung[Bearbeiten]

Das klassische Ablaufmodell in der modernen Verhaltenstherapie ist das 7-Phasen-Modell von Kanfer[7]. Auch das Konzept der SAT basiert auf einem klar strukturierten phasischen Verlauf, der auf eine reguläre Behandlungsdauer von 12 Monaten angelegt ist. Im Gegensatz zu Kanfer ist die Behandlung hier jedoch in drei Phasen gegliedert, wobei sich alle von Kanfer postulierten Phasen auch in der SAT wiederfinden. Dabei gliedert sich der Verlauf der Behandlung folgendermaßen:

  • Anamnese-/Stabilisierungsphase:

Für die Anamnese-/Stabilisierungsphase ist ein Zeitraum von drei Monaten vorgesehen. Durch eine enge Kooperation zwischen Suchtmedizin, Suchttherapie und Psychosozialer Betreuung soll eine Stabilisierung auf gesundheitlicher, persönlicher und sozialer Ebene erreicht werden, die als eine Voraussetzung für den Beginn der Reduktion des Substituts in Behandlungsphase 2 angesehen wird.

  • Reduktions-/Ausstiegsphase.

Die Reduktions-/Ausstiegsphase ist auf eine Dauer von sechs Monaten angelegt. Nachdem in Phase 1 im Idealfall eine Stabilisierung des Klienten erreicht wurde, geht es nun darum, alternative Verhaltensweisen zum Konsum zu erlernen und das Substitutionsmittel unterstützt durch die suchttherapeutische Behandlung bis auf null zu reduzieren.

  • Adaptionsphase:

Nach dem Erreichen der Abstinenz liegt der Schwerpunkt der Behandlung in der Adaptionsphase auf einer Verinnerlichung der in Phase 2 erlernten Verhaltensweisen als Alternativen zum Konsum. Ein Schwerpunkt wird dabei auch auf den Besuch einer entsprechenden Selbsthilfegruppe sowie die Einleitung entsprechender Nachsorgeangebote gelegt.

Methodik[Bearbeiten]

Die SAT kombiniert eine suchtmedizinische Grundversorgung mit umfangreicher Psychosozialer Betreuung sowie einzel- und gruppentherapeutischen Elementen. Im Gegensatz zu den etablierten Therapieangeboten liegt der Fokus der Behandlung nicht auf der Gruppentherapie. Stattdessen werden Einzel- und Gruppentherapie als gleichwertige Säulen der Behandlung betrachtet. Dadurch soll wieder eine stärkere Individualisierung der Therapie erreicht werden. Diese wurde in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund des Kostendrucks durch die Rentenversicherungsträger zugunsten der billigeren, da weniger personalaufwändigen, Gruppentherapie vernachlässigt. Inhaltlich bedient sich die SAT bewährter und wissenschaftlich evaluierter Behandlungsmethoden wie Psychoedukation, Sozialem Kompetenztraining, Rückfallpräventionstraining, Kognitiver Therapie, nimmt aber jeweils eine deutliche Modifikation der Inhalte vor, um den Bedürfnisse der Zielgruppe gerecht zu werden. U.a. findet sich ein wesentlich ausgeprägterer Bezug zur Lebenswelt der Betroffenen.

Therapeutische Grundhaltung und Krankheitsverständnis[Bearbeiten]

Die therapeutische Grundhaltung der SAT ist geprägt durch Wertschätzung und Akzeptanz gegenüber den Klienten. Suchttypische Verhaltensweisen wie Widerstand, Verleugnung Bagatellisierung des Konsums oder andere "unerwünschte Verhaltensweisen werden als erlerntes Verhalten betrachtet, das für die jeweilige Person notwendig war, um ihren jeweiligen Lebensumständen zu trotzen. Dieser Bewältigungsmechanismus wird als enorme Anpassungsleistung an intrinsische und externe Anforderungen betrachtet, die es zunächst einmal als solche zu respektieren gilt. Eine große Bedeutung wird in der SAT auch der therapeutischen Beziehung beigemessen. Wie mehrere Studien belegen ist die Beziehungskompetenz des Therapeuten für den Behandlungserfolg von mindestens ebenso großer Relevanz, wie dessen Methodenkompetenz[8]. für die konkrete Arbeit bedeutet dies, das Klienten als autonome Persönlichkeiten wahrgenommen werden, die durchaus selbst in der Lage sind, zu entscheiden, welche Ziele sie im Leben verfolgen. Dem Therapeuten kommt also lediglich eine unterstützende Funktion bei der Entscheidungsfindung und bei der Umsetzung der gemeinsam identifizierten Ziele zu. Die Haltung, der Therapeut wisse am Besten, was für den Klienten das Beste ist, wird in der SAT als grober Behandlungsfehler angesehen.

Literatur[Bearbeiten]

  • Krause, R. (2012): Ausstiegsalternative Substitutionsgestützte Ambulante Therapie - Entwicklung eines verhaltenstherapeutisch orientierten Konzepts bei Opioid- und Mehrfachabhängigkeit. Münster: LIT Verlag.
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2011): Bericht zum Substitutionsregister. URL:http://www.bfarm.de/SharedDocs/1_Downloads/DE/Bundesopiumstelle/BtM/substit-reg/Subst_Bericht.pdf?__blob=publicationFile[21.11.2012].
  • Steppan, M., Künzel, J. & Pfeiffer-Gerschel, T. (2011): Suchtkrankenhilfe in Deutschland 2010. Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). München: Institut für Therapieforschung.
  • Körkel, J. (2001): Rückfall und Rückfallprävention bei Alkoholabhängigkeit. In: Tretter, F. & Müller, A.: Psychologische Therapie der Sucht. S. 519-548. Göttingen: Hogrefe.
  • Kanfer, F.H., Reinecker, H. & Schmelzer, D. (2011): Selbstmanagementtherapie. 5. Auflage. Berlin: Springer.
  • Grawe, K. (2000): Psychologische Therapie. 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Wittchen, H.-U. et al. (2011): Die Rolle der Psychosozialen Begleitung in der langfristigen Substitutionsbehandlung. In Wittchen, H.-U., Bühringer, G. & Rehm, J.: Effekte der langfristigen Substitution Opioidabhängiger: Prädiktoren, Moderatoren und Outcome: Ergebnisse und Schlussfolgerungen der PREMOS-Studie. Suchtmedizin in Forschung und Praxis, 13 (2011) 5, S. 258-262. Landsberg: Ecomed Medizin.
  2. Bundesministerium für Gesundheit (2011): Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinie: Präzisierung der Indikation „Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten“. Berlin: Gemeinsamer Bundesausschuss. URL: http://www.g-ba.de/downloads/39-261-1310/2011-04-14_Pr%C3%A4zisierung%20zur%20Indikation%20Sucht_BAnz.pdf [12.01.2012]
  3. Krause, R. (2012): Ausstiegsalternative Substitutionsgestützte Ambulante Therapie - Entwicklung eines verhaltenstherapeutisch orientierten Konzepts bei Opioid- und Mehrfachabhängigkeit. Münster: LIT Verlag.
  4. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2011): Bericht zum Substitutionsregister. URL:http://www.bfarm.de/SharedDocs/1_Downloads/DE/Bundesopiumstelle/BtM/substit-reg/Subst_Bericht.pdf?__blob=publicationFile[21.11.2012].
  5. Steppan, M., Künzel, J. & Pfeiffer-Gerschel, T. (2011): Suchtkrankenhilfe in Deutschland 2010. Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). München: Institut für Therapieforschung.
  6. Körkel, J. (2001): Rückfall und Rückfallprävention bei Alkoholabhängigkeit. In: Tretter, F. & Müller, A.: Psychologische Therapie der Sucht. S. 519-548. Göttingen: Hogrefe.
  7. Kanfer, F.H., Reinecker, H. & Schmelzer, D. (2011): Selbstmanagementtherapie. 5. Auflage. Berlin: Springer.
  8. Grawe, K. (2000): Psychologische Therapie. 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe.
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