Governance als kritisches Konzept in der feministischen Geschlechterdebatte

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Governance als kritisches Konzept in der feministischen Geschlechterdebatte ist ein Artikel zur Diskussion darüber, ob Governance auf wirtschafts- und staatspolitischer Ebene geeignet ist, Frauenemanzipation tatsächlich herbeizuführen.

Einleitung[Bearbeiten]

„Mit Frauen ist kein Staat zu machen” lautet bereits der Titel des Aufsatzes von Claudia von Werlhof und bis in die 1990er Jahre war diese Aussage auch mehr als angebracht. Erst zu Beginn dieses Jahrzehnts konnte eine Distanzierung von dieser bis dahin schon fast als „Staatsblindheit” zu bezeichnenden Haltung der feministischen Theorie gegenüber dem Staat bemerkt werden. Bis dahin galt der Staat für die Frauenbewegung vermehrt als „die Anti-Institution” [1] schlechthin, da er als patriarchal galt und allein schon deshalb keiner Analyse unterzogen wurde. Dadurch benötigte es auch mehr als dringend eine Neuformulierung des Politikbegriffs, der speziell das „moderne Strukturmerkmal weiblicher Unterdrückung und weiblichen Ausschlusses sichtbar machen sollte, nämlich die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit.” [2] Da liegt es besonders Nahe, dass gerade die als nicht-hierarchisch und partizipative geltende Politikform Governance die große Hoffnung der feministischen Theorien in Hinblick auf die Geschlechterdebatte darstellt. Aus diesem Grund bildet eben gerade diese Diskussion mit Einbezug des Geschlechts einen ganz speziellen Untersuchungsgegenstand und Analysepunkt in den neuen politischen Formen der Governance Studies.

Doch lässt sich nun mit dem Aufkommen von Governance wirklich ein gerechtes Geschlechterarrangement umsetzen und stellt es somit die Chance in der frauenpolitischen Entwicklung dar? Macht es Sinn, das Governance-Konzept für eine geschlechterkritische Analyse aktueller Veränderungen von Staatlichkeit zu verwenden? Auf diese Fragen gilt es auf den folgenden Seiten eine Antwort zu finden um mit einem Resümee und somit einer Antwort auf die Frage, ob Governance überhaupt dafür taugt, Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Ungleichheitsverhältnisse und Marginalisierungen zu analysieren, zu kritisieren und mithin zu beseitigen, abschließen zu können.

Im ersten Teil soll speziell anhand der Texte „Staat und Geschlecht” von Ludwig, Sauer und Wöhl, „Maskulinismus und Staat” Kreisky, Löffler und „Performing Gender, Performing the State” von Gundula Ludwig ein kurzer Überblick über die feministische Theorie im Allgemeinen und ihre Herausforderungen gegeben werden. Als nächstes wird das Geschlecht als politische Kategorie analysiert um dann mit der Untersuchung von Governance als geschlechterkritisches Konzept abschließen zu können.


Feministische Staatstheorie und ihre Herausforderungen[Bearbeiten]

Wie bereits in der Einleitung angesprochen, gibt es erst seit den letzten 20 Jahren eine feministische Auseinandersetzung mit dem Staat. Bis dahin konnte man sich in der politischen Geschlechterforschung nicht vollkommen darauf festlegen, ob es überhaupt einer Beschäftigung mit dem Staat bedarf oder ob er als solcher bis zu einem gewissen Grad aus den Abhandlungen ausgeblendet wird. Vielmehr wurde eine Trennung von Öffentlichem und Privatem forciert, da diese speziell von der Frauenbewegung als eine Art Strukturmerkmal weiblicher Unterdrückung und Ausschließung angesehen wurde. Somit stellt das Trennungsdispositiv einen zentralen Grundbaustein feministischer Konfrontation mit dem modernen Staat dar.

Mit der immer stärker werdenden politikwissenschaftlichen Staatsdebatte kam es auch vermehrt zu einem Überdenken des Verständnisses von Geschlecht und Geschlechterungleichheit. Das veränderte auch die Entwicklung der staatstheoretischen Ansätze des Feminismus, da für lange Zeit die Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem kulturellen Geschlecht (gender) als die höchste Befreiung von den askriptiven Rollenbildern angesehen wurde, da Geschlecht nicht als eine politische Strukturkategorie verwendet wurde. Genau das soll sich durch die verändern „Konkret will eine feministische politikwissenschaftliche Staatsanalyse herausarbeiten, wie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse als konstitutive Elemente des modernen Staates begriffen werden können” (Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 13). Daneben beschäftigt sich feministische Demokratietheorie und –forschung mit Fragen der quantitativen Repräsentation von Frauen im politischen System sowie einer aktiven Repräsentation der Interessen von Frauen.

In der feministischen Demokratie- und Staatsdebatte wird das Problem diskutiert, wie die Geschlechterdifferenz, also die sozial hergestellte Unterschiedlichkeit der Erfahrungen, Identitäten und Interessen von Männern und Frauen, politisch repräsentierbar gemacht werden kann, ohne dass der Gleichheitsanspruch preisgegeben wird.

Gerade weil der Staat hierarchische Geschlechterverhältnisse durch die Integration emanzipatorischer politischer Forderungen stabilisiert, gilt es die Frage zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen geschlechterpolitische Forderungen in den Staat integriert und für Macht und Herrschaftsverhältnisse vereinnahmt werden.

„Der Beitrag der feministischen Staatsdebatte zu einem kritischen Konzept von Staatlichkeit liegt in der Präzisierung des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Konfliktlagen und staatlichen Strukturen, konkret also wie Geschlechterverhältnisse in den Staat eingeschrieben und wie demokratische Normen, Institutionen und Verfahren geschlechtsspezifisch kodiert sind” [3]. Ein gesellschaftstheoretisch fundiertes Konzept von Staatlichkeit und Demokratie soll den Weg dahin ebnen. Dieser spezifische Beitrag und das Ziel feministischer Staatstheorien ist einerseits die Erklärung staatlichen Wandels, die Veränderung von geschlechtsspezifischer Staatlichkeit zu mehr Geschlechterdemokratie, sowie andererseits Analysen der Persistenz patriarchaler bzw. maskulinistischer Pfadabhängigkeit von Staaten. Das Grundproblem der feministischen Staats- und Demokratietheorie ist die Frage, wie man die Geschlechterdifferenz, also die gesellschaftlich hergestellte Unterschiedlichkeit der Erfahrungen, Identitäten und Interessen, welche die Unterschiede zwischen Männern und Frauen ausmachen, politisch repräsentierbar dargestellt werden können, ohne dass der Anspruch an Gleichheit offenbart wird. Deshalb versteht sich die feministische Demokratietheorie auch als transformative Theorie, welche die Abwendung von androzentrischer Politikformen und vor allen Dingen die Partizipation beider Geschlechter in Demokratietheorien durchsetzen will. Ein weiteres Beschäftigungsgebiet stellt die Einforderung einer höheren Frauenquote im politischen System sowie einer aktiven Repräsentation der Interessen von Frauen dar. [4]

Geschlecht als politikwissenschaftliche Kategorie[Bearbeiten]

Erst mit der Moderne wurde in der westlichen Welt das Zwei-Geschlechter-Modell eingeführt, welches die Einsicht mit sich brachte, dass die beiden Geschlechter durchaus unterschiedlich sind und sie somit auch nicht miteinander vergleichbar sind. Bei der Definition von Geschlecht wurde speziell die Frage nach der Reproduktion aufgeworfen, welche einen signifikanten Differenzierungsgrund darstellt. Jedoch veränderte sich dadurch nicht nur die Konkretisierung und die Begriffsbestimmung des Geschlechts, sondern auch dessen Stellenwert für die gesellschaftliche und politische Positionierung der Subjekte, da die „Wesensdifferenzierungen” zur Legitimation für gesellschaftliche Hierarchisierungen wurden [5]. Dem Begriff des Bürgers wird indes sehr gern die Vorstellung eines autonomen, geschlechtslosen Individuums zugeteilt, das zwar meist als neutral formuliert wird, jedoch nach wie vor als männlich angesehen wird. Die Frau allerdings wird dem Geschlecht zugeschrieben. „Während Männer Menschen sind, sind Frauen Geschlecht” [6]. Durch Einbezug dieser Aussage wird deutlich, dass das moderne Geschlecht immer noch nicht geschlechtslos denk- bzw. lebbar ist.

Doch welche konkrete Rolle nimmt der moderne Staat in der vergeschlechtlichten Subjektkonstitution ein? Dabei muss erstmals berücksichtigt werden, dass es bereits in der vormodernen Gesellschaft hierarchisch angeordnete Geschlechterverhältnisse gab, allerdings hat sich durch die Moderne zweierlei verändert. Zum ersten wird mit dem neuen Zwei-Geschlechter-Modell das Geschlecht als biologische „Wahrheit” aus den Körpern abgeleitet und zum zweiten bildet eben dieser neu entwickelte Wahrheitsgehalt die Grundstein dafür, wie trotz des Prinzips, wonach alle Menschen frei und gleich geboren sind, Geschlechterungleichheit über den biologischen Unterschied ausgewiesen werden konnte. [7] Somit gilt selbst der moderne Staat als institutionalisierte Form patriarchaler Herrschaft. „Feministische Theorien und Praxen hegten von Anbeginn die Vermutung, dass der neuzeitliche Staat eine männliche Institution ist, gestaltet von Männern für Männer zum Zwecke der Herrschaft von Männern über andere Männer und vor allem über Frauen” [8]

Der Staat selbst ist ein Geschlechterverhältnis, stütz sich allerdings nicht einfach auf eine bereits existierende Geschlechterordnung, sondern stellt vergeschlechtlichte Subjekte erst her. Gerade in der Moderne wird eine staatliche Machtausübung durch die Hervorbringung einer spezifischen Subjektivität dargestellt und diese Subjektwerdung kommt nicht ohne die Theoretisierung von Geschlecht aus. Staaten kategorisieren den Menschen in zwei Genusgruppen – und ausschließlich in diese beiden Kategorien. Eben dieses zweigeschlechtliche Konstrukt, das durch staatliche Maßnahmen und Normen hergestellt wird, kann als staatlich reglementierte Form heteronormativer Gewalt betrachtet werden. Das Genderregime bestimmt durch die historisch entstandenen Geschlechterdifferenzen, wie die politische Macht entlang der Kategorie Geschlecht verteilt wird und insofern, wie die institutionalisierten Formen der Geschlechterverhältnisse durch geschlechtsspezifische Normen und Verfahrensweisen aufrechterhalten werden. Das Genderregime ist daher eine dauerhafte strukturelle Form, dass Geschlechterdifferenzen aufrechterhalten oder verändern kann und die kulturelle Geschlechterordnung einer Gesellschaft strukturiert. „Im Rahmen dieser Prozesse wird auch um Restrukturierungen der Geschlechterregime gerungen, die gegenwärtig zu einer Remaskulinisierung von Politik, Staat und Geschlecht tendieren.” [9] Der Beitrag der feministischen Staatsdebatte zu einem kritischen Konzept von Staatlichkeit liegt in der Präzisierung des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Konfliktlagen und staatlichen Strukturen, konkret wie Geschlechterverhältnisse in den Staat eingeschrieben und wie demokratische Normen, Institutionen und Verfahren geschlechterspezifisch kodiert sind.

In der Geschlechterordnung wie sie derzeit existiert, werden die kulturellen-symbolischen Vorstellungen und Ideale von Männlichkeit und Weiblichkeit entlang der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung transportiert und hegemoniale Formen von Männlichkeit als politischer Maskulinismus normativ etabliert. Doch weshalb ist es nach wie vor so, dass der Staat in der Geschlechterdebatte den Maskulinismus so in den Vordergrund rückt? Carole Pateman zum Beispiel sieht die Männlichkeitsbezogenheit des Staates in einem verheimlichten Geschlechtervertrag, dem Unterwerfungsvertrag, der dem modernen Staatsverständnis zugrunde liegt und Frauen völlig aus dem Staatswesen ausschließt.

Die aktuellen Transformationen von Staatlichkeit und ihre geschlechterparadoxen Folgen lenken den politikwissenschaftlichen Blick unmittelbar auf den Zusammenhang von Staat und Demokratie – oder besser: Sie verlangen eine staatstheoretische Sicht auf Demokratie. „Aus der Sicht auf den Staat und seine Institutionen als verdichtete Ungleichverhältnisse folgt, dass Demokratie in geschlechter- bzw. staatstheoretischer Perspektive nicht schlicht ein als mehrheitsbezogenes Verfahren der Elitenauswahl und Entscheidungsfindung zu begreifen ist, sondern ebenfalls als institutionalisiertes Ergebnis von sozialen Verhältnissen und Konflikten.” [10]

== Governance als Geschlechterkritisches Konzept == Seit Beginn des 21. Jahrhunderts konnte sich Governance immer mehr 'als ein Demokratie verheißendes Konzept etablieren, als eine neue politische Form, welche große Hoffnung auf nicht-hierarchische, partizipative Politikformen und somit eine Neuerung des Demokratieverständnisses im internationalen Staat verspricht. Feministische Debatten über Governance haben, speziell im deutschsprachigen Raum, allerdings erst in den 1990er Jahren ihren Anfang genommen. Die neue politische Form wird als eine Art Chance gesehen – insbesondere auf internationaler Ebene – um die vorherrschenden androzentristischen, rassistischen und in Klassen denkenden Formen der auf Staatlichkeit basierender Ordnung zu überwinden. Jedoch stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Governance tatsächlich ein Verfahren ist, um Frauen besser zu repräsentieren oder um politische Institutionen für sie ansprechender zu gestalten sowie um geschlechtergerechte Formen bei politischen Entscheidungen zu etablieren? Stellt Governance wirklich die vielsprechende frauenfreundliche Alternative zum vom Patriarchismus vereinnahmten Nationalstaat dar? Um diese Frage beantworten zu können, muss erstmals das geschlechterdemokratische Potenzial von Governance kritisch ausgeleuchtet werden.

Das Governance-Konzept kann in der Tat als eine Art Wegbereiter für die zivilgesellschaftlichen frauenbewegten Engagements gesehen werden. Der Begriff der neoliberalen Gouvernementalsierung des Staates geht mit der politischen Form von Goverance einher. Unter der neoliberalen Gouvernementalität versteht man eine neue Form des Regierens, in der das Selbstregieren oder auch das Selbstmanagement der Individuen die zentrale Rolle einnimmt. Dadurch kommt es zur Loslösung von der vermeintlichen staatlichen Fürsorge, welche das Subjekt bisher umgeben hat. Als Mittelpunkt dieser neuen kapitalistischen Subjektivierungsstrategie kann die Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit von als geschlechtslos gedachten Individuen gedacht werden, um sowohl die eigene Wettbewerbsfähigkeit als auch die der Unternehmen zu fördern. „Governance als neuer Steuerungsmodus setzt auf die Freiheit der Individuen, auf ihre eigene Entscheidung und Individualität.” [11]

Die Frage nach Hegemonie – speziell von Subjekten hegemonialer Norm – werden innerhalb der Governance-Ansätze völlig außer Acht gelassen. Auch wird weder der Staat als Ausgangspunkt in einer Subjektkonstitution hinterfragt, noch sind es die Praxen von Subjekten, die als Grundlage für einen modernen Staat stehen, im Zentrum. Subjekte spielen in der Governance Debatte keine zentrale Rolle, sie werden vielmehr im formulierten Ziel des Allgemeinwohls nicht explizit wahrgenommen, stattdessen werden Individuen als etwas Ganzheitliches vorausgesetzt. Rationales Handeln wird den als institutionell angesehenen Akteuren, welche vermeintlich demokratisch legitimiert sind, von vornherein zugeschrieben. Auch diese soll nicht mehr ausschließlich durch staatliche Behörden und zivilgesellschaftlichen Gruppen erfolgen. Innerhalb der feministischen Theorie wird allerdings damit argumentiert, dass sich das Individuum bereits vor seinem Handeln in einer Art staatlich vorstrukturierten Sphäre befindet. Aus diesem Grund wird sich auch meist für eine wechselseitige Konstitution von Subjekten ausgesprochen.

Governance als neue politische Form fordert sowohl den Abbau bürokratischer Steuerung und Hierarchien innerhalb staatlicher Verwaltungen sowie deren Bindung an Transparenz und Geschlechterfreundlichkeit, als auch auf die ökonomische Rationalität. Allerdings ist die geforderte Geschlechtergleichheit bzw. die Geschlechterfreundlichkeit von Governance oftmals sehr weit von der Realität entfernt. So sind die meisten demokratischen Institutionen trotz rechtlicher Gleichstellung der Geschlechter nach wie vor an den männlichen Interessen orientiert und weisen eine dementsprechend überproportional hohe Männerquote auf. Der von Eva Kreisky geprägte Begriff „Männerbund” will deutlich machen, wie Maskulinismus als staatliches Organisationsmuster begriffen und aufgezeigt werden kann. Hingegen jeglicher Kritik an dem patriarchalen Staatssystem, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass männliche Staatsmaßnahmen waren, welche in den vergangenen 35 Jahren die Gleichstellung der Geschlechter in westlichen Demokratien vorantrieben. „So schuf der viel kritisierte patriarchale Sozialstaat Vorraussetzungen für die politische Subjektwerdung von Frauen.” (Sauer 2001: ) Auch die Politikfelder, welche sich für die Gleichstellung der Geschlechter sowie für eine Anti-Diskriminierungspolitik aussetzen, sowie das politische Instrument des „gender mainstreaming” konnten die patriarchalen Handlungsvorgänge staatlicher Institutionen auf nationaler sowie internationaler Ebene zumindest teilweise modifizieren. Geschlechterungleichheit soll als ein in den staatlichen Verwaltungen und Politiken sowie bei demokratischen Verfahren vorstellbares Exemplar dargeboten werden, denn von jeher ist Männlichkeit als System fest in dem Staatsapparat verankert. Staatliche Politiken im speziellen, können als institutionalisierte Deutungsmuster gesehen werden, welche vergeschlechtlichte Subjektkonstruktionen überhaupt erst entwickeln. Jedoch kann nun die Governancedebatte als eine neue Diskurs- und Wissenspraxis erklärt werden, welche die geschlechter-hierarchischen Kräfteverhältnisse unhinterfragt lässt. Allerdings hat diese neue Politikform auch den Nachteil, dass durch sie immer mehr politische Entscheidungen in supranationalen Institutionen wie der EU getroffen, sodass die Kompetenzen von Nationalstaaten in einigen politischen Bereichen zum Teil umgestaltet oder in manchen Fällen auch einfach an Einfluss abnehmen. Darüber hinaus verlieren konventionelle nationalstaatliche Institutionen vollkommen an Bedeutung, beispielsweise sozialstaatliche Regelungen, oder sie werden mit neuen Strukturen versehen und mit neuen Aufgaben betraut. [12]

Aus einer Staats- bzw. Herrschaftskritische Sicht auf den politischen Handlungsraum von Governance hingegen kann sein geschlechterbezogenes Demokratisierungspotenzial die unterschiedlichsten Positionen einnehmen. Governance spielt sich auf einer materielle Basis der internationalisierten Staatlichkeit ab, darüber hinaus gibt es durchaus Anzeichen dafür, dass nationalstaatlich eingehegte Gechlechterregime umstrukturiert und daraus vollkommen neue Geschlechteridentitäten in der Erwerbsarbeit eingeführt werden. Allerdings bringen die dadurch neu entstandenen Formen von Staatlichkeit insgesamt betrachtet weniger eine Hinwendung in Richtung Geschlechtergerechtigkeit, als vielmehr eine Umarbeitung von bereits bestehenden Geschlechterregimen. Diese Geschlechtlichkeit erklärt die geringe frauen- und gleichstellungspolitische Responisivität demokratischer Institutionen. Neue gleichstellungspolitische Steuerungsinstrumente wie gender mainstreaming können als solche governance-Instrumente begriffen werden.

Der positivste Effekt des Governance-Konzepts stellt die Verbindung zwischen der Subjektkonstitution und dem staatlichen Regieren dar. Das Geschlecht erfährt hier als mächtige Norm eine spezielle Berücksichtigung in politischen Debatten. Das Zusammendenken von Subjekt und staatlichem Regieren bringt neben dem Geschlecht als zentraler Rolle weitere Vorteile mit sich. Zum einen beginnt Governance, schon einmal in seiner Erklärung von wechselseitigen Subjektkonstitutionen, nicht erst bei ihren strategischen Kooperationen. Dadurch weißt das Erklärungspotential auch eine weitaus größere Einflusssphäre auf, als das normal der Fall wäre. Darüber hinaus wird das Subjekt als solches in der Governance-Theorie von vornherein als handelnder Akteur wahrgenommen, dessen Problemlösung man sich in politischen Debatten annimmt. Dies hat zum einen den Nachteil des Ausschlusses und der Ausgrenzung und im anderen Fall den der Außerachtlassung des Individuums. In Governance-Ansätzen ist das Subjekt und seine Konstitution vollkommen bedeutungslos und irrelevant. Außerdem ist die Aufnahme von gelebten Praxen in Konzepte der Governance Debatte nicht möglich und wird auch noch durch den Fokus auf Modi und Akteurstrukturen von Governance vollkommen verunmöglicht. „Diese Haltung ist wiederum, durch das Desinteresse gegenüber der individuellen Handlungsebene, zu Gunsten der Analyse „guten Regierens” zu verstehen” [13] Ein zentraler Fortschritt im Verständnis der wechselseitigen Reproduktion von Macht und Subjekt lässt sich durch die Betrachtung von wiederholten Praxen erkennen. Doch insbesondere die Beachtung wiederholter Praxen können einen zentralen Fortschritt im Verständnis von wechselseitiger Reproduktion von Macht und Subjekt versprechen.

Aus staatstheoretischer Sicht ist die größere Sichtbarkeit von Frauen in Governance-Strukturen kein ausreichender Beleg dafür, dass ungerechte und gar diskriminierende Geschlechterverhältnisse verändert werden und Governance einen Weg zu mehr Geschlechtergleichheit darstellt. „Governance geht vielmehr mit einer Re-Konfiguration von Staatlichkeit und neuen hegemonialen Machtstrukturen auf nationaler und internationaler Ebene einher” [13]. Das Governance-System birgt allerdings auch einige „Gefahren”, wenn man es so will. Unter anderem kann es zur Schließung politischer Entscheidungsräume kommen und mithin sinkender Chancen zur Partizipation und egalitären quantitativen Repräsentation der Frauen. Es kann natürlich auch von Vorteil sein, dass staatliche Institutionen inzwischen nur noch als Vermittler dienen, aber nicht mehr das Monopol als einzige oder mehr noch als privilegierte Akteure im politischen Strukturen inne haben. Somit können die Governance-Ansätze als eine Art Chance für sogenannte „politische Außenseiter” gesehen werden, da sie offen für neue Akteure sind und somit Frauengruppen und deren Netzwerke in politische Diskussionen miteinbeziehen. International gesehen ist es den Frauenbewegungen gelungen, sowohl den Frauenanteil in den globalen Organisationen zu steigern, als auch die Frauenrechte im internationalen Kontext zu vereinheitlichen.

Das Governance-Konstrukt kann allerdings auch dazu führen, dass demokratisch legitimierte Institutionen ihr Monopol in der Problemlösung verlieren, was wiederum dazu führt, dass es zu einem Verlust in politischen und öffentlichen Aushandlungsprozessen kommt, oder sogar Kontrollmöglichkeit sowie die Mitsprache zur Folge hat. „Solche Prozesse der Privatisierung bzw. Informalisierung von Politik haben geschlechterpolitische Folgen, können sie doch zu einer Remaskulinierung des politischen und administrativen Entscheidungsraums führen.” [13] Das hat die Schwächung der politischen Repräsentationsorgane zur Folge, in die sich Frauen ihren politischen Zugang so schwer erkämpft haben und stärken noch dazu auch noch die Bildung von politischen Hinterzimmern um zu einer Entscheidungsfindung zu gelangen. Das Problem dabei ist allerdings, dass Frauen zu diesen noch viel weniger Zugang haben und somit scheitert das Instrument der Quote auch noch kläglich daran. „Männerbündische Seilschaften können dort gegebenenfalls unbehelligt walten.” [13] Es kann sich dadurch eine Art von Mangel an dem Frauenanteil ergeben, was wiederum den Verlust von aktivem Handeln von Frauen mit sich bringt und eine Responsivität politischer Institutionen in der Frage der Gleichstellungspolitik hervorbringt. Frauengruppen wird das politische Wirken und die Umsetzung ihrer Interessen mangels Ressourcen und weniger Deutungsmacht ausgestattet, da sie einen geringeren Zugang zu Medien haben und sie deshalb ihre Interessen schwerer durchsetzen können.

Als ein Merkmal der neuartigen Verhandlungsnetzwerke kann es angesehen werden, dass nationalstaatliche Akteure nicht mehr so eine Dominanz erhalten und nicht mehr ein Monopol an politischer Problemdefinition und Entscheidung haben, sondern eine Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteuren hervorbringt. Auch wenn der Frauenanteil in den Governance-Strukturen stark gestiegen ist, kann man das nicht einfach als einen Erfolg in Hinsicht auf Geschlechtergleichheit sehen bzw. ist es kein hinreichender Beleg für die Transformation von Geschlechterherrschaft. Man kann diese Entwicklung der Governance-Ansätze auch als gegenteilig in der Geschlechterdebatte ansehen. Governance als neuerliche Form zu verwenden, um politische Entscheidungen und staatliche Ordnung zu erarbeiten, führt unwillkürlich dazu, dass es zu geschlechtsspezifischen Ungleichheitsstrukturen kommt. Es kommt zu einer Art Verschiebung von gesellschaftlichen Kräften, die zwar eine Förderung von ökonomischen Kräften herbeiführt, allerdings leidet sowohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung darunter, als auch die Trennung von öffentlich und privat oder die Trennung von produktiver oder reproduktiver Arbeit.

Resümee[Bearbeiten]

Die Idee von Governance als frauenfreundliche Alternative zum patriarchalen Staatssystem ist eigentlich durchaus berechtigt und kann in Ansätzen auch in politischen Formen umgesetzten werden. Darüber hinaus besteht das Governance-Konzept auch den geschlechterkritischen Ansätzen der feministischen Theorien, das es unter anderem neue Akteure in das Blickfeld mit einbezieht und dadurch auch einen erweiterten Staatsbegriff entwickeln kann. Allerdings lässt sich als ein sehr wohl kritischer Aspekt in Bezug auf Geschlechtergleichstellung und Governance aufweisen. Die staatliche Sphäre wird in der Governance-Diskussion von gesellschaftlichen Verhältnissen und von Geschlechterverhältnissen getrennte Bereiche konzeptualisiert. Was wiederum dazu führt, dass Geschlechterverhältnisse nicht als politische Prozesse und somit auch nicht als Governance-Strukturen in analytischer Form wahrgenommen werden. Deshalb lässt sich Governance als Geschlechterkritisches Konzept auch nur partiell umsetzen. Nachdem Governance bereits als unkritischer Begriff eingeführt wurde, eignet er sich diesbezüglich nicht als geschlechterkritisch. Andererseits spricht wiederum einiges dafür, da Governance als staatstheoretische, also herrschaftskritische Perspektive auf politische Prozesse und Interaktionen gesehen werden kann.

Governance ist nicht einfach nur die Vorstellung von Regieren ohne Regierung als post-nationale Demokratieform zu idealisieren, sondern stellt vielmehr eine innovative Form von der Umstrukturierung sozialer Machtverhältnisse – inklusive von Geschlechterverhältnissen – in einer globalisierten Welt dar. Somit stellt die neuartige Politikform eine politische Repräsentations- und staatliche Steuerungsform von den konventionellen geschlechterspezifischen Ungleichheiten besonders in den Bereichen Klasse und Ethnizität. Der neue Staats-Kompromiss von Governance fordert die Aufhebung von den überholten politischen Formen des Nationalstaats ebenso wie die von nationaler Demokratie, einer Art von Staatlichkeit, die freilich nach wie vor herrschaftlich und patriarchal ist. [14] Das ist auch der Grund dafür, dass Governance in Bezug auf Repräsentation, Responsivität sowie Partizipation und natürlich auch bezüglich Geschlechtergleichheit keinen besonders großen Wirkungsbereich aufweist und dadurch aus staatstheoretischer Sicht keine demokratische Form von politischen Handeln und Entscheiden darstellt.

Ein politisches Projekt von besonderem Ausmaß stellt die Vereinnahmung von patriarchaler Hegemonie post-nationaler Staatlichkeit und Demokratie dar, das es von den Frauenbewegungen zu ergreifen bzw. vollenden gibt. Governance eröffnet daher durchaus frauenpolitische Chancen, indem sie zum einen die Möglichkeit neuer Bündnisse, z.B. von Frauenbewegungen der Mehrheitsgesellschaft mit Frauen von benachteiligten Klassen bzw. Ethnien sowie mit Gewerkschaften. Zum anderen erhalten die feministischen Theorien dadurch die Chance, neue frames, also Perspektiven und Anschauungsweisen in die politische Diskussion einzubringen und dazu auch noch die strukturellen Chancen auch in der heteronormativen Geschlechterpolitik eine Veränderung in Bezug auf die Debatten um Arbeit, Geld und Zeit zu erwirken. „Damit Governance eine Arena geschlechterdemokratischer Praxis werden kann, müssen in den Kompromissbildungsprozessen Formen von geschlechtergerechter Partizipation, Artikulation und Repräsentation, aber auch des Zugangs zu adäquaten Ressourcen aktiv geschrieben werden.” [15]

Abschließend lässt sich sagen, dass Governance im geschlechterkritischen Kontext nur teilweise anwendbar ist, da sie zwar die politische Einbeziehung neuer Akteure fördert, allerdings als relativ unkritisch formuliert und angewandt wird. „Governance als „globalisierte” Form von patriarchaler Staatlichkeit wird in ihrem geschlechterdemokratischen Potenzial allerdings skeptisch eingeschätzt.” [16]

Literaturverzeichnis:[Bearbeiten]

Fischer, Anita (2008): Von gesellschaftlicher Arbeitsteilung über Geschlecht zum Staat. Eine geschlechtertheoretische Auseinandersetzung mit dem Staat bei Nicos Poulantzas, in: Wissel, Jens/Wöhl, Stefanie: Staatstheorie vor neuen Herausforderungen – Analyse und Kritik, Münster, 50-69.

Kreisky, Eva/Löffler, Marion (2009): Maskulinismus und Staat. Beharrung und Veränderung, in: Ludwig, Gundula/Sauer, Birgit, Wöhl, Stefanie (Hg.): Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie, Baden-Baden, 75-88.

Ludwig, Gundula (2009): Performing Gender, Performing the State. Vorschläge zur Theoretisierung des Verhältnisses von modernem Staat und vergeschlechtlichter Subjektkonstitution, in: Dies., Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie, Baden-Baden, 89-104.

Ludwig, Gundula/ Sauer/ Birgit, Wöhl, Stefanie (Hg.) (2009): Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen. Eine Einleitung, in: Dies., Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie, Baden-Baden, 11-19.

Sauer, Birgit (2001): Die Asche des Souveräns. Staat und Demokratie in der Geschlechterdebatte. Frankfurt/Main.

Wöhl, Stefanie (2007): Mainstreaming Gender. Widersprüche europäischer und natio

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Hochspringen vgl. Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 11
  2. Hochspringen (Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 11
  3. Hochspringen Sauer 2001: 106
  4. Hochspringen vgl. Sauer 2001: 106
  5. Hochspringen vlg. Ludwig 2009: 90
  6. Hochspringen Ludwig 2009: 90
  7. Hochspringen vgl. Ludwig 2009: 90
  8. Hochspringen Kreisky/Löffler 2009: 75
  9. Hochspringen Löffler/Kreisky 2009: 75
  10. Hochspringen Sauer 2001: 109
  11. Hochspringen Sauer 2001
  12. Hochspringen vgl. Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 21
  13. Hochspringen nach: 13,0 13,1 13,2 13,3 Sauer 2001
  14. Hochspringen vgl. Sauer 2001:
  15. Hochspringen Sauer 2001 : 116
  16. Hochspringen Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 20


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