Gender-faire Exegese

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Die Gender-faire Exegese ist eine vergleichsweise junge Teildisziplin der Biblischen Exegese. Sie legt ihren Schwerpunkt auf die unterschiedliche Wahrnehmung von Frauen und Männern in der Bibel. Die Gender-faire Exegese entwickelt dabei keine eigenen Methoden, sondern verwendet den normalen Methodenkanon der Exegese mit einer ihr eigenen Hermeneutik [1].

Inhaltsverzeichnis

Was will die Methode?[Bearbeiten]

Die Methode hat in ihrer Ausrichtung eine Nähe zur Theologie der Befreiung, die ihren Fokus auf die materiell Armen legt. Jede Wissenschaft gibt sich objektiv, kann es aber die Objektivität nicht garantieren. Sie steht immer im Kontext einer Forschergemeinde, die mit nicht reflektierten, impliziten Voraussetzungen arbeit. Theologie als Wissenschaft ist daher immer parteilich für oder gegen Unterdrückte [2]. Die Gender-fairen Exegese ergreift bewusst Partei für die Frauen, und will sie in der Bibel sichtbar machen. Oft fristen die bedeutenden Frauen ein Schattendasein, werden Männern untergeordnet oder schlicht dem Vergessen preisgegeben.

Ein weiteres Anliegen ist das Aufzeigen von weiblichen Gottesbildern. Neben den wohl bekannten anthropomorphen Vorstellungen wie Vater, Richter oder Herr, gibt es auch Gottesvorstellungen, denen weibliche Eigenschaften zugesprochen werden. Weibliche Gottesbilder wie Frau, Hebamme, Hausherrin kommen vor allem in der sogenannten Weisheitsliteratur vor.

Das Aufdecken eines systemischen Androzentrismus ist ein weiterer Punkt im Forderungskatalog der Gender-fairen Exegese. Dies ist ein Ergebnis der Wissenschaftskritik der 1980er Jahre. Der Wissenschaftsbetrieb ist und war von Männern geprägt. Es ist nicht verwunderlich, dass es in so einem Umfeld zu einer impliziten Gleichsetzung von Mann und Mensch kommen konnte. Eine kritische Rückfrage, ob und wie weit Wissenschaft objektiv sein kann, ist unerlässlich. Im Aufzeigen der typischen Vorurteile und Klischees im Verhältnis der Geschlechter in der Bibel will die Gender-faire Exegese einen Beitrag für ein besseres Verständnis der Heiligen Schrift leisten. Eben weil die Heilige Schrift schon seit fast zweitausend Jahren als ein beliebtes Mittel zur Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden missbraucht wird, setzt die Gender-faire Exegese an diesem Punkt an, um das Verhältnis zwischen Mann und Frau neu aufzurollen. Durch den Aufweis von positiven Beispielen will sie zu einer neuen Bewusstseinsbildung beitragen und die Wissenschaft aus ihrer androzentrischen Befangenheit lösen.

Ein großes Anliegen der Gender-fairen Exegese ist schließlich die Erstellung einer geschlechtergerechten Bibelübersetzung. Aufgrund der verschiedenen Einsatzbereiche in Liturgie, Verkündigung, Forschung und Lehre wird es noch einige Zeit dauern, bis eine brauchbare Übersetzung bereitsteht.

Begrifflichkeit[Bearbeiten]

Gender-fair[Bearbeiten]

Der Begriff Gender stammt aus den Sozialwissenschaften und bezeichnet dort das soziale Geschlecht, im Unterschied zu sex, dem biologischen Geschlecht. Jedoch ist auch das biologische Geschlecht oft nicht eindeutig. Zur genaueren Erläuterung siehe Intersexualität. Dieses soziale Geschlecht bezeichnet alles, was in einer Kultur typisch für ein bestimmtes Geschlecht gilt, wie z.B. Kleidung, Aussehen oder Beruf. Gender kann auch als erlerntes Geschlecht bezeichnet werden, sozusagen die Summe aller angelernten Rollenmuster. In diesem Zusammenhang spielt das biologische Geschlecht keine, oder nur eine untergeordnete Rolle.

Gender-bias[Bearbeiten]

Als Bias wird in der Technik und in den Naturwissenschaften ein systematischer Fehler (Verzerrung) bezeichnet, der sich auch bei wiederholter Messung im Mittel nicht aufhebt. Als Gender-bias wird bezeichnet, wenn eine Handlung aufgrund des Geschlechts des Handelnden verschieden berurteilt wird. Ein gutes Beispiel dafür ist der Dienst am Offenbarungszelt. Dem hebräischen Urtext nach verrichten Männer und Frauen den selben Dienst. In der Übersetzung verrichten dann die Leviten ihren Dienst, und die Frauen halten sich vor dem Zelt auf. In den Kommentaren spitzt sich der Sachverhalt noch zu, werden doch dort die Frauen zu Putzfrauen und Hierodulen degradiert[3].

Wie funktioniert die Methode?[Bearbeiten]

Voraussetzungen[Bearbeiten]

Die Heilige Schrift ist im Kontext einer patriarchalen Gesellschaft entstanden. Kennzeichen einer patriarchalen Gesellschaft ist die totale Unterordnung von Frauen unter Männern. Vor allem im alttestamentlichen Umfeld, einer Gesellschaft, die in Sippen aufgebaut ist, hatten Männer absolute Macht in allen Lebensbereichen über die zu ihrer Sippe gehörigen Menschen. Zum Vergleich siehe die Rechte des römischen pater familias, der sogar das Recht hatte, seine Familienmitglieder zu töten. Vor allem im Ersten Testament beschreibt die Heilige Schrift Geschichte als Geschichten. Es sind keine historischen Berichte. In der Theologie spricht man von der sogenannten Realinspiration.

Aufgrund ihrer Entstehung in einer männerdominierten Gesellschaft enthält die Hl. Schrift also Geschichten über Männer, die von Männern für Männer geschrieben wurden. Aus diesem Kontext heraus ist die Marginalisierung von Frauen nicht ungewöhnlich. Ebenso ist die Bibel seit Jahrhunderten in patriarchalen Gesellschaften ausgelegt worden. Durch diese lange männlich dominierte Auslegungstradition ist in den Köpfen der Menschen eine bestimmte Sicht als die allein gültige verfestigt worden. Dies betrifft auch die katholische Kirche mit ihrem mitunter umstrittenen Traditionsverständnis.

Die Gesellschaft steht in direkter Wechselwirkung zur Sprache. Eine Sprache hängt immer von den sie sprechenden bzw. schreibenden Menschen ab. In einer patriarchalen Gesellschaft wird natürlich auch die Sprache androzentrisch. Frauen werden oft nicht genannt, sind aber meistens doch auch Adressatinnen, weil sie hinter dem generischen Maskulin versteckt werden. Ihre Unterordnung wird in der Sprache ausgedrückt bzw. durch sie verfestigt. In den antiken, vorderorientalischen Sprachen, in denen die Hl. Schrift verfasst wurde, kommt dieser Umstand verstärkt zum Tragen. Ein gutes Beispiel sind die Familienverhältnisse im alten Israel. Eine Familie hat sechs Töchter. Die Eltern erzählen: "Wir haben sechs Töchter". Die selbe Familie freut sich über einen neugeborenen Sohn. Jetzt sagen die Eltern: "Wir haben sieben Söhne" [4]. Analog dazu ist die Anrede von größeren Gruppen zu verstehen. Ein Mann in der Gruppe von tausend Frauen reicht aus, um aus ihnen grammatikalische Männer zu machen.

Hermeneutische Ansätze[Bearbeiten]

Ausgehend von den oben angeführten Voraussetzungen bietet die folgende Liste einen Überblick über die verschiedenen Ansätze [5].

Extrempositionen

Hermeneutik der Ablehnung
Die Texte der Bibel sind androzentrisch geprägt und daher abzulehnen, auch die Offenbarung Gottes ist sexistisch
Hermeneutik der Loyalität
Nicht die Bibeltexte selbst, sondern ihre Auslegung ist androzentrisch. Problematische Texte werden mit Zeit- und Situationsbedingtheit "erklärt".
Hermeneutik der kritischen Evaluation
Der biblische Kanon wird unter das Kriterium Befreiung gestellt. Frauenfeindliche Texte dürfen nicht mehr als Wort Gottes verkündigt werden.

gemäßigte Positionen

Hermeneutik der Revision
Sie arbeitet auf der Basis der historisch-kritischen Exegese und versucht, die geschichtlichen Bedingtheiten der biblischen Texte herauszuarbeiten. Es besteht ein Gegensatz zwischen Gottes Absichten bzw. Aussagen und den menschlichen Worten.
Hermeneutik der Befreiung
geht von der Unterdrückung der Frau aus und fragt nach der theologischen Basis für die Befreiung der Frau in biblischen Texten
Hermeneutik der Erinnerung
versucht auf der anderen Seite eine Spurenlese nach Frauenpräsenz in den biblischen Schriften zu vollziehen, indem sie verdrängte und in Vergessenheit geratene Überlieferungen wieder ins Gedächtnis ruft[6].
Hermeneutik der Erfahrung
geht von eigenen, reflektierten Erfahrungen und Kontexten aus.
Hermeneutik des Verdachts
geht davon aus, dass Frauen und Themen, die für Frauen relevant sind, bei der literarischen Gestaltung der biblischen Texte bewusst weggelassen, reduziert oder nicht aufgenommen worden sind. Daher wird überall dort, wo nicht ausdrücklich etwas dagegen spricht, die Anwesenheit von Frauen vorausgesetzt.
Hermeneutik des verändernden Handelns
Die Hermeneutik des verändernden Handelns zielt auf eine Gesellschaftsveränderung.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. vgl. Joachim VETTE: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/40706///cache/045690f6ef/#h16 abgerufen am 26.11.2009
  2. vgl. Elisabeth SCHÜSSLER FIORENZA, Zu ihrem Gedächtnis..., Kaiser/Grünewald, München 1988, S. 32
  3. vgl. Irmtraud FISCHER, Gender-faire Exegese, Lit, Münster 2004, S. 45-62
  4. vgl. Irmtraud FISCHER, Gotteskünderinnen, Kohlhammer, Stuttgart 2002, S. 18
  5. vgl. unveröffentlicht, Elisabeth BIRNBAUM, Begleitunterlagen zum Proseminar 'Einführung in die bibelwissenschaftlichen Methoden', Universität Wien 2009
  6. Andrea TASCHL-ERBER: Feministische Exegese In: Herders Neues Bibellexikon, Herder, Freiburg im Breisgau 2008, S. 204f
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