Lügenpresse

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Lügenpresse ist ein politisches Schlagwort, das die Medien als unglaubwürdig und das Mediensystem als undemokratisch darstellen will.

Geschichte[Bearbeiten]

19. Jahrhundert[Bearbeiten]

Der Begriff wurde bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von katholischer Seite zur Diffamierung antiklerikaler Zeitungen gebraucht.[1]

1852 schrieb Gustav Freytag sein Lustspiel Die Journalisten über die Lügenpresse, welches vor allem im wilhelminischen Deutschland populär wurde.[2]

Das Central-Organ für das orthodoxe Judentum Der Israelit berichtete 1868 in einem Leitartikel von dem Redakteur einer antijüdischen Zeitung in Galatz, der die europäische Presse wegen ihrer Berichte über Judenverfolgungen in Rumänien als Lügenpresse bezeichnete.[3]

1869 verwendete Woldemar von Bock den Begriff, um Berichte der russischen Presse über die Unterdrückung der Letten und Esten durch die Deutsch-Balten als Propaganda darzustellen.[4]

20. Jahrhundert[Bearbeiten]

In der propagandistischen Auseinandersetzung Deutschlands mit seinen Kriegsgegnern im ersten Weltkrieg[5] wurde der internationalen "Lügenpresse" eine Mitschuld am Kriegsausbruch gegeben.[6] So erschien 1914 das Buch “Der Lügenfeldzug unserer Feinde: Die Lügenpresse” von Reinhold Anton mit einer “Gegenüberstellung deutscher, englischer, französischer und russischer Nachrichten”.[7] [8] Der Rittmeister a.D. Oskar Michel aus dem Kriegspresseamt veröffentlichte 1918 in der Serie Schützengraben-Bücher für das deutsche Volk ebenfalls einen Band mit dem Titel "Die Lügenpresse unserer Feinde".[9]

Der Jesuitenpater Viktor Kolb, Initiator des Pius-Vereins zur Förderung der katholischen Presse in Österreich, verwendete in seinen Reden diesen Begriff ebenfalls mehrfach.[10]

Joseph Goebbels' Propaganda verwendete den Begriff neben anderen für ihre Kritik an Amerika[11] und um Kritiker der Nationalsozialisten in den Medien als Kommunisten zu denunzieren: “Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch …” Alfred Rosenberg, Autor von Der Mythus des 20. Jahrhunderts, einem ideologischen Grundlagenwerk der Nationalsozialisten, propagiert 1923 “die alte deutsche Auffassung vom Wesen und Wert der Arbeit”. Als Gegensatz zum "Volk" und seinem "Willen" konstruiert er die "Lügenpresse": “Das Volk wird seine großen Künstler, Feldherren und Staatsmänner nicht mehr als ein ihm Entgegengesetztes empfinden – als welches eine Lügenpresse sie uns darstellen möchte –, sondern, umgekehrt, als den höchsten Ausdruck seines oft dunklen, noch unbestimmten Wollens.” Der Begriff wurde selbst in Büttenreden gleichgeschalteter Karnevalsveranstaltungen benutzt.[12]

Manfred Pechau spricht in seiner Dissertation „Nationalsozialismus und deutsche Sprache“ (Greifswald 1935) von der „jüdisch-marxistischen Lügenpresse“, für die er weitere Kampfbegriffe wie „jüdische Journaille“ anführt. [13]

Nachdem im Spanischen Bürgerkrieg die nationalsozialistische Legion Condor die Stadt Guernica bombardiert hatte und dies in der Weltöffentlichkeit zu entsetzten Reaktionen führte, bezichtigte General Francos Propaganda die "jüdische Lügenpresse": Das sei ein Pressemanöver der Bolschewisten gewesen, welche die Stadt selbst niedergebrannt hätten.[14] Auf die Falschmeldung vom Tod Max Schmelings reagierte die NS-Propaganda mit einem Angriff auf die "ausländische Lügenpresse".[15]

Als Reaktion auf einen propagandistisch verfälschenden Beitrag in der Zeitschrift Kolonie und Heimat im September 1938 verfasste Maximilian Scheer in der Neuen Weltbühne einen Artikel mit dem Titel Die Lügenpresse.[16]

Otto Grotewohl benutzte den Begriff im Zusammenhang mit der Spaltung Nachkriegsdeutschlands.[17]

In den Anfängen der Wende in der DDR wurde das Neue Deutschland als Lügenpresse tituliert.[18]

Im Jahr 1997 formulierte Noam Chomsky kritisch-ironisch im Hinblick auf auf die vielfach als Lügenmedien attackierten westlichen Mainstreammedien: „Sie brauchen nicht zu lügen, weil sie selbst daran glauben.“[19]

Gegenwart[Bearbeiten]

Heute findet der Begriff vor allem Verwendung als politisches Schlagwort im nationalistischen bis hin zum rechtsextremen Kontext.[20]

Die vermeintliche Unabhängigkeit des Internets hat zur Skepsis gegenüber den etablierten klassischen Medien ebenfalls beigetragen.[21]

Seit 2011 wird der Begriff von Fans des Fußballvereins Dynamo Dresden im Zusammenhang mit als solcher wahrgenommenen unfairen Berichterstattung der Medien verwendet.[22][23]

Im Mai 2012 wurde der Spruch „Lügenpresse halt die Fresse!“ von Neonazis an die Fenster der Lausitzer Rundschau geschmiert, die über Neonazi-Aktivitäten in Brandenburg berichtet hatten.[24] Die Rechtsrock-Band Frei.Wild verbreitete 2013 auf der „Gold Edition“ ihres Albums „Feinde Deiner Feinde“ den Slogan „Lügen-Presse – auf die Fresse! Lügenpresse – auf die Fresse!“[25]

Im Herbst 2014 beginnt die Gruppierung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes auf ihren Demonstrationen die bundesdeutsche Medienlandschaft mit dem Begriff "Lügenpresse" zu bezeichnen.[26][27]

Weblinks[Bearbeiten]

  • Der Begriff "Lügenpresse" zwischen 1800 und 2008 im Google Ngram Viewer online, abgerufen 23. Dezember 2014

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Wilhelm Binder (Hrsg.): Allgemeine Realencyclopädie oder Conversationslexicon für das katholische Deutschland, Band 10. Verlag von Georg Joseph Manz, 1849 (S. 1012, im Stichwort Zeitungen)
  2. Helmut Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus (1850-1890). Theorie und Praxis. Vittorio Klostermann, 1973. ISBN 978-3-465-01005-0 (S. 124 f.)
  3. Digitalisat Der Israelit. IX. Jahrgang, Nr. 10
  4. Woldemar von Bock: Livländische Beiträge zur Verbreitung grundlicher Kunde von der protestantischen Landeskirche und dem deutschen Landestaate in den Ostseeprovinzen Russlands: von ihrem guten Rechte und von ihrem Kampfe um Gewissenfreiheit ... 1.-3. Beitrag, Band 3. Stilke & van Muyden, 1869 (S. 168) Digitalisat
  5. Brigitte Schroeder-Gudehus: Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit 1914-1928: ein Beitrag zum Studium kultureller Beziehungen in politischen Krisenzeiten. Impr. Dumaret & Golay, 1966 (S. 74)
  6. Gustav von Pacher: Die Dreiverbandspresse. Ihr Anteil an der Kriegsentfachung und ein Weg zu ihrer Bekämpfung. Leipzig, 1915 (S. 19); zitiert in: Martin Schramm: Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919. Walter de Gruyter, 2007. ISBN 978-3-050-08717-7 (S. 14)
  7. Die Lügenpresse: der Lügenfeldzug unserer Feinde : noch eine Gegenüberstellung deutscher und feindlicher Nachrichten, u.a. der W.T.B., Reuter, Havas und P.T.U. Telegramme über den Weltkrieg 1914/16
  8. Die Lügenpresse: der Lügenfeldzug unserer Feinde Der lügenfeldzug unserer feinde: Die lügenpresse - Reinhold Anton - Google Books
  9. Verlag Siegismund, 1918
  10. Viktor Kolb: Gesammelte Pressereden. Mayer, 1920
  11. Beate Klarsfeld: Die Geschichte des PG 2 633 930 Kiesinger. Dokumentation. Melzer, 1969 (S.32)
  12. Carl D. Dietmar, Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich. Herbig, 2010. ISBN 978-3-776-62630-8 (S. 108)
  13. Zitiert nach Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin – New York 1998, Stichwort „Journaille“, S. 321.
  14. Quelle: Deutschlandfunk, abgerufen 24. Dezember 2014.
  15. Guido Knopp: Der zweite Weltkrieg: Bilder, die wir nie vergessen. Hamburg 2014, S. 67.
  16. Jörg Armer: Die Wiener Weltbühne, Wien, 1932-1933, Die Neue Weltbühne, Prag/Paris, 1933-1939. Bibliographie einer Zeitschrift, Band 1. London, 1992. ISBN 978-3-598-11087-0 (S. 439)
  17. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.): Otto Grotewohl - Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Band 2. Dietz, 1959 (S. 56)
  18. Michael Richter: Die Friedliche Revolution: Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010. ISBN 978-3-647-36914-3 (S. 293)
  19. „Warum die Mainstreammedien "Mainstream" sind" - www.linke-buecher.de
  20. Christian Dornbusch, Jan Raabe: RechtsRock: Bestandsaufnahme und Gegenstrategien. Unrast, 2002. ISBN 978-3-897-71808-1 (S. 130)
  21. Markus Reiter: Dumm 3.0: wie Twitter, Blogs und Networks unsere Kultur bedrohen. Gütersloher Verlagshaus, 2010. ISBN 978-3-579-06883-1 (S. 66)
  22. blog.lvz: "Die Jagd auf den Sündenbock ist eröffnet" vom 1. 11. 2011
  23. Sportzeitung-online: "Dynamo Dresden Fans: Lügt die Lügenpresse?" vom 18. 12. 2013
  24. Neonazis attackieren Lokalzeitung: "Lügenpresse halt die Fresse", Süddeutsche Zeitung, 15. Mai 2012
  25. Filmfaktum, abgerufen 24. Dezember 2014
  26. Handelsblatt: Lügenpresse halt die Fresse, abgerufen 23. Dezember 2014
  27. Verfall und Aufbau: Das kommende Jahr wird entscheidend sein, den Durchbruch der Rechten zu verhindern, Junge Welt, 27. Dezember 2014, S. 16
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