Der Weg der Götter (Shintô)

Aus MARJORIE-WIKI
Wechseln zu: Navigation, Suche

Der Weg der Götter (Shintô). Gehalt und Gestalt der japanischen Nationalreligion ist ein Werk des deutschen Theologen und Missionswissenschaftlers Gerhard Rosenkranz. Es wurde 1944 veröffentlicht und beruht auf einer Studienreise, die der Verfasser im Jahr 1938 durch Ostasien unternahm.

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten]

Die Zuteilung von Papier für Druckerzeugnisse, die nicht dem direkten Interesse der damaligen staatlichen Agitation und Propaganda dienten, war wegen der Kriegsereignisse strikt begrenzt. Zudem wurde über Rosenkranz im selben Jahr ein Reichsredeverbot verhängt. Somit war es keineswegs sicher, dass das Buch überhaupt erscheinen konnte. Der Kotau des Verfassers vor Goebbels im Vorwort ist auf diesem Hintergrund zu verstehen und es bleibt durchaus zu fragen, ob der „Synthese” zwischen Nationalität und Religiosität im Blick auf den Staats-Shintô herausarbeitete und ihre eventuelle Anwendung auf die deutsche Situation glücklich gewesen wäre, wenn er sie zur Kenntnis genommen hätte.

Inhalt[Bearbeiten]

Nachdem sich Japan Korea und große Teile Chinas einverleibt hatte, schickte es sich als Dai Nippon (Gross-Japan) Ende der 1930-er Jahre an, sein Herrschaftsgebiet nach Südostasien auszuweiten. Dieser historische Hintergrund ist auf vielen Seiten des Buches deutlich zu spüren. Die offiziellen Versuche den “Staats-Shintô” als kulturelle Bewegung und damit nicht als Konkurrenz zu den Religionen darzustellen, lehnt Rosenkranz strikt ab. Als Religionswissenschaftler sind ihm die zahllosen religiösen Phänomene, die die Praxis des “Staats-Shintô” begleiten, deutlich bewusst. Hingewiesen sei hier auf den damals eskalierenden Konflikt mit den Muslimen Südostasiens. Es bleibt häufig unbeachtet, dass die Beziehungen zwischen Meiji-Japan und dem Osmanischen Sultanat bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückreichen und in der gemeinsamen Gegnerschaft gegen Russland gründen. Waren die Muslime anfangs durchaus unter dem Banner des Antikolonialismus bereit, mit den Japanern gegen die westlichen Kolonialmächte (Frankreich, Großbritannien und die Niederlande) zu kooperieren, so verlor sich diese Bereitschaft umgehend, als sie gezwungen wurden, ebenfalls als Ausdruck kultureller „Solidarität” und des Respekts vor dem Tennô allmorgendlich ihre Verehrung der aufgehenden Sonne zu erweisen, was, wie den Muslimen natürlich nicht verborgen blieb, einer Anbetung der Amaterasu gleichkam, und das war für sie shirk, Götzenverehrung. So fielen die Muslime als Bündnispartner mehr oder weniger aus, und die Japaner mussten mit den südostasiatischen Nationalisten vorlieb nehmen, doch diese hatten nicht nur die Befreiung von westlicher Kolonialherrschaft im Sinn, sondern auch die Abwehr der japanischen Hegemoniebestrebungen.

Auch in Japan selbst, so weiß Rosenkranz zu berichten, nahm man in weiten Kreisen die „nicht-religiöse” Erklärung des „Staats-Shintô” der Regierung nicht ab, was nicht heißen muss, dass er als solcher abgelehnt wurde. Denn die Identifizierung mit dem Land und den in ihm wahrnehmbaren Phänomenen, zu denen auch die Götter und Geister gehören, mit dem Mikado (Kaiser) als Repräsentanten der göttlichen inmitten der menschlichen Welt, gehört zu den Grundüberzeugungen eines Japaners. Dabei setzten die Herkunftsmythen durchaus unterschiedliche Akzente über sein göttliches bzw. menschliches Wesen, wobei die Ambivalenz u.a. in dem begründet sei, was unter kami verstanden wurde; zum Gesamtkomplex des Mythos, an dessen Ende die Erscheinung der Amaterasu als der Ahnherrin des ersten Tennô (“Himmelssohn”, Titel des Kaisers) steht, vgl. S. 25-47.

Seine Erklärung des für das japanische Welt- und Selbstverständnis so grundlegenden Begriffs kami beginnt Rosenkranz mit einem Erlebnisbericht über seinen Besuch des ältesten japanischen Heiligtums in Uji-Yamada, nämlich dem Ise-Schrein, der aus zwei voneinander getrennten Schreinen besteht, dem der Toyoukebime-no-Mikoto und, in seiner Nähe, dem Schrein der Sonnengöttin Amaterasu, der Ahnherrin des Tennô, des Volkes und des ganzen Landes (S. 5). Durch Beobachtungen und Gespräche tastet er sich zu der Frage vor, was kami eigentlich für einen Japaner bedeutet. Es ist, so erfährt er, eine „heilige Kraft”, die sich in unterschiedlicher Weise in den Gegenständen, toten wie lebendigen, bemerkbar macht – “ein Erlebnis des durch seine Erhabenheit und Überlegenheit Außergewöhnlichen” (S. 18). Es ist „das Heilige”, aber wohl eher im Sinne von tabu, möchte man hinzufügen, und jedenfalls keine „Seele” (anima). Kami eignete jeder auffallenden Erscheinung, wobei in neuerer Zeit – in Fortführung der früheren Heroen¬verehrung – besonders auch die sich im Krieg opfernden „Helden” bedacht werden und nun im Staats-Shintô mit besonderen kami-Schreinen ausgezeichnet werden.

Da der kami-Glaube vor allem im Volk weit verbreitet ist und gelebt wird, gibt es ihn in unzähligen Varianten, auf die Rosenkranz in einem umfangreichen Kapitel ausführlich eingeht (S.48-80). Wichtig auch als Ordnungsprinzip ist für ihn die Einteilung der kami in zwei Gruppen: die Natur-kami, zu denen auch die meisten Götter einschließlich der wichtigsten Göttin, Amaterasu, gehören, und die Menschen-kami. Es beeindruckt auch hier wieder, wie Rosenkranz die Bedeutung und Rollen der Natur-kami – und damit von Göttern und Geistern, in denen sie wirken – durch Hinweise auf ihre Mythen und Kurzbeschreibung von Schreinen, in denen sie verehrt werden, anschaulich macht. Da sie es waren, die vor allem das Selbstverständnis der Japaner prägten, geht Rosenkranz sehr ausführlich auf ihre verschiedenen Untergruppierungen und Wirkungsweisen ein. Aber auch die Verehrung der Menschen-kami findet sich seit den ältesten Zeiten im religiösen Leben der Japaner und verschaffte sich vor allem in der Verehrung von „heiligen Menschen” im Volks-Shintô Raum (S. 74 ff.). Dazu gehören vor allem die vergöttlichten oder zu kami aufgestiegenen Urahnen einer Sippe, die später zu ihren Schutzgeistern wurden und damit aufs engste mit der Ahnenverehrung zusammen hängen. Viele von ihnen sind durchaus als historische Persönlichkeiten identifizierbar, allerdings wurden sie nach ihrem Übergang in den kami-Stand durchaus zum Gegenstand von Mythen. Historisches und Mythisches fließen also ineinander über; durch die Riten wird dann die Vergangenheit in die Gegenwart geholt. Am Ende dieses Kapitels zitiert Rosenkranz den Magister Valentin Fichtner aus Holzminden, ein literarisches Geschöpf von Wilhelm Raabe, der beim Schreiben seines Werkes De Daemonibus aufseufzte: „O, wie ist die Welt voll davon! O wie ist ihre Zahl Legion!“ (S. 79). So verhält es sich auch mit den achthundert Myriaden kami der Japaner. Mit der Einteilung in zwei Hauptgruppen versuchte er eine erste Ordnung in das Gewirr zu bringen. Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass Mythos und Historie aufs engste ineinander greifen und die Vergangenheit die Gegenwart bestimmt, wenn auch in den beiden Gruppen durchaus in umgekehrter Reihenfolge: Bei den Natur-kami steht die Verbindung zum Irdischen in der Regel am Ende, verdeutlicht etwa am Mythos der Amaterasu: Als Göttin ist sie der Ursprung von allem Irdischen, vor allem der tennô, der irdischen (japanischen) Herrscher, deren Linie mit ihrem Sohn Jimmu-tennô begann. Bei den Menschen-kami ist es umgekehrt: Am Anfang steht eine geschichtliche Gestalt, die dann auf Grund ihrer Taten zum kami wird.

Beide Gruppen von kami sind im religiösen Shintô seit Urzeiten präsent und sie finden sich auch ungebrochen im Staats-Shintô. Deshalb ist auch er, trotz aller anderslautenden Beteuerungen seitens der japanischen Regierung, für Rosenkranz Religion, auch wenn die Akzente verschoben werden. Dem Staats-Shintô geht es in erster Linie um eine Reinigung des Shintô von äußeren Einflüssen, die sich im Volksglauben großer Popularität erfreuten. Deshalb steht für den Staats-Shintô der Tennô, selbst Objekt der Verehrung und Priester, im Mittelpunkt.

Eng verbunden mit der Vorstellung vom göttlichen Herrscher war die vom „Reich”, dessen japanische Variante Rosenkranz durchaus als dem damals in Deutschland propagierten Reichsgedanken verwandt versteht, nämlich als integrale Einheit von Volk, Land und Herrscher. Gleich zu Beginn dieses Kapitels über „Das Heilige im Staats-Shintô: Das Reich” (S. 81-120) verweist Rosenkranz auf den beachtlichen Beitrag, den der Buddhismus zum Entstehen und Werden der den Staats-Shintô prägenden Vorstellungen lieferte, etwa durch die Lehre von den avatâra, den Gestaltwerdungen himmlischer Buddhas (bzw. bodhisattvas), wobei der Gleichsetzung von Vairočana Buddha mit Amaterasu besondere Bedeutung zukam. Trotz der großen Popularität des Buddhismus und seiner Heilslehren gelang es immer wieder vom Shintô geprägten Gelehrten, Amaterasu als die Japans Identität stiftende Gottheit herauszustellen und damit nicht nur dem populären Sekten-Shintô gewisse Schranken aufzuerlegen, sondern gleichzeitig auch die Voraussetzungen für die Entwicklung zum Staats-Shintô zu schaffen, der sich ebenfalls bemühte, die Einflüsse der nicht-japanischen Religionen zurückzudrängen. Die Gegnerschaft zum Buddhismus wurde schon in der Tokugawa-Periode, als der Buddhismus quasi als Staatsreligion fungierte (beendet 1868, S. 85) und der Tennô ein Schattendasein führte, zu einem wesentlichen Anliegen jener Richtung, die in der Meiji-Reform die Macht übernahm und den Tennô als obersten Repräsentanten von Volk und Land anerkannte und propagierte.

Rosenkranz befasst sich ausführlich mit verschiedenen japanischen Denkern, die diese Entwicklung beeinflussten oder vorantrieben. Schon in der Meiji-Zeit wurde eine große Säuberung der unzähligen Shintô-Schreine angeordnet. Nur diejenigen ohne buddhistische Götter wurden vom Staat anerkannt und nur in ihnen durfte der reine, auf den Tennô ausgerichtete Staats-Shintô zelebriert werden (S. 86). Der Begriff jinja, Schrein, durfte nur noch von den von der Regierung bestätigten Schrei¬nen benutzt werden, während die übrigen Richtungen im Shintô zusammen mit den anderen Religionen als kyôkai galten. Dieser Begriff wurde auch von den christli¬chen Kirchen übernommen. Mit dieser terminologischen Unterscheidung glaubte die japanische Regierung den Unterschied zwischen Staats-Shintô als kulturellem Phänomen und den Religionen hinreichend gefestigt zu haben. Rosenkranz beschreibt sie deshalb ausführlich, weil sie die Argumentationslinien für den Staats-Shintô besser verstehen lassen, gleichzeitig aber auch deutlich machten, wie brüchig und wenig haltbar ihre Prämissen sind.

Im Sekten-Shintô (S. 121-131) kommt die universale Bedeutung und Gegenwart der kami noch einmal voll zum Ausdruck. Rosenkranz nennt dies „Pankamismus” (S.130). Die Vielzahl der Sekten, die nahezu alle von historisch greifbaren, als Propheten auftretenden und von ihren Anhängern göttlich verehrten Persönlichkeiten gegründet wurden, spiegelt noch einmal die Vielzahl der kami-Vorstellungen, die mit Hilfe von konfuzianischen und buddhistischen Lehren zu ausformulierten Glaubens¬systemen geordnet wurden und stark auf die persönlichen Anliegen des Einzelnen ausgerichtet sind, worin sie sich erheblich vom Staats-Shintô unterscheiden (S. 122). Entscheidend für die Menschen ist das Bewusstsein der Zugehörigkeit, der Gemeinsamkeit” mit den kami, und darin liegt der Unterschied zum christlich-westlichen Verständnis der „Gemeinschaft”, deren Grundlage die Anerkennung des eigentlich tiefen Gegensatzes zwischen Gott und Mensch und dessen Überwindung durch Gott ist, der damit die neue Gemeinschaft zwischen sich und den Menschen sowie unter den Menschen selber ermöglicht. Die Zugehörigkeit zur Sphäre der kami muss durch magisches Handeln stets aufs Neue gewährleistet werden, um ihre Anforderungen zu erfüllen und damit an ihrer Segenssphäre Anteil zu erhalten bzw. ihrem Zorn zu entrinnen.

Magie und andere Verhaltensformen sind dann das generelle Thema des folgenden Teils dieses Buches, „Die Gestalt des Shintô” (S. 135-210), unterteilt in vier Kapitel: Magische Befragung, Magische Aneignung, Magische Abwehr und Japanische Religion und japanischer Geist.

Im ersten Kapitel behandelt Rosenkranz die unterschiedlichen Quellen, aus denen lebenswichtige Kenntnisse zu den verschiedenen Lebenssituationen und ihrer Bewältigung gewonnen werden können, wie Astrologie, Orakel, Träume, Geomantik (unter starkem chinesischen Einfluss) u.a. Trotz der starken Einflüsse aus China und dem Buddhismus geht es Rosenkranz immer wieder um das Aufdecken entscheidender Wurzeln in den japanischen Traditionen. Letzten Endes geht es, wie ein japanischer Schriftsteller formuliert, „um die Befragung des Herzens der kami“. Deshalb ist nicht die Ermittlung des Willens des Himmels (t’ien) entscheidend, wie in China, sondern die Erkundung des Willens der kami (S. 136).

Der Staats-Shintô stand diesen Traditionen reserviert, wenn auch nicht unbedingt feindselig gegenüber. Interessant ist eine Bemerkung von Rosenkranz, deren Bedeutung ihm damals vielleicht gar nicht bewusst war, dass nämlich die Herstellung des Mondkalenders für den Herbst 1942 verboten wurde. Damals erreichten die Eroberungen von Dai Nippon mit der Besetzung des damaligen Niederländisch Indien ihren Höhepunkt, der allerdings bereits den Keim des bald danach einsetzen¬den Niedergangs im Pazifischen Krieg in sich trug. Enthielt der Mondkalender einen Hinweis auf diese „Wende”? Die erhoffte Zusammenarbeit mit den Muslimen Südostasiens scheiterte am Versuch, sie unter Berufung auf den nicht-religiösen Charakter des Staats-Shintô zur Verehrung der aufgehenden Sonne, interpretiert auch als Loyalitätserweis für den Tennô, zu bewegen.

Auch im nachfolgenden Kapitel über die „aneignende Magie”, die vor allem mit Festen und Opfern verbunden ist, beschreibt Rosenkranz u.a. die Rolle des Tennô, der immer wieder scheinbar zugleich als Gott und Priester auftritt. Auch hier zeigt es sich, worauf Rosenkranz beständig hinweist, dass sich auch der Staats-Shintô – trotz gegenteiliger Behauptungen der staatlichen Propaganda – in keiner Weise von den alten religiösen Riten und Traditionen des Shintô zurückziehen kann und diese auch unter staatlichem Regiment ihren religiösen Charakter beibehalten. Das liegt, was immer wieder zu betonen ist, an der seit Anbeginn engen Verbindung zwischen der himmlischen Welt und sowohl dem japanischen Land als auch dem japanischen Volk. Neben anderen zitiert Rosenkranz den japanischen Schriftsteller Hirata Atsurane: “Unser Land, alleiniger Abkömmling der Götter, das einzige Land der Sonnengöttin und allein von ihren Nachkommen regiert, wird stets anderen Ländern, ihren Führern und ihrer Führung überlegen sein. Die Japaner sind treu und aufrecht, voller Verachtung gegenüber den eitlen Systemen und Irrtümern, die andere Völker betören” (S. 192). Daraus erklärt sich sicher der skrupellose Expansionsdrang Japans seit der Meiji-Reform, dem zunächst seine engsten Nachbarn, Korea und der Osten Chinas mit Taiwan, zum Opfer fielen. Aber erklärt er auch die unglaublichen Barbareien, die Japaner an den besiegten Völkern begingen? Solche Fragen wurden allerdings auch in Ostasien erst nach dem Ende des Krieges auf breiterer Ebene aufgeworfen.

Wiederholt warnt Rosenkranz die westlichen Leser oder Beobachter japanischer Lebensart vor falschen, ihren eigenen Denkgewohnheiten entspringenden Folgerun¬gen. Die Liebe und Verehrung der Japaner zu ihrer Natur (nur ein Stichwort: Kirsch¬blüte) ist natürlich tief in ihrer Seele verankert. Doch auch dabei handelt es sich nicht nur um Ästhetik, der der Abendländer allzu schnell verfällt, sondern vor allem um Religion (z.B. S. 194).

Ähnlich verhält es sich mit der Einstellung zum Tod. Obwohl die mit dem Sterben verbundenen Riten und die Jenseitsvorstellungen stark vom Buddhismus geprägt sind, gehören auch hier Religion und Ästhetik aufs Engste zusammen, ausgedrückt im Ideal der Reinheit und der Einfachheit, wobei bei den Kriegern die Tapferkeit dazu kommt. Der Tote hat den Weg in die andere Wirklichkeit äußerlich und innerlich rein anzutreten. Rosenkranz berichtet, dass die Krieger vor Beginn gefährlicher Schlachten sich reinigen und saubere Unterwäsche anziehen mussten. Denn für sie ist das Sterben für den Tennô, für das Volk und für das Land keine perverse Propa¬gan¬da¬phrase, sondern spiegelt das uralte Selbstverständnis der Japaner, insbesondere “die Sehnsucht, nach dem Tode als kami weiterzuleben” (S. 200), und das gilt insbesondere für den Opfertod, und zwar nicht nur im Krieg, sondern auch sonst in gefährlichen Situationen oder solchen, wo in Not Geratenen opferbereit geholfen wird. Wie weit allerdings der Staats-Shintô im Zuge seiner faschistoiden Ideologisierung nicht doch pervertiert wurde, ist nicht – und konnte in der damaligen Situation wohl auch nicht – von Rosenkranz weiter thematisiert worden. Er berichtet über das, was im Volksglauben lebte. Auf Grund gegenwärtiger Erfahrungen mit “Selbstmord-Märtyrern” sei allerdings darauf hingewiesen, dass der seppuku und die Hoffnung auf ein künftiges kami-Dasein nicht das Geringste mit modernen islamisti¬schen Selbstmordverständnissen, gelegentlich als „Martyrien” kaschiert, zu tun haben. Die Erwartung, als „Märtyrer” schnell in den Himmel zu kommen, um dann dort ungehindert die Freuden an und mit den „Huris” genießen zu können, entlarvt einen ungehinderten, aufs Sexuelle ausgerichteten Egoismus, der dem japanischen Gedanken des Opfertodes frontal entgegen steht. Dem Japaner ging es, zumindest in der Zeit, als Rosenkranz sein Buch schrieb, darum, dem Organismus des Gesamt¬wohls, dessen Glied er ist, auch weiterhin zu dienen, und das konnte er auch als kami nach dem Tod.

Am Schluss seines Buches kommt Rosenkranz noch kurz auf eine vor allem wohl westliche Leser und Leserinnen seines Buches interessierende Frage zu sprechen: das Verhältnis von Mann und Frau und die Stellung der Frau allgemein. Die Frage ist zwar eine westliche, aber die Antwort versucht Rosenkranz auch hier aus dem Geiste Japans zu entwickeln.

Zunächst kommt der Hinweis darauf, dass zwei der verehrtesten Götter Japans Göttinnen sind: Amaterasu und Toyouke (S. 206). Auch wirkten bedeutende Frauen besonders im 10. und 11. Jahrhundert in der Dichtkunst und, schon in den vorangehenden Jahrhunderten, in der Politik. Die folgenden Jahrhunderte allerdings brachten verheerende Unruhen, so dass die vorrangige Rolle in der Gesellschaft wieder von den Männern übernommen wurde. Das die japanische Gesellschaft strukturierende vertikale Abhängigkeitssystem, mit dem Tennô an der Spitze und dem Adel sowie die Lehnsherren als Schichten unter ihm, von denen dann die Männer abhängig sind, verweist auf den (Ehe-)Mann als die Instanz, von der die Frauen abhängig sind. Der letztlich durch alle Schichten hindurchgehende „Verzicht auf die eigene Persönlichkeit” führte dazu, dass auch die dem Mann untergeordnete Stellung der Frau nicht als etwas Ungewöhnliches empfunden wurde. Über Jedem steht eine ihm zugeordnete Herrschaft. Dadurch erhält aber auch Jeder seine ihm eigene Aufgabe in der Gesellschaft und die Möglichkeit ein kami zu werden: zum Wohle des Ganzen und zur Erfüllung des Sinnes seines Daseins. Somit verwundert es nicht, dass selbst in den Yasukuni-Schrein Frauen Aufnahme gefunden haben. Die Stellung der Frau ist also kein isolierter Topos, sondern hängt mit der Gesamt¬struktur der japanischen Gesellschaft zusammen.

Ausblick[Bearbeiten]

Rosenkranz versucht in diesem Buch dem „Geist Japans” so, wie er sich ihm in seinen Studien und in seinen zahlreichen Begegnungen erschlossen hat, nachzu-spüren. Damit führt er ein in eine andere Welt, deren innere Strukturen und Dynamik dem westlichen Beobachter manches Rätsel aufgeben. Wenn auch nicht die Lösung aller Rätsel, so gelingt es Rosenkranz dennoch einfühlsam und tiefgründig seine aufmerksame Leserschaft auf einem guten Stück des Weges zu besserem Verstehen anzuleiten.

Neben der anderen Welt ist es auch die andere Zeit, über die Rosenkranz schreibt und aus der heraus er selber schreibt. Im Jahr nach dem Erscheinen dieses Buches erlebte nicht nur Japan die von Rosenkranz vorausgeahnte „Götterdämmerung” (S. 210) Es zeigte sich, dass auch die Deutschen die ihrige noch keineswegs hinter sich hatten, wie Rosenkranz meint. Die Erfahrungen am Ende des 1. Weltkrieges, auf die er wohl anspielt, sollten sich angesichts dessen, was den Deutschen ebenfalls ein Jahr später bevorstand, lediglich als Ouvertüre des Schreckens erweisen. Doch Japan erlebte nun auch seine Götterdämmerung: Der Tennô musste auf alle göttlichen Attribute und Insignien verzichten und der Traum von Dai Nippon war ausgeträumt. Damit fand auch der Staats-Shintô sein unrühmliches Ende, nicht jedoch der Shintô.

Hinweise auf die Auswirkungen dieser Katastrophe und Analysen darüber werden diejenigen, die sich mit diesem Buch beschäftigen, natürlich nicht hier finden. Dennoch werden sie, falls sie auch den modernen Shintô studieren, mit Gewinn auf dieses Buch zurückgreifen, schon allein wegen der vielen, aus der Lektüre und vor allem aus den lebendigen Begegnungen mit Japanern gewonnenen Einsichten und Details.

Rezeption[Bearbeiten]

Da die Arbeit in den letzten Jahren vor dem Zusammenbruch des japanischen Kaiserreiches im August 1945 geschrieben und veröffentlicht wurde, wird sie von Kultur- und Religionswissenschaftlern der Gegenwart als Quelle für eine Epoche verwendet, in der der Shinto noch einen unangefochtenen Geltungsanspruch in Japan hatte und weite Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens bestimmte. Im Jahr 2006 wurde das Werk neu aufgelegt.

Literatur[Bearbeiten]

Der Weg der Götter (Shintô). Gehalt und Gestalt der japanischen Nationalreligion, München: Arbeitsgemeinschaft für Zeitgeschichte 1944, 223 Seiten

Info Sign.svg Dieser Wikipedia-Artikel wurde, gemäß GFDL, CC-by-sa mit der kompletten History importiert.