Nachhaltige Ökonomie

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Unter Nachhaltiger Ökonomie wird eine sozioökonomische Theorierichtung [1] verstanden, die von einer Gruppe von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern vertreten wird, welche in den vergangenen Jahren die Bedingungen für ein Wirtschaften nach den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung analysiert sowie Ziele formuliert und Instrumente zu deren Durchsetzung beschrieben hat. Die Gruppe hat sich im Oktober 2009 zu einem Netzwerk formiert.[2] Gemäß der Definition einer nachhaltigen Entwicklung werden für alle heutigen und künftigen Generationen ausreichend hohe ökonomische, ökologische und sozial-kulturelle Standards angestrebt, ohne dass die Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit überschritten werden und das intra- und intergenerative Gerechtigkeitsprinzip verletzt wird. Nachhaltigkeit überschreitet in diesem Sinne und im Verständnis ihrer Vertreter den Bezugsrahmen des ökologisches Wirtschaftens. Wichtige Vertreter und Mitbegründer sind u.a. Hans Christoph Binswanger, Hans Diefenbacher, Felix Ekardt, Michael von Hauff, Peter Hennicke, Holger Rogall und Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Kernaussagen[Bearbeiten]

1. Starke Nachhaltigkeit

Die Nachhaltige Ökonomie bekennt sich zu einer Position der starken Nachhaltigkeit. Damit wird die Wirtschaft als ein Subsystem der Natur und die natürlichen Ressourcen größtenteils als nicht substituierbar angesehen. Absolute Grenzen der Natur werden anerkannt. Im Mittelpunkt steht die dauerhafte Erhaltung und nicht der optimale Verbrauch der natürlichen Ressourcen.


2. Pluralistischer Ansatz

Die Nachhaltige Ökonomie fühlt sich einem Methodenpluralismus verpflichtet. So erkennt sie bestimmte Erkenntnisse der traditionellen Ökonomie und Umweltökonomie an (z.B. die sozial-ökonomischen Erklärungsansätze der Übernutzung der natürlichen Ressourcen und die daraus abgeleitete Diskussion um die Notwendigkeit politisch-rechtlicher Instrumente).


3. Weiterentwicklung der traditionellen Ökonomie und Ökologischen Ökonomie zur Nachhaltigen Ökonomie

Die Nachhaltige Ökonomie grenzt sich von einer Reihe Aussagen der neoklassischen Ökonomie ab und fordert eine grundlegende Reform ihrer Lehrinhalte: Das beginnt bei ihren Grundlagen, und setzt sich bei ihren Aussagen zur nationalen Wirtschaftspolitik bis zu den globalen Bedingungen für eine global gerechte Weltgesellschaft fort. Im Bereich der Umweltökonomie und Umweltpolitik sollen vor allem die absolut gesetzte Konsumentensouveränität, die Diskontierung künftiger Kosten und Erträge von Umweltschutzmaßnahmen, die beliebige Substituierbarkeit aller, auch sämtlicher natürlichen Ressourcen, die Position der schwachen Nachhaltigkeit u.v.a.m. hinterfragt werden. Dagegen soll der Aspekt der Gerechtigkeit eine stärkere Berücksichtigung erfahren.


4. Kontroversen einer Nachhaltigen Ökonomie

Im Zentrum steht die Auseinandersetzung wie sich ausreichende ökonomische, sozial-kulturelle und ökologische Standards in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit erreichen sowie das intra- und intergenerative Gerechtigkeitsprinzip verwirklichen lassen. Dabei ist die Nachhaltige Ökonomie keine statische Theorie, sondern sieht die Notwendigkeit weiterer Diskussionsprozesse. Hierbei existiert eine Reihe von Kontroversen, die noch geklärt werden müssen. Z.B.:


5. Ethische Prinzipien und Forderung nach persönlicher Verantwortung und Handlung

Im Mittelpunkt stehen die Grundwerte der intra- und intergenerativen Gerechtigkeit und Verantwortung. Hinzu kommt die Anerkennung weiterer wichtiger Prinzipien: u.a. des Vorsorgeprinzips sowie der Prinzipien einer partizipativen, solidarischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aus der die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Diskurs- und Partizipationsprozesses sowie die Aufnahme genderspezifischer Aspekte abgeleitet wird. Damit einher geht die Forderung auf das in der traditionellen Ökonomie verwendete, aber durch zahlreiche Untersuchungen der Spieltheorie und der Gehirnforschung als unrealistisch erkannte Menschenbild, des homo oeconomicus kritisch zu hinterfragen und zu einem differenzierteren und realitätsnäheren Menschenbild zu gelangen, das dem kooperativen Potential des menschlichen Handelns (homo cooperativus) stärker Rechnung trägt.


6. Transdisziplinärer Ansatz

Die Nachhaltige Ökonomie will über die rein ökonomische Betrachtungsweise hinausgehen und die ökonomischen Prozesse im Rahmen eines sozial-ökologischen Zusammenhanges analysieren. Hierbei spielen die Nutzung der Erkenntnisse sowie eine enge Kooperation mit den anderen Sozialwissenschaften (Politische Wissenschaft, Soziologie, Psychologie), den Rechtswissenschaften sowie mit den Natur- und Ingenieurwissenschaften eine besonders wichtige Rolle.


7. Notwendigkeit der Änderung der Rahmenbedingungen mittels politisch-rechtlicher Instrumente

Mit Hilfe politisch-rechtlicher Instrumente sollen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass ein Nachhaltiges Verhalten für Konsumenten und Produzenten vorteilhafter wird, als sich so zu verhalten wie bisher. Hierzu werden u.a. der Standard-Preis-Ansatz und der Ansatz der meritorischen Güter verwendet.


8. Notwendigkeit der Operationalisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs, neue Messsysteme und Strategie einer Nachhaltigen Ökonomie

Eine Sinnentleerung des Nachhaltigkeitsbegriffs soll durch die Formulierung von Prinzipien, Managementregeln und neuen Messsystemen für den Nachhaltigkeitsgrad und die Lebensqualität verhindert werden. Anders als die traditionelle Ökonomie, die Lebensqualität und Wohlstand (gemessen am BIP pro Kopf) gleichsetzt, benötigt eine Nachhaltige Ökonomie Ziel- und Indikatorensysteme.


9. Globale Verantwortung

Als zentrale Bedingungen für eine Nachhaltige Entwicklung werden u.a. anerkannt:
  • Einführung eines globalen Ordnungsrahmens
  • Senkung des Pro-Kopf-Ressourcenverbrauchs der Industrieländer
  • Verminderung der Bevölkerungszunahme der Entwicklungsländer
  • Historische Verantwortung der Industrieländer


10. Nachhaltige Markt- oder Gemischtwirtschaft

Vertreter der Nachhaltige Ökonomie lehnen eine reine Marktwirtschaft ebenso ab wie zentrale Verwaltungswirtschaften, weil sie davon überzeugt sind, dass nur marktwirtschaftliche Systeme mit einem Nachhaltigen Ordnungsrahmen zukunftsfähig sind. Danach muss die Politik aktiv eingreifen, um eine Nachhaltige Entwicklung sicherzustellen und die Folgen von Marktversagen zu vermindern. Um die Transformation der Industriegesellschaft in eine Nachhaltige Wirtschaft zu beschleunigen, werden zentrale Strategie-/Handlungsfelder ausgesucht in denen dieser Transformationsprozess exemplarisch vorangetrieben wird (Nachhaltige Wirtschafts-, Energie-, Mobilitäts-, Landwirtschafts- sowie Ressourcenschonungs- und Produktgestaltungspolitik).

Strategiepfade[Bearbeiten]

Strategiepfade einer nachhaltigen Entwicklung:

  • Effizienzstrategie:
Vorhandene Produkte sollen ressourceneffizienter (inkl. schadstoffärmer) gestaltet werden. Leitziel ist, die Ressourceneffizienz um den Faktor 10 zu steigern (z.B. „1 l-Auto“).
  • Konsistenz- bzw. Substitutionsstrategie:
Hierbei soll untersucht werden, wie neue zukunftsfähige Produkte zu entwickeln und auf dem Markt durchzusetzen sind (z.B. erneuerbare Energieträger statt Öl-Heizung).
  • Suffizienzstrategie:
Ansätze neuer Lebensstile (Dematerialisierung der Wirtschaft, z.B. neue Konsummuster wie „gut leben, statt viel haben“) und strukturverändernde Maßnahmen (Leitidee: „soviel internationalen Warenaustausch wie nötig, soviel Regionalisierung wie möglich“).

Siehe auch[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  • Hans Christoph Binswanger: Zukunftsfähiges Wirtschaften und ökologische Steuerreform. In: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Hrsg.): Zukunftsfähige Entwicklung. Herausforderungen an Wissenschaft und Politik. Festschr. f. Udo E. Simonis z. 60. Geburtstag. Edition Sigma, Berlin 1997, S. 85-99, ISBN 3-89404-174-9
  • Hans Christoph Binswanger: Vorwärts zur Mäßigung: Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. Murmann, Hamburg 2009, ISBN 978-3-86774-072-2
  • Hans Diefenbacher: Indikatoren nachhaltiger Entwicklung in Deutschland: Ein alternatives Indikatorensystem zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ... Forschungsstätte d. Ev. Studiengemeinschaft, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-88257-052-6
  • Felix Ekardt: Kritik der Umweltökonomik. In: Nils Goldschmidt (Hrsg.): Generationengerechtigkeit: ordnungsökonomische Konzepte. Mohr Siebeck, Tübingen 2009, S.267-275, ISBN 978-3-16-149839-8
  • Michael von Hauff: Von der Sozialen zur Nachhaltigen Marktwirtschaft. In: Michael von Hauff (Hrsg.): Die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft. Metropolis, Marburg 2007, S. 349-392, ISBN 978-3-89518-594-6
  • Gudrun Linne, Michael Schwarz (Hrsg.): Handbuch nachhaltige Entwicklung. Wie ist nachhaltiges Wirtschaften machbar? Leske & Budrich, Opladen 2003, ISBN 3-8100-3758-3
  • Holger Rogall: Ökonomie der Nachhaltigkeit: Handlungsfelder für Politik und Wirtschaft. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-8100-4215-3
  • Holger Rogall: Nachhaltige Ökonomie: Ökonomische Theorie und Praxis einer Nachhaltigen Entwicklung Metropolis, Marburg 2009, ISBN 978-3-89518-765-0

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Anstelle von "Theorierichtung" kann auch der Terminus "Theorieschule" gebraucht werden: So spricht etwa H.Rogall von einer "Wirtschaftsschule" und meint damit eine "Theorieschule". Vgl. H.Rogall: Essentials einer Nachhaltigen Ökonomie. Vortrag vom 27. Januar 2009, gehalten auf dem Forum Internationale Zusammenarbeit für Nachhaltige Entwicklung (f.ize) am Institut für Sozialwissenschaften, Berlin, S.2 oben, veröffentl. als Internetartikel unter: [1]
  2. (Anonymus:) Neue Wirtschaftsschule gegründet: Netzwerk Nachhaltige Ökonomie. 1. Internationaler Workshop "Nachhaltige Ökonomie". In: Glocalist Review ISSN 1729-6722, Nr. 249-250, 30. Nov. 2009, S. 22, diese Heftausgabe von Glocalist Review online verfügbar unter: [2], darin auf S. 22


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