Mordfall Li Yangjie
Der Tod der Li Yangjie (chinesisch 李洋潔 / 李洋洁, Pinyin Lǐ Yángjié; geboren in Henan, China; vermisst seit 11. Mai 2016; tot aufgefunden am 13. Mai 2016 in Dessau-Roßlau) ist ein Kriminalfall in Sachsen-Anhalt. Der Fall erlangte durch Verwandtschaftsverhältnisse des Tatverdächtigen zu zwei Beamten des ermittelnden Polizeiapparats – Mutter und Stiefvater des Beschuldigten sollen beide bei der ermittelnden Polizei in Dessau arbeiten – Aufmerksamkeit und ist auch in China Gegenstand von Medienmitteilungen.[1][2][3][4] Er brachte Polizeiangehörige in den Fokus der Anschuldigungen.[5][6]
Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]Zur Person des Opfers[Bearbeiten]
Die Ermordete Li Yangjie war eine 25-jährige chinesische Architekturstudentin an der Hochschule Anhalt (Dessau, Köthen, Bernburg) und stand kurz vor dem Abschluss. Sie hatte zuvor an der School of Civil Engineering der Henan University of Science and Technology in ihrer Heimat in der ostchinesischen Provinz Henan studiert.[7] Sie war die Tochter eines Polizisten.[8][9]
Bisherige Erkenntnisse zum Tathergang[Bearbeiten]
Am Mittwoch, dem 11. Mai 2016, verließ Li gegen 20:30 Uhr ihr WG-Haus in der Johannisstraße 4 (51° 50′ 17″ N, 12° 14′ 31″ O51.83806912.241947) in der Innenstadt von Dessau-Roßlau, um joggen zu gehen. Sie kehrte nicht zurück.
Tags darauf erhielt die Polizei nach ihrem Verschwinden eine Vermisstenmeldung. Hunderte von Polizisten in der Stadt suchten nach der Studentin. Mittlerweile hatten viele Chinesen online in Social Media Nachrichten über die vermisste Studentin gepostet. Chinesen aus dem Ort wandten sich auch an die Chinesische Botschaft in Berlin, um für die vermisste Studentin Hilfe zu erbitten.[10]
Am Freitag, dem 13. Mai 2016, konzentrierte sich die Polizei auf die Suche am Anhaltischen Theater und im Bereich Friedensplatz. Schließlich wurde ein nackter weiblicher Körper tot in einem Busch im Bereich Hausmannstraße/Johannisstraße (51° 50′ 15,6″ N, 12° 14′ 30,2″ O51.83765512.241731) gefunden.[10] Der Körper hatte schwere Wunden am Kopf und im Gesicht, die eine sofortige Identifizierung unmöglich machten.[11] Es fanden sich Spuren für ein Sexualdelikt; das Opfer wurde erwürgt.[12]
Ein Aufruf der Polizei am 14. Mai zur Suche nach Augenzeugen führte tags darauf zu einem ersten Hinweis. Am 16. Mai bestätigte die gerichtsmedizinische Untersuchung, dass der Leichnam definitiv der der vermissten Studentin Li sei, und dass sich zumindest eine Spur von Fremd-DNA auf dem Körper befinden solle. Am 19. Mai 2016 wurde die Existenz von fremden DNA-Spuren bestätigt. Die Proben wurden zum Vergleich an das Bundeskriminalamt weitergegeben; dabei wurden keine Übereinstimmungen gefunden.[10]
Da zunächst nicht klar war, dass der Körper aus dem Fenster eines leerstehenden Hinterhauses geworfen worden war, wurde von der Polizei auf eine Durchsuchung der umliegenden Häuser und Wohnungen verzichtet.[13]
Verdacht des gemeinschaftlichen Mordes und Vertuschungsverdacht[Bearbeiten]
Am Montag, dem 23. Mai 2016, stellte sich ein junges Paar, Sebastian F. (20 Jahre), der Sohn und Stiefsohn einer Beamtin der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost und des Dessauer Polizeichefs, und seine Verlobte, Xenia I. (20 Jahre), der Polizei. Die beiden gaben an, dass die DNA, die in dem Körper des Opfers gefunden wurde, von ihnen komme und dass sie sich mit Li in der Nacht vor ihrem Verschwinden in der Wohnung des Paares in der Johannisstraße 7 (51° 50′ 15,3″ N, 12° 14′ 31,2″ O51.83758212.24201) zum einvernehmlichen Sex getroffen hätten, die nur wenige Meter entfernt von dem Ort liegt, wo der Körper des Opfers gefunden wurde.[14] Sie behaupteten auch, die Wohnung nach dem Treffen mit Li nicht verlassen zu haben. Allerdings widersprechen diese Aussagen Berichten von Augenzeugen, wonach Li zu der Zeit an anderer Stelle gesehen worden sei, als das angebliche Treffen mit dem Paar stattgefunden haben soll.
Während die beiden jegliche Verwicklung in die Tat bestritten, wurden sie aufgrund der Ergebnisse einer DNA-Analyse wegen des Verdachts des gemeinschaftliches Mordes in Untersuchungshaft genommen.[15][16][17]
Die Mutter des Beschuldigten, Ramona S., und ihr Lebenspartner Jörg S., beide Polizeibeamte, gerieten in den Verdacht, Beweismittel vertuscht zu haben. Die Mutter, tätig bei der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost, arbeitete offenbar freiwillig in der für den Fall gebildeten Ermittlergruppe „Anhalt“ mit.[18] Der Stiefvater Jörg S. ist seit November 2012 Leiter des Dessauer Polizeireviers.[18][19] Zugleich halfen sie insbesondere beim Räumen der Wohnung des Paares am Samstag, dem 21. Mai 2016.[20] Sie bestreiten, die Wohnung selbst betreten zu haben. Eine Zeugin, selbst Polizistin, sagt hingegen aus, gesehen zu haben, wie „Mutter und Stiefvater einen Tag nach der Entdeckung der Leiche der Studentin mehrere Tüten aus der Wohnung ihres Sohnes und seiner Verlobten“ getragen hatten.[8]
Die Eltern des Opfers stellten, wie am 26. Mai 2016 bekannt wurde, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, der erklärt hatte, „nicht den leisesten Hauch eines Anfangsverdachts“ zu haben, dass der Stiefvater und die Mutter des Haupttatverdächtigen Ermittlungen behindert hätten.[21] Architektur-Professor Rudolf Lückmann, der die Familie des Opfers betreut, erhob schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, eine offensichtlich falsche Darstellung des Täters zu verbreiten, obwohl diese Version gar nicht stimmen könne: „Es gibt völliges Unverständnis darüber, dass die Staatsanwaltschaft die offensichtliche Ausrede des Beschuldigten veröffentlicht und von einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vor der Tat spricht.“[22] Das Justizministerium Sachsen-Anhalts sah jedoch keinen Grund, eine andere Staatsanwaltschaft als die Dessauer Staatsanwaltschaft einzuschalten.[21]
Das Innenministerium Sachsen-Anhalts übertrug die Ermittlungen am 26. Mai 2016 von der Dessauer Polizei auf die Polizei in Halle (Saale), Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd.[23][24]
Die Eröffnung eines Gartenlokals durch die Mutter des Tagesverdächtigen und deren Partner, beide krankgeschrieben, am 3. Juni 2016 mit einer Party nur einen Tag nach der Trauerfeier für das Opfer waren Anlass für die Suspendierung des Dienststellenleiters am 4. Juni 2016 durch Innenminister Holger Stahlknecht.[25][26] Uwe Petermann, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, stellte sich hinter die Entscheidung.[27]
Am 5. Juni 2016 gelangte an die Öffentlichkeit, dass gegen den Beschuldigten bisher 40 andere Strafverfahren anhängig waren, unter anderem wegen Brandstiftung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung.[8] Die Mutter des Beschuldigten soll sich dabei auch schon früher in Ermittlungen eingemischt haben, etwa bei dem Vorwurf der Brandstiftung.[21]
Am 8. Juni 2016 erklärte Oberstaatsanwalt Klaus Tewes, dass in die Richtung einer Strafvereitelung im Amt ermittelt werde: „Im Moment haben wir aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Strafvereitlung.“[28]
Reaktionen[Bearbeiten]
Am Mittwoch, den 18. Mai 2016, versammelten sich 600 chinesische Studenten und viele andere am Seminarplatz, um an einer Trauerkundgebung teilzunehmen. Etwa 150 Menschen, darunter viele Studenten, nahmen an einem Gedenklauf vom Stadtpark aus teil, der der ermordeten Li gewidmet war.[10]
Bürger spendeten der Familie des Opfers Ende Mai 2016 einen Betrag in Höhe von 4000 Euro.[29]
Die Eltern des Opfers schalteten Anfang Juni 2016 einen Rechtsanwalt ein; sie drückten zugleich ihr Vertrauen aus, dass der Fall aufgeklärt werde.[30]
Im Vorgarten des Gartenlokals „Freundschaft“ stellten Freunde Kerzen, Blumen und Fotos der Ermordeten auf.[31]
Siehe auch[Bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- Hochspringen ↑ mdr.de: Wie chinesische Medien über den Studentenmord von Dessau berichten. - abgerufen am 30. Mai 2016
- Hochspringen ↑ english.cri.cn: Embassy Confirms Chinese Student's Death - abgerufen am 30. Mai 2016
- Hochspringen ↑ mz-web.de: "Mord an Yangjie Li Zorn und Entrüstung in China": "Die staatliche Zeitung „Global Times“ will wissen, dass einer der beiden 20-jährigen Verdächtigen der Sohn der örtlichen Polizeichefin sei." (abgerufen am 30. Mai 2016)
- Hochspringen ↑ http://www.mdr.de/exakt/dessau-mord-100.html
- Hochspringen ↑ "Im Fokus der Anschuldigungen gerät nun die Polizei selbst." - ardmediathek.de: "Wird Dessau-Mord zum Justizskandal?", 26. Mai 2016 (Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk) - abgerufen am 30. Mai 2016
- Hochspringen ↑ mz-web.de: Interview mit Jörg S., dem Chef des Dessau-Roßlauer Polizeireviers und Stiefvaters des Tatverdächtigen, und Ramona S., der Mutter des Tatverdächtigen
- Hochspringen ↑ baike.com: Li Yangjie (abgerufen am 29. Mai 2016)
- ↑ Hochspringen nach: 8,0 8,1 8,2 Ein Sexualmord und die merkwürdige Rolle der Polizei, welt.de, Die Welt, 5. Juni 2016
- Hochspringen ↑ mz-web.de: "Brief der Familie von Yangjie Li Staatsanwaltschaft löst Trauer und Wut aus". - Mitteldeutsche Zeitung (abgerufen am 29. Mai 2016)
- ↑ Hochspringen nach: 10,0 10,1 10,2 10,3 mz-web.de: Chronologie So entwickelte sich der Mordfall Yangjie Li (†25) (Mitteldeutsche Zeitung) - abgerufen am 29. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Dessau: Chinesische Austauschstudentin verschwindet-beim joggen: Polizei findet weibliche Leiche, rtlnext.de, 14. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Tote Chinesin in Dessau: Vom Täter fehlt noch jede Spur, N24, 17. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Julius Lukas: Mord in Dessau: Ziemlich viel Zufall: Ein Mord in Dessau, und die Polizei gerät in Erklärungsnot – über ihre eigene Rolle., DIE ZEIT Nr. 24/2016, 2. Juni 2016
- Hochspringen ↑ Dessau in Sachsen-Anhalt: Der brutale Sexmord an Yangjie L., stern.de, 25. Mai 2016
- Hochspringen ↑ bild.de: "Zwei Festnahmen nach Sexmord in Dessau - Brachte dieses Paar die chinesische Studentin um?". BILD - abgerufen am 29. Mai 2016
- Hochspringen ↑ mz-web.de: "Verbrechen in Dessau Ermittler gehen von Sexualdelikt mit anschließendem Mord aus" (Mitteldeutsche Zeitung) - abgerufen am 29. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Sexualmord an chinesischer Studentin: Pärchen festgenommen, Süddeutsche Zeitung, 24. Mai 2016
- ↑ Hochspringen nach: 18,0 18,1 Mord in Dessau Polizisten nach Tod von Yangjie Li im Zwielicht, mz-web.de, Mitteldeutsche Zeitung, 26. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Dessau-Roßlau: Polizeirevier bekommt neuen Chef, MZ, 1. November 2012
- Hochspringen ↑ Tote chinesische Studentin Yangjie Li (25):Mutmaßliches Killer-Pärchen zog kurz vor Festnahme um, bild.de, 26. Mai 2016
- ↑ Hochspringen nach: 21,0 21,1 21,2 Mord in Dessau Polizisten nach Tod von Yangjie Li im Zwielicht, mz-web.de, Mitteldeutsche Zeitung, 26. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Mordfall Li: Chinesische Familie sieht Würde beschmutzt, Volksstimme, 26. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Zuständigkeit: Darum ermittelt die Staatsanwaltschaft Dessau weiter im Fall Yangjie Li, Naumburger Tageblatt, 26. Mai 2016
- Hochspringen ↑ http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/tote-chinesin-in-dessau-verwandt-mit-dem-tatverdaechtigen-ministerium-entzieht-polizei-die-ermittlungen/13655660.html
- Hochspringen ↑ Mordfall Yangjie Li Innenminister Holger Stahlknecht suspendiert Polizeichef, mz-web.de, Mitteldeutsche Zeitung, 6. Juni 2016
- Hochspringen ↑ Fall der getöteten Chinesin: Innenminister entzieht Dessauer Revierleiter die Dienstgeschäfte, mdr.de, 7. Juni 2016
- Hochspringen ↑ Mordfall Yangjie Li Dessauer Polizeichef unter Vertuschungsverdacht , Berliner Zeitung, 7. Juni 2016
- Hochspringen ↑ Yangjie Li in Dessau ermordet: Staatsanwalt prüft Strafvereitelung im Amt , mz-web.de, Mitteldeutsche Zeitung, 8. Juni 2016
- Hochspringen ↑ Fall Yangjie Li Bürger spenden der Familie 4.000 Euro, mz-web.de, Mitteldeutsche Zeitung, 31. Mai 2016
- Hochspringen ↑ Brief der Eltern von Li Yangjie china-info.com, 6. Juni 2016
- Hochspringen ↑ http://www.mz-web.de/dessau-rosslau/yangjie-li-protest-vor-gartenlokal-der-eltern-des-20-jaehrigen-tatverdaechtigen-24242530
