Institutionalismus
Der Institutionalismus ist eine Theorie der Internationalen Beziehungen, einem Teilgebiet der Politikwissenschaft. Er soll helfen, die Interaktionen der Akteure der internationalen Beziehungen zu erklären und steht als selbständige Theorie neben den beiden Großtheorien der Internationalen Beziehungen politischer Realismus und Liberalismus.
Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]Grundlagen der Theorie[Bearbeiten]
Der Institutionalismus gliedert sich in zwei Theorietraditionen:
- utilitaristischer (rationaler) Institutionalismus
- normativer (reflexiver) Institutionalismus
Utilitaristischer (rationaler) Institutionalismus[Bearbeiten]
Der utilitaristische Institutionalismus der Internationalen Beziehungen geht vom Nutzenkalkül der Akteure aus, die sich - wie bei den Realisten – in einem zunächst anarchischen und von Misstrauen geprägten Staatensystem orientieren müssen. Die – staatlichen oder auch nichtstaatlichen - Akteure sind dabei rationalistisch, vernunftorientiert und versuchen in/mit Institutionen zu kooperieren, um ihre Interessen zu verfolgen resp. ihre Probleme zu lösen.
Regimetheorie[Bearbeiten]
Gemäß der Regimetheorie suchen die Akteure des internationalen Systems - wie im Realismus - einen Zugewinn an Macht bzw. Sicherheit zu erlangen (Nutzenzuwachs). In Unterschied zum Realismus begnügen sie sich allerdings mit einem absoluten Zugewinn an Nutzen und relativieren den Nutzen nicht indem sie ihren Nutzenzuwachs mit dem Nutzenzuwachs anderer Staaten vergleichen. Die Kommunikation ist somit ein zentrales Element um internationale Spannungen zu entschärfen. Institutionen können eine Plattform bilden um Kommunikation zu ermöglichen. Dabei sind Institutionen nur eine immaterielle Übereinkunft und nicht zu verwechseln mit internationalen Organisationen. Als eine solche Institution ist z.B. das Völkerrecht anzusehen. Diese kann auch als Regime bezeichnet werden.
Die Terminologie der Regimetheorie ist relativ abstrakt, was ihre Anschaulichkeit mindert, aber die Anwendbarkeit auf die in der Realität sehr verschiedenartigen Phänomene erhöht. So definieren sich Regime durch vier Eigenschaften:
- Prinzipien: gemeinsame Probleme und Zielvorstellung
- Normen: allgemeingültige Verhaltensstandards
- Regeln: machen die Normen mess- und überprüfbar
- Verfahren: Regeln für den Umgang mit Regeln
Lässt sich in all diesen Punkten eine Übereinkunft treffen, so sei eine Kooperation zum Nutzen aller beteiligten Staaten möglich.
Staatenkartelltheorie[Bearbeiten]
Die Staatenkartelltheorie bezieht ihre Grundbegriffe aus der klassischen Kartelltheorie der Wirtschaft und ist in der Folge deutlich konkreter als die Regimetheorie. Die Staatenkartelltheorie geht – anders als der Realismus und klarer als die Regimetheorie - von der sozioökonomischen Determiniertheit des politischen Handelns aus. Staaten suchen auf dem Feld der internationalen Beziehungen Vorteile durch Kooperation oder durch das Ausfechten von Konflikten. Ab einer bestimmten Verdichtung der – besonders: weltwirtschaftlichen – Beziehungen und der Entwicklung der Waffentechnik (Massenvernichtungswaffen) scheidet Krieg als Konfliktmittel zunehmend aus. Die Staaten müssen nun miteinander auskommen und kartellieren nach und nach immer größere Bereiche ihrer Politik in internationalen Organisationen.
Ausgangspunkt der Staatenkartelltheorie ist eine Lehre vom Kartellverhältnis zwischen Staaten, welches auf eine spezifische ‚Konkurrenz-Kooperation’, eine ‚Freund-Feindschaft’ hinauslaufe. Wie die früheren (erlaubten) Unternehmenskartelle seien auch die von Staaten gebildeten internationalen Organisationen (IGOs) Kartelle im Sinne eines Bündnisses von Konkurrenten. Auf dieser Kartellverhältnislehre bauen verschiedene organisationssoziologische Ableitungen auf, die die Analogien zwischen den Unternehmenkartellen und den Staatenverbindungen analytisch nutzen.So gelangt die Staatenkartelltheorie zu Aussagen über den institutionellen Aufbau, die Funktionen, die Krisenträchtigkeit und die Entwicklungsmöglichkeiten von Staatenkartellen resp. internationalen zwischenstaatlichen Organisationen.
Normativer (reflexiver) Institutionalismus[Bearbeiten]
Der normative Institutionalismus bezieht die gesellschaftliche Ebene mit ein (Öffnung der „Black-Box“). Die innergesellschaftliche Kooperation kommt zustande, weil jeder Mensch Sicherheit, verlässliche Vereinbarungen und sicheres Eigentum benötigt. Auch im Staatensystem gibt es das Bedürfnis dieses Minimum an Kooperation zu erreichen. Dies kann, laut normativem Institutionalismus, durch Makroinstitutionen geschaffen werden.
Der Institutionalismus legt also großen Wert auf Regeln und Gesetze in den internationalen Beziehungen. Die Motive für die Kooperation können dabei sowohl normativ als auch utilitaristisch sein.
Institutionalismus versus Neo-Institutionalismus[Bearbeiten]
Die Betrachtung politischer Institutionen geht mindestens auf Jean-Jacques Rousseau zurück. Die frühen politischen Theorien sahen politische Institutionen jedoch lediglich als Arenen in denen politische Handlungen stattfinden, die jedoch von fundamentaleren Kräften bestimmt wurden. In der vergleichenden Regierungslehre befasste man sich mit der institutionellen Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung, insbesondere der westlichen Welt. Es ging also um formale Institutionen. Seit Mitte der 70er Jahre begann sich ein neuer Institutionalismus zu entwickeln. Hierbei handelte es sich um eine Gegenbewegung zu herkömmlichen behaviouristischen Theorieansätzen und zu Ansätzen der Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice), die weitgehend als institutionenblind anzusehen sind. Im Neo-Institutionalismus werden, in Abgrenzung zum klassischen Institutionalismus, neben den formalen Institutionen auch nicht-formale betrachtet. Wie weit im einzelnen der Begriff Institution zu fassen ist, bleibt strittig. Wirtschaftswissenschaftlich orientierte Wissenschaftler definieren den Begriff enger, als soziologisch orientierte Wissenschaftler, die auch kognitive Regeln des menschlichen Handelns als Institution begreifen. Als kleinster gemeinsamer Nenner kann gelten, dass eine Institution ein Regelsystem ist, das eine bestimmte Ordnung hervorruft.
Varianten des Neo-Institutionalismus[Bearbeiten]
Wie bereits erwähnt wird der Begriff Institution von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen unterschiedlich ausgelegt. Analog lassen sich unterschiedliche neo-institutionalistische Ansätze voneinander unterscheiden. Auf der einen Seite des Spektrums gibt es den rational-choice Ansatz und auf der anderen Seite den soziologischen Ansatz, dazwischen befindet sich der historische Ansatz, der den rational-choice Ansatz und den soziologischen Ansatz integriert. Daneben hat sich in jüngerer Zeit der evolutorische Institutionalismus entwickelt.
Rational-Choice-Institutionalismus[Bearbeiten]
Die Akteure im Rational-Choice-Institutionalismus sind analog zur mikroökonomischen Theorie rationale Egoisten, also Individuen. Im Gegensatz zur von Soziologen viel kritisierten mikroökonomischen Theorie wird jedoch davon ausgegangen, dass eine institutionelle Regulierung notwendig ist, um dem Problem des opportunistischen Verhaltens und der damit verbundenen Notwendigkeit, Vereinbarungen zu überwachen, zu begegnen. Institutionen beeinflussen demnach Handlungs- und Entscheidungsstrategien von Akteuren, ohne ihre Ziele und Präferenzen zu verändern. Anders als der originale Rational-Choice- Ansatz erkennt der Rational-Choice-Institutionalismus die Diskrepanz zwischen wahren und gezeigten Präferenzen an. Andersherum ist die Form und Struktur von Institutionen das aggregierte Ergebnis individueller Entscheidungen.
Soziologischer Institutionalismus[Bearbeiten]
Der soziologische Neoinstitutionalismus stellt keine homogene Theorierichtung dar. Eine Vielzahl von Theoretikern, deren Vorstellungen große Parallelen, aber auch wesentliche Unterschiede aufweisen, werden ihm zugerechnet. Gemeinsam ist ihnen aber eine sozialkonstruktivistische Grundhaltung. Diese zeigt sich beispielsweise darin, dass der Akteur nicht als gegeben, sondern als Produkt einer sozialen Konstruktion betrachtet wird.
Eine Ausprägung des soziologischen Neoinstitutionalismus geht davon aus, dass sich Wahlalternativen dem Entscheidungsträger nicht automatisch anbieten, sondern gefunden werden müssen. Zeit und Informationen zur Entscheidungsfindung sind jedoch nicht unbegrenzt vorhanden. Die benötigten Informationen über Konsequenzen der möglichen Wahlalternativen werden über institutionelle Netzwerke kommuniziert. Die letztendlich getroffene Entscheidung hängt von der Struktur des Systems und den akkumulierten Bias sowie Counterbias ab. Die Struktur des Systems bildet sich integrativ, durch die Befolgung von Normen, wie kulturellen Routinen und Traditionen.
Im Rahmen des soziologischen Institutionalismus wurden die Begriffe des institutionellen Isomorphismus, der Entkopplung, sowie der World Polity geprägt. Bekannte Vertreter sind John W. Meyer, Richard Scott, Walter W. Powell, Lynne G. Zucker und Martha Finnemore.
Historischer Institutionalismus[Bearbeiten]
Der historische Institutionalismus nutzt in der Herangehensweise beide oben beschriebenen Ansätze. Institutionen sind formelle und informelle Prozeduren und Normen, die an Organisationen geknüpft sind. Die Pointe des historischen Institutionalismus ist die Zeit und die Pfadabhängigkeit. Beides ist in den vorangegangenen Ansätzen vernachlässigt. Probleme, Lösungen, Entscheidungen und Wahlalternativen kommen, durch ihre eigene autonome Zeitlinie, in Arenen der Entscheidung zusammen. Sie sind zur gleichen Zeit vorhanden und bilden so Verbindungen, abhängig von ihrer zeitlichen Existenz im System und den strukturellen Umständen.
Evolutorischer Institutionalismus[Bearbeiten]
Der Evolutorische Institutionalismus geht - ohne in einen biologischen Reduktionismus oder in teleologische Fehlschlüsse zu verfallen - davon aus, dass die Evolution von Institutionen mit evolutionstheoretischen Kategorien beschrieben und erklärt werden kann.
Ordnungsprinzipien des Institutionalismus[Bearbeiten]
Wie bereits erwähnt, basiert die aktuelle Sozialforschung im wesentlichen zwischen zwei Polen. Zum einen der Ordnung durch historische Effizienz und zum anderen der Ordnung durch die Rationalität intendierter Entscheidungen. Der Neo-Institutionalismus fordert die Erweiterung um zusätzliche Ordnungsprinzipien. Sie sollen eine bessere Abbildung der Realität gewährleisten und sind als Kritik an den herkömmlichen Theorien zu verstehen. Im folgenden sollen diese Ordnungsprinzipien kurz aufgeführt werden.
1. Die zeitliche Ordnung: Studien haben gezeigt, dass die Beachtung und damit die Lösung eines Problems nicht nur von seiner Wichtigkeit abhängt, sondern mindestens ebenso sehr von seinem zeitlichen Auftauchen.
2. Die normative Ordnung: Das Verhalten von Akteuren beruht nicht nur auf den individuellen Präferenzen, sondern mindestens ebenso sehr auf kulturellen und sozialen Normen. D.h. nicht nur Rationalität sollte zur Erklärung von Entscheidungen herangezogen werden, sondern auch von Präferenzen unabhängige politische Strukturen, in die jedes Individuum eingebettet ist.
3. Die endogene Ordnung: Dieses Ordnungsprinzip ist der neo-institutionelle Gegensatz zu dem Postulat, dass Präferenzen exogen zum Entscheidungsprozess sind. Viel mehr kann angenommen werden, dass innerinstitutionelle Verteilungen von Macht und Ressourcen auch den Entscheidungsprozess beeinflussen.
4. Die historische Ordnung: Hierbei geht es um die Frage inwieweit Institutionen historische Prozesse beeinflussen. Die historische Ordnung sollte, im Gegensatz zur historischen Effizienz, der offensichtlichen Ineffizienz Aufmerksamkeit schenken. Unter welchen Bedingungen findet Anpassung und Lernen in Institutionen statt? Wann kommt es zu optimalen, wann zu suboptimalen Lösungen?
5. Die demographische Ordnung: Bei diesem Ordnungsprinzip geht es, im Gegensatz zur herkömmlichen Ansicht, nicht nur darum, dass kollektives handeln Institutionen beeinflusst.
6. Die symbolische Ordnung: Die symbolische Ordnung geht davon aus, dass Handlungen nicht nur einen bestimmten Zweck haben, sondern auch eine wichtige symbolische Funktion.
Literatur[Bearbeiten]
- Robert Keohane: International Institutions: Two Approaches, in: International Studies Quarterly, Vol. 32, 1988: S. 379-396.
- Robert Keohane: International Institutions - Can Interdependence Work?, in: Foreign Policy, Spring 1998: S. 82-95.
- Holm A. Leonhardt: Die Europäische Union im 21. Jahrhundert. Ein Staatenkartell auf dem Weg zum Bundesstaat?, in: Michael Gehler (Hg.): Vom Gemeinsamen Markt zur Europäischen Unionsbildung. 50 Jahre Römische Verträge 1957-2007, Wien 2009: S. 687-720.
- Keneth W. Abbott et al.: The Concept of Legalization, in: International Organization Vol. 54, No. 3, 2000: S. 401–419.
- Hedley Bull: The anarchical society. A study of order in world politics, Macmillan London 1977.
- Werner J. Patzelt (Hg.): Evolutorischer Institutionalismus, Würzburg 2007.
- Paul Pierson: The Path to European Integration. A Historical Institutionalist Analysis, in: Comparative Political Studies Vol. 29, No. 2, April 1996: S. 123-163.