Kriminalpolizei im Nationalsozialismus
Die Kriminalpolizei im Nationalsozialismus war besonders nach Gründung des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) ab 1936/37 tief eingebunden in das System der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Sie arbeitete eng mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und dem Sicherheitsdienst der SS (SD) zusammen und war ab 1939 institutioneller Teil des neuen Reichssicherheitshauptamtes (RSHA).
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[Verbergen]Grundlagen[Bearbeiten]
Auf der Basis rassenideologischer Standpunkte hatte sich die Kriminalbiologie bereits seit dem 19. Jahrhundert entwickelt; sie bildete eine diffuse und pseudowissenschaftliche Schnittmenge zwischen Rassenlehre, Naturwissenschaften (Biologie, Anthropologie), Demografie, Bevölkerungs- und Sozialwissenschaften sowie der modernen Kriminalistik. Zentrale Überzeugung war, dass sich „Verbrechertum“ und „Asozialität“ von Generation zu Generation vererben würden und kaum von sozialen Einflüssen (Milieu, soziale Gruppe, Ausbildung) abhängig sei. Die Schlussfolgerung bestand darin, nicht mehr Prognosen zur „Besserung“ anzuhängen oder Kriminelle umzuerziehen, sondern sie und ihre Familienangehörigen als „erbkrank“ zu stigmatisieren oder zu „vernichten“.
Einbindung in die Rassenpolitik[Bearbeiten]
Neben der Bekämpfung und Aufklärung „normaler“ Kriminalität (Betrug, Mord, Körperverletzung) wurde somit die „Säuberung des Volkskörpers“ zu einem immer dominanter werdenden Betätigungsfeld der nationalsozialistischen Kriminalpolizei. Die oftmals aufgestellte Behauptung, die Kripo sei aus der NS-Zeit unpolitisch und „sauber“ hervorgegangen, ist heute durch zahlreiche Studien widerlegt. Nach 1939 beteiligten sich zehntausende Kripoangehörige am „auswärtigen Einsatz“ in den besetzten Gebieten, führten Massenerschießungen, Razzien und Fahndungen durch.
Opfer dieser polizeilichen Verfolgungspolitik wurden nach 1936/37 vermehrt „Asoziale“ und „Arbeitsscheue“, „Berufsverbrecher“, „Gemeinschaftsfremde“, Prostituierte, Alkoholabhängige und Wohnungslose, Drogenabhängige, „Zigeuner“ und „nach Zigeunerart umherziehende Personen“, Homosexuelle, Arbeitsverweigerer, Zwangsarbeiter und Personen, die – wie es hieß – sich „nicht in die Volksgemeinschaft eingliedern“ wollten oder konnten.
Organisation[Bearbeiten]
Zahlreiche führende Polizeibeamte hatten den Föderalismus und die rechtsstaatlichen Prinzipien der Weimarer Republik als „Störfaktoren“, als „Hemmschuh“ oder „Fesseln“ empfunden, die einer durchschlagenden Kriminalpolitik im Wege stünden und die Spielräume der Kriminalpolizeien enorm einengen würden. Seit 1933 (und auch bereits in den Jahren zuvor) mehrten sich Rufe nach einer starken Zentralinstanz, die die Zersplitterung der Polizeien der Länder überwinden sollte. Aus dem preußischen Landeskriminalpolizeiamt wurde somit am 16. Juli 1937 das neue Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) in Berlin gebildet, das die Vereinheitlichung der Kriminalpolizeien abschließen und zahlreiche Aufgabenbereiche systematisch bündeln sollte. Dienstsitz war im Gebäude des ehemaligen Preußischen Landeskriminalpolizeiamtes Werderscher Markt 5–6 (Hauptsitz), in der Wörthstraße 20 (Abteilungen V B 1 und V B 2) und in der Hauptstraße 144 (Abteilung V C). Die personelle Ausstattung umfasste 1939 302 Kriminalbeamte, 24 Verwaltungsbeamte, 62 Angestellte und 24 sonstige Mitarbeiter.
Das 1933 begründete Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) und das RKPA wurden im neuen Hauptamt Sicherheitspolizei institutionell zusammengefasst und personell immer stärker mit der SS verknüpft. Das RKPA ging nach Kriegsbeginn im September 1939 als „Amt V“ im neuen Reichssicherheitshauptamt auf. Durch eine Reform von 1943 wurden die Kriminalpolizeien endgültig aus dem Bereich der inneren Verwaltung herausgelöst.
Dem preußischen Landeskriminalamt (und dem 1937 gegründeten RKPA) wurden neugebildete „Reichszentralen“ angegliedert (Runderlass zur Neuordnung der Reichskriminalpolizei vom 20. September 1936):
- Reichserkennungsdienst-Zentrale,
- die Reichszentralen zur Bekämpfung von Geldfälschungen,
- zur Bekämpfung von Rauschgiftvergehen,
- für Vermißte und unbekannte Tote,
- zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate,
- zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels,
- zur Bekämpfung internationaler Taschendiebe,
- zur Bekämpfung des Glücks- und Falschspiels,
- zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens
- zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen,
- zur Bekämpfung reisender und gewerbsmäßiger Betrüger und Fälscher,
- zur Bekämpfung reisender und gewerbsmäßiger Einbrecher
Dem RKPA wurden Kriminalpolizeileitstellen (KpLSt), diesen Leitstellen wiederum Kriminalpolizeistellen (KpSt) nachgeordnet. Eine KpLSt nahm gleichzeitig auch die Aufgaben einer KpSt für ihren Bereich war. Damit entstand ein engmaschiges Netz der miteinander arbeitenden Kripobehörden, die nach zentralen Muster des RKPA aufgebaut wurden.
Zentrale Akteure[Bearbeiten]
Chef des Reichskriminalpolizeiamtes wurde Arthur Nebe, Nachfolger wurde am 15. August 1944 SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat Friedrich Panzinger. Stellvertretender Leiter des RKPA und zentraler Theoretiker war Paul Werner. Walter Heeß war Leiter des Kriminaltechnischen Instituts der Sicherheitspolizei (KTI).
Juristische Grundlagen und Verfolgungspraxis[Bearbeiten]
Als wichtigste theoretische Grundlage entwickelte sich das Schlagwort „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, das die Kriminalpolizei als Arzt am „deutschen Volkskörper“ definierte und eine grundlegende „Ausmerze“ des „Berufsverbrechertums“ forderte. Mit dem Runderlass „Grundlegender Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ des Reichsinnenministeriums vom 14. Dezember 1937 wurde diese zentrale politische Forderung der Polizeitheoretiker auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Zwei juristische Instrumente waren damit verbunden:
- die Polizeiliche planmäßige Überwachung, die es den Kripobeamten gestattete, „verdächtige Personen“ ohne richterlichen Beschluss überwachen zu lassen, und die
- Polizeiliche Vorbeugehaft, die es ermöglichte, Menschen in Zusammenarbeit mit der Geheimen Staatspolizei in „Schutzhaft“ zu nehmen, also in ein Konzentrationslager zu überführen.
Justiz, Innenministerium und Polizei forderten hierbei eine „Vernichtung des Verbrechertums“ bzw. eine „Vernichtung durch Arbeit“. Der Historiker Patrick Wagner schätzt, dass bis zu 80.000 Personen auf der Grundlage dieser Rechtsnormen in Konzentrationslager deportiert wurden.
Literatur[Bearbeiten]
- Patrick Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1271-4, (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 34)
- Patrick Wanger: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus zwischen 1920 und 1960 (= Beck'sche Reihe 1498). Beck, München 2002, ISBN 3-406-49402-1.
- Karl-Leo Terhorst: Polizeiliche planmäßige Überwachung und polizeiliche Vorbeugungshaft im Dritten Reich. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte vorbeugender Verbrechensbekämpfung. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg 1985, ISBN 3-8114-4085-3, (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts A, 13), (Zugleich: Bonn, Univ., Diss., 1984/85).
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