Schuldenaudit

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Schuldenaudit (Schuldenprüfung) bezeichnet ganz allgemein die Überprüfung von Schulden. Im Unterschied zu gewöhnlichen Audit-Verfahren haben öffentliche Schuldenaudits grundsätzlich das Ziel die öffentlichen Schulden und deren Zustandekommen offenzulegen. Sie sollen ein Mittel sein, um Transparenz und zivilgesellschaftliche Partizipation bzw. demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Darüber hinaus stellen sie langfristig eine Möglichkeit dar, soziale und ökologische Kriterien für verantwortungsbewusste Kreditvergaben und Finanzgeschäfte zu erarbeiten.[1]

Historische Beispiele[Bearbeiten]

„Bei einem Schuldenaudit handelt es sich zunächst ‚nur‘ um die Überprüfung und Evaluierung von Schulden, vor allem in Bezug auf deren rechtliche und moralische Legitimität. In der politischen Praxis werden Schuldenaudits meist mit dem Ziel erstellt, anschließend die (Staats-)verschuldung durch Streichung illegitimer Schulden zu reduzieren“.[2] Einer der ersten, der sich damit befasste, welche Schulden legitim und welche illegitim sind, war der Jurist Alexander Nahum Sack 1927. Er entwickelte das Konzept der „odious debt“ bzw. „verabscheuungswürdigen Schulden“. Danach seien Staatsschulden gegenüber dem Ausland nur moralisch gerechtfertigt, wenn sie dem Wohle der zivilen Bevölkerungsmehrheit dienen. Ist dies nicht der Fall und wussten die Gläubiger_innen von den Verwendungszwecken der Kredite (z. B. Kredite zur persönlichen Bereicherung eines Diktators), dann sind sie nach Sack mitverantwortlich und verlieren ihre Ansprüche auf Zins- und Schuldenrückzahlung. Gläubiger_innen sollten demnach Kredite nur unter transparenten Bedingungen und mit dem Wissen über ihre Verwendung vergeben. Das Kriterium sei das Wohl des Staates bzw. der Bevölkerungsmehrheit. Neben dieser Bestimmung gibt es noch weitere Ausdifferenzierungen in illegitime und illegale Schulden.[3]

In der politischen Praxis käme dem globalen Norden bei einem Schuldenaudit vor allem eine unterstützende Funktion zu. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Erlassung illegitimer Schulden von Entwicklungsländern durch Norwegen (2012). Vertreter von Schuldenaudits erwähnen auch gerne das erfrolgreiche Audit Ecuadors aus dem Jahre 2007 und ein sehr frühes Beispiel mit Costa Rica (1917). In Costa Rica errichtete Frederico Tinoco damals eine Diktatur. Anschließend schloss er verfassungswidrige Verträge ab und nahm Kredite zu privaten Zwecken auf. Nach seinem Sturz weigerte sich die Folgeregierung die Schulden wieder zurückzuzahlen.[4]

Einen aktuelleren Höhepunkt erlangte die Bewegung der Schuldenaudits 2007 in Ecuador, wo Präsident Correa nach lautstarken Forderungen aus der Zivilgesellschaft eine öffentliche Kommission einsetzte, die die rechtliche und moralische Legitimität der gesamten Auslandsverschuldung überprüfte (Schulden bei privaten Banken, beim IWF, der Weltbank und bei anderen Staaten). Im Jahr 2008 wurden schließlich ca. 32 Prozent der Schulden für illegitim befunden. Nur 68 Prozent der Schulden wurden anerkannt und letztlich getilgt.[5]

Auch in Europa entstanden in den 1980er und 1990er Jahren Initiativen und Zusammenschlüsse von Menschen, die sich für Schuldenaudits und -streichungen zugunsten armer Länder engagierten. So gründete sich im März 1990 in Brüssel das „Committee for the Abolition of Third World Debt“. Im Zuge der globalen Finanzkrise 2012 bildete sich wiederum ein Netzwerk in Brüssel, das sich seither explizit für Schuldenaudits einsetzt: „International Citizen Debt Audit Network“ (ICAN). Es besteht aus Organisationen aus bisher elf verschiedenen europäischen und nordafrikanischen Staaten und veranstaltete bisher vier Konferenzen – die jüngste im März 2014 in London. In Deutschland selbst gibt es eine solche Organisierung bisher nur ansatzweise. So interessieren sich Teile der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Attac dafür.[6]

Insbesondere das Beispiel des norwegischen Audits ist dabei von Relevanz. Das Land hatte in den 1970er Jahren im Zuge einer Kampagne zur Förderung seiner Werften 21 Ländern Kredite zum Kauf von Schiffen gewährt. Damals wurde nicht ausreichend geprüft, ob das für die Empfängerstaaten entwicklungspolitisch und ökonomisch sinnvoll war. Eine Initiative von entwicklungspolitischen NGO‘s begann, mit Hilfe von Fachleuten und linken Politiker die Verträge auf gesetzliche und moralische Legitimität zu prüfen. 2012 setzte Norwegen als erstes Geberland eine Kommission ein, die die Schulden von Entwicklungsländern in 34 Fällen überprüfen sollte. Dazu liegt nunmehr ein Bericht vor, der als Grundlage für Schuldenaudits in anderen Ländern dienen kann.[7]

Rechtlicher Rahmen und Kriterien zur Überprüfung von Schulden[Bearbeiten]

Rechtlicher Rahmen[Bearbeiten]

Die juristische Grundlage von Schuldenaudits ist bisher nicht geklärt. Dennoch gibt es verschiedene Rechtsquellen, auf die sich Verfechter eines Schuldenaudits berufen können. So wird bereits in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 gesagt, dass jeder Mensch das Recht hat sich an öffentlichen Entscheidungen direkt über die Regierung oder indirekt durch frei gewählte Repräsentant zu beteiligen. Eine ähnliche Formulierung befindet sich im „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ von 1966 (UN-Zivilpakt). Letzterer wurde von fast allen UN-Mitgliedsstaaten – mit Ausnahme der USA – anerkannt.[3]

Ein legitimer Akt meint eine Handlung, die mit vorherrschenden Normen und Werten vereinbar ist. Legitimität muss deshalb die rechtliche Konformität (Legalität) nicht ausschließen, geht aber noch darüber hinaus. Problematisch an diesem Begriff ist jedoch, dass er nur subjektiv oder politisch bestimmt werden kann. In Bezug auf Schulden lässt sich dann nach illegitimen und illegalen Schulden suchen. Da die Suche nach illegitimen Schulden auch auf rechtlicher Ebene erfolgreich sein kann, wird diese dem ausschließlich moralischen Konzept der "odious debt" in der Regel gegenüber bevorzugt. Es kann dann gleichermaßen nach rechtlichen und moralischen Widersprüchen gesucht werden.[3]

Kriterien in den UNCTAD-Richtlinien[Bearbeiten]

Bisher gibt es keine rechtlich verbindlichen Richtlinien für ein Schuldenaudit. Norwegen zeigte allerdings, dass es bereits Kriterien gibt, die langfristig das Potenzial zu einem verbindlichen Rahmen in sich tragen. Dort wurden 2012 die sogenannten UN-Prinzipien als Kriterien für verantwortungsbewusste Kreditvergabe herangezogen. Die „Consolidated Principles on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing“ wurden bisher von 14 Staaten anerkannt. Das Ziel dieser Richtlinien aus dem Jahr 2012 ist die Schaffung eines Sets an international akzeptierten Kriterien für verantwortungsvolle Kreditgeschäfte, wobei auf Gläubiger und Schuldner gleichermaßen abgezielt wird. Die Prinzipien sind nicht vollständig und nicht fertig. Bisher waren verschiedene ökonomische Experten, Vertreter von NGOs, Juristen am Ausarbeitungsprozess beteiligt. Am wichtigsten erscheint den Initiatoren dabei der langfristige und präventive Effekt, den eine internationale Anerkennung und Verbesserung dieser Richtlinien hätte. Die Streichung der Schulden wird eher als positiver Nebeneffekt betrachtet und ist nicht das eigentliche Hauptanliegen von Audits. UNCTAD wünscht sich deshalb auch ein regelmäßiges Feedback von den UN-Mitgliedstaaten.[8]

Literatur / Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Hochspringen P. Hannig (2014): Plädoyer zur Überprüfung von deutschen Exportkrediten und -garantien.
  2. Hochspringen I.H. Kvangraven (2012): Exportable? Hot to make the Norwegian debt audit transferable to other countries? Oslo: SLUG.
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 3,2 CADTM et al. (2006): Let’s Launch an Enquiry. Into the Debt! A Manual on How to Organise an Audit on Third World Debts. Geneva: CETIM.
  4. Hochspringen CADTM (2008): Topicality of the odious debt doctrine. Zugriff am 5. Dezember 2014.
  5. Hochspringen A.O. Gaona (2008): Zusammenfassung der Rechnungsprüfungskommission. Quito: Kommission für die umfassende Überprüfung der Schulden.
  6. Hochspringen http://www.citizen-audit.net
  7. Hochspringen K. Haarberg et al. (2013): Report. Norwegian Debt Audit. Norway: Deloitte AS.
  8. Hochspringen UNCTAD (2012): Principles on Promoting Sovereign Lending and Borrowing. United Nations.
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