Deixis vs. Anapher

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Deixis und Anapher gehören zu den indexikalischen Zeichen. Sie stellen einen Verweis dar, welcher nur durch den Äußerungskontext verständlich ist. Zum Beispiel versteht man die Aussage „Dieses Buch müsstet ihr lesen!“ nur dann vollständig, wenn man den Titel den Buches kennt. Um das zu wissen, gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder zeigt der Sprecher auf ein bestimmtes, in der Sprechsituation vorhandenes Buch; dann ist die Wendung „dieses Buch“ eine Deixis. Oder der Sprecher meint ein Buch, das er im Gesprächsverlauf bereits (beispielsweise durch Namensnennung) erwähnt hat. Dann handelt es sich um eine Anapher.

Wissenschaftsgeschichte[Bearbeiten]

Eine Unterscheidung in den Gebrauchsweisen von Demonstrativpronomen findet sich bereits bei Windisch (1869), der unter Berufung auf Apollonios Dyskolos Deixis dadurch gegenüber Anapher abgrenzt (1869:252), „dass sie sich direct auf das wirkliche Object in der Außenwelt bezieht, das bisher unbekannt oder wenigstens noch nicht in die Rede eingeführt war, während ἀναφορά (Anapher, Anm. d. Verf.) stattfindet, wenn ein in der Rede vorher schon erwähntes Object nochmal durch ein Pronomen aufgenommen wird.“

Grade der Deixis[Bearbeiten]

Karl Brugmann (1904) differenziert das Deixis in sich differenziert und unterscheidet (1904:9 ff.) zwischen Dér-Deixis, Ich-Deixis und Jener-Deixis.

Während Baader (1929) das Verhältnis von Person und Art der Deixis noch nach Art der sprachphilosophisch-spekulativen Theorien des frühen 19. Jh. behandelt, wird das Problem der räumlichen Origo der Deixis von Bühler in seiner 1934 erschienen Arbeit zur Sprachtheorie ausführlich behandelt. Eine Zusammenfassung zur Raumdeixis mit weiterer Literatur findet sich bei Sennholz (1985), sowie bei Ehlich (1979) und zur Deixis am Phantasma bei Sitta (1991).

Deixis und Anapher[Bearbeiten]

Nach 1970 setzt eine verstärkte Beschäftigung mit der Abgrenzung von Deixis und Anapher ein, und von Halliday/Hasan (1976:57-76) wird ein Schema entwickelt, das einen raumdeiktischen (exophorischen) gegenüber einem nicht-raumdeiktischen (endophorischen) Gebrauch unterscheidet. Der nicht-raumdeiktische Gebrauch unterteilt sich in Anapher und Katapher. Dieses findet sich weiterentwickelt z.B. bei Berger/Weiss (1987:16), die wie andere Autoren seit den achtziger Jahren die syntaktische Verwendung mitberücksichtigen, innerhalb derer zudem zwischen propositionalem und nominalem Antezedens differenziert sowie das Antezedens in seiner Verwendung noch nach intra- und transphrastisch (d.h. innerhalb eines Satzes oder außerhalb) klassifiziert wird. In der neueren Forschung finden sich Ansätze, die Anaphorik und Deixis in einem einheitlichen Rahmen als Phänomene der "domänengebundenen Referenz" behandeln (Consten 2004).

Das Problem der Verortung von Deixis, das bereits von Bühler thematisiert worden ist, ist als Problem der sprachlichen Referenz u.a. von Lyons (1975, 1983) behandelt worden. Die Problematik der Anapher ist in der Folgezeit stärker von Autoren untersucht worden, die sich innerhalb der generativen Grammatik mit Sprache beschäftigt haben. Sternefeld (1993) enthält eine Zusammenfassung, welche formalen Kriterien sich für anaphorischen Gebrauch bei Pronomina finden lassen, wenn man als Maßstab die Logik, wie sie als Disziplin in der Philosophie definiert worden ist, nimmt. Nach Sternefeld (1993:940) ist deiktischer Gebrauch indexikalisch und zu unterscheiden von koreferentiellem, bei dem sich das Pronomen auf den gleichen Referenten wie die zugehörige Nominalphrase bezieht, sowie von der Verwendung als gebundene Variable und deren Skopus (1993:941 ff.). Weiterhin wird unter dem Stichwort "sloppy identity" (1993:946 ff.) die Frage behandelt, wann auf Grund von Indexikalisierungsproblemen keine Ellipse des Pronomens möglich ist.

Bei Definitheit ist im Zusammenhang mit Demonstrativpronomina ein Zusammenfall im Bereich der dér-Deixis mit dem Definitartikel möglich und in indogermanischen Sprachen auch vorhanden (vgl. Kupfer (2002)). Dieser Zusammenfall muss aber sprachtypologisch als "exotisch" gelten. Eine Übersicht zu Theorien über Definitheit findet sich bei Keizer (1992:187 ff.). Sie teilt die Theorien der letzten zwanzig Jahre in semantisch-pragmatische gegenüber pragmatisch-kognitive ein.

Von Benveniste wird der Gedanke der Räumlichkeit, wie er bei Bühler bereits aufgetaucht war, in seinen 1966 erschienen Arbeiten zur Allgemeinen Sprachwissenschaft unter dem Begriff „instances de discours“ weiterverfolgt und vor dem Hintergrund des Redegeschehens thematisiert. Er behandelt auch die Verortung von Personalpronomen im Diskurs. In der gleichen Richtung arbeitet Fillmore (1982:37) weiter, der neben den Deiktika auf Lokalkonstruktionen und Bewegungsverben als sprachliche Ausdrücke von Raum hinweist, auf zwar auf ihre Funktion (1982:43) als a) informing, b) identifying und c) acknowledging.

Bibliographie[Bearbeiten]

  • Theodor Baader: Die identifizierende Funktion der Ich-Deixis im Indoeuropäischen. Eine ethnologisch-sprachwissenschaftliche Untersuchung (= Indogermanische Bibliothek. Abteilung 3: Untersuchungen. Bd. 10, ZDB-ID 843760-9). C. Winter, Heidelberg 1929.
  • Emile Benveniste: Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft (= List-Taschenbücher der Wissenschaft 1428 Linguistik). List, München 1974, ISBN 3-471-61428-1.
  • Tilman Berger, Daniel Weiss: Die Gebrauchsbedingungen des Anaphorikums „tot“ in substantivischer Verwendung. In: Gerd Freidhof, Peter Kosta (Hrsg.): Slavistische Linguistik 1986. Referate des 12. Konstanzer Slavistischen Arbeitstreffens Frankfurt Main/Riezlern 16. – 19. September 1986 (= Slavistische Beiträge. Bd. 212 = Slavistische Linguistik. Referate des Konstanzer Slavistisches Arbeitstreffens 12). Sagner, München 1987, ISBN 3-87690-379-3, S. 9–93.
  • Karl Brugmann: Die Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen. Eine bedeutungsgeschichtliche Untersuchung (= Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. 22, Nr. 6). Teubner, Leipzig 1904, [double=0&cHash=ca1fb8d34f8af7450b83729b3cf3cdf2 Digitalisat].
  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 452). 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1990, ISBN 3-520-45202-2.
  • Manfred Consten: Anaphorisch oder deiktisch? Zu einem integrativen Modell domänengebundener Referenz (= Linguistische Arbeiten. Bd. 484). Niemeyer, Tübingen 2004, ISBN 3-484-30484-7 (Zugleich: Jena, Universität, Dissertation, 2002: Anaphorische und deiktische Referenz.).
  • Konrad Ehlich: Verwendungen der Deixis beim sprachlichen Handeln. Linguistisch-philologische Untersuchungen zum hebräischen deiktischen System (= Forum Linguisticum. Bd. 24). 2 Bände. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1979, ISBN 3-8204-6308-9 (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation, 1976).
  • Charles J. Fillmore: Towards a descriptive framework for spatial deixis. In: Robert J. Jarvella, Wolfgang Klein (Hrsg.): Speech, Place, and Action. Studies in Deixis and related Topics. Wiley, Chichester u. a. 1982, ISBN 0-471-10045-5, S. 31–59.
  • Michael A. K. Halliday, Ruqaiya Hasan: Cohesion in English (= English Language Series. Bd. 9). Longman, London u. a. 1976, ISBN 0-582-55031-9.
  • Nikolaus P. Himmelmann: Deiktikon, Artikel, Nominalphrase. Zur Emergenz syntaktischer Struktur (= Linguistische Arbeiten. Bd. 362). Max Niemeyer, Tübingen 1997, ISBN 3-484-30362-X (Zugleich: Köln, Universität, Habilitations-Schrift, 1994).
  • Mathilde Evelien Keizer: Reference, Predication and (In)definiteness in Functional Grammar. A Functional Approach to English Copular Sentences. s. l., s. n. 1992 (Amsterdam, Vrije Universiteit, Proefschrift).
  • Katharina Kupfer: Die Demonstrativpronomina im Rigveda (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 21: Linguistik. Bd. 244). Lang, Frankfurt am Main u. a. 2002, ISBN 3-631-37651-0 (Zugleich: Frankfurt am Main, Universität, Dissertation, 2000).
  • John Lyons: Deixis as Source of Reference. In: Edward L. Keenan (Hrsg.): Formal Semantics of Natural Language. Papers from a Colloquium sponsored by the King's College Research Centre, Cambridge. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1975, ISBN 0-521-20697-9, S. 61–83.
  • John Lyons: Semantik. Band 2 (= Beck'sche Elementarbücher). Beck, München 1983, ISBN 3-406-07953-9.
  • Klaus Sennholz: Grundzüge der Deixis (= Bochumer Beiträge zur Semiotik. Bd. 9). Brockmeyer, Bochum 1985, ISBN 3-88339-462-9 (Zugleich: Bochum, Universität, Dissertation, 1982).
  • Georg Sitta: Deixis am Phantasma. Versuch einer Neubestimmung (= Bochumer Beiträge zur Semiotik. Bd. 31). Brockmeyer, Bochum 1991, ISBN 3-88339-950-7 (Zugleich: Bochum, Universität, Dissertation, 1991).
  • Wolfgang Sternefeld: Anaphoric Reference. In: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. = Handbooks of Linguistics and Communication Science. Band 9: Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Halbband 1. de Gruyter, Berlin u. a. 1993, ISBN 3-11-009586-6, S. 940–966.
  • Ernst Windisch: Untersuchungen über den Ursprung des Relativpronomens in den indogermanischen Sprachen. In: Studien zur griechischen und lateinischen Grammatik. Bd. 2, 1869, ZDB-ID 202289-8, S. 201–425.
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