Päpstin-Johanna-Syndrom

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Über die Legende/den Mythos der Päpstin Johanna sind zahllose Artikel mit historischen und kirchenhistorischen Aspekten erschienen. Einige Romane zu dem Thema dienten als Grundlage von Filmen und literarischen Bearbeitungen. Dieser Artikel befasst sich mit der „Päpstin“ aus heutiger medizinischer Sicht.

Hintergrund

Im Mittelalter soll ein Papst, der eine Frau war, für die Dauer von mehr als zwei Jahren den Stuhl Petri inne gehabt haben. Diese Frau soll Männerkleidung getragen und während einer Prozession vom Vatikan zum Lateran ein Kind zur Welt gebracht haben. Da dieses Ereignis unter Beteiligung vieler Menschen stattgefunden haben soll, könnten mündliche Überlieferungen über einen längeren Zeitraum möglich sein. Die Legende hat sich bis heute erhalten und beschäftigt auch Mediziner.

Medizinische Betrachtung

Ein Mädchen/eine Frau kann durchaus über mehrere Jahre das wahre Geschlecht verbergen, gewollt oder unwissentlich. Männerkleidung allein ist jedoch kein Kriterium zur Definition eines Mannes. Ein Mädchen in Männerkleidung könnte durchaus zum Papst gewählt worden sein, wenn es phänotypisch ein männliches Erscheinungsbild zeigte, versehen mit anderen männlichen Attributen. Gebären zu können ist aber nicht männlich. Nur eine Frau kann entbinden. Ein männlicher Phänotyp kann bei einer Frau durch vermehrte männliche Sexualhormonproduktion hervorgerufen werden. Beispielsweise kann eine Störung in der Nebennierenrinde durch einen Enzymmangel (meist 21-Hydroxylasemangel) verursacht werden, der bei der Umwandlung von Steroidhormonen eine Rolle spielt. Das ist bei AGS oder late-onset AGS der Fall. Eine Vermännlichung bei einer Frau kann auch wegen eines Tumors, der männliche Hormone produziert, oder bei einem echten Hermaphroditen - mit sowohl weiblichen als auch männlichen Keimdrüsen - vorkommen. Eine Person mit den genannten Fehlentwicklungen kann nach einer vermeintlich homosexuellen Beziehung schwanger werden und gebären. [1] [2] [3] [4]

Maddalena Ventura mit Ehemann

Im 15.-19. Jh. galt eine Frau mit Bart als „Naturwunder“ und wurde als Bartfrau bezeichnet. Mit dieser Abweichung konnte sie wie andere Menschen mit Abnormitäten als Schauobjekt an einem adligen Hof dienen oder ihren Lebensunterhalt auf Jahrmärkten selbst bestreiten.

Eine Frau männlichen Phänotyps mit Kind ist auf dem Gemälde von José de Ribera (1591-1652) mit dem Titel »La mujer barbuda« zu sehen. Der Herzog von Alcalá beauftragte im Jahre 1629 den Künstler Ribera, dieses „Naturwunder“ festzuhalten. Ribera portraitierte realistisch die Familie Maddalena Ventura mit ihrem zweiten Ehemann und Säugling. Maddalena aus den Abruzzen hatte mehrere Kinder und zeigte im Alter von 37 Jahren eine Vermännlichung. Trotz dieser starken Vermännlichungserscheinung gebar sie noch ein Kind. Dem Herzog und dem Künstler ist es zu verdanken, dass dieses Beispiel für das oben genannte Syndrom überliefert wurde. Im rechten Bildteil sind in lateinischer Sprache die Daten über Maddalena, die dem Dienstherrn als Schauobjekt diente, erhalten. Das Gemälde ist für die Fortpflanzungsmedizin von historischer Bedeutung, denn es zeigt, dass Vermännlichung (Virilisierung) kein absoluter Grund für Unfruchtbarkeit ist. Da die Vermännlichung bei Maddalena Ventura erst im erwachsenen Alter auftrat, hatte sie entweder ein nicht-klassisches AGS (late-onset AGS) oder einen Nebennierentumor, der nicht bösartig war und langsam wächst (z. B. Inzidentalom), oder einen Tumor, der männliche Hormone produziert. In bestimmten Situationen kann eine erhöhte Testosteronproduktion aus den Ovarien mit einer Störung der Eireifung verbunden sein - wie bei einem PCO-Syndrom mit Hirsutismus als Begleitsymptom. Das war bei Maddalena Ventura nicht der Fall, sie litt an dem so genannten Päpstin-Johanna-Syndrom.

Anmerkungen

  1. Im Dom von Siena fällt heute noch in der symmetrisch angeordneten Innenausstattung eine Unregelmäßigkeit in der Galerie der legitimierten Päpste auf. In der Längsachse sind jeweils neun Papstbüsten zwischen zwei Säulen aufgestellt, nach Leo IV. jedoch nur acht: die Folge einer 1601 unter Papst Clemens VIII. (1592-1605) vorgenommenen Korrektur. Von 1400 bis 1600 waren zwei Büsten von Johannes VIII. aufgestellt, die erste zwischen Leo IV. (847-85?) und Benedikt III. (855-858) wurde entfernt, der zweite Johannes VIII. (872-882) ist mit einer Büste nach Hadrian II. (867-872) noch heute vertreten.
  2. Eine kleine Gedenkstätte an der Ecke Via S. Giovanni di Laterano/Via dei Querceti könnte der Ort sein, an dem die Päpstin während einer Prozession ein Kind geboren haben soll. Die Prozession vom Vatikan zum Lateran führte bis ins 9. Jh. an der Kirche San Clemente vorbei, wo Halt gemacht wurde. Nicht weit davon entfernt ist diese Gedenkstätte.

Literatur

Quellen

  • August Franzen. Kleine Kirchengeschichte, Hrsg. Remigius Bäumer, Herderbücherei 1988 ISBN 3-451-08577-1
  • Emmanuil Roidis. Päpstin Johanna. Historischer Roman über die sagenhafte Päpstin. I Papissa Ioanna erschien 1866, ins Deutsche übertragen von Paul Friedrich für J. Zeitler Verlag Leipzig 1904, Bastei-Lübbe Verlag 2000, ISBN 3-404-14446-5
  • Rudolf Fischer-Wollpert. Lexikon der Päpste, Verlag Friedrich Pustet, 1988, ISBN 3-7917-0938-0
  • Elisabeth Gössmann. Die Päpstin Johanna. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Aufbau Taschenbuch Verlag 1998 ISBN 3-7466-8040-9
  • Peter Stanford. Die wahre Geschichte der Päpstin Johanna. Rütten & Loening 1998 ISBN 3-352-00622-9

Einzelnachweise

  1. Maria I. New, Elisabeth S. Kitzinger. Pope Joan: A recognizable syndrome. J Clin Endocrinol Metab 76 (1993) 3-13
  2. Jeanne S. E. Dericks-Tan. Schwangerschaften bei biblischen und mittelalterlichen Personen sowie bei aktuellen Fällen mit hormoneller und genetischer Fehlentwicklung. Geburtsh Frauenheilk 57 (1997) M50-M53
  3. Norbert Mehler, Jeanne S. E. Dericks-Tan. Johanna die Wahrscheinliche – ein schwangerer Papst? Zentralbl Gynäkol 121 (1999) 79-81
  4. Jeanne S.E. Dericks-Tan, Gerold Martin: Onans Kinder. Merk-Würdiges zu Sexualität und Fortpflanzung aus Geschichte und Medizin. Abadi Verlag 2000, ISBN 978-3-00-006497-5, S. 134-138

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