Offenbare Unrichtigkeit
Der Begriff der offenbaren Unrichtigkeit ist unter anderem ein Begriff aus dem Steuerverfahrensrecht der Abgabenordnung (AO). Dort heißt es: „Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.“ [1]
Neben dem Begriff der offenbaren Unrichtigkeit in der Abgabenordnung, kommt dieser in weiteren Verfahrensrechten auch zur Anwendung, vgl. § 42 VwVfG, § 118 VwGO etc..
Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]Bedeutung[Bearbeiten]
Nach § 129 der Abgabenordnung können Schreib- und Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes gemäß § 118 AO unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Diese Norm ist auf alle Verwaltungsakte und somit auf alle Steuerbescheide anwendbar.
Es sind jedoch nur bestimmte Fehler berichtigungsfähig. „[Bei einer Unrichtigkeit] […] handelt es sich um Fehler, die nicht die Entscheidungsbildung betreffen, sondern bei denen das Finanzamt etwas anderes erklärt (bekanntgibt) als gewollt war.“ [2] „Der Fehler darf also nicht im Bereich des Überlegens, Denkens, Schlussfolgerns oder Urteilens liegen.“ [3] „Die Unrichtigkeit muss offenbar sein, d.h. ein verständiger Dritter ist in der Lage diese ohne Weiteres zu erkennen. Es muss „auf der Hand liegen“[…], dass ein […] Versehen unterlaufen ist, […].“ [4]
Nach dem Wortlaut des § 129 Satz 1 AO unterstellt der Gesetzgeber, „dass Schreib- und Rechenfehler stets offenbare Unrichtigkeiten sind. Als Schreibfehler i. S. d. § 129 AO gelten regelmäßig Rechtschreibungs-, Wortstellungs-, Wortverwechslungs- und Auslassungsfehler. Dabei handelt es sich beispielsweise konkret um Zahlendreher, Komma versetzt oder die Eintragung einer zusätzlichen Ziffer. Als Rechenfehler in diesem Sinne gelten Fehler bei den Grundrechenarten.“[5] Das heißt, offenbare Unrichtigkeiten sind stets mechanische Versehen wie Rechen- und Schreibfehler, Zahlendreher, Übersehen einer Zeile im Eingabebogen usw. [6].
Durch die Formulierung des § 129 AO wird zum Ausdruck gebracht, dass die offenbare Unrichtigkeit der Finanzbehörde unterlaufen sein muss.[7] „Sie kann bei der Bearbeitung der Steuererklärung und deren Anlagen, beim Ausfüllen des Eingabebogens, bei Eingabe der Werte in die Datenerfassungsanlage und der Verarbeitung sowie beim Ausdrucken der Bescheide unterlaufen sein.“ [8]
Im Gesetzeslaut heißt es weiter, dass offenbare Unrichtigkeiten „jederzeit“ berichtigt werden können. Für Steuerbescheide gilt dies aber nur bis zum Ablauf der sog. Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 1 S.2 AO [9], „[…]und insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Steuerbescheids (Ablaufhemmung; […]).“[10] „§ 129 AO gestattet der Finanzbehörde nur die Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeit. Es handelt sich daher um eine Punktberichtigung.“[11]
Praxisbeispiele[Bearbeiten]
Beispiel 1: „Der Steuerpflichtigen Anna Huber, München, wird am 15.10.2013 der ESt-Bescheid für 2009 bekannt gegeben. Sie entdeckt im April 2014, dass das Finanzamt sich verschrieben hat und statt 4.300 € Versicherungsbeiträge nur 3.400 € als Sonderausgaben angesetzt hat. Dadurch hat sie Steuern in Höhe von 480 € zu viel gezahlt.“[12]
Lösung 2: Es liegt hier eine offenbare Unrichtigkeit, in Form eines Schreibfehlers (Zahlendreher) vor. Das Finanzamt hat sich verschrieben und anstatt 4.300 Euro nur Sonderausgaben in Höhe von 3.400 Euro angesetzt. Daraus resultiert eine zu hohe Steuerschuld für Anna Huber. Somit muss die Finanzbehörde den Fehler beheben und Anna Huber 480 Euro zurückerstatten.
„Beispiel 2: Aufgrund eines Übertragungsfehlers bei Erstellen der Steuererklärung unterlässt es der Stpfl., die Absetzung für Abnutzung (AfA) für Arbeitsmittel als Werbungskosten geltend zu machen. Die Veranlagung wird entsprechend durchgeführt. Das Finanzamt hat zur Überwachung der Abschreibungsbeträge bzw. des Abschreibungszeitraums keine Aufzeichnungen geführt (keine Aktenführung sowie keine Vermerke in den dafür vorgesehenen EDV-Programmen). Der fehlende AfA-Betrag wäre aber ohne weiteres aus den Steuererklärungen der Vorjahre erkennbar gewesen.
Lösung 2: Die Anwendung des § 129 AO ist nicht zulässig, da kein Übernahmefehler vorliegt. Die Erkennbarkeit muss sich aus der Steuererklärung sowie den eingereichten Unterlagen des betroffenen Veranlagungszeitraums ergeben. Werden allerdings üblicherweise Abschreibungs-Überwachungsbögen (oder entsprechende Vermerke), wie bspw. bei Mietobjekten, vom Finanzamt geführt, kann der unterlassene Ansatz einer Abschreibung eine offenbare Unrichtigkeit darstellen. Der Fehler kann sich nicht nur aus den Steuererklärungen selbst, sondern auch aus beigefügten Unterlagen ergeben. Ein die Anwendung des § 129 AO ausschließender Ermittlungsfehler liegt insoweit nicht vor. Insoweit kann kein Unterschied darin liegen, ob die für die Besteuerung relevanten Tatsachen den Unterlagen entnommen werden können, die sich bereits in den Akten des Veranlagungsjahres befunden haben, oder den Unterlagen, die der Steuererklärung unmittelbar beigefügt worden sind (FG Baden-Württemberg Urteil vom 21. Februar 2006, EFG 2006, 859 sowie BFH Urteil vom 27. Mai 2009, BStBl II 2009, 946).“
Literatur[Bearbeiten]
- Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. 18. überarbeitete Auflage, nwb, ISBN 3-482-53627-9.
- Manfred Bornhofen, Martin C. Bornhofen: Steuerlehre 1 Rechtslage 2014: Allgemeines Steuerrecht, Abgabenordnung, Umsatzsteuer. Springer Gabler 2014, ISBN 3-658-05561-8
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- Hochspringen ↑ Abgabenordnung v. 1. Oktober 2002 (BGBl I S. 3869, ber. 2003 I S.61) § 129
- Hochspringen ↑ BFH/NV 2002, 894
- Hochspringen ↑ BFH/NV 2002, 894
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. S. 152 Rz. 310
- Hochspringen ↑ BFH/NV 2002, 894
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. 18. überarbeitete Auflage, nwb Ausbildung, S. 151 Rz. 308
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. S. 152, Rz. 311
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. S. 152 Rz. 311
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. S. 153 Rz. 315
- Hochspringen ↑ Manfred Bornhofen, Martin C. Bornhofen: Steuerlehre 1, Rechtslage 2013 Allgemeines Steuerrecht, Abgabenordnung, Umsatzsteuer. S. 92
- Hochspringen ↑ Ramona Andrascek-Peter, Wernher Braun, Rainer Friemel, Kurt Schiml: Lehrbuch Abgabenordnung Mit Finanzgerichtsordnung. 18. überarbeitete Auflage, nwb, S. 153 Rz. 313
- Hochspringen ↑ Manfred Bornhofen, Martin C. Bornhofen: Steuerlehre 1, Rechtslage 2013 Allgemeines Steuerrecht, Abgabenordnung, Umsatzsteuer. S. 91