Fall Kemal C.

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Der „Fall Kemal C.“ war ein Aufsehen erregender Vorfall im Juni 1989 in Essen, der in einem umstrittenen Polizeieinsatz endete. Dabei wurde ein 13-jähriger Jugendlicher von Beamten der Polizei erschossen. Im Vorfeld war es zu einer Verfolgung des Jugendlichen durch den Ortsteil Essen-Frohnhausen gekommen, in deren Verlauf Schüsse zwischen der Polizei und dem Täter fielen. Im Anschluss geriet die Essener Polizei öffentlich stark unter Druck.[1]

Verlauf der Ereignisse[Bearbeiten]

Am Nachmittag des 30. Juni 1989 fuhren der 13-jährige Kemal C. und sein 16-jähriger Beifahrer auf einem unangemeldeten Kleinkraftrad durch den Ortsteil Frohnhausen. Gegen 16:30 Uhr kollidierten die Jugendlichen mit einem PKW der Fahrzeugmarke BMW, wobei das Fahrzeug leicht beschädigt wurde.[2] Kemal C. flüchtete mit dem motorisierten Zweirad, während sein Beifahrer an der Unfallstelle blieb.[2] Kurz darauf wurde der 13-jährige von einem Streifenwagen der Polizei angehalten. Als der Jugendliche versuchte, zu Fuß weiter zu flüchten, kam es zu einem Handgemenge zwischen ihm und einem der beiden Polizeibeamten. Im Verlauf der Auseinandersetzung ging der Polizeibeamte mit dem Jugendlichen zu Boden. Dabei gelangte Kemal C. an die Dienstwaffe des Beamten, zog diese aus dem Halfter und schoss, woraufhin die Polizeibeamten in Deckung gingen. Der Jugendliche nutzte die Gelegenheit, um in Richtung der Bahnlinie Dortmund–Duisburg zu flüchten.

Die Meldung über die Flucht des bewaffneten Jugendlichen im Polizeifunk löste einen Großeinsatz aus, an dem schließlich 50 Polizeibeamte, darunter vier Beamte des Sondereinsatzkommando SEK, beteiligt waren.[3] Des Weiteren kamen zwei Polizeihubschrauber zum Einsatz[4]. Die Verfolgung des Jugendlichen erstreckte sich hauptsächlich entlang- und über die Bahnlinie, zwischen dem Bahnhof Essen-West und dem Bahnhof Essen-Frohnhausen.[2] Während der Flucht schoss Kemal C. insgesamt viermal in Richtung der Einsatzkräfte, ohne zu treffen. Diese schossen ebenfalls hinter dem Jugendlichen her.[3]

Im Verlauf der Verfolgung flüchtete Kemal C. über die Bahngleise auf das Gelände des damals noch vorhandenen Stellwerks am Bahnhof Essen-West. Dort versteckte sich der Jugendliche in einer Kleingartenanlage, die an das Gelände des Stellwerks angrenzt, aus sechs Gärten besteht und zwischen der Berliner Straße und den Bahngleisen der Linie Dortmund-Duisburg liegt. Die Kleingärten können seitlich von einer an das Grundstück angrenzenden Brücke und von der Straße vor dem Grundstück aus eingesehen werden. Ferner ist es möglich, von mehreren Miethäusern an der Oberdorfstraße, Röntgenstraße und Busehofstraße aus das Grundstück zu überschauen. Die zahlreichen Möglichkeiten, die Anlage zu betrachten, ermöglichten es einer großen Menge Schaulustiger, den Polizeieinsatz zu verfolgen, was ein erhebliches Risiko darstellte, da bereits geschossen wurde und der bewaffnete Jugendliche sich in der Kleingartenanlage verschanzt hatte. Die Polizei hatte Probleme, die Schaulustigen zurückzudrängen, die sich bei der Umstellung des Grundstücks bis zu zwanzig Meter hinter den Beamten befanden.[3] Als Kemal C. unerwartet auf das Dach eines Gartenhauses stieg, wurde auf ihn gezielt. Der in unmittelbarer Nähe wohnende Besitzer des Gartens, in dem sich der Jugendliche befand, hatte im Vorfeld den Polizeibeamten den Laubenschlüssel ausgehändigt und versichert, dass es keine Möglichkeit gab, aus der Laubenecke zu flüchten. Dennoch schossen kurz darauf mehrere Polizeibeamte. Der Jugendliche wurde dabei in den linken Arm, ins Bein, ins Gesäß und mehrmals in den Rücken getroffen, er stürzte vom Dach des Gartenhauses. Als sechzig Minuten später eine Gruppe SEK-Beamter in den Garten eindrang, fanden sie die Leiche des Jugendlichen.[2] Der zum Tode führende Schuss hatte die rechte Thoraxhälfte durchdrungen.

Laut Aussagen der Polizei und des ermittelnden Staatsanwaltes hatte der Jugendliche auf die Beamten und Schaulustigen gezielt, als er auf dem Gartenhaus stand. Daraufhin hätten die Polizisten in Notwehr geschossen. Den Angaben der Polizei zufolge war der Schutz der vielen Schaulustigen einer der Hauptgründe, der den finalen Rettungsschuss rechtfertigte. Im Gegensatz zur Polizei sagten mehrere Zeugen aus, dass Kemal C. die Waffe zwar in einer Hand, aber beide Hände leicht nach oben hielt, um sich zu ergeben.[5] Er sei aufgefordert worden, stehen zu bleiben. Als er die Anweisung befolgte, seien die tödlichen Schüsse gefallen. Zum Zeitpunkt, als der Jugendliche auf der Gartenlaube stand, war das Magazin der Waffe leer.[2] Vermutlich waren die restlichen Patronen aus der Waffe gefallen, als der Jugendliche sie bei der Verfolgung durchgeladen hatte.[2]

Folgen[Bearbeiten]

Die Familie von Kemal C. erstattete Anzeige gegen die an der Erschießung des Jugendlichen beteiligten Polizeibeamten. Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung wurden von der Staatsanwaltschaft im August 1989 eingestellt.[6] Die Kugel, die den Jugendlichen tödlich getroffen hatte, war nicht mehr auffindbar und so konnte nicht ermittelt werden, welcher der beiden beschuldigten Polizeibeamten den zum Tode führenden Schuss abgefeuert hatte. Ferner wichen die Schilderungen der Zeugen so stark voneinander ab, dass keine Rückschlüsse mehr zu ziehen waren. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits kurz nach dem Tod des Jugendlichen das Verhalten der Polizeibeamten gerechtfertigt.[3] Einige Tage nach den tödlichen Schüssen im Stadtteil Frohnhausen kam es in Essen zu Demonstrationen gegen die Polizei. Eine Woche nach dem Vorfall versammelten sich bis zu 250 Demonstranten vor dem Essener Polizeipräsidium, um gegen den Polizeieinsatz im Fall des erschossenen Jugendlichen zu demonstrieren.[7] Zur Demonstration hatten unter anderen Die Grünen aufgerufen, auf einem Flugblatt forderten sie die öffentliche Aufklärung des Polizeieinsatzes. Die Humanistische Union forderte in einem offenen Brief an den damaligen NRW-Innenminister Herbert Schnoor eine „unvoreingenommene dienstliche und disziplinarrechtliche Untersuchung des Falls“.[3] Ferner wurde in dem Brief die Frage gestellt, wie der Jugendliche an die Waffe geraten konnte und ob die Polizei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel beachtet habe. Ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten vermerkte, dass die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten seiner Meinung nach nicht dem Ausbildungsstand entsprechend gehandelt hätten. Es wäre durch die Feststellung der Personalien des Beifahrers möglich gewesen, den Flüchtigen zu ermitteln.

Die Leiche des Jugendlichen wurde in der Türkei bestattet.[7]

Zeugenaussagen[Bearbeiten]

Laut Aussagen des Arbeitskreises Kemal C., der sich im Anschluss an die Ereignisse gebildet hatte, um die Ermittlungen zu unterstützen, belegen zahlreiche Zeugenaussagen, dass die Beamten während der Verfolgungsjagd auf den 13-jährigen Täter schossen, ohne zu versuchen, den Jugendlichen zur Aufgabe zu bewegen.[4] Das Verhalten der Polizei habe den Jugendlichen in Panik versetzt. Auch soll nach den tödlichen Schüssen noch ein weiterer Schuss gefallen sein. Ein Zeuge, der die Geschehnisse von seiner Wohnung gegenüber der Gartenanlage aus beobachtete, sagte aus, dass Kemal C. nicht mehr bewaffnet war, als die tödlichen Schüsse fielen.[5] Der Jugendliche hätte mit leicht erhobenen Armen auf der Gartenlaube gestanden, bevor er erschossen wurde. Der Zeuge legte der Polizei eine Aufnahme aus seiner Wohnung vor, auf der zu sehen sei, dass hinter den Polizisten keine Schaulustigen gestanden hätten, als der Jugendliche auf dem Gartenhaus stand. Insgesamt wurden 15 Zeugen vernommen, deren Aussagen widersprüchlich waren. Vier Zeugen, darunter zwei Polizeibeamte, die im Verdacht standen, die tödlichen Schüsse auf den Jugendlichen abgefeuert zu haben, sagten aus, dass Kemal C. vom Dach des Gartenhauses aus auf die Polizisten gezielt habe. Die Mehrheit sagte aus, der Jugendliche habe nicht gezielt. Einige gaben an, er habe die Waffe nicht mehr in der Hand gehalten. Die Aussagen der beiden Todesschützen wichen dabei voneinander ab. Einer der Beamten sagte aus, der Jugendliche habe vom Dach aus geschossen, woran sich der andere nicht erinnern konnte.[6]

Des Weiteren kritisierte der Arbeitskreis Kemal C., dass nicht alle Dienstwaffen untersucht wurden, die bei dem Polizeieinsatz eingesetzt wurden, und dass ungeklärt blieb, ob eine möglicherweise fehlerhafte Durchsage im Polizeifunk dazu geführt haben könnte, dass sich die Ereignisse zuspitzten.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Hochspringen Die Nachkriegszeit begann mit dem Schutz vor Plünderungen. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung. 7. Juli 2009, abgerufen am 26. Juli 2012.
  2. Hochspringen nach: 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Tödliche Jagd auf jungen Mopedfahrer. In: die tageszeitung. 4. Juli 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Katastrophaler Polizeieinsatz. In: die tageszeitung. 5. Juli 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.
  4. Hochspringen nach: 4,0 4,1 Polizei handelte nicht in Notwehr. In: die tageszeitung. 5. Juli 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.
  5. Hochspringen nach: 5,0 5,1 Neue Zeugenaussagen im Fall Kemal C. In: die tageszeitung. 17. Juli 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.
  6. Hochspringen nach: 6,0 6,1 In Notwehr von hinten erschossen. In: die tageszeitung. 14. September 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.
  7. Hochspringen nach: 7,0 7,1 Demo gegen Polizeimethoden. In: die tageszeitung. 8. Juli 1989, abgerufen am 26. Juli 2012.

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