Polychromatische Wechselwirkung

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Im Klassizismus des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, als übertriebene Lobpreisungen der Antike und unverdiente Schmähungen des Mittelalters an der Tagesordnung waren, „suchte man dem letzteren Geschmacklosigkeit dadurch zu beweisen, daß die gotischen Bauwerke alle buntscheckig bepinselt gewesen seien, während die antiken Gebäude in keuscher Weißheit geschimmert hätten.
Nun fanden sich bei genauerer Untersuchung an antiken Gebäuden, auch an griechischen, innerlich und äußerlich Spuren von Bemalung. Aber lange wurden diese Entdeckungen in Abrede gestellt, und noch jetzt ist die Untersuchung auf diesem Gebiet der Kunstarchäologie keineswegs zum Abschluß gebracht; dennoch sei wenigstens einiges von den Resultaten hier angeführt, um das in den Stilartikeln Gesagte zu ergänzen.

  • a) die Aegypter statteten Inneres und Äußeres ihrer Bauten, Architektur und Plastik, polychrom aus; daraus, dass an Tempeln und Gräber meist eine zwar bunte, aber doch ernste, ja schwere Färbung erhalten ist, hat man wohl nicht mit vollem Recht auf Gleiches betreffs der Häuser geschlossen; diese mögen wohl heiterer bemalt gewesen sein.
  • b) Die Völker der chaldäischen Gruppe, also Assyrier, Babylonier, Meder, Perser etc. liebten lichte heitere prunkende Farben; deshalb waren zwar die dunklen Farben nicht ausgeschlossen, aber in kleineren Flächen angewendet, dienten sie mehr zur Hebung der anderen. Bei allen diesen Völkern waren glasierte Ziegel besonders beliebt und, was man bei den Aegyptern selten findet, Metalle zur Bereicherung der Farbenskala reichlich verwendet.
  • c) Die Polychromie amerikanischer Kulturvölker (Olmeken, Tolteken, Azteken..) bietet eine interessante Parallele mit a und b; soweit die schwachen Spuren Aufschluss zu geben vermögen, zeigt die Färbung bei den Olmeken eine ähnliche Tendenz, nach dem Gesättigten, Tiefen, Ernsten, wie bei den Aegyptern, während die Tolteken etwas heiterer, die Azteken ähnlich wie die Assyrier tönten, auch wie diese sehr gern Metall zwischen den lebhaften Farben auf hellerer Grundfläche anwendeten.
  • d) Die Pelasger und die Völker Kleinasiens, sowie die Phöniker und die Etrusker scheinen fast noch mehr als die Aegypter dunkle, tiefe Farben geliebt oder doch gern den lebhaften Farben einen besonderen prunkenden Nachdruck durch dunklen Hintergrund gegeben zu haben; doch kommt bei Phönikern und Etruskern auch dunkle, gleichsam silhouettenartige Malerei auf weißem Grund vor.
  • e) Ueber die Völker Ostasiens, Ostindier, Chinesen, Japanesen, Malayen etc. ist in der betreffenden Art das uns Bekannte gegeben. Im allgemeinen scheinen unter diesen die Ostindier die ernsteste, die Chinesen die heiterste Färbung geliebt zu haben.
  • f) Die Griechen bemalten fast blos innere Wände in ganzen Flächen mit Darstellungen theils architektonischen, theils figürlichen Inhalts, äußere Wandflächen finden wir an Tempeln und Häusern bei Griechen wie Römern nur glatt gestrichen, höchstens in Quader eingetheilt, und zwar gewöhnlich in dunklen, oft sogar in todten Farben. Das Simswerk hingegen, sowie Säulen und Pilaster, hielt man in der Hauptachse hell, und nur einzelne Glieder wurden durch lebhafte helle oder dunkle Farben besonders zur Geltung gebracht. (Näheres darüber s. in d. Art Dorisch, Ionisch, Korinthisch). Die Tempel waren äußerlich reicher als innen bemalt, beiderseits herrschte aber architektonische Malerei über figürliche vor. Die Wohnhäuser entfalteten jedoch ihren reichsten Farbenschmuck innerlich, wobei das figürliche schon eine größere Rolle spielte. Was die angewandten Farbtöne betrifft, so bezeugen die gefundenen Reste, bes. auf Sizilien, dass die Griechen zu Geboten stehende Farbenskala keineswegs eine so beschränkte war, als viele Glauben; namentlich ist die oft wiederholte Behauptung, daß sie das Blau nicht gekannt hätten, durch die Funde widerlegt.
  • g) Die Römer nahmen mit den griechischen Kunstformen natürlich auch die Polychromie mit auf und vereinigten auch in dieser Beziehung das von ihnen bei Etruskern, Aegyptern, und Griechen Gesehene; aber wie sie in den architektonischen Formen mehr nach Pracht als nach strenger Nachbildung der keuschen griechischen Schönheit strebten, so übertrieben sie auch diese farbige Ausstattung, s. Pompejanisch.
  • h) An Gebäuden der altchristlichen Bauweise findet man wohl hier und da noch innerlich den ganzen Reichthum der figürlichen und ornamentalen Ausstattung beibehalten, wobei Goldgrund für figürliche Darstellungen nicht sofort, sondern erst gegen Ende des 4.Jahrh. auftritt, äußerlich hingegen nur seltene, unsichere Bemalung, dagegen schon Streben nach Erreichung der Polychromie durch mehrfarbiges Material, sowie Mosaik.
  • i) Die byzantinische Polychromie erhebt sich zu überreicher Ausstattung der Wand- und Gewölbeflächen sowie der etwaigen Balkendecken mit figürlichen Darstellungen, hier und da wohl auch abwechselnd mit Ornamentstreifen oder begrenzt durch architektonisch gegliederte Feldereintheilung. Wo nicht die Darstellung der Figuren die Anwendung zarterer Farben mit sich brachte, finden wir einerseits dunkle, oft schwarze oder ziemlich eintönig gefärbte Ornamente oder Schriftzeichen auf Goldgrund, anderseits sehr grelle und leuchtende Farben, deren unangenehme Wirkung durch minutiös kleine Theilung abzuschwächen versucht wurde. Eine unschöne Neuerung ist die Nachahmung von Material in der Färbung, z.B. hellblauer oder rosenrother Marmor in hässlichster Zeichnung und matter, dabei aber doch greller, ja unmöglicher Färbung überzieht die Flächen der Pfeiler und Spandrillen, während an demselben Werke die Bemalung der Glieder und Kapitäle von fein ausgebildetem Farbensinn zeugt. Das ganze zeugt hier und da weniger von feinem Farbensinn als von Prachtliebe. Die oft auch recht zierlichen, in den Farben lebhaften und doch nicht grellen Mosaikfußböden und Mosaikgewölbe sind fast die einzigen Theile dieser Bauten, in denen die Polychromie ihrem eigentlichen Wesen nach angewendet ist. Anderwärts wieder, bes. in Trapezunt, Thessalonich etc. liefern die Ornamente sowohl als die figürliche Darstellungen, allerdings vorzüglich an Bauten des 8. und 9. Jahrh., den Beweis für einen sehr ausgeprägten Farbensinn durch äußerst feine Abtönung und sehr mäßige Verwendung von Kontrasten. Äußerlich wird schon sehr gern zweifarbiges Material dekorativ verwendet.
  • j) Die Ostgoten benutzten zwar viele byzantinische Künstler, wirkten aber auch auf dieselben ein. Die Färbungen der figürlichen Darstellungen ist ernster, minder prunkend als an den direkt byzantinischen Arbeiten, die der Ornamente zarter abgewogen, minder zwispaltig, dabei aber markiger, kräftiger. Der Goldgrund hinter figürlichen Darstellungen wird ganz allgemein, Vergoldung der Balkendecken sehr beliebt. An der Außenseite der Gebäude wird mehr und mehr Farbenwirkung durch Wechsel mehrfarbigen Materials erstrebt; in den Bögen kommen bereits oft Wechselschichten, im Mauerwerk hier und da Wechselschichten, Zickzacks etc. aus 2 oder 3 verschiedenen Farben vor.
  • k) Die Langobarden pflegten besonders die Materialpolychromie sehr. Die Wechselschichten werden, wo irgend thunlich, angewendet, oft in sehr grellem Abstand (z.B. schwarz und weiß), Zickzack, Rauten, Streifen etc. waren sehr beliebt. Die vergoldeten Balkendecken pflegten die Langobarden sehr. Malereien und Mosaiks scheinen von byzantinischen Künstlern ausgeführt worden zu sein. Die ersten Arbeiten scheinen noch etwas wild, die späteren sehr verfeinert.
  • l) Die Franken verfolgten die von den Langobarden betretene Bahn zwar im Allgemeinen, doch scheinen sie ernstere Farben sehr geliebt zu haben; das Lichte, Leuchtende, Heitere, was namentlich die im Süden Italiens von den Langobarden ausgeführten Bauten haben, sucht man an karolingischen oder merowingischen Bauten vergebens.
  • m) Der romanische Stil zeigt auch in Bezug auf Polychromie Klärung. Im Vergleich zum byzantinischen sind grelle Kontraste, unzarte, hauptsächlich auf Prunk berechnete Farbenzusammenstellungen sowie die kleinen Theilungen nicht so häufig, dafür auch die Farben weniger lebendig, ja hier und da todt. Weiß und Schwarz sieht man oft ziemlich unmotiviert zwischen den bunten Farben.
  • n) Die normannischen und sarazenischen Bauten Siziliens zeigen das Farbensystem der Mosaikfußböden auch auf den Wänden übertragen, aber bloß innerlich, während äußerlich in, an das langobardische anlehnender, aber mehr logischer , der Konstruktion entsprechender, konsequenter Weise die Farbe des Baumaterials selbst als dekoratives Element (in verschiedenfarbigen Steinschichten etc.) zur Geltung kommt. Die Decken dieser Stile sind etwas düsterer als die vorhergehenden; Schwarz und Braun werden zur Lokalfarbe erhoben, doch spielt auch hier der Goldgrund eine hervorragende Rolle.
  • o) Die maurische und türkische Polychromie ist weiter ausgebildet und bes. erstere ungemein fein, s. d. betr. Stilartikel
  • p) Die Gotteshäuser des gothischen Stils wurden hauptsächlich innerlich, die Wohnhäuser äußerlich mit Malerei bedacht. Dabei spielt in den Gotteshäusern fast in allen christlichen Ländern die figürliche Malerei die Hauptrolle. Die Gewölbeflächen waren selten, aber doch immer oft genug, mit solchen Darstellungen bedeckt, in der Regel auf hellem, oft auch auf tiefblauem Grund von reichfarbigen Ornamentfriesen umzogen, oder es wuchsen aus den Winkeln der Rippen ornamentale Ranken mit Blumen etc hervor. Die Glasfenster prangten ebenfalls im Schmuck reicher figürlicher Malerei, während die Pfostengliederungen, Pfeiler und Dienste eigentlich mehr angestrichen und bemustert als bemalt waren, und zwar in der Regel in tiefen, ruhigen Tönen, wobei tiefes braunrot eine Hauptrolle spielte. Hohlkehlen waren entweder braunroth oder dunkelblau oder grün, Fasen roth, lichtblau, golden etc. und die Rundstäbe golden, silbern oder gelb, wohl auch orange. An Balkendecken waren die verzierten Theile nach ähnlichem System, die glatten Teile gar nicht oder braun angestrichen, defern sie nicht mit Ornamenten oder Figuren unter Belassung des Holzgrundes bemalt waren. Weiße Flächen kommen gar nicht, weiße Gesimstheile nur höchst selten und in kleiner Ausdehnung vor. Äußerlich waren die Kirchen nur höchst selten vollständig bemalt; nur an den Portalen u. dgl. Finden sich Spuren davon. Die Wohnhäuser hingegen trugen namentlich in Deutschland und im Norden Italiens an ihren Facaden reichen figürlichen Schmuck in lebhaften Farben, oft ohne alle Rücksicht auf architektonische Gestaltung und Eintheilung. Hier spielt ebenfalls ein tiefes, ruhiges aber gesättigtes Roth as Grundfarbe eine Hauptrolle. Auch die Gothik liebte sehr vielfarbiges Material. In Venedig ist die Bemalung mehr architektonisch aufgefasst als Eintheilung in Felder, die mit Ornamentstreifen eingefasst sind; auch hier ist jenes Roth die Hauptfarbe (näheres darüber s. in O. Mothes „Geschichte der Baukunst und Bildhauerei Venedigs“ …)
  • q) In der Renaissancezeit behielt man die figürliche Ausschmückung bei, jedoch in Begrenzung und Eintheilung der Architektur untergeordnet, obgleich oft innerlich und äußerlich über große Flächen vertheilt.
  • r) In der Barock- und Roccocozeit erging man sich auch auf diesem Gebiet in höchst willkürlichen, schnörkelhaften, oft aber auch wild genialen Ornamenten, oft über ganze Flächen wundersam vertheilt.
  • s) In der Zeit der modernen, kalten Nachahmung der klassischen Antike hatte man, wie bereits Eingangs des Artikels erwähnt, die Polychromie ganz verbannt, und noch um 1870 war man in ihrer Anwendung äußerlich nicht viel weiter gelangt als zu einigen schüchternen, hier und da noch dazu verunglückten Versuchen, welche aber jetzt schon dazu zu führen scheinen, dass wir die nackten, eintönigen, kraftlosen Anstriche wieder gegen heiteren, gefälligen Farbenschmuck vertauschen. Freilich werden dabei auch manche Missgriffe begangen, was einerseits durch die lange Entwöhnung, und andererseits durch das Bestreben, ja die Mode, Altes so nachzuahmen, wie es sich uns darstellt, erklärlich ist.“
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