Politikfeldparlament

Aus MARJORIE-WIKI
Wechseln zu: Navigation, Suche

Politikfeldparlament wird im Kontext des Konzepts der Liquid Democracy die virtuelle Versammlung aller Teilnehmer am Diskurs über ein Thema genannt.

Bedeutung des Wortbestandteils „Parlament“[Bearbeiten]

Das Wort Parlament ist im Falle von Politikfeldparlamenten nicht in dem Sinne zu verstehen, wie es im Kontext der traditionellen repräsentativen Demokratie verwendet wird. Es geht nicht darum, dass Bürger Abgeordnete für mehrere Jahre in ein Parlament wählen, wo diese während ihrer Amtszeit ein freies Mandat ausüben, d.h. an Stelle ihrer Wähler Entscheidungen treffen.[1] Jemand, der an einem Diskurs in einem Politikfeldparlament teilnehmen möchte, muss nicht zum Parlamentarier gewählt werden. Seine einzige erforderliche Qualifikation ist sein Interesse am jeweiligen Thema.[2] „Parlament“ ist hier im Sinne von „Ort, an dem gesprochen wird“ (vgl. das französische Verb ‚parler‘ = deutsch: ‚sprechen‘), zu verstehen. Politikfeldparlamente sind virtuelle Foren, in denen nicht nur diskutiert wird, sondern wo auch auf direktdemokratische Weise Entscheidungen getroffen werden. Deshalb wird das zugehörige Konzept auch „Direkter Parlamentarismus“ genannt.

Arbeitsweise von Politikfeldparlamenten[Bearbeiten]

Bildung und Funktion von Bündnissen[Bearbeiten]

Innerhalb der Politikfeldparlamente können sich Menschen mit ähnlichen Vorstellungen in Bündnissen zusammenschließen.[3] Bündnisse stellt man sich am ehesten vor wie Parteien, die sich nur ein spezifisches gesellschaftliches Anliegen zur Aufgabe gemacht haben. Einem Bündnis wird also unterstellt, dass es ein bestimmtes Ziel in einem Themenbereich verfolgt, „von dem aus es sich dann in allen Politikfeldparlamenten engagiert, die mit diesem Thema in Zusammenhang stehen.“[4] In mehreren Politikfeldern ist ein Bündnis dann engagiert, wenn zur Erreichung des Bündnisziels die Änderung von mehreren Vorschriften erforderlich ist.[5][6] Die Stärke eines Bündnisses richtet sich danach, wie viele Stimmen es über die Methode des Delegated Voting im betreffenden Politikfeldparlament anhäufen konnte. Bündnisse sind mit einer Fraktion in einem traditionellen Parlament vergleichbar. Ihre Hauptfunktion besteht darin, eine Verzettelung der Akteure in eine Vielzahl von Einzelentscheidungen zu verhindern. Streit innerhalb von Bündnissen soll dadurch vermieden werden, dass es keine „Ideenpaket-Bündnisse“, d.h. Bündnisse, die mehrere Ideen gleichzeitig verfolgen, geben soll.

Willensbildungsprozess[Bearbeiten]

Ein von einer Initiative eingebrachter Antrag wird dem zuständigen Politikfeldparlament zugeordnet und hat zunächst den Status „neu“. Die Unterstützer dieses Antrags schließen sich zu einem Bündnis zusammen, sofern nicht bereits ein Bündnis den Antrag gestellt hat. Weitere Initiativen können jederzeit alternative Vorschläge unterbreiten und als Gegenantrag zu einem der bestehenden Anträge referenzieren. Die Gesamtheit aller auf diese Weise verknüpften Anträge bildet eine Gruppe konkurrierender Anträge zum gleichen Thema. Auch Stimmberechtigte, die nicht Mitglied des jeweiligen Politikfeldparlaments sind, können sich jederzeit an der Diskussion und späteren Abstimmung zu einem Thema beteiligen. Hierdurch werden sie zum Interessenten am Thema und sind den Mitgliedern des Politikfeldparlaments (in Bezug auf das Thema) gleichgestellt. Das bei Abstimmungen maßgebliche Themenparlament ergibt sich aus der Vereinigungsmenge der Mitglieder des Politikfeldparlaments und themenspezifischen Interessenten.[7]

In der „Projektbeschreibung“ der Online-Plattform LiquidFriesland wird das Verfahren konkretisiert:

28 Bürger haben sich als Mitglied des Themas "Verkehr" eingetragen (und damit grundsätzlich Interesse an Einzelthemen aus diesem Bereich signalisiert). 15 Nichtmitglieder von Verkehr haben zusätzlich Interesse am konkreten Thema. Die Grundgesamtheit beträgt dann 43. Es sind 5 Unterstützer/potenzielle Unterstützer für eine der Initiativen erforderlich, um das gesamte Thema (und damit alle Initiativen) in die Diskussion zu bringen. Im Fall des Inititiativquorums ("2. Quorum") sind in diesem Beispiel (sofern sich die Grundgesamtheit nicht im Diskussionsprozess verändert hat) 5 Unterstützer erforderlich, damit die jeweilige Initiative abgestimmt werden kann.[8]

Die 28 eingetragenen Bürger bilden in dem Beispiel das Politikfeldparlament, die Gesamtheit der 43 Interessierten das Themenparlament. Die letztgenannte Zahl ist maßgeblich für die Berechnung des Quorums, das Initiativen erreichen müssen, damit über ihren Antrag abgestimmt wird (im konkreten Fall: 5 Interessierte = 10 Prozent der Mitglieder des Themenparlaments). Die Unterstützer der Initiative bilden ein Bündnis.

Delegated Voting[Bearbeiten]

Das Konzept des Politikfeldparlaments ist von dem Verein Liquid Democracy entwickelt worden. Es stellt eine Weiterentwicklung des Delegated Voting dar. In der Grundform geben dabei Stimmberechtigte, die nicht selbst abstimmen wollen, ihre Stimme an eine natürliche Person weiter, die auf diese Weise Stimmen anhäufen kann. Durch Bündnisse wird die Möglichkeit geschaffen, Stimmen auch an eine Gruppe Gleichgesinnter zu delegieren. Dadurch wird zugleich sichergestellt, dass die Stimme nicht von dem unmittelbar mit der Stimmabgabe Beauftragten an eine Person weitergegeben wird, die der Beauftragende womöglich nicht kennt und der er nicht vertraut, wozu Delegierte im System von Delegated Voting ein Recht haben.

Rezeption und Kritik[Bearbeiten]

Wie das gesamte Konzept der Liquid Democracy ist auch das Instrument Politikfeldparlament im Umfeld der Piratenpartei Deutschland entstanden.

Im Jahr 2010 schlug Markus Schlegel, Redakteur des „Vorwärts“, der Parteizeitung der SPD, der Partei vor, sich mit Hilfe von Instrumenten wie dem Politikfeldparlament „rundzuerneuern“.[9]

Im Jahr 2012 stellten der Bezirksverband Rhein-Main sowie die Kreisverbände Frankfurt, Offenbach, Maingau, Main-Kinzig und der Stadtverband Neu-Isenburg der Jungen Union den Antrag, in die hessische JU Politikfeldparlamente zu implementieren. Dabei soll allerdings dem Vorstand ein Vetorecht gegen direktdemokratisch zustande gekommene Beschlüsse von Politikfeldparlamenten zugestanden werden. Begründung: „[W]eil er alle JU Mitglieder repräsentiert, ist der Beschluss des Vorstandes wirksam und nicht die Abstimmungsempfehlung [des Politikfeldparlaments], der Vorstand hat deshalb gegenüber der Abstimmungsempfehlung Veto-Recht.“[10]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Demokratie per Mausklick? Interview mit Liquid Democracy e.V.. Technik und Gesellschaft. Ausgabe 12. 25. Januar 2013
  2. Liquid Democracy e.V.: Direkter Parlamentarismus/Politikfeldparlamente
  3. Liquid Democracy e.V.: Beschluss: Bündnisse
  4. Daniel Steinmaier: Ein App für Demokratie. jungle world. 7. Januar 2010
  5. Piratenpartei Deutschland: Liquid Democracy/Vortrag 2009-12-11 Darmstadt. 11. Dezember 2009
  6. Chaos Computer Club: Liquid Democracy. Direkter Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden 26th Chaos Communication Congress. 27.–30. Dezember 2009
  7. Piratenpartei Deutschland: Liquid Feedback
  8. Landkreis Friesland: LiquidFriesland – Projektbeschreibung (PDF-Datei über die Schaltfläche „Bilder und Dokumente“ erreichbar). S. 5
  9. Markus Schlegel: Reform der SPD: Einmal runderneuern, bitte. Vorwärts. 26. Oktober 2010
  10. Junge Union Neu-Isenburg: A85 – Politische Beteiligung 2.0 - Implementation von Adhocracy in die Junge Union Hessen (PDF; 130 kB). 2012
Info Sign.svg Dieser Wikipedia-Artikel wurde, gemäß GFDL, CC-by-sa mit der kompletten History importiert.