Memopolis

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Memopolis -die Zukunft der Erinnerung (eigenschreibweise MEMOPOLIS) war der erste deutsche Internetfriedhof.. Gegründet wurde Memopolis von der Künstlergruppe „Gesellschaft für Untertagebau“. Das Projekt verstand sich als Kunstprojekt. Memopolis wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg betrieben. Memopolis war in der Zeit von 1995 bis 2005 im Internet präsent

Beschreibung[Bearbeiten]

Memopolis: Die Zukunft der Erinnerung „Digitale Schattenwelt: Erinnerungspfade im World Wide Web“ Auch das global village der digitalen Gegenwart hatte seinen „Friedhof“. Wie im Dorf der Friedhof „die“ kollektive Erinnerungstätte darstellt, so war es Memopolis für das World Wide Web. Mit dem Namen Memopolis wird der Aspekt der Erinnerung in den Mittelpunkt gestellt.

Die Lebenden und die Toten hatten mit Memopolis eine Internet-Adresse. Sie lautete http://memopolis.uni-regensburg.de (wurde im Jahr 2005 vom Netz genommen). Memopolis war nicht einfach eine virtuelle Totenstadt, sondern zuallererst eine digitaler Gedächtnisraum. Die Unsterblichkeit ist, salopp formuliert, ganz einfach herstellbar: PC starten, Modem einschalten und mit der Maus ins ewige Leben einklicken.

Das World Wide Web ist der ideale Ort, an dem man sich verewigen kann. Denn das weltweite Computernetz ist ein kollektiver, ständig wachsender Gedächtnisapparat, der individuelle und institutionelle Erinnerungen speichert und bereithält. Das Internet wirkt wie ein gigantischer Projektionsraum, der Wünsche, Gespräche, Phantasien, Bedürfnisse aller Art aufnimmt und wiedergibt. Das alles spielt sich in einem immateriellen Umfeld ab, in dem Menschen mit ihren Relikten als Datenströme - scheinbar unabhängig von Zeit und Raum - durch digitale Gefilde streifen.

Wer also die Memopolis-Internet-Adresse anwählte, vernetzte sich digital mit der ersten deutschen Erinnerungsstätte. Eingerichtet hatte sie die Gruppe Gesellschaft für Untertagebau, in der sich interdisziplinär Leute mit verschiedenen Berufen und Berufungen zusammengefunden haben. Das Rechenzentrum der Universität Regensburg stellt die Speicherkapazität und die Logistik für Memopolis zur Verfügung.

In Memopolis konnte sich der Besucher sein eigenes Memorial errichten - ganz ohne Bauvorschriften. Erinnerungsstücke in Form von Graphiken, Texten, Videos, Stimmen oder Musik konservieren in Memopolis das Bild, das man von sich gibt oder macht. Außerdem konnten in verschieden Informationsecken von Memopolis Materialien, Überlegungen, Kommentare nachgelesen und betrachtet werden, die sich in vielerlei Hinsicht mit Sterblichkeit und Unsterblichkeit befassen. Das ganze virtuelle Gebilde sollte sich zu einer „Erinnerungsgemeinschaft“ auswachsen, die für jeden zugänglich und abrufbar ist.

Das Internet/Memopolis sollte somit die letzten Dinge regeln. Und Memopolis war die Fortführung der „ars memoriae“ mit anderen Mitteln.

Erläuterung und Hintergründe[Bearbeiten]

Memopolis: Die Zukunft der Erinnerung „Digitale Schattenwelt: Erinnerungspfade im World Wide Web“

Alles, was wir Menschen über uns wissen oder zu wissen glauben, entstammt gemeinschaftlich geteilten und überlieferten Symbolen, Artefakten und Relikten. Von Anbeginn haben Stämme, Völker und Zivilisationen ihre Kultur dokumentiert: in Gestalt von Schnitzereien, Ornamenten, Bild- und Schriftzeichen und in einem mündlichen Transfer von einer Generation zur nächsten.

Daraus leitete sich auch das Funktionsprinzip von Memopolis ab. Memopolis ist ein kulturelles Gebäude, das allein davon lebt und damit wächst, wie jeder einzelne es er- und einrichten hilft. Jean Ziegler, Abgeordneter im Schweizer Nationalrat und Professor für Soziologie in Genf, hat einmal treffend formuliert: "Die Kultur eines Volkes ist zuerst das: die Absage an das Nichts, die Aufhebung gegen das unausweichliche Ärgernis des Todes. Der hartnäckige, vergebliche Anspruch auf Ewigkeit." Also: Es ging und geht stets darum, Kontinuität der Lebensform jenseits des eigenen Lebensweges herzustellen, der ja im Diskontinuierlichen, im Tod endet. Memopolis ist ein ganz und gar säkulares Projekt, das dem Rechnung trägt und somit gezielt in der meist tabuisierten Gedankenwelt der "letzten Dinge" angesiedelt ist.

Mit den Worten von Julius T. Fraser, dem Nestor der amerikanischen Zeitforschung, umschrieben: "Die Gemeinschaft kann das Überleben der biologischen und geistigen Kinder der Menschen über die Grenzen des einzelnen Lebens hinaus sichern. Durch Sprache, Kunst und Kunstwerk ermöglicht die Gesellschaft die dem Menschen eigentümliche Form des Kampfes gegen die Unvermeidlichkeit der Vergänglichkeit, die wir als Kultur und Zivilisation kennen."

Als Kulturwesen verfügt jede(r) in unterschiedlichem Maß über Mittel, sich über den Tod hinaus - sei es durch Werke, sei es durch Berichte - zu verewigen. Den Berühmteren unter uns werden steinerne, literarische oder filmische Denkmäler gesetzt. Der große Rest überdauert meist im Gedächtnis familiärer Überlieferung. In gewisser Weise ist Überlieferung ein "Reichweitenproblem", sowohl in zeitlicher wie in geografischer Sicht. Computer und Datennetze, auf denen Memopolis basierte, heben nun diese Beschränkungen ein ganzes Stück weit auf.

Es gab und gibt also zahlreiche Medien, mit denen wir uns nicht nur miteinander verständigen, sondern uns auch und zugleich verobjektivieren, selbst darstellen und darin gleichsam verewigen. Mit Memopolis ist dieses uralte Menschheitsprinzip individueller und kollektiver Gedächtnisbildung aufs Internet übertragen worden. Im Kern bestünde Memopolis dann aus Memoiren, die sich zu einem Memorial auftürmen und allen Interessenten und Mitspielern als Aide-Mémoire dienen. Letztlich setzt Memopolis an den vielfältigen Überlieferungen der abendländischenars memorativa an.

Bereits der Name "MEMO ... POLIS" deutet an, gegen das Vergessen die Erinnerung(en) an sich oder an das, was man für behaltenswert hält, aufzubieten. Dabei ist man gleichzeitig in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, sozusagen in einer "Erinnerungsgemeinschaft", aufgehoben. "Das Geheimnis der Erlösung", so verspricht uns eine jüdische Weisheit, "heißt Erinnerung".

Mit anderen Worten: Memopolis ist (war) die Zukunft der Erinnerung. Diese Erinnerungsgemeinschaft wird eines Tages die elektronische Variante eines riesigen, bebilderten Buches darstellen, das sich dann über zahlreiche Verzweigungen und Verschachtelungen aus individuellen Kapitelseiten zusammensetzt. Ein anderer Vergleich: Wie das Areal eines begehbaren Friedhofes ist die Erinnerungsgemeinschaft eine Gedächtnisstätte, wo sich hinter jedem Grabstein eine Lebensgeschichte verbirgt, die unterirdisch (mit den Geschichten und Episoden anderer verflochten) zum labyrinthischen Netzwerk einer immateriellen Gedächtnisstätte wird. - Im World Wide Web können ja die unterschiedlichsten Lebenszeichen registriert und kombiniert werden: lautliche, textliche, klangliche oder bildliche. Dabei warMemopolis kein abschließbares Projekt. Je mehr Beiträge hinzukommen, je mehr Bewohner sich in dessen digitaler Scheinwelt niederlassen, desto komplexer, reichhaltiger und labyrinthischer bildet sich daraus ein digitales Gemeinschaftsgedächtnis ohne Anfang und Ende.

Memopolis lässt sich in zweifacher Hinsicht als eine "Geisterstadt", die zugleich eine "Stadt des Geistes" ist, charakterisieren. Dieser Doppelfunktion folgt Memopolis als telekommunikativ verankerte Kulturform, egal, ob man sich darin humoristisch, ironisch, bildhaft, wissenschaftlich oder sonstwie einbringt. Es wäre übrigens ein großes Missverständnis, wollte man in Memopolis eine bloß todernste Angelegenheit sehen.

Das global village der digitalen Gegenwart hatte mit Memopolis seinen „Friedhof“. Wie im Dorf der Friedhof „die“ kollektive Erinnerungsstätte darstellt, so ist es Memopolis für das World Wide Web. Die Lebenden und die Toten haben somit mit Memopolis eine Internet-Adresse: http://memopolis.uni-regensburg.de. (wurde im Jahr 2005 vom Netz genommen) Fazit: Für Menschen die sich einerseits anonym beerdigen lassen, konnte andererseits im international vernetzten Raum des Internets zu Lebzeiten ein Bedürfnis nach aktiver Erinnerungsarbeit stillt werden.

Betreiber[Bearbeiten]

Memopolis wurde von der Künstlergruppe „Gesellschaft für Untertagebau“ programmiert und ins Internetgestellt. Mitglieder der „Gesellschaft für Untertagebau“ Raoul Kaufer, Peter Nowotny, Martin Stelzer, Paul Hilmer, Gennaro Conte. Der technische Betrieb wurde durch das Rechenzentrum der Universität Regensburg sichergestellt.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

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