Emotionaler Missbrauch

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Unter emotionalem Missbrauch (auch bekannt als emotionale Gewalt, psychische Gewalt oder seelische Gewalt) versteht man einen Prozess, in dem ein oder mehrere Täter durch verschiedene Mittel ein Opfer misshandeln, herabwürdigen und verletzen, dabei aber überwiegend auf körperliche Gewalt verzichten.

Etymologie[Bearbeiten]

Psyche (altgriechisch ψυχή, psychḗ, für ursprünglich „Atem, Hauch“, vonψύχω, „ich atme/hauche/blase/lebe“) wurde im Altgriechischen in sehr umfassendem Sinn verstanden und sogar zur Umschreibung der ganzen Person verwendet.[1] Gewalt (walthan von althochd. „stark sein, beherrschen“[2]) bezeichnet die Verfügungsgewalt über eine Person oder eine Sache. Psychische Gewalt ist also die Verfügungsgewalt eines Agressors über die Psyche seines Opfers mit dem Ziel, ihr seelische Schäden zuzufügen bzw. die Persönlichkeit zu schädigen oder zu zerstören.

Definition[Bearbeiten]

Unter psychischer Gewalt versteht man eine „sprachlich vermittelte Gewalt“. Konkret gemeint ist „jene geistigen Gewaltakte und Sprechhandlungen, die z.B. im Anschreien, in der Beschimpfung, Beleidigung, Verleumdung, Diskreditierung, Herabwürdigung, Missachtung, Abwertung, im Ignorieren und Lächerlichmachen bis hin zu Demütigung und Rufmord bestehen“[2] Nach D. Olweus ist Gewalt das Zufügen negativer Handlungen: „Es liegt eine negative Handlung vor, wenn jemand absichtlich einem anderen Schmerz, Verletzungen oder Unannehmlichkeiten zufügt oder es versucht.“[3] Psychische Gewalt ist demnach als Verletzung der Persönlichkeit oder der seelischen Gesundheit zu verstehen, was nach Nunner-Winkler nicht ausschließt, dass auch körperliche Gewalt (z.B. eine Schlägerei im Fußballstadion) psychische Gewalt z.B. durch Demütigung beinhaltet.[4]

Nunner-Winkler unterteilt den Gewaltbegriff in zwei Hauptklassen mit dem Ziel, für beide Klassen lösungsorientierte Handlungsansätze zur Prävention oder zur Intervention zu entwickeln:

  • In der ersten Klasse richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Ziele und Absichten des Handelnden („aktororientiertes Gewaltkonzept“); Gewalt kann positiv (z.B. Elterliche Gewalt), neutral (z.B. Schlüsselgewalt), negativ (z.B. Raubüberfall) oder kontrovers (z.B. Tyrannenmord) ausgeübt werden. Ziele seien die Verfolgung persönlicher, bei negativer Gewalt insbesondere auch unzulässiger Ziele, entweder um ihrer selbst willen (Bestätigung, Machtgefühl), zur Erreichung eines bestimmten Ziels oder auch stellvertretend für das Wohl einer anderen Person.
  • In der zweiten Klasse richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen für den Unterworfenen. Hier wird eine bewusste Eingrenzung auf den ausschließlich negativ bewerteten Pol des Gewaltbegriffs vorgenommen und im Blick auf die Art (Psyche) der Schädigung auf jene, die im Medium von Sprache und Gestik erfolgen und nicht durch die Ausübung oder Androhung körperlicher Gewalt. Psychische Gewalt setzt neben dem sachlichen Aspekt einer Aussage ein Mindestmaß an Mitspielbereitschaft des Angegriffenen bei der Interpretation einer Aussage voraus. So könne die Aussage „Ein guter Fußballspieler bist du nicht.“ neutral als unbedeutende Sachaussage (z.B. wenn sich der Angesprochene nichts auf Fußball macht) oder als Beleidigung gedeutet werden. Er kann den Angreifer auflaufen lassen, wenn er ihn seine Betroffenheit nicht anmerken lässt.[5]

Problem beim Erkennen des Handlungsbedarfs[Bearbeiten]

Emotionaler Missbrauch gilt wissenschaftlich und psychotherapeutisch als nur wenig untersucht und ist selten in öffentlichen Diskussionen. Ein Grund dafür ist, dass er im Vergleich zu anderen Gewaltformen schwerer festzustellen bzw. zu identifizieren ist.

Da sich der emotionale Missbrauch überwiegend in hermetischen Familiensystemen abspielt, ist es schwer, objektiven Einblick in die genauen Abläufe zu bekommen. Zudem hinterlässt emotionaler Missbrauch im Gegensatz zu körperlichem Missbrauch keine sichtbaren Wunden und ist dadurch häufig schwerer zu heilen. Dementsprechend schwer fällt es Opfern, auch tatsächlich als Opfer wahrgenommen zu werden.

Beispiele[Bearbeiten]

Ziel des emotionalen Missbrauchs ist es, den Kern der Persönlichkeit des Opfers anzugreifen oder zu zerstören. Als Mittel hierfür werden genutzt:

  • Liebesentzug,
  • verbale Manipulation,
  • starke Diskrepanz zwischen Inhalts- und Bedeutungsebene von Aussagen. Die Diskrepanz zwischen Inhalts- und Bedeutungsebene von Aussagen kann von Tätern sehr gut genutzt werden, um den emotionalen Missbrauch auch in aller Öffentlichkeit auszuüben.
  • Ablehnung
  • Isolierung
  • Demütigung
  • Verunsicherung
  • Drohung
  • Belästigung/Terror
  • Abwertung

Literatur[Bearbeiten]

  • Hirigoyen, Marie-France: Die Masken der Niedertracht – Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann. dtv Verlag, München 2002, ISBN 978-3-423-36288-7
  • Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen: Gewaltbericht 2001. Gewalt in der Familie - Rückblick und neue Herausforderungen. Wien: Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Hochspringen Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. 7. Auflage, München 1959, S. 815.
  2. Hochspringen nach: 2,0 2,1 P. Imbusch: Der Gewaltbegriff. In W. Heitmeyer & J. Hagan (Eds.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung (S. 26 - 57). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002. Zitiert bei Gertrud Nunner-Winkler: Psychische Gewalt. Landeskommission Berlin gegen Gewalt (Online, PDF-Datei)
  3. Hochspringen D. Olweus: Täter - Opfer - Probleme in der Schule: Erkenntnisstand und Interventionsprogramm. In H. G. Holtappels, W. Heitmeyer, W. Melzer & K.-J. Tillmann (Eds.): Forschung über Gewalt an Schulen. Erscheinungsformen und Ursachen, Konzepte und Prävention (S. 282). Juventa, Weinheim, München 1997
  4. Hochspringen Nunner-Winkler nennt dieses Beispiel und bezieht sich nachfolgend auf Schwind: Gewalt sei „die zielgerichtete direkte physische Schädigung von Menschen“ in H.D. Schwind, J. Baumann u.a.: Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Band I: Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen. 2. unveränderte Auflage 1990.
  5. Hochspringen J.L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte. Reclam, Stuttgart 1972
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