Integrative Supervision
Die Integrative Supervision (integrativ: lat. von integrare: wiederherstellen, erneuern / Super-vision: lat. von Über-schau, Über-sicht) entwickelte sich in konsequentem Bezug auf die die empirische Sozialpsychologie auf der Basis des Integrativen Ansatzes, der von Hilarion G. Petzold und Mitarbeiterinnen (Hildegund Heinel, Johanna Sieper, Ilse Orth) seit Mitte der 60er Jahre im Kontext der Psychotherapie, Soziotherapie und Agogik erarbeitet wurde.
Inhaltsverzeichnis
Definition[Bearbeiten]
Das Beratungsformat der Supervision als Methode der Qualitätssicherung psychosozialer, therapeutischer, aber auch organisationaler Arbeit hat sich - ähnlich wie die Psychotherapie - in verschiedenen großen Richtungen (’Schulen’) entwickelt, z. B. in einer systemischen, psycho-analytischen, aktional-dramatischen oder integrativen usw. Orientierung, die in Theorie und Praxis deutliche Eigenheiten und Unterschiede aufweisen. (1)
Die Integrative Supervision (IS) wurde um 1971 aus dem Integrativen Ansatz (siehe auch: Integrative Therapie) entwickelt und ist seither systematisch und forschungsbasiert zu einem mehrperspektivischen, multitheoretischen und methodenpluralen Verfahren entfaltet und ausgearbeitet. Seit 1978 haben Astrid Schreyögg, Jürgen Lemke, Brigitte Schigl u.a. das Verfahren aktiv mitentwickelt.
Das Supervisionsverständnis des Integrativen Ansatzes ist umfangreich angelegt: Supervision ist ein praxisgerichtetes Reflexions- und Handlungsmodell, um komplexe Wirklichkeit mehrperspektivisch zu beobachten, multitheoretisch zu integrieren und methodenplural zu beeinflussen. Sie ist auf die Generierung flexibler, inter- und trans-disziplinär fundierter theoretischer Erkenntnismodelle gerichtet, um die Förderung personaler, sozialer und fachlicher Kompetenz und Performanz von Berufstätigen zu ermöglichen und Effizienz und Humanität professioneller Praxis zu sichern und zu entwickeln. Sie verwendet hierfür ein breites Spektrum sozialwissenschaftlicher Theorien und greift auf erprobte Methoden psychosozialer Intervention zurück. (Petzold 1990g/2007a S.32)
Hilarion G. Petzold versteht Supervision grundsätzlich mehrdimensional … *als eine interdisziplinär begründete Methode zur Optimierung zwischenmenschlicher Beziehung und Kooperation;*als einen interaktionalen Prozess, indem die Beziehungen zwischen personalen und sozialen System bewusst, transparent und damit veränderbar gemacht werden;*als eine Praxisstrategie, in der durch gemeinsames Bemühen vorgegebene Sachelemente, vorhandene Überlegungen und Emotionen in ihrer Ganzheit, ihrer Struktur, ihrem Zusammenwirken zu erleben, zu erkennen und zu handhaben erfolgt; *als sozialphilosophisch fundierter Disziplin mit entsprechender normativ-ethische Legitimierung und politische Perspektive (Vgl.: Petzold 2007a S.27);*und wie der gesamte Integrative Ansatz als ‚kritische Kulturarbeit‘ (Vgl. Petzold, Orth, Sieper 2012).
Die IS hat je nach Kontext, Fokussierung und Kontrakt ganz unterschiedliche Tätigkeitsschwerpunkte: Sie reichen über Aspekte der Optimierung von Arbeitsabläufen, der Weiterbildung von Professionalität, der Beseitigung von kommunikativen Belastungen und Einschränkungen, der Förderung von Arbeitszufriedenheit, der Verbesserung von Interventionsmethoden, hin zu konstruktiver Herangehensweise an individuellen und gruppalen Blockierungen und Konflikten. (Vgl. die ‚Sechs Tätigkeitsaspekte‘ in: Petzold 2007a S.78) Zentrales Ziel der IS ist die ‚Humanisierung der Lebenszusammenhänge und -bedingungen‘ (Petzold, Orth, Sieper 2010; Petzold, Sieper 2011).
Das Integrationsmodell[Bearbeiten]
Grundlage der IS ist das Integrationsmodell von Hilarion G. Petzold. Er zählt zu den Pionieren des ‚neuen Integrationsparadigmas‘ (Petzold 2002g) in den ‚angewandten Human-, Sozial- und Organisationswissenschaften‘ und insbesondere in der Psychotherapie (Zundel 1987; Geuter 2008). Der Begriff ‚integrativ‘ bedeutet hier, dass Fortschritte in der Grundlagenforschung und die verschiedenen sozialinterventiven Theorien und Methoden richtungs- und Schulen übergreifend in einem übergeordneten ‚Integrationsmodell‘ (Sieper 2006) eingebunden und mit den eigenständigen Theorie- und Methodenentwicklungen des Integrativen Ansatzes verbunden werden. Der Integrative Ansatz, woraus sich auch die IS herleitet, verbindet und vernetzt Erkenntnisse aus der philosophischen (mit Bezug auf Philosophie, Pädagogik, Geschichtswissenschaft), sozialwissenschaftlichen (mit Bezug auf Soziologie, Ethnologie, Sozialpsychologie) und naturwissenschaftlichen (z.B. mit Bezug auf Psychologie, Medizin, Bio- und Neurowissenschaften) Anthropologie. So ist ein permanenter Integrations- und Innovationsprozess installiert, der supervisorisches Handeln plausibel herleitet. Entsprechend hat IS weder ein eklektisches (Eklektizismus) noch rein additives Selbstverständnis.
Die ‚Wissensstruktur‘[Bearbeiten]
Das Integrationsmodell stützt sich auf eine übergeordnete und umfangreiche ‚Wissensstruktur‘, dem so genannten ‚tree of science‘(‚Baum des Wissens‘), der speziell für die IS ausgearbeitet wurde (Petzold 2007a, S.85f.). Fundierte Grundpositionen, Leitprinzipien und Kernkonzepte (Petzold 2003a S.116) schaffen eine Art von ‚Verästelung‘, um so die Metatheorie mit Praxis auf vier Ebenen solide zu verbinden (Petzold 2003, Sieper 2006). Da Integration nicht voraussetzungslos geschieht, stellen zudem sog. ‚Integratoren’ auf jeder Ebenen Auswahlkriterien zum Anschluss (Luhmann) unterschiedlicher Theorien und Methoden bereit (Petzold 2007a S.93/2003a S.66ff.). Die Rangordnung der Wissensebenen (I – IV) soll zum Ausdruck bringen, dass die je höhere Ebene die Argumente zur Entwicklung der je tieferen Ebene bereitstellt, wobei das Wissen aus der jeweiligen Praxis an Bedeutung nicht verliert. Dabei bleibt die Wissensstruktur prozesshaft und gilt als hinlänglicher ‚Entwurf auf Zeit‘. Diese ausgewiesenen Grundlagen unterscheiden dezidiert die IS von anderen Supervisionsansätzen. (2)
Ebene I[Bearbeiten]
Auf der Ebene der Metatheorie geht es um grundlegende Gedanken und Positionierungen, die bis in die Praxis hinein handlungsleitend bleiben. Dazu gehört, dass Erkenntnis ‚im Prozess‘ über Wahrnehmen und Erfassen zum Verstehen und Erklären (‚hermeneutische Spirale‘) gewonnen wird (Merleau-Ponty, Ricoeur, u.a.); dass von einer existenzialistischen, an der Ko-Kreativität des schöpferischen Menschen orientierte Anthropologie (Orth/Petzold 1993c; Petzold 1988n S.190ff.) ausgegangen wird, die den Menschen genderbewusst (Petzold, Orth 2011, Abdul-Hussain 2011) als ganzheitlich und differenzielles ‚Leibsubjekt in der Lebenswelt‘ (Petzold1988n S.188; 2009) betrachtet und als ein sich lebenslang entwickelndes Subjekt sieht (‚Entwicklungspsychologie in der Lebensspanne‘; Petzold 2003a S.515ff.); dass sie sich auf eine situativ ausgerichtete Diskursethik stützt (Habermas, kritisch: Foucault), die die ‚Ethik der Intersubjektivität‘ (Marcel) und der ‚Alterität‘ (Levinas) besonders hervorhebt.
Eben II[Bearbeiten]
Zu der Ebene der realexplikativen Theorien gehört ein breites theoretisches Rüstzeug mittlerer Reichweite. Sie sind als Interpretationsfolien (Perspektiven, Optiken) zu verstehen, die auf konkrete Situationen gerichtet sind und prinzipiell überprüfbare Annahmen und Aussagen über Phänomene auf individuelle, soziale und systemische Ebene bieten. Hier stehen supervisionsallgemeine und -spezifische Wissensbestände im Mittelpunkt, die auch Verwendungswissen von Methoden beinhalten. Beispielsweise: Theorien und Methodik der Supervisionsforschung (Petzold, Schigl et al. 2003), der Persönlichkeitstheorie, Identitätstheorie, Entwicklungstheorie, Theorien der Relationalität (Petzold 2007a S.367ff.; 2012a) und Theorien zu Feld, Organisation und Institution. Supervisorisch handlungsrelevant sind hier besonders Erkenntnisse der verschiedenen Sozialpsychologien, wie Rollentheorie (Petzold/Mathias 1983), Ressourcentheorie (Petzold 2007a S.287ff.; Petzold 12/2012), Attributionstheorie (Flammer 1990), Konflikttheorien (Petzold 2003b)
Ebene III[Bearbeiten]
Die Ebene der Praxeologie (Theorie der Praxis) beinhaltet übergreifende und allgemeine Elemente zur Praxis, wie die Interventionslehre und die Prozesstheorien. Sie schaffen Übersicht und Orientierungshilfe zur Wahl der Methoden, Techniken, Medien, Modalitäten, Stilen und Formen zur Verfügung.
Ebene IV[Bearbeiten]
Auf dieser Ebene findet Praxis als Dyade, Polyade/Gruppe, Team, in Organisationen und Institutionen, in Feldern mit unterschiedlichen Supervisanden- und Klientensystemen, … statt. Die Praxis ist den Handlungsmöglichkeiten und -grenzen des konkreten supervisorischen Geschehens zugepasst.
Ein verbindendes Glied bilden besonders die sog. Kernkonzepte. Sie haben im Integrativen Ansatz eine zentrale handlungsbegründende und –leitende Funktion. Sie lassen sich im ‚tree of science‘ durchgehend von der Metaebene bis in die Praxis finden und erkennen. Zentrale Kernkonzepte in der Integrativen Supervision sind: Ko-respondenz, Transversalität, Konnektivierung, Exzentrizität, Mehrperspektivität, Leiblichkeit, Komplexes Lernen, Mentalisierung, etc. (3)
Die Wissensstruktur bietet somit eine fundierte ‚metahermeneutische Folie‘ zur systematischen Reflexion, Problematisierung, Diskussion und Revision differenzieller theoretischer Orientierungen und ihrer Praxen. Sie ermöglicht dem Supervisor Exzentrizität und eine hinlänglichen Fundierung seiner Strategien und Interventionen. Hier haben die Ebenen Praxeologie und Praxis (Ebenen III und IV) ihre zentrale Bedeutung.
Praxeologie und Praxis[Bearbeiten]
Die Ebene der Praxeologie, als ‚Wissenschaft von der systematischen Praxis‘ (Petzold 2000h, Bourdieu 1976), betont die vorgefundene Praxis - aus Erfahrung, Beobachtung, Erprobung der im Berufsfeld Tätigen - als wichtige und erprobte Wissensquelle (sog. Handlungswissen) und verschränkt sie mit wissenschaftlichem, forschungsgestütztem Erklärungswissen (Theorie). Gerade während der Supervision werden oft berufsbezogene Anliegen thematisiert, für die es nur wenige oder keine theoretischen Vorarbeiten gibt. Hier wird die ‚Generierung von Praxistheorien‘ (Petzold 2007a S.21) als gemeinsame hermeneutische Suchbewegung bedeutend und die Supervision damit selbst zu einem intersubjektiven bzw. kollegialen Forschungsprozess. Das ‚Wissensgerüst‘ (s.o.) versucht diesen Prozess zu systematisieren und hinreichend zu fundieren. Integrative Praxeologie als systematische Reflexion von Praxiserfahrung zielt somit auf theoretisch begründete und handlungswirksame Konzepte gemeinschaftlichen Handelns im beruflichen Kontext.
Auf der Ebene der supervisorischen Praxeologie werden prozessuale Entscheidungshilfen, Interventionsstrategien und methodische Zugangsweisen zur Verfügung gestellt und, je nach Setting (Einzel-, Gruppen-, Team-, Institution-/Organisationssupervision), Supervisanden- und Klientensystem und Einsatzfelder (Profit/Non-Profit Bereiche), zugepasst.
Prozessuale Entscheidungshilfen[Bearbeiten]
Supervision in diesem Verständnis ist ein höchst differenzieller und variabler Prozess und muss in seinem Verlauf, in seiner Dynamik und in seiner Struktur, mit allen internen und externen Einflussfaktoren die ihn bestimmen, betrachtet werden. Die IS stellt verschiedene Modelle zur mehrperspektivischen, praxisnahen Analyse berufsspezifischer Fragestellungen zur Verfügung: z.B. das ‚Mehrebenenmodell‘ (Frühmann 1986, Petzold 2007a s. 115) oder das ‚Dynamik Systems Approach to Supervision‘ (Petzold 2007a S.33ff.). Neben den kontextuellen Faktoren (Kontext) auf Mikro-, Meso- und Makroebene betont Petzold besonders den unauflöslichen Zusammenhang mit der zeitlichen Perspektive (Kontinuum). Durch das Modell der ‚Metahermeneutische Mehrebenenreflexion‘ (Petzold 2007a S.132) wird das mehrperspektivisch Wahrgenommene und das ko-respondierend analysierende Arbeiten in der Supervision metareflexiv überschritten. Es hat das Ziel, die Handhabung von komplexen, dynamischen Systemen zu unterstützen.
Konkret wird das prozessuale Geschehen in der IV im ‚Tetradischen System‘ (Petzold 1988n S.80ff.), einem vierphasigen Modell mit der Initialphase, der Aktionsphase, der Integrationsphase und der Phase der Neuorientierung dargestellt. Das idealtypische Modell trägt dazu bei, supervisorische Prozesse zu strukturieren und integriert dabei unterschiedlichste Lernaspekte (kognitive, emotionale, volitive, verhaltens-bezogene), um konsistente und wirksame Erkenntnis-, Lern- und Veränderungsprozesse zu ermöglichen. Mit Blick auf eine Theorie-Praxis-Verschränkung trägt der spiralförmig verstandene Prozess über die Funktionen Differenzierung, Strukturierung, Integration und Kreation (Theorie-Praxis-Zyklus im Ko-respondenzmodell) in der Supervision zu fortschreitender, praxisrelevanter Konzept- und Theoriebildung bei (Petzold 1988n 563ff.; 2007a S.104ff.).
Interventionsstrategien[Bearbeiten]
Interventionen in der IS sind stets theoriegeleitet und praxisbezogen. Sie werden als zielgerichtete Strukturierungsmomente im Rahmen von Situationen und Prozessen, denen sie selbst entfließen, verstanden. Damit bestimmt der Prozess die Intervention und nicht umgekehrt, wie es vorgefertigte ‚Tools‘ meist nahelegen. Als differenzierte Einwirkung auf Praxis sind Interventionen grundsätzlich ethisch nur vertretbar, wenn sie prozessual entwickelt, partizipativ geplant und transparent durchgeführt werden.
Interventionen, als gezielte Veränderung der beruflichen Situation, erstrecken sich auf Maßnahmen in verschiedenen Bereichen: Vorbeugung, Erhaltung, Wiederherstellung, Entwicklung, Verbesserung, Bewältigung. Das führt zu differenzierten Interventionsstrategien. Letztlich will IS (komplexe) Lernprozesse voranbringen hin zu mehr ‚persönlicher Souveränität‘ und ‚fundierter Kollegialität‘ (Petzold 2007a S.225ff.). Entsprechend vertritt die Supervision im integrativen Verständnis eine ‚multimodale Praxeologie‘: So kommen je nach Kontext, Aufgabenstellung, Kontrakt, Prozess, etc. Interventionsstrategien in der Supervision situationsangemessener Weise zum Tragen. Bei der Umsetzung wird auf das reiche Repertoire der verschiedenen methodischen Zugangsweisen des IA zurückgegriffen.
Methodische Zugangsweisen[Bearbeiten]
Die IS bezieht erlebnisaktivierende Verfahren der Gestalttherapie, des Psychodrama und der Leibtherapie ein, und ergänzt sie mit Handlungskonzepten der Verhaltensmodifikation. Neben der Kombination von verbalen (Gesprächsverfahren) und aktionalen Vorgehensweisen (Rollenspiel, Bewegungsarbeit, Imaginationsansätzen, Skulpturierung und Modellierung, etc.), zeichnet sich die IS besonders durch den Einsatz von ‚Kreativer Medien und Methoden‘ aus. Sie wurden von Petzold, Orth und Sieper in die Supervision eingeführt.
Das Besondere der ‚Kreative Medien und Methoden‘ liegt in ihrem hohen projektiven Potential und der Möglichkeit, komplexe institutionelle und organisationale Zusammenhänge anschaulich zu machen. Sie eigenen sich als Instrument des Bewertung, der Diagnostik und der Intervention. Sie helfen Denk- und Handlungsblockaden wirkmächtig zu überwinden und führen zur Eröffnung (noch) nicht gemachter Erfahrungen. (Petzold/Orth 1984; Schreyögg 1991 S.277ff.; Nitsch-Berg/Kühn 2000) Zu den kreativen Medien und Methoden zählen eigens entwickelte Charting Methoden, wie z.B. Culture Charts, Power Maps, Identitätssäulen, Panoramatechniken wie Arbeits- und Karrierepanorama (Petzold 2007a S.250ff.). Zentral ist das Arbeiten im ko-kreativen Prozess (Konflux-Modell), bei dem alle Kräfte (Ressourcen und Potentiale) der Beteiligten zusammenfließen und Neues hervorbringen können (Petzold 2007a S.211ff.). Verhaltensmodifizierend wurde das ‚Behaviourdrama‘ (Sieper, J./Petzold, H.G. 2002) zur Einübung neuer Verhaltensweisen (als transfergerichtetes Training) in der Phase der Neuorientierung (‚Tetradisches System‘) entwickelt und eingeführt.
Die methodische Vielfalt basiert auf dem metatheoretischen Konzept der ‚Anthropologie des schöpferischen Menschen‘ (Orth/Petzold 1993a) und setzt dabei auf den Zugewinn durch Mehrperspektivität (Synopseprinzip) und der positiven Wirkung von Verbindung und Vernetzung (Synergieprinzip) der einzelnen methodischen Ansätze (Konnektivierung). Je nach den Erfordernissen der Supervision werden die Handlungsoptionen entsprechend elastisch im Prozess kombiniert, bleiben aber immer der vereinbarten Zielsetzung (‚Primat der Ziele‘) und Inhalten verpflichtet.
Anforderungen an die Supervision[Bearbeiten]
Supervisorisches Handeln im Integrativen Ansatz erfolgt aus der beschriebenen Wissensstruktur heraus. Neben dem breiten Grundwissen, einer intellektuelle Flexibilität und ideologischen Offenheit, wird prozessuale Methodenkompetenz und eine passende Feldkompetenz des Supervisors als Bedingung effektiver Supervision gefordert. Im Supervisionsgeschehen ist der Supervisor ‚Experte vom Fach‘ mit geschulten personalen, sozialen und fachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenz/ Performanz). Er fungiert in unterschiedlicher Funktion (z.B. als Katalysator, Feedback-Instanz oder Berater), ganz wie es der Kontext und die Situation erfordert. Auf der anderen Seite sind die Supervisanden ‚Experten für ihre Situation‘, die ihre Probleme, Ressourcen und Potentiale in einem kooperativen Supervisionsprozess einbringen. Die Integrative Supervision spricht entsprechend von einer ‚doppelten Expertenschaft‘. (vgl.: Petzold 1994q) Die Akteure der Lern- und Veränderungsprozesse bleiben die Supervisanden selbst.
Das setzt ein Klima wechselseitiger Empathie (‚Mutualität‘: Ferenczi 1988; Stumm 2005) und Wertschätzung (Intersubjektivitätsaxiom; Marcel) voraus. Das Setting muss gewährleisten, dass ‚informierte Übereinstimmung‘ (‚informed consent‘), Fachlichkeit und die Würde und Integrität des Supervisanden gesichert und gewährleistet sind (‚client dignity and integrity‘, , Orth 2011). Nur so können die Supervidierten ihre notwendige persönliche und professionelle Souveränität gewinnen.
Die IS versteht sich als Prozess persönlicher und gemeinschaftlicher Auslegung (intersubjektive Hermeneutik). Das setzt die Bereitschaft des Supervisors voraus, sich partizipativ in den und engagiert an den Situationen, die Gegenstand der Supervision sind, einzulassen, ohne sich in der Dynamik selbst zu verstricken. „Es ist eine Frage der persönlichen Integrität, des Engagements und der Bereitschaft zur Solidarität, in die eingetreten werden muss, ohne dass es zu Überidentifikationen kommt, die blind und handlungsunfähig machen.“ (Petzold 2007a S.157) In der IS wird von der Arbeit aus dem ‚partiellen Engagement’ (Petzold 1980g S.253ff.) heraus gesprochen.
Weiterbildung und Ausbildungsgänge[Bearbeiten]
Die seit 1974 konzipierte und den anerkannten Standards angepasste Weiterbildung zielt auf Tätige in sozialwissenschaftlichen oder psychosozialen Arbeitsfeldern (Sozialarbeiter, Psychologen, Therapeuten, etc.). Das didaktische Konzept kombiniert das Integrationsmodell und sein methodenübergreifenden Ansatz mit persönlicher und professioneller Selbsterfahrung. Es ist darauf gerichtet ‚die Methode durch die Methode zu lehren und zu lernen‘ (Lukesch, Petzold 2011). So werden theoretische und methodische Konzepte erlebnisnah vermittelt, Wissenskompetenz und Praxisperformanz verschränkt. Es verbindet in verschiedenen (dyadischen und gruppalen) Settings erprobte Methoden und Medien und integriert kognitives, emotionales, volitionales, soziales und ökologisches Lernen und Lehren. Zudem werden die Schnittstellen zur Coaching und Organisationsentwicklung berücksichtigt ohne dass vorhandene Unterschiede verwischt und verwässert werden. Das Curriculum wird an der ‚Europäischen Akademie für Psychosoziale Gesundheit‘ (EAG), Hückeswagen, staatlich anerkannte Einrichtung der Weiterbildung und am ‚Department für Psychotherapie und psychosoziale Gesundheit‘ der Donau-Universität Krems (DUK) als Aufbaustudium durchgeführt sowie in Norwegen, Slowenien und Italien. Es ist mehrfach umfänglich empirisch evaluiert worden (Schigl, Petzold 1997; Ebert, Oeltze, Petzold 2002). Abschlüsse sind bei Vorliegen der Voraussetzungen mit Graduierung oder Master of Science (MSc) möglich. Viele dieser Abschlussarbeiten sind als wissenschaftliche Publikationen erschienen, so dass die Integrative Supervision einen bedeutenden Beitrag zur Supervisionsforschung leisten konnte (Petzold, Schigl et al 2003). Zulassungsvoraussetzungen und -verfahren, der detaillierte Aufbau der Weiterbildung und die entsprechenden Abschlüsse sind den Curricula der EAG und der DUK zu entnehmen. Die Weiterbildung ist an den Standards gemäß länderspezifischer Verbände orientiert: für Deutschland der ‚Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V.‘ (DGSv)., für Österreich die ‚Österreichische Vereinigung für Supervision‘ (ÖVS) und für die Schweiz der ‚Berufsverband für Supervision und Organisationsberatung und Coaching‘ (BSO).
Anmerkungen[Bearbeiten]
(1) Eine Übersicht bietet z.B. Buer (1999) S.72ff. und Hermann-Stietz (2009) S.37ff.
(2) Ausführlich zu den folgenden Referenztheorien und -theoretikern: z.B. Petzold 1993a/2003a, 2008g, 2011j; s.a. Stumm 2005
(3) Siehe Ausführungen zu den Kernkonzepten in Petzold 2005ö
Literatur[Bearbeiten]
- Abdul-Hussain, S. (2011): Genderkompetenz in Supervision und Coaching. VS – Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2011
- Buer, F. (1999): Lehrbuch der Supervision. Schriften aus der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. Votum. Münster 1999
- Bourdieu, P. (1976): Entwurf einer Theorie der Praxis. Suhrkamp. Frankfurt a.M. 1976
- Ebert, W., Oeltze, J., Petzold, H.G. (2002c): Die Wirksamkeit der Integrativen Supervision – eine quantitative und qualitative Evaluationsstudie zur Qualitätsentwicklung im EAG-Qualitätssicherungssystem. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm - POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 13/2002
- Ferenczi, S. (1988): Ohne Sympathie keine Heilung. Das klinische Tagebuch von 1932. Fischer. Frankfurt a.M. 1988
- Flammer, A. (1990): Erfahrung der eigenen Wirksamkeit. Einführung in die Psychologie der Kontrollmeinung. Verlag Hans Huber. Bern Stuttgart Toronto 1990
- Frühmann, R. (1986): Das mehrperspektivische Gruppenmodell im ‚Integrativen Ansatz‘ der Gestalttherapie. In: Petzold H.G./Frühmann, R. 1986 S.255-282
- Geuter, U. (2008): Ein Universalgelehrter der Psychologie. Das Potrait: Hilarion Petzold. In: Psychologie Heute 2, Februar (2008) S. 36-41.
- Hermann-Stietz, I. (2009): Praxisberatung und Supervision in der Sozialen Arbeit. Wochenschau Verlag. Schwalbach/Ts. 2009
- Lukesch, B., Petzold, H. G. (2011): Lernen und Lehren in der Supervision – ein komplexes, kokreatives Geschehen. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm - SUPERVISION: Theorie – Praxis – Forschung. Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift – 5/2011
- Nitsch-Berg, H., Kühn, H. (2000): Kreative Medien und die Suche nach Identität: Methoden Integrativer Therapie und Gestaltpädagogik für psychosoziale Praxisfelder. 2 Bde. EHP Verlag Andreas Kohlhage. Köln 2000
- Orth, I., Petzold, H.G. (1993c): Zur "Anthropologie des schöpferischen Menschen". In: Petzold, H.G., Sieper, J.(1993a): Integration und Kreation. 2 Bde. Junfermann Paderborn 1993 S.93-116.
- Petzold, H.G. (1980g): Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung in der integrativen Therapie. In: Petzold, H.G.: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung. Junfermann. Paderborn 1980 S.223-290
- Petzold, H.G. (1988n): Integrative Bewegungs- und Leibtherapie. 2 Bde. Junfermann. Paderborn 1988
- Petzold, H.G. (1992g): Das "neue" Integrationsparadigma in Psychotherapie und klinischer Psychologie und die "Schulen des Integrierens" in einer "pluralen therapeutischen Kultur". In: Petzold, H.G. (2003a): Integrative Therapie, Bd. II, 2. Aufl. Junfermann. Paderborn 2003 S.701 – 1037.
- Petzold, H.G. (2005ö): Definitionen und Kondensate von Kernkonzepten der Integrativen Therapie. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm - POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 05/2006
- Petzold, H.G. (2003a): Integrative Therapie. 3 Bde. Junfermann. Paderborn 2003. Überarbeitete und ergänzte Neuauflage von 1991a/1992a/1993a.
- Petzold, H.G. (2005ö) Definitionen und Kondensate von Kernkonzepten der Integrativen Therapie. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm - POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 05/2006
- Petzold, H.G. (2007) Gesamtbibliographie 1958 – 2007. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm – POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 01/2007 (hier finden sich die hier nicht weiter benannten, aber im Text zitierten Arbeiten)
- Petzold, H.G. (2007a): Integrative Supervision, Meta-Consulting, Organisationsentwicklung. Ein Handbuch für Modelle und Methoden reflexiver Praxis. VS – Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 1998/20072
- Petzold, H.G. (2008g): Zur Wissensstruktur der Integrativen Therapie für PsychotherapiekollegInnen. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm – POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 03/2009
- Petzold, H.G. (2012a): „Identität“ und Identitätsarbeit in Psychotherapie und Humanwissenschaften. VS – Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2012
- Petzold, H.G. (2012): Das Ressourcenkonzept in der sozialinterventiven Praxeologie und Systemberatung. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm – POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit - 12/2012 Neueinstellung
- Petzold, H.G., Mathias, U. (1983): Rollenentwicklung und Identität. Junfermann. Paderborn 1983
- Petzold, H. G., Orth, I. (2011): „Genderintegrität“ – ein neues Leitparadigma für Supervision und Coaching in vielfältigen Kontexten. In: ABDUL-HUSSAIN, S. (2011): Genderkompetente Supervision. VS - Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2011 S.195-243.
- Petzold, H. G., Orth, I. Sieper, J. (2010a): Gewissensarbeit, Weisheitstherapie, Geistiges Leben - Themen und Werte moderner Psychotherapie. Krammer. Wien 2010
- Petzold, H. G., Orth, I., Sieper, J. (2012a): Mythen, Macht und Psychotherapie. Therapie als Praxis kritischer Kulturarbeit. Aisthesis. Bielefeld 2012
- Petzold, H.G., Schigl, B., Fischer, M. Höfner, C. (2003): Supervision auf dem Prüfstand. Wirksamkeit, Forschung, Anwendungsfelder, Innovation. VS – Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2003
- Petzold, H.G./Sieper, J. (1993a): Integration und Kreation. 2 Bde. Junfermann. Paderborn 1993
- Petzold, H. G., Sieper, J. (2011a): Menschenliebe heilt. Altruismus und Engagement. Potentialorientierte Psychotherapie - Die Aktualität des Henry Dunant 1828 – 1910. Krammer. Wien 2011
- Schigl, B., Petzold, H.G. (1997): Evaluation einer Ausbildung in Integrativer Supervision mit Vertiefungsschwerpunkt für den klinisch-geriatrischem Bereich - ein begleitendes Forschungsprojekt. In: Integrative Therapie Heft 1-2 (1997), S.85-145.
- Schreyögg, A. (2004) Supervision. Ein integriertes Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis. VS – Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 1991/20044
- Sieper, J. (2006): „Transversale Integration“: Ein Kernkonzept der Integrativen Therapie - Einladung zu ko-respondierendem Diskurs. In: Integrative Therapie, Heft 3/4 (2006) S.393-467
- Sieper, J./ Petzold, H.G. (2002): Der Begriff ‚Komplexes Lernen‘ und seine neurowissenschaftlichen Grundlagen – Dimensionen eines ‚behavioralen Paradigmas‘ in der Integrativen Therapie. Lernen und Performanzorientierung, Behaviourdrama, Imaginantionstechniken und Transfertraining. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm –Neueinstellung in: SUPERVISION: Theorie – Praxis – Forschung. Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift - 04/2011
- Stumm, G. et al. Personenlexikon der Psychotherapie. Wien 2005
- Zundel, R. (1993): Ein Gang durch viele Landschaften: Hilarion Petzold – sein Schlüsselwort für die moderne Therapie heißt Integration. In: DIE ZEIT, Serie „Leitfiguren der Psychotherapie“ 17.4.1988 Nr. 17; repr. Petzold, H.G./Sieper, J. (1993a): Integration und Kreation. 2 Bde. Junfermann. Paderborn 1993 S.407-419.
Zeitschriften[Bearbeiten]
- Organisationsberatung Supervision Coaching (OSC). Springer VS. Wiesbaden. Bei: http://www.osc-digital.de
- POLYLOGE: Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei: http://www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm
- SUPERVISION: Theorie-Praxis-Forschung. Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift. Düsseldorf/Hückeswagen. Bei: http://www.FPI-Publikationen.de/materialien.htm
Weblinks[Bearbeiten]
- Länderspezifische Verbände
- Deutschland - Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv): http://www.dgsv.de
- Schweiz – Berufsverband für Supervision, Organisationsberatung und Coaching (BSO): https://www.bso.ch
- Österreich – Österreichische Vereinigung für Supervision (ÖVS): http://www.oevs.or.at
- Dachverband der europäischen Supervisionsverbände – Association of National organsations for Supervision in Europe (ANSE): http://www.anse.eu
- Ausbildungsstätten
- Europäischen Akademie für Psychosoziale Gesundheit (EAG/FPI): www.eag-fpi.com/
- Department für Psychotherapie und psychosoziale Gesundheit (Donau-Universität Krems): www.donau-uni.ac.at/psymed/it