Simson im wiedervereinigten Deutschland (1990–2003)

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Das deutsche Unternehmen Simson produzierte nach der Wende 1989/1990 unter verschiedenen Firmennamen am Standort Suhl zahlreiche Zweirad-Typen in relativ geringer Stückzahl. Im Folgenden werden die damalige Firmengeschichte und die hergestellten Fahrzeuge zusammenfassend beschrieben.

Firmengeschichte[Bearbeiten]

Besondere Marktsituation[Bearbeiten]

Simson stand in den 1990er Jahren einer ungewöhnlichen und schwierigen Marktsituation gegenüber. Einerseits hatte sich der Zeitgeist gewandelt. Die technikbegeisterte Jugend, einst mit Zweirädern intensiv beschäftigt, hatte sich dem Computer und seinen Möglichkeiten zugewendet. Wer das Moped zum alltäglichen Gebrauch nutzte, war inzwischen auf PKW umgestiegen. Die Nachfrage nach Klein- und Leichtkrafträdern war also insgesamt gesunken. Westdeutsche Hersteller wie Hercules, Zündapp oder Kreidler hatten ihre Mopedproduktion bereits stark reduziert oder gänzlich eingestellt. Die noch bestehende Nachfrage wurde durch Importfahrzeuge aus Niedriglohnländern abgedeckt. Die größte Konkurrenz für Simson kam allerdings aus eigenem Hause – der Markt wurde von Gebrauchtfahrzeugen aus der ehemaligen DDR überströmt. Das massive Überangebot hatte geradezu absurd niedrige Preise zur Folge, viele Simsons wurden einfach verschenkt. Obendrein blieb für diese älteren Fahrzeuge die attraktive 60-km/h-Ausnahmeregelung erhalten, während neue Kleinkrafträder nur noch maximal 50 km/h schnell sein durften. Unter diesen Bedingungen muss es als beachtlich gelten, dass es Simson überhaupt gelang, eine stabile Produktion wieder aufzubauen. Das weitere Schicksal der Traditionsmarke zeigt, dass es letztlich nicht gelang, sich auf dem Zweiradsektor fest zu etablieren. Von 1992 bis 2002 wurden insgesamt etwa 47.000 Mofas, Kleinkraft- und Leichtkrafträder verkauft. Zum Vergleich – in den 1980er Jahren betrug der Jahresausstoß bei Simson knapp 200.000 Fahrzeuge.

Das Ende des VEB Simson Suhl (1990–1991)[Bearbeiten]

Im Zuge der politische Wende 1989/1990 wurde der volkseigene Betrieb Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ Simson Suhl der Treuhandverwaltung unterstellt und aus formalen Gründen mit dem neuen Namen Simson Fahrzeug GmbH in Privateigentum übergeführt. In dieser Zeit brach der Exportmarkt für Simson infolge der politischen Veränderungen schlagartig zusammen. Obwohl die produzierten Fahrzeuge bewährt und durchaus zeitgemäß waren, ging auch die Nachfrage im Inland stark zurück. Die meisten der 4.000 Mitarbeiter wurden entlassen und die Produktion verringerte sich auf nur noch 5.000 Fahrzeuge im Jahr 1991. Schon im März dieses Jahres wurde die Liquidierung des Unternehmens eingeleitet, die Produktion kam schließlich zum 31. Dezember 1991 gänzlich zum erliegen.[1]

Gründung der Suhler Fahrzeugwerk GmbH und neue Modellbezeichnungen[Bearbeiten]

Noch Ende 1991 schlossen sich einige der ehemaligen Mitarbeiter zur „Suhler Fahrzeugwerk GmbH“ zusammen und nahmen bereits Anfang 1992 die Fertigung wieder auf. Dabei konnte auf die Produktionsanlagen, das umfangreiche Know-how und technische Unterlagen zurückgegriffen werden. Die meisten Zuliefererbetriebe waren jedoch zugrunde gegangen, sodass es darauf ankam, eiligst neue Kontakte zu knüpfen.

Zunächst wurde die Produktion der bekannten Typen mit leichten Modifikationen fortgesetzt. Unter anderem entfiel die beliebte 60 km/h-Ausführung, weil die betreffende DDR-Regelung, dass Kleinkrafträder bis zu 60 km/h fahren dürfen, nicht in bundesdeutsches Recht übernommen worden war. Dennoch gelang es, in kleinem Maßstab eine stabile Produktion aufzubauen. Mit optischen Modifikationen, technischen Extras und griechischen Buchstaben als Modellbezeichnung gelang es ab 1993, die neuen Simsons deutlicher von der Masse der Gebrauchtfahrzeuge abzuheben und moderner erscheinen zu lassen. Die Neuerungen brachten jedoch erhöhte Kosten mit sich, weshalb die Modellpolitik der alpha-, beta- und gamma-Serie nur wenige Jahre lang verfolgt wurde.

In diesem Zeitabschnitt gab es auch einige Innovationen bei Simson. Noch 1992 wurde ein Lastendreirad Typ SD 50 in die Fertigung aufgenommen, das eine Marktnische ausfüllen sollte. Ebenfalls innovativ war der Kleinroller gamma E mit Elektromotor. Infolge großer Produktionskosten und nicht ausgereifter Akku-Technik wurde dessen Fertigung jedoch nach kurzer Zeit wieder eingestellt.

Produktvielfalt und Niedergang von Simson (1996–2003)[Bearbeiten]

Das Jahr 1996 markierte einen Wendepunkt für Simson. Die Modellpalette wurde erheblich aufgeweitet und diverse Neuentwicklungen in Serie übergeführt. Die Bezeichnung in griechischen Buchstaben wurde aufgegeben, stattdessen wurden die bereits zu DDR-Zeiten verwendeten Vogelnamen aufgegriffen. Neben diversen aufgewerteten Fahrzeugen, wurden auch wieder die einfachen Grundausstattungen der in der DDR entwickelten Typen S53 und SR50/1 zu relativ niedrigen Preisen angeboten. Am anderen Ende der Skala kamen ein moderner Scooter mit stufenlosem Automatikgetriebe, sportliche Mokicks mit Zentralfederbein und andere Typen ins Angebot. 1998 stieg man mit einer Motorrad-Neuentwicklung sogar in die 125er Klasse ein.

Doch Simson verkalkulierte sich zusehends. Die neu entwickelten Fahrzeuge verkauften sich nur schleppend. Sie wiesen diverse konstruktive Schwächen auf und waren den alten, aber ausgereiften DDR-Baumustern nicht ebenbürtig. Auch die Entwicklung und Markteinführung des Motorrades Simson Schikra gestaltete sich kostenintensiv und fehlerbehaftet. Unverständlich erscheint es auch, dass keine Anstrengungen zur Erschließung von Exportmärkten unternommen wurden. Im Januar 2000 war es so weit: Die Suhler Zweirad GmbH, die 1997/98 schrittweise die bisherige Suhler Fahrzeugwerk GmbH übernommen hatte, musste Insolvenz anmelden. Auch politisch motivierte Unterstützung durch das Land Thüringen in Form der TIB (Thüringer Industrie Beteiligungsgesellschaft) konnte das Scheitern nicht verhindern.

Ein neuer Investor setzte die Produktion ab Juni 2000 mit nochmals stark reduzierter Mitarbeiterzahl unter dem Namen SIMSON MOTORRAD GmbH & Co KG fort. Innovationen bei den 125er Motorrädern und später auch den Kleinkrafträdern sollten dem Unternehmen zu neuem Erfolg verhelfen. Zahlreiche, teilweise virtuose Entwürfe wie Simson Insect, Schwalbe II, das Kick-Board Raven und ein Superbike „Simson Hyper-Bike“ zeugen von großen Vorhaben des damaligen Investors. So ambitioniert die Entwürfe auch erscheinen mögen – sie lassen eine eklatante Fehleinschätzung der realen Marktlage und der Möglichkeiten am Produktionsstandort in Suhl erkennen. Die Nachfrage nach einfachen, robusten Kleinkrafträdern wurde verkannt – 95% der seit 1992 verkauften Fahrzeuge waren auf den DDR-Baumustern S53 und SR50/1 basierende Modelle. Fehler in der Geschäftsführung führten außerdem zu ständigen Lieferschwierigkeiten – Simson verzettelte sich zusehends. Schließlich ruinierte man das Image der Traditionsmarke noch durch den Vertrieb von billigen Importfahrzeugen unter dem Namen Simson. Im Juni 2002 musste Simson erneut Insolvenz anmelden. Bald darauf, am 30. September desselben Jahres, wurde die Fahrzeugproduktion endgültig eingestellt.[2]

Weil sich kein neuer Investor fand, kam es am 1. Februar 2003 zur Zwangsversteigerung des gesamten Betriebsvermögens inklusive der Produktionsanlagen, sodass der Name Simson – eine deutsche Traditionsmarke über 106 Jahre – für immer Geschichte war. Allerdings erwarb die MZA GmbH einen Großteil der versteigerten Betriebsvermögen und setzt seither die Ersatzteilproduktion am alten Standort fort. Die Nachfrage ist aufgrund der noch immer zahlreich in Betrieb befindlichen Vorwende-Simsons groß, gleichzeitig sichert die zuverlässige Ersatzteilversorgung den Fortbestand dieser beliebten Fahrzeuge.

Fahrzeugtypen[Bearbeiten]

Modellreihe S53/alpha/beta/Habicht/Sperber/etc.[Bearbeiten]

Modellreihe SR50/gamma/Star classic[Bearbeiten]

Lastenroller Albatros[Bearbeiten]

Automatikroller Star[Bearbeiten]

Der ab 1996 produzierte Automatikroller Star war ein neu entwickeltes Kleinkraftrad, wobei erstmals bei Simson die moderne Scooter-Bauweise und ein stufenloses Automatikgebtriebe zur Anwendung kamen. Als Besonderheit wies er in Anlehnung an das SR50 eine üppig dimensionierte Teleskopfedergabel auf. Der Zweitaktmotor stammte von Morini aus Italien. Die 50 km/h-Variante wurde als Star 50 bezeichnet. Eine abgeleitete, einsitzige Mofa-Variante Star 25 genannt. Der Roller war trotz seiner modernen Auslegung kein Erfolg. Offenbar konnte er sich gegen die preiswerte Konkurrenz der Importfahrzeuge nicht durchsetzen. Zudem war das Fahrverhalten nicht überzeugend. Dieser Mangel wurde durch einige Modifikationen im Jahre 1999 verringert. Nach der Jahrtausendwende wurde der Roller nicht mehr hergestellt.

Sperber 50[Bearbeiten]

Simson verwendete den Vogelnamen Sperber für verschiedene Fahrzeuge. Diverse einfach ausgestattete Fahrzeuge und Offroad-Modelle der S53-Reihe wurden so genannt. Der ab 1997 gebaute Typ Sperber 50 indes war ein neu entwickeltes Kleinkraftrad, das in Anlehnung an den früheren Simson Sperber eine erhöhte Motorleistung von 3,75 kW aufwies. Im Gegensatz zu diesem blieb es jedoch bei einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, sodass die Einstufung als Kleinkraftrad vorgenommen werden konnte. Konstruktiv unterschied er sich durch ein Zentralfederbein wesentlich von den übrigen Simson-Mokicks. Auch Verkleidungsteile und Cockpit wurden neu gestaltet. Entsprechend der sportlichen Auslegung, wurde das bewährte Triebwerk mit einem 5. Gang ausgestattet. Auch Scheibenbremsen vorn wurden serienmäßig verbaut. Als einziges Simson-Moped war der Sperber 50 wahlweise mit einer Getrenntschmierung versehen, sodass reiner Kraftstoff ohne Ölzusatz getankt werden konnte. Im Jahre 2001 wurde die Produktion eingestellt. Eine Mofa-Ausführung war von diesem Modell nicht verfügbar.

Spatz[Bearbeiten]

1999 wurde ein weiteres neu entwickeltes Mokick - der Spatz - in die Fertigung aufgenommen, ebenfalls mit Zentralfederbein und neuartiger Optik. Wie auch sein Namensvetter Simson Spatz verfügte er über nur einen Sitzplatz. Als interessant darf die Kombination der Mokick-Optik mit einem stufenlosen Getriebe von HERCHEE (Taiwan) gelten. Eine weitere Besonderheit stellte der einklappbare Lenker dar, zur platzsparenden Verstauung dieses ohnehin kompakten Fahrzeugs. Ob im Jahre 2002 noch eine zweisitzige Ausführung des Spatz' mit 45 km/h Höchstgeschwindigkeit in Serie ging, ist unklar. Insgesamt wurden vom Spatz ca. 900 Fahrzeuge hergestellt.

Schikra/Simson 125[Bearbeiten]

SULA-Roller (Importfahrzeuge)[Bearbeiten]

In Zusammenarbeit mit dem taiwanesischen Hersteller HERCHEE Industrial Co. Ltd. vertrieb Simson exklusive Importroller unter dem Markennamen SULA. Darunter waren Motorroller mit Zwei- und Viertaktmotor mit bis zu 125 Kubikentimeter Hubraum. Die modernen und vielfältigen Fahrzeuge sollten das Simson-Angebot abrunden.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Erhard Werner: Simson-Fahrzeuge von der Wende bis zum Ende, S.17. MZA-Verlag, 1. Auflage 2006
  2. Erhard Werner: Simson-Fahrzeuge von der Wende bis zum Ende, S.18. MZA-Verlag, 1. Auflage 2006


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