Groupthink-Modell nach Irving Janis

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Vorbedingungen[Bearbeiten]

Datei:Janis gt modell.jpg
Groupthink Modell nach Janis (1982)

Irving Janis unterscheidet in seinem Modell verschiedene Vor- bzw. Randbedingungen, deren Vorhandensein das Auftreten von Groupthink begünstigen können.

Hohe Gruppenkohäsion[Bearbeiten]

Die einflussreichste Variable im Groupthink Modell ist das Vorhandensein einer hohen Gruppenkohäsion. Sie gilt als notwendige Bedingung damit Groupthink überhaupt entstehen kann. Um diese Feststellung nachzuvollziehen, ist es sinnvoll, Gruppen zu betrachten, in denen der Zusammenhalt nur schwach bis gar nicht ausgeprägt ist. Solche Gruppen sind für die Mitglieder i.d.R. nur wenig attraktiv - die Betroffenen sind zwar Teil der Gruppe, können sich aber nicht mit ihr identifizieren. Die Folge ist, dass die Mitglieder eher auf 'Konfrontationskurs' gehen und Meinungsverschiedenenheiten vortragen, als es in einer kohäsiven Gruppe, in der die Harmonie und die eigene soziale Stellung gewahrt werden sollen - der Fall wäre. Da die Gruppenmitglieder bei fehlender Kohäsion nicht zwingend versuchen eine allgemein präferierte und von allen getragene Problemlösung zu finden, ist es zudem nur schwerlich möglich Druck auf einzelne Mitglieder mit gegenläufigen Meinungen auszuüben.

Es wird deutlich, dass bei einer niedrigen Gruppenkohäsion die Gefahr des Auftretens der Symptome des Groupthinks deutlich abgeschwächt ist.

Janis merkt an, dass dagegen das ledigliche Vorhandensein einer hohen Gruppenkohäsion noch nicht zwangsweise auch zum Auftreten der Symptome führen muss - dies sei vielmehr der Fall, wenn zusätzlich strukturelle Fehler in der Organisation und/oder ein entsprechender begünstigender situativer Kontext vorlägen. [1]

Strukturelle Organisationsfehler[Bearbeiten]

Janis hat im Rahmen seiner Arbeit vier wesentliche Fehlerquellen herausgestellt:

Abschottung der Gruppe von außen[Bearbeiten]

Je stärker sich die Gruppe von der Außenwelt abschirmt und auf eine Diskussion innerhalb des 'kleinen Kreises' beschränkt, desto schwieriger wird es für sie ein facettenreiches Bild möglicher Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Die Einbindung externer Personen und deren Einschätzungen (z.B. Experten, Vorgesetzte, Kollegen) ermöglicht es oftmals die Situation aus einer vorher nicht dagewesenen Sichtweise und Distanz zu betrachten, alternative Problemlösungsansätze zu generieren und diese entsprechend in den eigentlichen Entscheidungsprozess einfließen zu lassen.

In Sonderfällen kann die Isolation als explizite Vorgabe gewollt und unveränderbar sein. Solch eine Konstellation findet sich überwiegend bei geheimen bzw. kritischen Entscheidungen wieder, in denen Außenstehende nicht die Möglichkeit bekommen sollen im Vorfeld Informationen zu erlangen und diese missbräuchlich weiterzuverwenden.

Fehlen eines unparteiischen Führungsstils[Bearbeiten]

Häufig wird im Rahmen des Gruppenbildungsprozesses einzelnen Mitgliedern bereits ihre Rolle zugewiesen, die sie im Rahmen der Gruppentätigkeit ausfüllen sollen. Eine mögliche Rolle ist dabei die des Gruppenleiters. Er hat u.a. dafür Sorge zu tragen, dass eine offene, kritische Diskussion stattfinden kann und geltende Normen und Regeln eingehalten werden. Da der Gruppenleiter innerhalb der Gruppe eine besondere (Macht-) Stellung einnimmt, besteht die Gefahr, dass er diese missbräuchlich einsetzt, um die anderen Mitglieder in ihrer Meinungsbildung zu beeinflussen. Das kann bspw. durch eine frühzeitige und nachdrücklich Offenlegung der eigenen Meinung und Präferenzen oder - im Extremfall - unter Androhung von Sanktionen geschehen.

Mangel an standardisierten Entscheidungsabläufen[Bearbeiten]

Ein weiterer organisatorischer Mangel stellt das Fehlen verbindlicher Normen zur Informationsbeschaffung und deren Verarbeitung dar. Ein so entstehendes unmethodisches Vorgehen behindert die Gruppe nicht nur in ihrer Entscheidungsfindung, sondern kann sich auch verstärkend auf andere Rahmenbedingungen, wie bspw. den psychischen Stress, auswirken.

Treten die drei genannten strukturellen Mängel gemeinsam auf, ist der Gruppenentscheidungsprozess selbst dann von Groupthinksymptomen durchzogen, wenn die Gruppe explizit versucht konformes Verhalten zu vermeiden.

Homogenität der Gruppenmitglieder[Bearbeiten]

Der letzte strukturelle Mangel legt den Fokus auf die Gruppenmitglieder selbst: Ähnlichkeiten in Bezug auf ihren sozialen Hintergrund, ideologische Ansichten oder eine gemeinsame kulturelle Abstammung können eine Gleichheit der Sichtweisen unterstützen. Als Folge werden oftmals nur wenige sich substantiell unterscheidende Ideen und Vorschläge in den Entscheidungsprozess eingebracht und diese, wenn überhaupt, nur sehr einseitig und begrenzt reflektiert.

Situativer Kontext[Bearbeiten]

Stress / geringe Hoffnung [2][Bearbeiten]

Nach Janis erhöht sich die Auftrittswahrscheinlichkeit von Groupthink, wenn die Gruppenmitglieder unter starkem, extern verursachtem Stress stehen und gleichzeitig wenig Hoffnung haben, eine bessere Lösung als die vom Gruppenleiter präferierte zu finden. Als externen Stress bezeichnet Janis dabei den Umstand, dass die Gruppe unabhängig von ihrer Entscheidungsrichtung mit Verlusten durch eben diese rechnen muss. Die Verluste müssen dabei nicht zwangsweise finanzieller, sondern können vielmehr auch jeglicher anderer Natur (bspw. Menschenleben, vgl. Schweinebuchtinvasion) sein. Nachdem der Gruppenleiter seine präferierte Entscheidungsalternative offen benannt hat, geraten Gruppenmitglieder mit abweichender Meinung in die unangenehme Lage zum höchstgestellten Mitglied und seinen Unterstützern in Widerspruch treten zu müssen. Da dieser potentielle Konflikt zusätzlichen Stress hervorrufen würde, tendieren die Gruppenmitglieder eher dazu in eine Art Resignation zu verfallen und die eigene Meinung in Richtung des Gruppenleiters anzupassen.

Geringes Selbstwertgefühl der Gruppe [3][4][Bearbeiten]

Befindet sich die Gruppe in der glücklichen Lage keinen externen Stressoren ausgesetzt zu sein, so kann es trotzdem vorkommen, dass interne Stressquellen eine vorübergehende Lähmung der Gruppe verusachen. Diese äußert sich durch ein sinkendes Selbstwertgefühl der Gruppe sowohl als ganzes, als auch der einzelnen Mitglieder. Sie fühlen sich nicht in der Lage eine Entscheidung zu treffen, die sie später auch vertreten und verantworten können.

Janis führt drei Gründe an, die die Unsicherheit der Gruppe begründen können:

  • Vorherige Fehlentscheidungen und die Angst erneut zu versagen.
  • Das gegebene Entscheidungsproblem erscheint übermächtig - die eigene Problemlösungskompetenz wird angezweifelt.
  • Eigene Zweifel an der gewählten Alternative: Ein Mangel an Entscheidungsalternativen zwingt die Gruppe dazu Alternativen in Betracht zu ziehen, die mit geltenden humanitären und ethischen Standards der Gruppe nicht vereinbar sind ('Wahl des geringsten Übels').

Symptome[Bearbeiten]

Janis unterteilt die potentiellen Groupthinksymptome in drei Kategorien:

  • Selbstüberschätzung der Gruppe
  • beschränkte Sichtweise
  • Druck zur Einstimmigkeit

Seiner Ansicht nach begründen sich die folgend dargestellten Verhaltensweisen aus dem gegenseitigen Bestreben der Gruppenmitglieder nach emotionaler Stabilität und Schutz vor möglichen internen und externen Stressoren.[5]

Selbstüberschätzung der Gruppe[Bearbeiten]

Ein überwiegender Teil der Gruppenmitglieder überschätzt die Leistung, Handlungsfähigkeit und Stellung der eigenen Gruppe. Diese verzerrte Selbstwahrnehmung äußert sich konkret durch das Auftreten folgender Symptome:

Illusion der Unverwundbarkeit[Bearbeiten]

Die Gruppenmitglieder unterliegen dem Trugschluss gegen Folgen und Gefahren ihrer Entscheidungen immun zu sein. Janis belegte dies am Beispiel der sog. Schweinebuchtinvasion: die Gruppe um Präsident John F. Kennedy fühlte sich gegenüber Fidel Castro weit überlegen - etwaige Bedenken der anstehenden Operation wurden durch Kennedys euphorisch-mitreißende Art zerstreut. Als erfolgreicher Politiker, der nicht nur in den eigenen Reihen viel Zustimmung fand, verstand Kennedy es seinen Optimismus auf die Gruppe zu übertragen.

« It seemed that, with John Kennedy leading us [...] nothing could stop us »[6]

Der entstandene, scheinbar grenzenlose Optimismus versperrte dem Beraterstab um Kennedy die Sicht auf die eigentlichen Fakten und verleitete sie dazu unverantwortliche Risiken einzugehen.[7]

Der Glaube an eine hohe Gruppenmoral[Bearbeiten]

Ein weiteres Symptom welches die Illusion der Unverwundbarkeit ergänzt, ist der unbestrittene Glaube hohe moralische Standards zu vertreten. Moralische und ethische Aspekte werden deshalb bei der Alternativenabwägung bewusst außen vor gelassen und haben keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung.[5]

Beschränkte Sichtweise[Bearbeiten]

Kollektive Rationalisierung[Bearbeiten]

Die eigene Gruppe versucht kollektiv Informationen, die der präferierte Gruppenalternativen entgegenlaufen, weg zu diskutieren und zu entkräften. Damit soll einzelnen Gruppenmitgliedern die Möglichkeit genommen werden sich intensiver mit den übrigen Alternativen auseinander zu setzen und möglicherweise ihre bisherige Meinung zu revidieren.[8]

Vorurteile gegenüber Außenstehenden[Bearbeiten]

Externe (ggf. auch konkurrierende) Gruppen werden gegenüber der eigenen als unfähig, schwach und verhandlungsunfähig eingestuft.[9] Es findet eine durchgehende Negativstereotypisierung der anderen Gruppen statt, um potentiell ungerechtfertigte und unmenschliche Vorgehensweisen gegen eben diese zu rechtfertigen [10]

Druck zur Einstimmigkeit[Bearbeiten]

Selbstzensur[Bearbeiten]

Die Gruppenmitglieder halten während der Diskussionsphase gegenläufige Meinungen zurück oder passen ihre eigene Meinung an die Gruppenmeinung an. Überdies verschweigen sie eventuelle Zweifel oder Kritiken an bereits getroffenen Entscheidungen. Sie versuchen damit einer sozialen Abwertung durch die übrigen Gruppenmitglieder zu entgehen und einer möglichen Brüskierung durch den Gruppenleiter vorzubeugen.[11] Besonders betroffen sind solche Mitglieder, deren Selbstwertgefühl sich aus der eigentlichen Gruppenzugehörigkeit speist, d.h. je stärker die individuelle Abhängigkeit von der Gruppe ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das betreffende Mitglied einer späteren Selbstzensur unterliegt.[12]

Illusion der Einmütigkeit[Bearbeiten]

Da es als Folge der genannten Selbstzensur keine Gegenmeinungen zur bisher präferierten Alternative gibt, nehmen die übrigen Gruppenmitglieder an, dass die beschlossene Alternative von allen befürwortet wird - zumindest aber keiner eine bessere Idee hat. Der Glaube, dass alle Mitglieder die Entscheidung mittragen, ist Voraussetzung dafür, dass die Gruppe funktioniert - entstehen Zweifel, würde dies das Vertrauen der Mitglieder untereinander und die Problemlösekompetenz der ganzen Gruppe schwächen.[13]

Direkter Druck auf Abweichler[Bearbeiten]

Auf Gruppenmitglieder, die gegen bereits mehrheitsfähige Vereinbarungen intervenieren möchten oder sogar offen bereits priorisierte Alternativen in Frage stellen, wird psychischer Druck ausgeübt. Dieser kann in der Stärke von subtilem Druck bis hin zur Androhung von Sanktionen reichen. Dem Abweichler soll klar sein, dass sein Verhalten von der Gruppe nicht toleriert wird und der Loyalität der Gruppe zuwider läuft. Beharrt der Abweichler auf seiner Meinung, ist auch ein Auschluss zur Wiederherstellung der homogenen Gruppenatmospähre denkbar.[14]

Selbsternannte Mindguards[Bearbeiten]

Als Mindguards werden Gruppenmitglieder bezeichnet, die sich selbst eine informationsfilternde Rolle innerhalb der Gruppe zuschreiben und so die anderen Mitglieder vor gegenläufigen Informationen schützen. Sie selektieren vorab, welche Informationen die präferierte Alternative unterstützen und leiten nur solche an die Gruppe weiter. Expertenmeinungen oder kritische Stimmen von außen bleiben so meist ungehört.

Entscheidungsdefekte[Bearbeiten]

Aus den o.g. Symptomen können Janis zufolge eine Reihe von Fehlern im eigentlichen Entscheidungsprozess resultieren[15]:

  • unvollständige Alternativensuche
  • unvollständige Zielreflexion
  • fehlerhafte Risikoeinschätzung für die präferierte Alternative
  • fehlende Neubewertung anfangs verworfener Alternativen
  • mangelhafte Informationssuche
  • selektive Informationsverarbeitung
  • fehlende Ausarbeitung von Alternativplänen

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Vgl. Janis (1982), S. 245ff.
  2. Vgl. Janis (1982), S. 250.
  3. Vgl. Janis (1982), S. 255f.
  4. Vgl. Schulz-Hardt (1997), S. 33.
  5. 5,0 5,1 Vgl. Janis (1982), S. 256.
  6. Vgl. Janis (1982), S. 35.
  7. Weitere Beispiele: Vgl. Schulz-Hardt (1997), S. 14 oder Auer-Rizzi (1998), S. 187.
  8. Vgl. Janis (1982), S. 174.
  9. Vgl. Janis (1982), S. 36.
  10. Vgl. Janis (1982), S. 257.
  11. Vgl. Janis (1982), S. 247.
  12. Vgl. Janis (1982), S. 258.
  13. Vgl. Janis (1982), S. 175, 258.
  14. Vgl. Janis (1982), S. 175, 257.
  15. Vgl. Janis (1982), S. 175.

Literatur[Bearbeiten]

  • Janis, I. L. (1982). Groupthink: Psychological studies of policy decisions and fiascoes. Boston: Houghton Mifflin.
  • Schulz-Hardt, S. (1997). Realitätsflucht in Entscheidungsprozessen. Bern: Huber.
  • Auer-Rizzi, W. (1998). Entscheidungsprozesse in Gruppen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts Verlag.
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