Reiseabenteuer

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Reiseabenteuer (engl. "travel adventure") sind spannungsreiche und gefahrenträchtige Ereignisse, die dem Reisenden beim Unterwegssein in der Fremde begegnen können.[1][2] Sie ergeben sich aus dem Verlassen des weitestgehend geschützten und vertrauten heimischen Zuhause und können geplante Reiseabläufe empfindlich stören. Reiseabenteuer treten in der Regel unverhofft und ungewollt auf und fordern vom Reisenden dann spontane, mutige Entscheidungen und tatkräftiges Handeln, um die meist mit Unannehmlichkeiten und Stress verbundenen Situationen erfolgreich meistern zu können. Reiseabenteuer liefern den attraktiven Stoff für anschließende Erzählungen.

Begriffsherkunft[Bearbeiten]

Die das Kompositum bestimmenden Begriffe „Reise“ und „Abenteuer“ lassen sich bereits im lateinischen, althochdeutschen bzw. mittelhochdeutschen Sprachgebrauch nachweisen:

Der Begriff „Reise“ ist als Erbwort der deutschen Sprache schon vor dem 9. Jahrhundert belegt. Das urgermanische Verbum „rīsan“ hatte die Bedeutung ‚sich erheben, aufstehen‘, wie es sich etwa noch in dem englischen „to rise“ findet. Das althochdeutsche Wort „reisa“ bedeutete ‚Aufbruch, Zug, Fahrt‘. Es bezeichnete sowohl das „Sich-auf-den-Weg-Machen“ als auch die zu begehende Wegstrecke.[3]

Der Begriff „Abenteuer“ (von lat „adventura“, „Ereignis“, mittelhochdt.âventiure“), altfranzösisch „aventure“, „avanture“,kennzeichnete in der romanhaften Dichtung des Hochmittelalters seit Chrétien de Troyes eine Reise in die ungeschützte Welt hinaus, die den Helden physisch, mental, psychisch und sozial auf harte Bewährungsproben stellte, denen er sich freiwillig unterzog. Unvorhersehbare Zufälle werden dabei in einen Sinnzusammenhang gestellt, der dem Helden die Entwicklung zu einer ethisch hochwertigen Persönlichkeit ermöglichte: Die âventiure [...] ist nicht mehr willkürliches Geschick, das dem Helden zustößt, sondern eine von ihm aus eigenem Antrieb gesuchte und durch wunderbare Fügung für ihn allein bestimmte gefahrvolle Bewährungsprobe.[4].

Abenteuerreise versus Reiseabenteuer[Bearbeiten]

Die beiden in der Linguistik als Determinativkomposita bezeichneten Wortzusammensetzungen mit denselben Wortanteilen unterscheiden sich durch die Wortstellung in ihrer Bedeutung. Das vorangestellte Wort dient dabei zur näheren Erläuterung des nachfolgenden, dominanten Determinatum. Die Betonung bei der Sprachgebung hebt den jeweils ersten Begriffsteil und damit die genauere Bestimmung des zweiten hervor:[5]

Der Begriff „Abenteuerreise“ bezeichnet eine spezielle Form des Reisens. Bei ihr steht, im Unterschied etwa zu einer Dienst-, Geschäfts-, Kultur-, Ferien-, Vergnügungs-, Natur-, Bildungs-, Forschungs-, Bade- oderErholungsreise, das Abenteuer im Zentrum des Interesses. Die Reise wird wegen der zu erwartenden Abenteuer unternommen und ist auf diese ausdrücklich zugeschnitten. Eine Abenteuerreise kann real-physisch im ganzheitlichen Erleben, aber auch in abstrakt-gedanklicher Form, als Vorstellungsreise, unternommen werden. Solche Fantasiereisen mit Abenteuercharakter sind etwa die bereits seit dem Jahre 1605 veröffentliche Ritterparodie des skurrilen Junkers Don Quijote de la Mancha des spanischen Dichters Miguel de Cervantes oder Gullivers Reisen des irischen Romanautors Jonathan Swift aus dem Jahre 1726.

Die Wortschöpfung „Reiseabenteuer“ bezeichnet im Unterschied zur Abenteuerreise eine spezielle Form des Abenteuers. Hier steht die Reise im Vordergrund des Interesses. Abenteuer können sich dabei beiläufig und ungewollt ergeben. Mit dem vorangestellten und betonten Wort „Reise“ setzt sich das Reiseabenteuer damit ab von Abenteuern in anderen Lebensbereichen oder Betätigungsfeldern, etwa den Alltagsabenteuern, den Stadtabenteuern, den Seemannsabenteuern, den Jagdabenteuern, den Liebesabenteuern oder Leseabenteuern, die sich an anderen Orten, zu anderen Gelegenheiten und in anderer Weise ereignen. Dies schließt Überschneidungen nicht aus, z. B., dass sich Liebesabenteuer auch auf einer Abenteuerreise ergeben können. Das Wort Reiseabenteuer charakterisiert Abenteuer, die mit jeder Reise, also auch mit Bildungs- oder Badereisen, verbunden sein können, ohne dass sie intendiert wären. Auch Reiseabenteuer können nicht nur hautnah erfahren, sondern erdacht, fantasievoll ausgesponnen, erzählt oder gelesen werden, Es sind Abenteuer, die auf jeder Art Reise real durchstanden, aber auch in fiktiver Form, etwa beim Lesen eines fantasievollen Reiseromans, in der Vorstellung nacherlebt werden können, wie sie sich z. B. in den Reiseberichten eines Marco Polo oder Sven Hedin finden, deren große Reisen eigentlich als Geschäfts- bzw. als Forschungsreise geplant waren, aber sich im Verlauf mit zahlreichen Abenteuern verbanden.

Reale und fiktive Reiseabenteuer[Bearbeiten]

Der Wagnisforscher Siegbert A. Warwitz unterscheidet zwischen realen und fiktiven Abenteuern:[6]

Stich von Frederick Catherwood In: John Lloyd Stephens: Zwischenfälle in Mittelamerika, Ciapas und Yucatan, 1841

Reale Reiseabenteuer“ fordern den ganzen Menschen. Sie verlangen mutige, oft spontane Entscheidungen, Angst­beherrschung und Frustrationstoleranz, die Bereitschaft zur Akzeptanz eines etwaigen Scheiterns und dessen Folgen. Sie sind unmittelbare Erlebnisse im Lebensgeschehen. Es sind authentische Reiseabenteuer, wie sie etwa Johann Wolfgang von Goethe auf seinen drei Bildungsreisen nach Italien zu berichten wusste oder Alexander von Humboldt auf seinen Forschungsreisen erlebte.[7] Die großen Entdecker Christoph Kolumbus, James Cook, Vasco da Gama oder Ernest Shackleton hatten auf ihren Expeditionen Abenteuer zu bestehen mit meuternden Mannschaften, feindseligen Eingeborenen, Wetterunbilden auf hoher See, die viel Stoff zum Erzählen lieferten.

Im Hafen von Rhodos, Miniatur aus: Voyages et aventures de Ch. Magius von 1578

Der venezianische Reiseschriftsteller Charles Magius (alias Carlo Maggi) hielt seine eigenen Reiseabenteuer im nahen Osten einschließlich seiner türkischen Gefangenschaft und Befreiung 1578 in einem Reisebericht fest, der mit 18 Miniaturen bebildert wurde.[8] Obwohl auch Johann Wolfgang von Goethe seine drei Italienreisen nicht als „Abenteuerreisen“, sondern als „Bildungsreisen“ verstand, konnte er in seinen Briefen von zahlreichen Reiseabenteuern berichten, die ihm in der Fremde begegneten. [9] Als Begleiter und Berichterstatter von James Cook auf dessen Suche nach dem sagenumwobenen Südland von 1772 bis 1775 mit naturwissenschaftlichen Aufgaben betraut, hat Georg Forster auch die Abenteuer dieser mehrjährigen Expedition festgehalten.[10] Auch Alexander von Humboldt ging intentionsmäßig nicht auf eine Abenteuer-, sondern auf eine „Forschungsreise“, bei der sich trotz gewissenhafter Planung zahlreiche Reiseabenteuer einstellten.

Fiktive Reiseabenteuer“ spielen sich bei Erfinder wie Konsument als reine Vorstellungsabenteuer im Kopf ab. Die im abendländischen Kulturkreis ältesten Reiseabenteuer sind uns von dem griechischen Dichter Homer in seiner Odyssee (ca. 8./7. Jahrh. v. Chr.) überliefert: Der Held Odysseus und seine Gefährten müssen auf ihrer langen Heimreise nach dem Trojanischen Krieg zahlreiche Abenteuer bestehen, die sie sich nicht gewünscht haben, wobei der Hauptheld bei seiner Rückkehr nach Ithaka neben wirklich erlebten[11] aus taktischen Gründen auch selbst erfundene Abenteuer zu berichten weiß.[12] Reiseabenteuer bereicherten seitdem die gesamte Literaturgeschichte. Sie erschienen vor allem im 19. Jahrhundert in großer Zahl auf dem Büchermarkt und gehörten zur beliebtesten Lektüre breiter Bevölkerungskreise.[13][14][15] Fiktive Reiseabenteuer können ebenfalls aufregend sein und emotional tief berühren, erfordern aber nur bei den Figuren des Romans oder der Erzählung Mut, Wagnisbereitschaft und Risikokompetenz, die dem Zuhörer oder Leser erspart und entsprechend für ihn folgenlos bleiben: Bei den morgenländischen Märchen um Sindbad den Seefahrer aus Tausendundeiner Nacht, die Scheherazade ihrem König erzählt, handelt es sich um Geschichten, die nach der Märchenforschung mit hoher Wahrscheinlichkeit bis ins 9. und 10. Jahrhundert zurückreichen.[16] Die grotesk-fantastischen, dem sogenannten „Lügenbaron“ Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen zugeschriebenen „Reisen des Barons von Münchhausen“, bei denen sich der kreative Baron am eigenen Schopf aus einem Sumpf ziehen oder sein an der Kirchturmspitze angebundenes Pferd nach der plötzlichen Schneeschmelze herunterschießen muss, stammen aus dem 18. Jahrhundert.[17]

Realität und Fiktion“ können sich auch in den späteren Darstellungen nach der Reise vermischen, wie es etwa von Marco Polo angenommen wird, der in erster Linie auf eine lange und gefährliche Geschäftsreise ging. Die von ihm nach seiner Rückkehr berichteten Reiseabenteuer erschienen den Zeitgenossen aber so fantastisch, dass sie den Erzähler als Lügenbold verunglimpften und Forscher bis heute intensiv daran arbeiten, Wirkliches und Erfundenes seiner erstaunlichen Reiseabenteuer zu unterscheiden und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.[18] Karl May gilt bis heute als ein genialer Reiseschriftsteller, dessen gut recherchierten, spannend geschilderten Reiseabenteuer aus allen Teilen der Welt so authentisch anmuten, dass ihm viele Zeitgenossen die teilweise in Ich-Form gefassten Erlebnisse als eigene Erfahrungen abnahmen und er sich selbst in seiner Fantasie derart in die eigenen Erzählungen hineinsteigerte, dass auch er selbst fast von der Authentizität überzeugt war. Schon seine frühen Abenteuerberichte erschienen unter dem Titel „Aus der Mappe eines Vielgereisten. Abenteuererzählungen“, obgleich er bis dahin nie in die beschriebenen Gebiete gereist war.[19]

Nach Warwitz dienen die fiktiven Abenteuer als Illusionsprodukte vor allem der spannenden Unterhaltung in geschützten Räumen, während den real erlebten Reiseabenteuern, wenn sie denn reflektiert und geistig verarbeitet werden, auch ein hoher Bildungswert zukommen kann.[20]

Sprichwörter[Bearbeiten]

  • „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen“

Literatur[Bearbeiten]

  • Jürgen Borchhardt: Der Zorn Poseidons und die Irrfahrten des Odysseus. Phoibos Verlag, Wien 2015, ISBN 978-3-85161-077-2.
  • Gottfried August Bürger: Des Freiherrn von Münchhausen einzig wahre Erlebnisse zu Wasser und zu Land, zu Pferd und zu Fuß, im Krieg und Frieden, in der Luft sowie in mehrerer Herren Länder / In diesem Jahre ganz neu verfaßt von Ihm selbst. Und versehen mit sehr wunderlichen Zeichnungen nach der Natur aufgenommen von dem Maler August von Wille. Düsseldorf 1856.
  • Deutsche Akademie der Wissenschaften: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG), Berlin 1964–1977, kommentiertes Stichwort „Reiseabenteuer“
  • Friedrich Gerstäcker: Herrn Mahlhubers Reiseabenteuer. (Zuerst erschienen 1857), Eulenspiegel Verlag, Berlin 1987, ISBN 3-359-00135-4.
  • Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961, Bd. 8 (1893), Sp. 723, Z. 10: Stichwort Reiseabenteuer
  • Lorenz Hempel: Des Kunstfreundes Reiseabenteuer, (An Art-Friendly Travel Adventure), Hoffmann und Campe, Hamburg 1847
  • G.P.R. James: Reiseabenteuer und Reisenovellen, aus dem Englischen v. W.A. Lindau, Kollmann, Leipzig 1837.
  • Charles Magius: Voyages et aventures, Bibliothèque Nationale de France, Département Estampes et Photographie, mit 18 Miniaturen 1578
  • Vorlage:LexMA
  • John Lloyd Stephens: Zwischenfälle in Mittelamerika, Ciapas und Yucatan, Harper & Brothers, New York 1841
  • Friedrich Armand Strubberg: Amerikanische Jagd- und Reiseabenteuer aus meinem Leben in den westlichen Indianergebieten (1858), neu: Amerikanische Jagd- und Reiseabenteuer, 2. Auflage 2011, ISBN 978-3-8288-2701-1.
  • Siegbert A. Warwitz: Lohnt sich Wagnis – Oder lassen wir uns lieber be-abenteuern? In: Magazin OutdoorWelten 1(2014), S. 68 ff. ISSN 2193-2921.
  • Siegbert A. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. 3., erweiterte Auflage. Verlag Schneider. Baltmannsweiler 2021. ISBN 978-3-8340-1620-1.

Weblinks[Bearbeiten]

 Wiktionary: Reiseabenteuer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. „Reiseabenteuer“, kommentiertes Stichwort, In: Deutsche Akademie der Wissenschaften: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG), Berlin 1964–1977
  2. Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961, Bd. 8 (1893), Sp. 723, Z. 10: Stichwort Reiseabenteuer
  3. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer, 7. Aufl., dtv, München 2004
  4. Vorlage:LexMA
  5. Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch, 4., neu bearbeitete Auflage, Quelle & Meyer, Heidelberg 1985, Stichwort: „Determinativkompositum“
  6. Siegbert A. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. 3., erweiterte Auflage. Baltmannsweiler 2021. S. 30–31
  7. Douglas Botting: Alexander von Humboldt – Biographie eines großen Forschungsreisenden. München 1974, ISBN 3-7913-0085-7. (6. Auflage 2001)
  8. Charles Magius: Voyages et aventures, Bibliothèque Nationale de France, Département Estampes et Photographie, 1578
  9. K. Heinemann (Hrsg.): Goethes Briefe an Frau von Stein nebst dem Tagebuch aus Italien 1786 und 1787, 4 Bände, Cotta, Stuttgart und Berlin o. J.
  10. Georg Forster: Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772 bis 1775, Erdmann, Tübingen 1979
  11. Jürgen Borchhardt: Der Zorn Poseidons und die Irrfahrten des Odysseus. Phoibos Verlag, Wien 2015, ISBN 978-3-85161-077-2
  12. Homer, Odyssee 14,192–359
  13. G.P.R. James: Reiseabenteuer und Reisenovellen, aus dem Englischen v. W.A. Lindau, Kollmann, Leipzig 1837
  14. Lorenz Hempel: Des Kunstfreundes Reiseabenteuer (An Art-Friendly Travel Adventure), Hoffmann & Campe 1847
  15. Friedrich Gerstäcker: Herrn Mahlhubers Reiseabenteuer. (Zuerst erschienen 1857), Eulenspiegel Verlag, Berlin 1987
  16. Paul Lunde: The seas of Sindbad, Saudi Aramco World, Juli/August 2005
  17. Gottfried August Bürger: Des Freiherrn von Münchhausen einzig wahre Erlebnisse zu Wasser und zu Land, zu Pferd und zu Fuß, im Krieg und Frieden, in der Luft sowie in mehrerer Herren Länder / In diesem Jahre ganz neu verfaßt von Ihm selbst. Und versehen mit sehr wunderlichen Zeichnungen nach der Natur aufgenommen von dem Maler August von Wille. Düsseldorf 1856
  18. Marina Münkler: Marco Polo. Leben und Legende (Eine Einführung in die Vielschichtigkeit, Komplexität und Schwierigkeit der Marco-Polo-Forschung), C. H. Beck Wissen, München 1998, ISBN 978-3-406-43297-2.
  19. Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Abenteuererzählungen I. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe für die Karl-May-Stiftung, Band I.8. Karl-May-Verlag, Bamberg, Radebeul 2015, ISBN 978-3-7802-2007-3
  20. Siegbert A. Warwitz: Lohnt sich Wagnis – Oder lassen wir uns lieber be-abenteuern? In: Magazin OutdoorWelten 1(2014), S. 68 ff. ISSN 2193-2921