Antizionistische Kampagne in Polen 1967/68

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Unter Antizionistische Kampagne in Polen 1967/68 werden die staatlich iniziierten Ereignisse in der Volksrepublik Polen von 1967 bis 1968 verstanden, die zur Diskriminierung von Bürgern mit tatsächichem oder vermeindlichem jüdischem Hintergrund und schließlich ihrer tausendfachen Ausreise führten.

Aushang des PKWN-Manifests, das später als Gründungsurkunde der Volksrepublik Polen angesehen wurde

Vorgeschichte[Bearbeiten]

Die kommunistische Bewegung Polens[Bearbeiten]

Die Vorgeschichte des März 1968 ist in den Wirren des vorletzten Kriegsjahres zu suchen, als eine Gruppe polnischer Kommunisten, die sich vor der vorrückenden Wehrmacht in die UdSSR gerettet hatte, im Januar 1944 mit der Roten Armee nach Polen zurückkehrte[1] und am 22. Juli 1944 das Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung (PKWN)[2] gründete - dieses Datum sollte im Gründungsmythos der Volksrepublik Polen fortan als ihr Entstehungsdatum gelten. Die Mitglieder dieses Komitees waren zu 35% jüdischer Herkunft, ein Trend, der sich bereits in der Komunistyczna Partia Polski, der am 16. August 1938 durch die Komintern aufgelösten Kommunistischen Partei Polens (KPP), abgezeichnet hatte, da in dieser 2/3 der Funktionäre jüdischer Herkunft gewesen waren.[2] Sieben der zehn ZK-Mitglieder waren zu Beginn der 20er Jahre Juden.[3] Unter allen Mitgliedern zusammengenommen machten Juden nie weniger als 22% aus, in größeren Städten überstieg sie häufig 50% und in kleineren 60%.[4] Die KPP (bis 1925 KPRP: Komunistyczna Partia Robotnicza Polski – Kommunistische Arbeiterpartei Polens) war 1918 aus dem Zusammenschluß der SDKPiL (Socjaldemokracja Królestwa Polskiego i Litwy - Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens) und der PPS-Lewica (Polska Partia Socjalistyczna – Lewica – Polnische Sozialistische Partei – Linke), einer radikalrevolutionären Absplitterung der PPS, entstanden, die auf ihrem Höhepunkt 5.000–6.000 Mitglieder zählte (hinzu kamen der KPP untergeordnete kommunistische Parteien und ihre Jugendorganisationen, so daß sich die Gesamtheit der politisch organisierten Kommunisten in Polen auf ihrem Höhepunkt 1926 auf 33.736 Mitglieder belief[5], plus untergeordnete Gewerkschaften mit einem Gesamtmitgliedsstamm von 77.000 Personen).[6] Noch deutlicher zeigte sich die Menge der Mitglieder jüdischer Herkunft in der Jugendorganisation der KPP, der KZMP (Komunistyczny Związek Młodzieży Polskiej – Kommunistischer Bund der polnischen Jugend), in dem die Politik von ethnischer Vorurteilsfreiheit eine Mitgliederstruktur hervorgebracht hatte, in denen ethnische Polen in der Gesamtheit in der Minderheit waren: sie machten 1930 19% aus,1933 33%, während in den selben Jahren 18% bzw. 17% Ukrainer, 12% bzw. 19% Weißrussen und 51% bzw. 31% Juden waren.[7] Obwohl weniger als 1% der in Vorkriegspolen lebenden 3 Millionen Juden mit dem Kommunismus sympathisierten, wiesen sie in verschiedenen Organisationen der kommunistischen Bewegung eine signifikante Zahl auf – so waren die Mitglieder der polnischen Sektion der Internationalen Roten Hilfe zeitweise 90% jüdischer Herkunft – wenngleich sich diese Verteilung mit der Zeit relativierte.[2] Diese jüdischen Mitglieder waren zumeist junge Menschen, die versuchten dem Judentum zu entfliehen – zu einer Zeit, als die kommunistische Bewegung die einzige war, die ihnen im Falle einer Machtübernahme die völlige und sofortige Emanzipation versprach und sie vorurteilsfrei aufnahm – gleichzeitig schienen die kommunistischen Ideale nicht der Talmud-Ethik zu widersprechen.[2] Bereits vor dem Kriege entwickelte sich so das in Polen verbreitete Stereotyp der Żydokomuna – ein Begriff, der ins Deutsche teils mit Judäo Kommune übersetzt wird[8] - wie sich in einem Text eines Hauptpublizisten der Endecja, der polnischen Nationaldemokraten, des Priesters Stanisław Trzeciak widerspiegelt: „Wer über Kommunisten spricht und nicht über Juden, der hat einfach keine Ahnung, was der Kommunismus ist, da Kommunismus und Judaismus gegenwärtig ein beinah gleichbedeutender Begriff sind.“[9] Ein Stereotyp, das von einigen kommunistischen Machthabern im Jahre 1968 paradoxer Weise wieder aufgegriffen werden sollte. Eine erste Gruppe polnischer Kommunisten kehrte bereits 1941/42 auf polnisches Gebiet zurück und gründete am 5. Januar 1942 in Warschau die konspirative Polska Partia Robotnicza, die Polnische Arbeiterpartei (PPR), mit ihrem militärischen Arm, der Gwardia Ludowa - Volksgarde (GL) - die ab 1944 den Namen Armia Ludowa – Volksarmee (AL) – tragen sollte (hier waren auch Teile der Polska Partia Socjalistyczna, der Polnischen Sozialistischen Partei [PPS] beteiligt).[10] Diese Gruppe versammelte nun sowohl in Polen verbliebene Vorkriegskommunisten aus der Zeit der Zweiten Republik, als auch Jungkommunisten ohne Arbeiterparteierfahrung um sich – Menschen die fortan das Selbstbild des Soldaten pflegten und die gemeinsame Erfahrung der Okkupation miteinander teilten.[10] Währenddessen gründeten die in der UdSSR verbliebenen Exilanten im Frühling 1943 den Związek Patriotów Polskich – den als Eliteschmiede nach sowjetischem Muster gedachten Bund Polnischer Patrioten (ZPP) – aus der im Januar 1944 das Centralne Biuro Komunistów Polskich – Zentralbüro der Polnischen Kommunisten (CBKP) hervorging – das sich selbst die Oberhoheit über die bei Stalin kein Vertrauen genießende PPR zusprach und unter Oberaufsicht der sowjetischen Brüder stand.[10] Diese Entwicklung wird von zahlreichen Historikern als die bedeutendste Spaltung der polnischen kommunistischen Bewegung in Krajowcy, also der in Polen verbliebenen bzw. dorthin früh zurückgekehrten Kommunisten, und Moskale gesehen.[11] Aber auch unter den Moskalen gab es bereits Spannungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Mitgliedern: nach seiner 1990 herausgegebenen Biographie hielt der polnische General und spätere Politiker Zygmunt Berling, der auch dem ZPP angehörte (allerdings von der Roten Armee zunächst in die SU verschleppt worden war), zahlreiche Mitglieder dieses Verbandes für eine unpatriotische, „jüdisch-kommunistische Sekte“, zu denen er auch diejenigen zählte, die mit Jüdinnen verheiratet waren.[12] Um die Westverschiebung Polens zu legitimieren, übernahmen die polnischen Kommunisten in Moskau zudem die „piastische Staatsidee“, die die Ausdehnung der polnischen Grenzen nach Westen und die Verleihung der Staatsbürgerschaft ausschließlich an ethnische Polen beinhaltete.[13]

Als die Moskalen 1944 mit der Roten Armee nach Polen zurückkehrten, gründeten sie mit dem PKWN die neue de-facto-Regierung in Polen, die einzig von der UdSSR und auch als einzige politische Vertretung Polen von dieser anerkannt wurde. Dies bedeutete für die Mitglieder der kämpfenden PPR den Zwang zur Zusammenarbeit. Die PPR verschwand als eigenständige politische Kraft im Dezember 1948, als sie mit der PPS zur Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), vereinigt wurde. Der Vereinigung gingen Säuberungen in beiden Parteien voraus, denen auch der spätere I. Sekretär der PZPR – Władysław Gomułka – zum Opfer fiel.[14] Ein bedeutender Teil der polnischen Vorkriegskommunisten waren also jüdischer Herkunft, wenngleich nur ein verschwindender Teil aller polnischen Juden Kommunisten waren. Nachdem diese, um ihr Leben vor den Schergen der hitleristischen Vernichtungsmaschinerie zu retten, in die UdSSR geflohen waren und dort ausharrten, bildete sich in Polen mit der PPR eine „ethnisch homogen polnische“ sozialistische Partei, der mit Kriegsende die aus der Sowjetunion und dort mittlerweile auf Linie gebrachten Kommunisten entgegenstanden, aufgrund ihrer Beziehung zu Moskau aber die dominante Rolle im Spät- und Nachkriegspolen übernahmen.

Ein neues Polen[Bearbeiten]

Das Polen, das wir seit dem II. Weltkrieg kennen, hat bei genauerer Betrachtung mit dem Vorkriegspolen, der nach den Wirren des I. Weltkrieges entstandenen II. Rzeczpospolita, die nach fast zwei Jahrhunderten, in denen Polen von der Landkarte verschwunden war, wieder eine eigene, „echte“ polnische Staatlichkeit darstellte, weniger zu tun als beim ersten Hinsehen scheint. Nicht nur, daß, wie bei anderen europäischen Staaten auch, Grenzen verschoben (die neue polnische Ostgrenze entsprach beinah exakt der bereits nach dem I. Weltkrieg als Demarkationslinie vorgeschlagenen, sich an den Sprachgrenzen orientierenden Curzon-Linie) und die Staatsräson grundlegend geändert wurde – im speziell polnischen Fall entstand in seiner Geschichte erstmal das, was man einen Nationalstaat nennt. Aus einem Vielvölkerstaat, in dem die ethnischen Polen selbst neben Ukrainern, Weißrussen und Litauern nur 69% der Bevölkerung ausmachten (obgleich Teile dieser 69% den neuen polnischen Staat bereits als „national“ begriffen und die anderen Gruppen zu dominieren, assimilieren und notfalls zu vertreiben trachteten) und in einigen Teilen des Landes sogar in der Minderheit waren (siehe Beispieltabelle auf der nächsten Seite, wo das krasse Beispiel der Woiwodschaft Wolhyniens die Situation verdeutlicht, in der Polnisch von kaum 1/6 der Bevölkerung als Muttersprache angegeben wurde und sie kaum stärker vertreten war als Menschen mit der Muttersprache Hebräisch oder Jiddisch, die deutliche Majorität jedoch Ukrainisch angab), war dank der sowjetischen Politik nach 1945 ein ethnisch homogenes Staatsgebilde geworden.

Einwohner der Woiwodschaft Wolhynien nach Konfession und Muttersprache 1931 (in tausend, aufgerundet)[15]
Konfession gesamt Muttersprache
Polnisch Ukrainisch Weißrussisch Russisch Tschechisch Deutsch Hebräisch oder Jiddisch andere o.k.A.
gesamt 2085,6 346,6 1426,9 2,4 23,4 31,0 46,9 205,5 2,9
röm.-kath.[16] 327,9 317,7 2,0 0,1 0,2 7,3 0,2 - 0,4
gr.-kath.[17] 1455,9 20,2 1388,0 2,2 22,8 21,6 - - 1,1
orthodox 11,1 1,2 9,7 0,2 0,1 - - - 0,1
evangelisch 53,4 4,6 5,3 - 0,1 1,3 42,2 - 0,1
mosaisch 207,8 2,0 0,1 - - - - 205,5 0,1
andere o.k.A. 29,5 1,1 21,7 - 0,2 0,8 4,5 - 1,1

Schon während des Krieges und der IV. Polnischen Teilung waren die östlichen Gebiete der UdSSR und den jeweiligen nationalen Sowjetrepubliken angegliedert, im Gegenzug 2,5 Millionen Polen „repatriiert“ worden. „Die Juden“ schienen die einzige große „ethnische“ Minderheit geblieben zu sein. Diese Minderheit belief sich auch 40.000 bis 100.000 Personen, die den Holocaust im Land selbst durchgestanden hatten, sowie 50.000–170.000, die aus der Sowjetunion und 20.000 – 40.000, die aus Deutschland nach Polen repatriiert worden waren – von den 1939 in Polen lebenden 3,35 Millionen polnischen Juden hatten insgesamt um die 369.000 die Shoah überlebt[18], davon hielten sich die meisten in Warschau, Wrocław, Krakau und Niederschlesien auf.[19] Auch war das Nachkriegspolen nicht sofort ein befriedetes – ein Bürgerkrieg hielt das Land bis 1947 im Griff und während sich die kämpfende, in ihrer Gesamtheit 66.000 Mitglieder umfassende Untergrundbewegung neben der aus der AK vorhergegangenen WIN (Wolność i Niezawisłość – Freiheit und Unabhängigkeit), auch aus der radikal antisowjetischen und antisemitischen NSZ (Narodowe Siły Zbrojne – Nationale Streitkräfte) und den radikalen antisowjetischen, antisemitischen und antipolnischen ukrainischen Organisationen UPA (Ukraińska Powstańcza Armia – Ukrainische Aufstandsarmee) und OUN (Organizacja Ukraińskich Nacjonalistów – Organisation Ukrainischer Nationalisten) zusammensetzte, schienen sich die in Polen lebenden Juden in die Sicherheit der Regimenähe geflüchtet zu haben.25 Seit dem Einmarsch der Roten Armee 1944/45 war es zu einem erneuten rapiden Anstieg antisemitischer Stimmung gekommen – auch wenn sich die neue Regierung, die allerdings kaum Rückhalt in der Bevölkerung genoß, ernsthaft um eine Integration der jüdischen Minderheit bemühte, was auch zu einer Verschärfung des Vorurteils der Żydokomuna geführt haben könnte – das stand in Kontinuität mit der Legende jüdischen Zusammenarbeit mit den sowjetischen Besatzern während des Kriegsverlaufs.26 Tatsächlich waren die allermeisten Juden in den von der SU besetzten Gebieten vor dem Einmarsch der Wehrmacht nach ihrer Religiosität, ihrer staatlichen Zugehörigkeit oder ihres sozialen Status vehemente Antikommunisten gewesen – was jedoch weder während noch nach dem Kriege ins polnische Bewusstsein übergegangen war, so hatte der polnische Priester Józef Anczarski am 29. Juni 1941 in sein Tagebuch geschrieben: „Wenn die Deutschen zu uns kommen, kann mit den Juden was Böses passieren, zumal die Juden eng mit den Kommunisten und dem NKWD zusammengearbeitet haben. Die durch die bolschewistischen Verbrecher verfolgte Bevölkerung hat ihnen viel vorzuwerfen.“27 Zu beachten ist, das hier, die sicherlich vorhandene Zusammenarbeit einiger weniger Juden mit der Besatzungsmacht (resultierend aus der oben beschriebenen Zusammensetzung der kommunistischen Bewegung) auf alle übertragen wird. Das führte in über 50 Orten (die zumeist auf ukrainisch bewohntem Territorium, aber unter starker Beteiligung der polnischen Mitbürger stattfanden) zu Pogromen.28 An dieser allgemeinen Einstellung hatte sich auch nach dem Kriege nichts geändert. Die Übergriffe dieser Zeit, die sich in vielen Städten zu pogromartigen Ausschreitungen entwickelten, bei denen teils auch polnische Milizionäre und Armeeangehörige beteiligt waren, kosteten in der Zeit von 1944 – 47 schätzungsweise 1500 bis 2000 Juden das Leben.29 Zu diesen Ausschreitungen gehörten bereits 1945 eine brennende Synagoge in Krakau und ein Bombenanschlag auf ein Sanatorium für jüdische Waisenkinder in der Nähe Krakaus mit zehn bzw. vier Toten.30 Seinen traurigen Höhepunkt erreichte der Hass im Massaker von Kielce im Jahr darauf, bei dem 42 jüdische Männer, Frauen und Kinder den Tod fanden.31 Der Untergrund schien sie derweilen mit dem kommunistischen System zu identifizieren32 - die Mitarbeit einer signifikanten, aber zur Gesamtheit der Juden verschwindenen Zahl prominenter Juden wie Jakub Berman im Sicherheitsapparat wurde der gesamten Judenheit angelastet.33 Der größte Teil der jüdischen Emigranten verließ unter diesem Eindruck die Volksrepublik Polen (Polska Rzeczpospolita Ludowa – PRL) in diesen beiden Jahren,34 - 100.000 bis 120.000 bis 1948. Allein von Juli bis August 1946 verließen 90.000 bis 95.000 ganz Osteuropa.35 Im November 1946 befragte die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) die 127.000 in der amerikanischen Besatzungszone in DP-Lagern lebenden Juden nach ihrer Staatsbürgerschaft: 6% kamen aus Ungarn, 4% aus der Tschechoslowakei, 2% aus Österreich, sowie 10% aus anderen Staaten oder waren staatenlos – 71% gaben Polen als Herkunftsland an.36 In den Jahren 1949 – 1950, also mit der Gründung des Staates Israel, verließen nochmals um die 30.000 Polen.37 Die in Polen verbleibenden Juden schienen in die neuen Regierungsparteien zu strömen – Ende der 1940er Jahre zählte die PZPR 10.000 Mitglieder jüdischer Herkunft – ihre Familien mitgezählt waren also zumindest 20.000 der zu diesem Zeitpunkt noch in Polen sesshaften 70.000–80.000 Juden direkt mit der neuen regierenden kommunistischen Partei verbunden.38 Unter ihnen waren auch zahlreiche Bundisten, von denen auf dem Parteitag von Wrocław 1949 der Großteil den Übertritt in die PZPR beschlossen hatte.39 Während der Liberalisierungsphase von 1957–1959 verließen nochmals schätzungsweise 50.000 Juden das Land.40 In den 60er Jahren lebten in Polen schätzungsweise 25.00041 Juden in einer Bevölkerung, die insgesamt 24 Millionen Menschen zählte.42

Entstalinisierung, Reformen und „Kleine Stabilisation“[Bearbeiten]

Władysław Gomułka

Der Tod Stalins im März 1953 zog einen langsamen Richtungswechsel in der Politik des sowjetischen Blocks nach sich, der als Ottepel' – Tauwetter – in die Geschichte einging und mit der Geheimrede Chruščëvs auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 schließlich das System des Stalinismus offiziell verurteilte und beendete.

Auch für Polen bedeutete dies einen harschen Wandel: nach bedeutenden gesellschaftlichen Unruhen in einem der ärmsten Länder Europas (für einen durchschnittlichen Arbeitslohn konnte man gerade ein Paar Schuhe kaufen, bereits in den Großstädten verfügte nur die Hälfte der Wohnungen über Gas-, Wasser- und Kanalisationsanschluß43) wurde der ehemalige Parteisekretär Gomułka, der 1951 verhaftet und aus der Partei ausgestoßen worden und bis 1954 inhaftiert war, rehabilitiert und unter großer Zustimmung der ihn als Reformer feiernden Bevölkerung am 21. Oktober 1956 zum I. Sekretär der PZPR gewählt. Vorangegangen war ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Moskalen und Krajowcy, in der die Reformgegner Moskau ihre Treue versicherten – wobei diesmal die Krajowcy in ihrer Mehrheit gegen die Reform des Systems waren.44 Der neue Parteisekretär Gomułka schaffte den Ausgleich zwischen beiden Gruppierungen, konnte dadurch aber kaum eine eigene Politik ohne Rücksicht auf die Fraktionsführer durchsetzen, wodurch es, obwohl die Reformer in der Mehrheit waren, nicht zu den erhofften liberalen Reformen kam.45 Dieses Problem beseitigte Gomułka durch eine immer stärkere Machtkonzentration, angefangen 1957, als er an den demokratischen Zentralismus erinnerte und vor einer Rückkehr zum Stalinismus warnte, sollte die Tendenz zur Eigeninterpretation Marx'ens beibehalten werden.46 Gleichzeitig brachte die neue Regierung scheinbar schnelle Resultate: nach der im Stalinismus favorisierten Industrialisierung mit Fokus auf Schwerindustrie wurden jetzt massive Investitionen in Leichtindustrie und Nahrungsmittelwirtschaft betrieben, die Kollektivierung der Landwirtschaft gestoppt und die Importquote, u.a. für Kleidung und Haushaltswaren, angehoben - so dass bereits im Jahre 1957 ein Konsumwachstum von 7% feststellbar war und der Lebensstandard fühlbar angehoben wurde.47 Jedoch konnte diese Politik die Probleme der polnischen Wirtschaft nur kurzzeitig kaschieren und wurde bald von der Realität eingeholt: betrug das Wirtschaftswachstum in den Jahren 1956-1960 fantastische 30%, waren es in den 5 Jahren darauf bereits nur noch 8% (der Plan hatte 23% vorgesehen) und stagnierte in den Jahren darauf bei 1-2%/Jahr.48

Die Ära Gomułka, in der niemand Hunger leiden musste, der Lebensstandard trotz aller Verbesserung jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau stagnierte, wurde von vielen als eine Zeit der Langeweile, Gräue und Perspektivlosigkeit empfunden - politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten auf lokaler Ebene hielten an und führten bereits am Dekadenumbruch zu ersten mehrstündigen Streiks, die bis Mitte der 60er Jahre in der Bevölkerung erneut zu Revolutionsstimmung keimten.49 Für wieder andere sollte diese Ära auf andere Art deprimierend sein: aufgrund der Stabilisierung des Systems Anfang der 60er, der sog. „Kleinen Stabilisierung“ (keine der Fraktionen in der PZPR zweifelte das System an sich an50), war ein Kaderwechsel in der Partei auf unabsehbare Zeit nicht mehr notwendig geworden51 - was für junge, nachrückende Parteimitglieder das vorläufige Ende ihrer Karriere zu sein schien.

„Partisanen“ und „Patrioten“[Bearbeiten]

Mit „Partisanen“ wird eine informelle Gruppe bezeichnet, die sich aus den während des Krieges in Polen verbliebenen Kämpfern herausbildete und ihren ersten Auftritt als Fraktion auf dem VII. Plenum der PZPR vom 19.-20. Oktober 1956 hatte, auf dem sie ihre kombatantische Vergangenheit gegenüber den Moskalen herausstrich. Sie lehnten alles Unpolnische ab und profilierten sich als „Nationalkommunisten“.52 Als ihr Kopf wird der frühere Partisanenkommandant General Mieczysław Moczar angesehen, der ab 1956 einen steilen Karriereaufstieg hinlegte.53 1956-1964 bekleidete er das Amt des Vizeinnenministers - gleichzeitig das des Präses des Zarząd Głównego Związku Bojowników o Wolność i Demokrację - des Vorstandes des Hauptverbandes der Kämpfer für Freiheit und Demokratie, dem eine Vielzahl von Veteranenorganisationen unterstand.54 In dieser Funktion erreichte er eine Versöhnung der Kämpfer der AL mit denen der AK (Armia Krajowa - Heimatarmee), von der nach dem Kriege zahlreiche inhaftiert worden waren.55 Moczar entschuldigte sich dafür bei den Kämpfern und verwies auf zahlreiche gleichzeitig inhaftierte Mitglieder der AL und verwies die Schuld an die Stalinisten.56 Jerzy Eisler schrieb dazu: „Unter nationalen Losungen gelang es ihm um sich zahlreiche Kombattanten aus der AL, wie auch aus der AK zu versammeln. Es gab Partisanenlieder, Erinnerungen, es gab Wodka, Bigos und Würstchen am Stab. Moczar nutze geschickt die kombattantische Gemeinsamkeit derer, die - für das Vaterland - ihre Jugend verloren hatten, in den Wäldern kämpfend mit den Hitleristen, sowie den Fakt der Nachkriegsrepression gegenüber ehemaligen AK-Mitgliedern [...]“57 Damit schuf er sich den 300.000 Anhänger zählenden Stamm seines politischen Gefolges.58 Vor allem in den mittleren Kaderrängen der Partei, in der Anfang der 60er Jahre zahlreiche Posten zugunsten der „Partisanen“ neu besetzt wurden, konnte Moczar auf Rückhalt zählen.59 Aber auch oben erwähnte, jugendliche Kräfte, die für eigene Kampferfahrung zu jung waren, stießen nach und nach zu dieser Gruppierung: die sogenannten „Patrioten“, die sich von den Kontakten dieser Gruppe zu dem dem MSW (Ministerstwo Spraw Wewnętrznych - Innenministerium), daß die Partisanen nach und nach unter ihre Kontrolle gebracht hatten60, unterstehenden Inlandsgeheimdienst SB (Służba Bezpieczeństwa - Sicherheitsdienst) Karriereaussichten in der stagnierenden Politiklandschaft erhofften.61 Ein erster Schritt dazu war, dass die Partisanen, ihrem Wunsch folgend nach dem MSW auch die Armee unter ihre Kontrolle zu bringen62, diese zunächst in einer vom späteren I. Sekretär der PZPR (1981-89) - Gen. Wojciech Witold Jaruzelski - 1967 geleiteten Aktion von annähernd 1.300 jüdischen Offizieren „reinigten“ und die so frei gewordenen Posten mit Leuten aus ihren eigenen Reihen besetzten.63

Die Juden[Bearbeiten]

Die jüdische Minderheit in Polen war die bestorganisierte von allen Minderheiten: in den 60er Jahren gehörten ca. 9.500 von ihnen (als Mitglieder oder Kinder von Mitgliedern), also 1/3 der gesamten Gruppe, der 1944 gegründeten Dachorganisation TSKŻ (Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce - Gemeinschafts- und Kulturverband der Juden in Polen) an, der sich in 20 Klubs unterteilte.64 Die Veranstaltungen dieser Gemeinschaft erfreuten sich großer Beliebtheit und Teilnehmerzahlen, die teilweise in die 100.000 gingen, also auch von zahlreichen nicht-jüdischen Polen besucht wurden.65 Das CKŻP unterhielt 34 jüdische Schulen66, es erschien die Zeitung „Fołks Sztyme“, das Periodikum „Jidysze Szryftn“ und der jiddische Verlag „Jidisz Buch“ veröffentlichte jährlich 10 Titel mit insgesamt 30.000 Exemplaren - während gleichzeitig ein hoher Wille zur Integration bestand67 (diese Menschen hatten ja Polen bewusst zu ihrer Heimat gemacht – im Gegensatz zu den 100.000en, die nach dem Krieg das Land verlassen hatten). Es gab zwei jüdische Theater und in Warschau arbeitete das Jüdische Historische Institut.68 Gleichzeitig aber war das Judentum als Religionsgemeinschaft am verschwinden – das Amt des Oberrabbiners von Polen war seit 1961 nicht mehr besetzt worden69, anders als noch 1947, als in 38 Synagogen und zahlreichen Gebetshäusern Gottesdienste abgehalten wurden, 25 Rabbiner im Amt waren und noch ein religiöses Schulwesen, vor allem in Łódź, Krakau, Stettin und Wrocław bestand.70 Möglich gemacht wurde die hohe Vitalität jüdischen Lebens in Polen unter anderem durch die, vom MSW kritisch beäugte, großzügige Hilfe aus dem Ausland: allein der jüdische Joint überwies dem TSKŻ in den Jahren 1958–66 5,5 Millionen US$.71

Die Kampagne[Bearbeiten]

Genese[Bearbeiten]

Der 6-Tage-Krieg Israels gegen seine arabischen Nachbarn vom 5. bis zum 10. Juni 1967 veränderte die Beziehungen zwischen Israel und Polen erheblich. Hatte Polen zuvor gute Kontakte zu dem zum westlichen Block gezählten Land unterhalten, bedeutete der Gewaltausbruch einen Wendepunkt in der Nah-Ost-Politik der europäischen sozialistischen Staaten. Sofort wurde die Intervention gegen die mit der Sowjetunion verbündeten und von ihr militärisch ausgerüsteten und ausgebildeten Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens als Stellvertreterkrieg gesehen, der nachhaltig den Einfluss der Supermächte in dieser Region verändern sollte. Bereits am 6. Juni kam das Politbüro der PZPR zusammen und sprach den arabischen Staaten seine volle Unterstützung aus, die Kritik an Israel hielt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in einem normalen diplomatischen Rahmen und beschränkte sich auf die Verurteilung der Führung Israels.72 Schon wenige Tage danach, noch vor Ende des Krieges, am 8. Juni, kam es zu Beratungen des Warschauer Vertrages in Moskau, in deren Konsequenz alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Rumäniens ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel abbrachen.73 Während die Kuba-Krise heute noch präsent ist, sind die Ereignisse dieser Tage weitgehend in Vergessenheit geraten: zurück in Polen warnte Gomułka vor der Gefahr eines Atomkrieges, sollte Israel an Kernwaffen gelangen74 - und auch in der Bevölkerung entwickelte sich die Furcht eines neuen Krieges, was dazu führte, dass zahlreiche verschrockene Bürger ihr Geld von den Banken holten und Hamsterkäufe taten, die soweit gingen, dass es in einigen Woiwodschaften - wie z.B. Warschau - zu Leerkäufen kam.75 Gleichzeitig aber registrierte das MSW proisraelische Sympathien unter vielen polnischen Juden76 und in großen Teilen der nicht-jüdischen Bevölkerung, unter der der Witz „Die polnischen Juden haben die russischen Araber geschlagen!“ kursierte.77 Wenngleich Władysław Gomułka selbst zwar keine ausgemachten Sympathien für Juden hatte, nach heutigem Forschungsstand aber kein Antisemit war78 und das Existenzrecht Israels betonte79, gab er, nachdem bereits in den Tagen nach Kriegsausbruch die offiziellen Zeitungen mit „Imperialistische Aggression Israels gegen arabische Staaten“ und „Zionistische Spione im imperialistischen Dienst“ getitelt hatten80, mit seiner Rede vor dem Gewerkschaftskongress am 19. Juni den offiziellen Startschuss für die „Antizionistische Kampagne“, die ihre Gewichtigkeit dadurch erlangte, dass er davon sprach, keine „5. Kolonne Israels“ in Polen zu dulden und diejenigen, die sich angesprochen fühlten, zur Emigration aufforderte.81 Obgleich diese radikalen Passagen vor der Veröffentlichung der Rede in den Printmedien auf Anweisung des Politbüros, mit dem die Rede - unüblicher Weise - nicht abgesprochen war, gestrichen wurden, hatten sie doch schon tausende Polen in der Live-Übertragung im Radio gehört.82 Diese Ereignisse leiteten die erste Phase der „Antizionistischen Kampagne“, die des Sommers 1967 ein, in der diejenigen Kräfte, die schon zuvor gefordert hatten „Ordnung mit den Juden zu machen“, ihre Zeit gekommen sahen.83 Noch interessanter wird diese Kampagne, indem man sich vor Augen führt, daß sie sich zunächst nicht zwangsläufig nur gegen Juden wendete, sondern gegen alle Sympathisanten für Israel.84 Auch fiel diese Kampagne in eine Zeit der Abrechnung: drei Fraktionen innerhalb der PZPR - „Natolin“ (nach einem Warschauer Stadtteil benannt, in dem sich die Vertreter dieser Gruppe trafen und sich aus rechten Kräften des ehemaligen Regimes rekrutierte, die den Stalinismus auf Juden abzuwälzen trachteten und Reformen des Systems ablehnten85), „Puławianie“ (nach einer Warschauer Straße benannt, in der viele Mitglieder der Gruppe lebten. Sie rekrutierten sich ebenfalls aus Mitgliedern des alten Regimes, waren aber reformorientiert und verhalfen Gomułka an die Macht. Unter ihnen fanden sich zahlreiche prominente Kommunisten jüdischer Herkunft) und die „Partisanen“ - rangen um die zukünftige Vorherrschaft.86 Es wäre jedoch zu einfach, die „Partisanen“ als bloße Nationalisten zu bezeichnen, da auch diese nicht an der Bindung Polens zur UdSSR zu rütteln gedachten.87 Diese parteiinternen Rivalitäten traten in den Jahren 1967/68 erneut zum Vorschein.88 Zudem hatte es bereits während des Krieges Streitigkeiten zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Genossen gegeben, die ihren Kampfgenossen vorgeworfen hatten, sie strebten nicht ein sozialistisches und freies Polen an, sondern die „17. Republik“ der Sowjetunion.89

Am 28. Juni 1967 wurde im MSW eine Sondersitzung zur Zionismusfrage abgehalten, in der festgestellt wurde, „der Großteil der polnischen Juden habe den Standpunkt Israels eingenommen - sie seien Feinde der Politik der Partei und der Regierung der PRL, fremd der polnischen Nation“.90 Das berüchtigte Departement III, zuständig für die Bekämpfung staatsfeindlicher Elemente im Inneren, stellte fest: „Die polnischen Juden solidarisieren sich mit den israelischen Aggressoren, sie lobten die israelische Armee und die Politik der Regierung Israels [...] kritisch und oft feindlich sprachen sie sich über die Politik der Partei und der Regierungen der PRL, der UdSSR und anderer sozialistischer Staaten aus.“91 Es wurden klassische Theorien jüdischer Weltverschwörung aufgestellt, bemängelt, Juden erhielten Hilfe aus dem kapitalistischen Ausland und kolportiert, alle polnischen Gruppen außer den Juden stützten die Partei und Meldungen über Sympathiebekundungen für Israel von Polen beruhten auf gezielter Desinformation - während gleichzeitig die Sympathie für Israel gleichgesetzt wurde mit der Feindschaft zu PZPR und Volkspolen.92 Die Hauptschuld des MSWs an dem Werdegang der Kampagne ist darin zu sehen, dass als Ergebnis dieser Sondersitzung die polnischen Juden en bloc als Feinde von PZPR und PRL unter Generalverdacht, und nach Moczars Worten in eine Reihe mit der BRD, Radio Freies Europa und dem „reaktionären Klerus“ gestellt wurden.93 Hierbei war die Theorie einer zionistischen Bedrohung schon länger in den Kreisen des MSW gereift, bereits 1966 hatte der Vizeinnenminister Franciszek Szlachcic gesagt: „Die USA benutzen drei Kräfte gegen die sozialistischen Staaten: Klerus, BRD, Zionismus.“94 Das MSW beschrieb daraufhin das Profil des zionistischen Feindes als „stark, aber verdeckt, flüchtig, besiegbar, Feinde der Partei und Polens, auf hohen Positionen zu finden, durch ausländische Mächte gesteuert.“95 und leitete daraufhin bereits interne Säuberungen ein.96 Gleichzeitig reagierte das Politbüro, indem es für die Kampagne Vorbereitungen traf, die neben dem Aufruf zur Standhaftigkeit auch die Erhöhung der Offiziersbesoldung und die Schaffung von Möglichkeiten zur Rentenkürzung bei „Gegnern“ einschlossen97, während das MSW im Herbst '67 offiziell mit der Erfassung von „Israel-Sympathisanten“ begann, deren Kriterien weitgehend den Maßstäben der Nürnberger Gesetze folgten, also auch die jüdische Herkunft erfassten, selbst wenn die Betroffenen selbst von dieser nichts wussten oder individuell ein anderes nationales oder politisches Empfinden bekundeten.98 Die Daten, auf die das MSW während der Kampagne zurückgriff, gaben Auskunft über die Zusammenarbeit verschiedener Personen mit jüdischen Organisationen, über Namensänderungen (wobei Namensänderungen nach dem Krieg keine Seltenheit waren und zum Beispiel der Legalisierung von Decknamen dienten) und Auslandskorrespondenzen (diese war unter Menschen jüdischer Abstammung besonders hoch, waren doch teils ihre einzigen noch lebenden Verwandten dort)99 - bereits Mitte 1960 hatte eine Arbeitsgruppe im Innenministerium die Arbeit an dieser Kartei aufgenommen.100 Die „Abteilung für jüdische Angelegenheiten“ sammelte seit spätestens 1966, dem Jahr der Übernahme dieses Büros durch den Sicherheits- und Geheimpolizeifunktionär Oberst Tadeusz Walichnowski, Informationen über alle Juden in Nachkriegspolen, erstellte Ahnentafeln dieser, erfasste Eltern, Großeltern, oft sogar Urgroßeltern und stufte selbst Kinder aus „Mischehen“ und „Vierteljuden“ als „verdächtige Zionisten“ ein.101 Auch suchten die „Partisanen“ bereits zuvor die propagandistische Unterstützung durch den Präsidenten der regimekonformen katholischen Laienorganisation PAX, Bolesław Piasecki - kleinster gemeinsamer Nenner mit diesem Mann, der vor dem Krieg Vorsitzender der radikal-nationalistischen Organisation Falanga (zu deutsch „Phalanx“) gewesen war, war der Antisemitismus.102

Die Märzunruhen[Bearbeiten]

Die Absetzung des Theaterstückes „Dziady“ des polnischen Dichterfürsten Adam Mickiewicz, dessen Inszenierung zurecht antisowjetische Merkmale unterstellt wurden, führten zu Demonstrationen Warschauer Studenten am 31. Januar 1968 und einer Protestresolution polnischer Schriftsteller am 29. Februar - diese Ereignisse richteten sich somit auch direkt gegen die restriktive Kulturpolitik des Regimes.103 Den Auftakt zu den berühmten „Märzereignissen“ bildete eine friedliche Studentenversammlung auf dem Campus der Universität Warschau am 8. März, die die Wiederzulassung der aufgrund der vorangegangenen Proteste relegierten Studenten Adam Michnik104 und Henryk Szlajfer forderte. Diese Versammlung wurde durch die ORMO (Ochotnicza Rezerwa Milicji Obywatelskiej – Freiwillige Reserve der Bürgermiliz) aufgelöst, was in allen Universitätsstädten der PRL zu Protestaktionen und Zusammenstößen mit den Sicherheitsorganen führte.105 Nicht außer Acht darf man hierbei lassen, dass sich die „Aufrührer“ in der Erfahrung einer langanhaltenden Liberalisierung befanden und beide Seiten unter dem Eindruck der Ereignisse des Prager Frühlings standen.

Die Panik, die die Unruhen in der politischen Klasse ausgelöst haben müssen, werden verdeutlicht, sobald man die Verhaftungszahlen dieses Monats betrachtet: mitnichten handelte es sich nur um Studenten, denn bald schlossen sich in vielen Städten auch Mittelschüler und Arbeiter den Protesten an. Bis zum 27.3. nahm die Polizei in Polen insgesamt 2.591 Personen in Gewahrsam, von denen kaum die Hälfte, nämlich 597 bzw. 374, Studenten oder Schüler waren - zu ihnen gesellten sich 914 Arbeiter106 - es ist also nicht vermessen, hier von einem keimenden Volksaufstand zu sprechen - dessen politischen Folgen für das Regime, zudem für ein sozialistisches, wären erneut katastrophal. Entsprechend hart reagierten die zuständigen Stellen und statuierten im Laufe der Ereignisse ein Exempel an 80 Personen, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, obgleich sie größtenteils bald darauf amnestiert wurden - umso langfristiger traf es die 600 jungen Männer, die ohne von einem öffentlichen Interesse bedacht zu sein, aus ihrem Leben, ihrem Studium oder ihrer Arbeit gerissen und mittels eines Spezialbeschlusses zur „Besserung“ plötzlich zum Militärdienst einberufen wurden; besonders hart traf es in beiden Fällen Studenten jüdischer Herkunft.107 Zunächst jedoch schwiegen sich Partei und Medien über die Ereignisse aus, während die PZPR einen Gesamtschuldigen für die Unruhen in der Bevölkerung, für die Empörung von Literaten und Studenten suchte.108 Dieses anfängliche Schweigen ist hier auch als Symptom für die Uneinigkeit, für den Machtkampf innerhalb der Partei zu sehen, in der die überhand gewinnende „Partisanen“-Fraktion sich womöglich sammelte, den gemäßigten Gomułka und die ihn unterstützenden Reformer endgültig aus dem Amt zu jagen.109 Am Montag, dem 11. März wurde Warschau zum Schauplatz großangelegter Demonstrationen, die in Straßenkämpfen und Studentenkrawallen mündeten.110 Gleichentags bildete die Parteivollversammlung im Automobilwerk FSO in Warschau den Auftakt zu tausenden „spontanen“ Arbeiterkundgebungen im ganzen Land111 - die von den „Demonstranten“ mitgeführten Transparente trugen weitgehend identische Aufschriften wie „Schickt die Schweine zu Dajan!“, „Zionisten nach Zion!“, „Säubert die Partei von den Zionisten!“, „Die Jugend immer mit der Partei!“, „Lang lebe Gomułka!“ etc. pp.. Um zu verdeutlichen, wer genau mit „Zionist“ angesprochen werden sollte, waren diese Transparente mit Buckligen Langnasen illustriert; Bilder, die allabendlich über die Fernsehbildschirme flimmerten und tags darauf in den Zeitungen zu betrachten waren - kommentiert wurden sie nunmehr nicht mehr mit dem nationalsozialistischen „allmächtigen Judentum“, sondern mit dem „Weltzionismus“.112 Die Betonung auf Ideologie nun machte es aber auch möglich, Nicht-Juden mit ins Boot der Verschwörung zu werfen, was die vom Vatikan offiziell geächtete PAX am 11. März ausnutzte, um der mit ihr im Parlament konkurrierenden katholischen Fraktion Znak (z.dt. Zeichen), die als einzige offiziell zugelassene Organisation wagte sich auf Seite der protestierenden Studenten zu stellen und das Durchgreifen der Sicherheitskräfte zu verurteilen, gemeinsame Sache mit den „Verschwörern“ vorzuwerfen.113 Auch wurde am 11. März endlich das Schweigen der Partei gebrochen und eine Propagandaschlacht entfacht, indem in den offiziellen Presseorganen zwei Artikel erschienen, die die „Zionisten“, die „imperialistischen Agenten“, nicht nur ihrer Drahtzieherschaft an den gegenwärtigen Ereignissen bezichtigten, sondern sie auch für die Fehler im Stalinismus verantwortlich machten.114 Die Verantwortlichen gingen bis zur Veröffentlichung von Namenslisten angeblicher jüdischer Rädelsführer im Parteiorgan Trybuna Ludu und dem PAX-Organ Słowo Powszechne.115 Paradoxer Weise nutzten hier kommunistische Kräfte das Vorkriegsstereotyp der „Żydokomuna“ um das Versagen des Systems nicht ihm selbst anheim zu machen, sondern ihm mit Verweis auf seine Unterwanderung durch per se feindliche Kräfte seine Unschuld zurückzugeben. Der Hauptschlüssel zum Verständnis der Kampagne 1968 ist hier, dass sie sich im Grunde nicht auf die tatsächlichen Unruhen bezog, während die Demonstranten auf der Straße sich nicht auf die Kampagne von 1967 oder den „Antizionismus“ oder „Antisemitismus“ ihrer Regierung bezogen.116 Die Frauen und Männer auf der Straße bekundeten weder Sympathie, noch nicht einmal Interesse an Israel oder dem 6-Tage-Krieg, dem eigentlichen Auslöser für die Kampagne - noch ging die Gegenseite in irgendeiner Form auf deren Forderungen nach liberalerer Kultur- und Pressepolitik, geschweige denn auf Rufe nach Demokratie oder einen anderen Sozialismus nach Prager Vorbild ein. Der „Zionismus“ wurde ohne irgendeine Begründung und praktisch aus dem Nichts als Feindbild aufgebaut. Hier nun brach mit aller Macht die zweite, brutale Phase der bereits in Vergessenheit geratenen „Antizionistischen Kampagne“ über das Land herein.

Die zweite Phase[Bearbeiten]

Mit dem 11. März war der Reifeprozess der Kampagne endgültig abgeschlossen und es brach eine Welle des Antisemitismus über das Land. Die Rolle der Partei in der Pressearbeit wird durch eine Aussage des ZK-Mitgliedes und Leiters des Pressebüros beim ZK Stefan Olszowski vor dem Redakteursrat der führenden Zeitungen vom 5. April 1968 widergespiegelt117: Die Situation wurde radikal durch Beschlüsse der Parteiführung geändert, in denen empfohlen wurde, eine Pressekampagne gegen die Aufwiegler und politischen Bankrottanten zu entfalten, die zum Ziele habe ihren politischen Hintergrund zu demaskieren: reaktionäre, revisionistische und zionistische Kräfte. Mit Inkrafttreten dieser Beschlüsse erschienen ab dem 11.3. Publikationen, die eine Unterstützung der Parteilinie darstellen, gegen die Versuche Zions die öffentliche Ordnung durcheinander zu bringen und zu stören, sowie die politisch-gesellschaftliche Ausrichtung unseres Landes zu ändern. Hierbei ist zu beachten, dass aber weder das ZK noch das Politbüro in den Tagen zuvor ein offizielles Treffen abgehalten hatten, dass solch weitreichende Beschlüsse hätte treffen können.118 Wen also meinte Olszowski mit „Parteiführung“? Ein Zeichen dafür, dass die Spaltung in der Partei die offiziellen Organe soweit handlungsunfähig gemacht hatte, dass sich einzelne Kräfte dazu gezwungen sahen - oder die Gelegenheit dazu nutzten - die Richtlinienkompetenz an den dafür verantwortlichen Parteistellen vorbei an sich zu ziehen. Eine Entwicklung, die sich seit Anfang der 60er Jahre abgezeichnet hatte, war, dass Władysław Gomułka selbst zu einem immer autoritäreren Führungsstil griff,119 eine Eigenschaft, der zu verdanken auch der Ausgleich zwischen den Lagern und die Einheit der Partei zu verdanken ist. Ob nun er persönlich hinter den „Beschlüssen der Parteiführung“ stand, oder womöglich von anderen dazu gedrängt wurde, bleibt unklar. Denkbar ist, dass die Kampagne schon soweit ausgereift und zumindest parteiintern, nicht zuletzt durch die interne Informationsschrift des MSW Biuletyn Wewnętrzny (Innenbulletin), dermaßen verankert war, dass er, zusätzlich zu dem gegen ihn persönlich ausgeübten Druck aus der Fraktion der „Partisanen“, einer dorthin gerichteten Entscheidung nicht standhalten bzw. ihr nichts entgegenzusetzen hatte. Dass jedoch ein Großteil der veröffentlichten Texte selbst direkt aus dem MSW stammte lässt sich mittlerweile nachvollziehen.120 Die Kampagne richtete sich von da an nicht nur gegen die angeblichen „Zionisten“, sondern auch gegen Studenten, Intellektuelle und Regimegegner, stellte die „Zionisten“ aber als Drahtzieher hinter den Protesten dar.121 Dabei bezog sie sich nicht nur auf prominente „Zionisten“, sondern richtete sich en bloc gegen Betriebsleiter, Ingenieure, bedeutende Ärzte, schlichte Ladenbesitzer, Zahntechniker und kleine Verwaltungsbeamte usw. usf., die in den folgenden Monaten ihre Existenzgrundlage verloren und zur Emigration gezwungen wurden - ihnen gemeinsam, und vor allem das, was sie von den anderen, aus Sicht der Propagandisten „von uns“ unterschied, war nur ihre jüdische Herkunft.122 Die neue, antisemitische Qualität gegenüber der zuvor noch, wenn auch radikal, die offizielle Politik des Staates Israel kritisierenden Kampagne zeigt sich in zahlreichen Dokumenten und Berichten von Betroffenen, die beweisen, dass es sich nicht mehr um eine bloße Verwischung von regimekritischen und nationalistischen Ideen handelte, sondern schlicht um plumpen, staatlichen Antisemitismus. Als Kronzeuge hierfür gilt mir der Brief der Studentin Beata Dąbrowska an Władysław Gomułka vom 23. Februar 1968:123

Ich bin Studentin im dritten Jahr an der Philosophischen Fakultät. Am 16. Februar d.J. wurde ich um 20 Uhr abends durch Funktionäre des Sicherheitsdienstes MSW auf der Straße angehalten und zum Mostowski-Palast [Sitz der Milizkommandatur in Warschau] gebracht. Die dort gehörten Ansichten haben mich bis zu der Stufe erschüttert, dass ich sie kurz zusammenfassen und einige genau zitieren möchte. Und so habe ich es gehört: 1. „Wie arbeitet es sich zwischen Juden?“ 2. „Wieviele Juden waren unter den Unterschriftensammlern in Verbindung mit 'Die Ahnenfeier'?“ 3. „Sie sind so intelligent und haben nicht die Flut des Judentums im Katheder ihrer Fakultät bemerkt?“ 4. „Sie verstehen, dass wir Polen endlich zu Wort kommen müssen, da solange Juden alle Posten besetzen, Polen nicht emporkommen können. So könnte z.B. für sie kein Platz mehr im Katheder bleiben.“

Und das ist, wie mir dafür Beispiele gegeben wurden, wie Jüdlein Jüdlein unterstützen: a) „Das Jüdlein Baczko (Professor der UW [Uniwersytet Warszawski; DD]) hat Piotr Hoffman gefördert.“ b) „Przełęcki (das Jüdlein) Zabłudowski.“ (ersterer Dozent, zweiter – Doktor) c) „Sie haben bestimmt bemerkt, welch Werbung für die Jüdlein Andrzej Rapaczyński und Włodek Rabinowicz diese gemacht haben.“ (Beide sind unumstritten die begabtesten Studenten an der Fakultät) 5. „Sie sind doch reinen Blutes Arierin.“ 6. „Wir verstehen, dass sich einige Damen an anderen Rassen aufgeilen. So, z.B., mögen einige Neger, und andere Juden.“ 7. „Ob sie weiterhin auf dem Polentum dieses Oberjuden124 Słonimski beharren?“

Dabei zeigte sich, dass die mich verhörenden Funktionäre das Wort „Jude“ als Beleidigung betrachteten. Als ich denn, dazu gezwungen Juden erkennen zu sollen, als Erkennungsmerkmal dunkle Haare angeführt habe und gerade den mich verhörenden Funktionär zu den Juden gezählt habe, bekam ich zu hören: „Erlaub dir nicht zu viel!“ Bei einer anderen Gelegenheit bekam ich zu hören: „Halt den Mund!“ Und so frage ich Sie, was das bedeuten soll, dass man in Volkspolen 24 Jahre nach der hitleristischen Besatzung wieder in der Sprache der Hitleristen und der ONR-isten [ONR = Organizacja Narodowo-Radykalna / Nationalradikale Organisation; DD] spricht? Ich achte und schätze Sie so sehr, Bürger Erster Sekretär, daß ich glaube, dass sie sich dieser Sache annehmen und mir erlauben den Glauben an den guten Namen des Polen – des Bürgers Volkspolens – sowie einfach nur an den Menschen wiederzufinden.

Beata Dąbrowska

Nicht nur, dass die Begriffe „Jude“ und „Zionist“ synonym verwendet wurden,125 so wurde teilweise dazu übergangen, nicht einmal mehr diesen Kunstgriff zu verwenden, wie in Umlauf gekommene Flugblätter beweisen, für deren Herstellung und Verbreitung nur die staatlichen Stellen, vermutlich das MSW, über die logistische und personelle Infrastruktur verfügten.126 Diese Schriften griffen Vorkriegsstereotypen auf, indem sie behaupteten es gäbe „zu viele Juden in Polen“, die „Polen überfremdeten“ und als Lösung ihre „Emigration“ forderten und offen Losungen vertraten wie „Den Juden an den Schläfenlocken packen und hinters Meer mit ihm!“.127 Charakteristisch für sie war, daß sie pars pro toto sprachen: es wurde über die „Michniki, Szlajfery, Zambrowcy“ usw. gesprochen - eine Sprache die im März auch von der offiziellen Propaganda, also u.a. der Presse übernommen wurde und an die der Zeit der Großen Säuberung in der UdSSR der 30er Jahre erinnerte.128 Einhergehend mit der öffentlichen Kampagne wurde noch in der Nacht vom 8. auf den 9. März die Partei auf „antizionistische“ Linie gebracht - mittels des vom MSW veröffentlichen geheimen Bulletins, das den oberen Parteiorganen zugänglich gemacht wurde. Die in diesem Schreiben als Unruhestifter genannten Personen hatten entweder explizit jüdische Nachnamen oder waren dem Apparat als Kinder früher führender Funktionäre einschlägig bekannt. So wurden hier Namen wie Wistreich, Zeichner, Mokles, Roszenstrauch, Karliner, Gross, Komar, Winawer, Eisenbach, Boczko, Morawski usw. veröffentlicht.129 Diese Linie wurde später auch vom parteiinternen Organ des ZK, der „Informacja A“ übernommen.130 In diesen Veröffentlichungen wurde auch erstmals der Begriff der „bankruty polityczne“, der „politischen Bankrottanten“, gebraucht131 und somit eine Verbindung zwischen „Zionismus“ und Stalinismus hergestellt. Die sofortige Inumlaufbringung dieses Dokuments ist ein Hinweis darauf, dass es schon vorher im MSW bereit gelegen haben muss und die Unruhen erst einen Anlass für seine Veröffentlichung boten.132

In den folgenden Tagen kam es zu einer Verselbstständigung der Kampagne. Parteiführer auf mittlerer und niederer Ebene traten, inspiriert von den Presse- und TV-Bildern, in Eigenregie auf und befeuerten so die Aktion.133 Dem folgte eine Welle von Ausschlüssen von Parteiposten und Arbeitsstellen, hauptsächlich von höheren Funktionären, deren Kinder aus den oben genannten Listen bekannt oder die jüdischer Herkunft waren.134 Dahingehende Entscheidungen wurden bereits am 11.3. vom POP (Podstawowa Organizacja Partyjna - Parteibasisorganisation) getroffen.135

Dieser Vorgang darf nicht unterschätzt werden - er bedeutet die Abkehr der eigentlichen Disziplin der Partei unter ihre höheren Organe; gewissermaßen nahm das POP hier in einem der seltenen Fälle seine eigentlich verbrieften demokratischen Rechte wahr und agierte ohne die Zustimmung, ja sogar gegen den Willen der ihm übergeordneten Stellen. Die Abberufung der höheren Funktionäre folgte hierbei einer bereits im Frühjahr 1967 vom Politbüro beschlossenen Richtlinie, die es erlaubte Eltern für die Taten ihrer erwachsenen Kinder zur Rechenschaft zu ziehen.136

Die eigentliche Parteiführung selbst schwieg noch bis zum 19.3., dem Tag an dem im Kulturpalast eine Konferenz von 3.000 Parteiaktivisten von Jugendorganisationen, Armeeorganen, ORMO und Sekretären von Betriebskomitees stattfand.137 Dieser Kongress wurde mit Transparenten ausgeschmückt, auf denen Sprüche wie „Weg mit der Agentur des Imperialismus - dem reaktionärem Zionismus!“ und „Jeder hat nur ein Vaterland!“ zu lesen waren.138 Hier ließen sich Gomułka, und bereits auch der spätere Parteichef Gierek, Führer der damals noch in der Zeit ihres Aufstiegs befindlichen und vorerst nur lokal einflussreichen Parteifraktion der „Schlesier“, hochleben139 - ein Zeichen dafür, dass Gomułka noch in der Lage war, sich an der Macht zu halten. Auf der Konferenz wurden auch Stimmen gegen Schriftsteller und Intellektuelle laut, die ebenfalls Ziel der Gesamtkampagne waren und sich gleichwertiger Opression ausgesetzt waren - zudem beide Gruppen, Intellektuelle und „Zionisten“ erhebliche Überschneidungen aufwiesen.140 Gomułka selbst sprach über den „Zionismus“ erst gegen Ende seines Auftrittes und verband ihn mit Reaktionismus und Revisionismus - wichtiger jedoch waren seine Schlussworte, in denen er äußerte: „Denen, die Israel als ihre Heimat ansehen, sind wir bereit Emigrationspässe auszustellen.“141 Der Satz sollte die Vertreibung einleiten. Er sprach jedoch nicht in seinem Namen, sondern im Namen der Partei (der Text wurde von Politbüro und ZK zuvor gesichtet und korrigiert).142 Der „Zionismus“-Teil der Rede stand in seiner Kürze in keinem Verhältnis zum brodelnden Auditorium, auch verteidigte sie die „integeren Juden“; so muss man sie als eine Kompromissrede ansehen, die die Grabenkämpfe innerhalb der Partei wieder zum erliegen bringen sollte.143 Folgerichtig bezeichnete der MSW in seinem nächsten Bulletin den Auftritt als nicht deckungsgleich mit dem „Willen der Massen“.144 Auch ebbte die Pressekampagne nach Gomułkas Auftritt nicht ab - sie wurde eher intensiviert.145 Offensichtlich wurde die Partei in dieser Zeit nicht mehr in den normalen Formen führbar, denn als das Sekretariat des ZK am 21.3. beschloss „unbedingte organisatorische und disziplinarische Schritte zu unternehmen, um die Ordnung an den Hochschulen wiederherzustellen“, überschritt es dabei, durch Umgehung von ZK und Politbüro, augenscheinlich weit seine Kompetenzen.146 Nachdem das Bulletin des MSW sogar offen dazu überging, Gomułka selbst anzugreifen und ihn der „Versöhnungspolitik mit den Zionisten“ zu bezichtigen und ihn zu beschuldigen, er nähme diese in Schutz,147 sprachen auf einem Beratungsgespräch vom 26. März 15 Wojewodschaftssekretäre den inneren Parteikonflikt offen an, um Gomułka gleichzeitig die Unterstützung des Aktivs zu versichern - auch lobten sie seinen „antizionistischen“ Auftritt vor dem Gewerkschaftskongress vom Juni 1967 und forderten die Umstrukturierung des Parteiapparats, aber auch die Verlegung der Säuberung von „kleinen“ auf „große Zionisten“.148 Offensichtlich ging Moczars Rechnung, sich auf den mittleren Parteiapparat zu stützen nicht auf. Gestärkt durch diese Geste sprach Gomułka in den Tagen darauf öffentlich davon, es sei „absurd, alle Juden zu Zionisten zu erklären, ungerecht und verletzend denen gegenüber, die eine organische Einheit mit der Nation und der Partei bildeten“149 - gleichzeitig aber kritisierte er, die polnischen Juden gäben keinen Beweis ihrer Loyalität zu Polen150 - wiedereinmal zeigte sich Gomułka als „Kompromissführer“. Aber es sollte für solche versöhnlichen Worte bereits zu spät sein. Jedoch nicht für Gomułka - als er auf einer Tagung kommunistischer Führer in Dresden am 23.3. demonstrativ von Brežnev gestützt wurde, endete auch die Kritik des MSW an Gomułkas „liberaler Haltung“.151 Auf dem Treffen in Dresden wurde beschlossen, die Angelegenheit solle parteiintern geregelt werden.152 Dass man sich auch innerhalb der Partei der antisemitischen Qualität der Kampagne völlig bewusst war, zeigt die Aussage Edward Ochabs, des politisch auf den einflusslosen Posten des Staatsratsvorsitzenden abgeschobenen Vorgängers Gomułkas als I. Sekretär, auf einem Treffen mit seinem Nachfolger und dessen Vertrauten Kliszko und Cyrankiewicz153: Als Pole und Kommunist protestiere ich mit tiefster Empörung gegen die antisemitische [Hervorhebung DD] Hetze, die in Polen von verschiedenen dunklen Kräften, gestrigen ONR-isten und ihren heutigen mächtigen Protektoren organisiert werden. In der Situation, die sich in unserer Partei gebildet hat, bin ich gezwungen meinem Protest die Form des Verzichts auf mein Mandat als Mitglied des Politbüros des ZK der PZPR zu geben. Gleichzeitig lege ich den schriftlichen Verzicht auf den Posten des Staatsratsvorsitzenden sowie des Vorsitzenden des OK FJN [Ogólnopolski Komitet Frontu Jedności Narodu] – Allpolnisches Komitee der Nationalen Einheitsfront nieder. Gegenüber Gomułka bezeichnete er auf diesem Treffen „Moczar und seine Leute“ als die „mächtigen Protektoren“.154 Einhergehend mit dieser Kritik äußerte sich der ehemalige Leiter des ZK-Pressebüros und Vertraute Gomułkas am 7. April diesem gegenüber:155 Einige Parteilose und Parteimitglieder, und sogar der Parteiapparat selbst unterscheiden nicht zwischen dem Begriff Jude und Zionist. [...] Von Juden spricht man in den Straßenbahnen, in den Geschäften und den Schulen, und vor allem auf den Parteiversammlungen.

Am 8. April folgte nun die „parteiinterne Regelung“: abgesehen von Außenminister Adam Rapacki, der sich mit Beginn der Kampagne aus dem öffentlichen Leben völlig zurückgezogen hatte und zu keinem Treffen mehr erschien, traf das gesamte Politbüro zusammen um über die „Personalfragen“ zu entscheiden.156 Als erstes Opfer hier gilt der Verteidigungsminister Marian Spychalski, der, an des sich aus Protest gegen die Kampagne ebenfalls zurückziehenden Ochab Statt, ins Amt des Staatsratsvorsitzenden „befördert“ wurde.157 Sein Nachfolger wurde der zum „Partisanen“-Lager gezählte General Wojciech Jaruzelski, ein Zugeständnis an Moczar und geradezu eine Anerkennung seiner Leistungen bei der von ihm geleiteten Bekämpfung der „Zionisten“ innerhalb des Militärs seit 1967. Gomułka gab sich auf diesem Treffen wieder als Moderator, als „Kompromissführer“ - einerseits gab er zu, dass sich die antizionistischen Attacken zu antisemitischen gewandelt hätten, andererseits ging er einen großen Schritt, vor allem in Personalfragen wie das Beispiel Jaruzelskis zeigt, auf Moczar zu – nicht zuletzt, da sein Vizemarschall im Sejm (Präsident des Unterhauses) und Vertrauter Zenon Kliszko bereits eine Spaltung zwischen Parteiaktiv und -führung befürchtete, sollte jetzt noch der Versuch unternommen werden, die ins Rollen gekommene Aktion zurück zu drehen.158

Die Kampagne im Volk[Bearbeiten]

Im Unterschied zu vorangegangenen antisemitischen Kampagnen wurde diese nicht rassisch oder religiös legitimiert. Solch ein Vorgehen hätte dem Gleichheitsanspruch des Marxismus entscheidend widersprochen. Einhergehend mit der Idee der Politisierung des Gesamtlebens wurde auch der neue jüdische Feind nicht mehr rassisch oder religiös als „Jude“ hingestellt – vielmehr wurde er in einem „politischen“ Sinne diffamiert: der Jude als „imperialistischer Agitator“, als „Spion der USA“, als „zionistischer Verschwörer“. Das Wortspiel „Zionist“ ermöglichte hierbei auch den Vorteil, dass der Gegner nicht Jude sein musste, um Zionist zu sein. Bloße Sympathie, und sei es nur eine unvorsichtige Aussage zu Gunsten Israels, konnte sogleich als eine politische, eine „zionistische“ und somit „antisozialistische“ gewertet werden. Beibehalten wurden das alte Schema der „Weltverschwörung“ - die jetzt, natürlich, auch eine „zionistische“ sein sollte und wie in der Legende von der „Verschwörung des Weltjudentums“ ihre Tentakel sowohl in die Kreise der Finanzwelt, der Journalistik wie auch – paradoxer Weise – in die kommunistische Bewegung erstreckte und hier den – natürlich wahren – Sozialismus ihren geheimen Machenschaften opferte. Die Begründungen, beinah jeder Jude sei automatisch „Zionist“, was die Erfassung nach Kriterien der Nürnberger Gesetze legitimierte, klingt ebenso perfide: der Jude ist hier nicht mehr Teil eines Volkes oder Rasse, sondern Mitglied einer politischen Organisation, in die er durch Geburt eintritt. So kann der Generalverdacht bestehen bleiben ohne den erhobenen Gleichheitsanspruch aller Menschen zu unterminieren. Der Gedanke, die Verschwörung des „Weltzionismus“ reiche soweit, dass es eine Kollaboration von Juden und Nazis gegeben hätte, die 1967/68 in dem oft zu hörenden Vorwurf einer Achse Bonn – Tel Aviv wiederaufersteht, ist hierbei nicht neu. Schon während der Ärzteprozesse und der „antizionistischen“ Hetze in der Sowjetunion waren die Propagandisten soweit gegangen, den „zionistischen Verschwörern“ vorzuwerfen, sie hätten ihr eigenes Volk dem Naziregime geopfert um – selbstverständlich geplant – unter Zuhilfenahme der daraus resultierenden weltweiten Anteilnahme die Grundlage für den neuen Staat Israel zu legen. Dieses Märchen läßt sich heute z.B. noch im „Museum des Großen Vaterländischen Krieges“ in Minsk beobachten: auf einem Gemälde, dass die Verhältnisse im KZ darstellen soll, sieht man, vor einem Leichenhaufen toter Politischer (zu erkennen an dem roten Dreieck an ihrer Kleidung) einen SS-Mann lachend mit einem anderen Häftling zusammenstehen. Ist auch der Judenstern auf des Häftlings Brust mittlerweile (augenfällig miserabel) übermalt worden, reichen auch die anderen an ihm dargestellten Stereotype, um ihn klar zu identifizieren.

In den Vorstellungen der „Żydokomuna“ bildeten Antisemitismus, Antikommunismus und Antirussismus (schon lange vor der Revolution 1917 hatten nationalistische Stimmen das Zarenreich als „Großkommunismus“ bezeichnet159) eine Einheit. Die „antizionistische“ Kampagne fiel hier auf fruchtbaren Boden: plötzlich war es jedem erlaubt, das kommunistische (stalinistische) System als solches, Juden, die in den Jahren zuvor, z.B. in den Bürgerkriegsjahren, vom Staat offiziell geschützt wurden, und leise sogar die stalinistische Sowjetunion, wo die jüdischen Kommunisten ja hergekommen waren, zu kritisieren und zu verurteilen. Jeder stalinistische Vorgesetzte, vom Betriebsleiter bis zum Sekretär, war plötzlich vogelfrei – und dazu musste er bloß „Jude“ sein. Dass die Kampagne nicht nur „von oben“ oktruiert wurde und von „Mitläufern“ mitgemacht wurde, sondern auch auf Resonanz in der Bevölkerung stieß bzw. dort tiefst einsickerte, bezeugt der Brief Józef Ledwońs, eines „einfachen Bürgers“, an die Redaktion der „Polityka“ vom 8. Mai 1968160:

Sehr geehrter Herr Redakteur! Seit einer bestimmten Zeit kommt meine zehnjährige Tochter Małgorzata, Schülerin der III. Klasse der Grundschule in Gliwice, weinend nach Hause, weil die Kinder nicht mit ihr spielen wollen, da sie Jüdin ist. Faktisch ist das nicht so, aber es ist unter der menschlichen Würde sich in dieser Sache wem auch immer gegenüber zu rechtfertigen. Ich würde Ihnen das nicht schreiben, auch wenn ich die „Polityka“ mag, aber ich halte diesen Umstand für gefährlich. Ich kann mir vorstellen und kann die Empfindungen verschiedener Kinder nachfühlen, die von ihrer Umgebung schikaniert werden. Sätze nach der Art: „Mama hat mir verboten mit Jüdinnen zu spielen“ kommen doch nicht von den Kindern selbst! Falls Sie können, dann nehmen Sie sich dieser Sache doch unter einem breiteren Aspekt an, da es nicht ausgeschlossen ist, dass mein Beispiel nicht einzigartig ist. Der Schutz der Kinder, unabhängig ihrer Herkunft, muss die moralische Pflicht eines jeden anständigen Menschen sein. Ich widerspreche nicht der vollständigen Veröffentlichung meines Briefes. Ich verbleibe mit Hochachtung und Grüßen für den mir sympathischen Kreis der Redakteure /-/ J. Ledwoń P.S.: Ist es nicht eine große Schande, dass Kinder im Alter von 10 Jahren persönlich den Problemen des Rassismus begegnen? Ist es nicht unabdingbar einem Kind auf die Frage zu antworten: „was ist eine Jüdin“? /-/ J.L. Und auch wenn es im Laufe der beiden Jahren zu keinen tatsächlichen, physischen Übergriffen kam, so war eine Pogromstimmung zu spüren, vor allem bei den empfindlichen Männern und Frauen, die die Judenverfolgung der Nazis ein Vierteljahrhundert zuvor noch in lebhafter Erinnerung hatten. Kollegen fingen plötzlich an sich zu meiden, Nachbarn sprachen nicht mehr miteinander und vermeintliche Freunde verschwanden aus dem Blickfeld. Auch darf man nicht vergessen, dass hier antisemitische, antikommunistische und antirussische Überzeugungen wieder zu Tage traten, die erst jetzt wieder offen gezeigt werden durften, nachdem sie 23 Jahre unterdrückt worden waren. Das Bild, das der polnischen Bevölkerung von den Juden und dem erlittenen Leid im Holocaust vermittelt wurde, wurde auch dadurch verwischt, dass die Shoah nicht dezidiert betrachtet, sondern 30 die jüdischen Opfer als polnische Staatsbürger mit ethnischen Polen zusammengefaßt wurden.161 Mit Rückgriff auf die Methoden und Ideenansätze polnischer Vorkriegsnationalisten wie der Endecja wiederum versuchte sich die Partei neu dem Bürger zu präsentieren – nach der internationalistischen Legitimation einer Regierung der Arbeiter und Bauern in engstem Schulterschluss mit der verhassten Sowjetunion zeigte man sich jetzt als nationale, als polnische Regierung, die nichts mehr mit den Kommunisten der Vorjahre zu tun haben wolle – eine Strategie, die mit der Wahl Gomułkas zum I. Sekretär erfolgreich erprobt und höchst erfreut von den breiten Bevölkerungsmassen aufgenommen worden war. Natürlich täuschte die Volkstümelei nur über die realen Probleme in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft hinweg und auch der „Nationalkommunist“ Moczar erstrebte in irgendeiner Form eine Lockerung der Bindung zum Großen Bruder. Aber das sollte dem „einfachen Mann“ vielleicht auch gar nicht auffallen, sobald er nicht mehr Proletarier und Kommunist zu sein hatte, sondern wieder bloß Pole, und das in vollen Zügen, sein durfte.

Die Vertreibung[Bearbeiten]

Bei der Emigration tausender jüdischer Polen nach Westen kam es nicht zu physischen Übergriffen. Es wurden keine Deportationen vorgenommen oder Ultimata gesetzt – wohl aber lässt sich von Vertreibung sprechen. Zu dem psychologischen Druck, der durch Medien und die beeinflusste Bevölkerung auf die Juden ausgeübt wurde, kam eine Liberalisierung der Ausreisebestimmungen, die ganz klar als Forcierung der Emigration durch die offiziellen Stellen zu werten ist. Diese Entwicklung hatte ihre Wurzeln bereits in den Jahren davor: bereits 1949 – 50 waren 30.000 Juden ausgereist – diese Möglichkeit stand ihnen unter dem Schlagwort „Nationale Option“offen, einer Politik, die Juden nicht als polnisch-ethnische Bevölkerungsgruppe behandelte, sondern sie als eigenes Volk anerkannte und somit jedem, der sich zum jüdischen Volk bekannte, die Möglichkeit zur Ausreise nach Israel gewährte.[20] 1956 verließen weitere 47.000 Polen.[21] Die „Nationale Option“ galt hierbei jedoch nur für eine Ausreise ins Heimatland – eine Politik die auch 1968 beibehalten wurde, so daß die Ausreiseformulare nur für eine Ausreise nach Israel unter Bedingung der baldigen Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft erfolgte, was mit dem Verlust der polnischen gleichgesetzt wurde. Unberücksichtigt dessen, dass nur eine Minderheit tatsächlich vor hatte, nach Israel auszuwandern bzw. schlussendlich dort ankam, erhielten also alle genehmigten Ausreiseanträge nur eine Erlaubnis für die Emigration nach Israel. Weiterhin galt die „Nationale Option“ nicht nur für Juden, sondern auch für alle anderen nationalen Gruppen. Dass Juden jedoch gesondert behandelt wurden, zeigt eine Statistik aus dem Jahre 1966: während 86% aller Anträge von Juden genehmigt wurden, durften nur 19 % der sich auf diese Klausel berufenden deutschen Antragsteller in die BRD ausreisen.[22] Der Eindruck eines selektiven Rassismus wird hier verstärkt, führt man sich vor Augen, das 38% der Anträge auf Ausreise in die Vereinigten Staaten und nach Frankreich genehmigt wurden.165 Während man also der einen unbequemen Minderheit die Emigration schmackhaft machte, wurde die andere im Land festgehalten. (Man darf nicht vergessen, daß ein jeder Ausreisewillige im Falle der Nicht-Genehmigung mit Repressionen zu rechnen hatte.)

Die Idee die Emigration stärker, ja offensichtlich zu unterstützen, stammt, wie oben erwähnt, aus Gomułkas Mund selbst und stieß auf große Zustimmung in der Politik, gab sie doch die Möglichkeit unbequeme Elemente praktisch abzuschieben, indem man sie zur „freiwilligen“ Ausreise drängte. 1968 gab das MSW schließlich die Weisung aus, Ausreisewünsche nach Israel gar nicht mehr zu behindern, was einem Freifahrschein glich.[23] Ausreisekandidaten sahen sich jetzt durch mehrere Faktoren gedrängt: die Propaganda in den Medien, der Druck von der Straße, die Beispiele erfolgreicher Auswanderung jüdischer Verwandter und Bekannter und nicht zuletzt durch die Gefahr, bei nicht zügigem Ergreifen der Möglichkeit eine Lebenschance zu verpassen, da die Dauer der „liberalen“ Ausreisegenehmigung nicht abzusehen war. Gegenargument war der Verlust der Staatsbürgerschaft, mit dem sich der Emigrant einverstanden erklärte. In einer, im Grunde nach internationalem Recht illegalen, Praxis, wurde dem Ausreisenden statt eines Passes ein „Reisedokument“ ausgestellt, das nicht mehr zur Wiedereinreise berechtigte und für den Emigranten die Möglichkeit einer Heimkehr – aus damaliger Sicht für immer – verschloss.[24] Der Druck lässt sich an dem rapiden Anstieg der Anträge ablesen: stellten im März 1968 nur 66 Personen einen Antrag, waren es im April bereits 134, im Mai 224 und im Juni sogar 577, von denen nur 26 (vorerst) abgelehnt wurden; im ganzen Jahr 1968 reisten 3437 Personen „nach Israel“ aus, 1969 sogar 7674 – damit war der Hauptteil der Emigration abgeschlossen, 1970 reisten noch einmal 698 aus, 1971 1118 (insgesamt also 12.927 direkt nach der Kampagne) und bis 1975 nur noch 853 weitere.[25] Damit findet die fast 1000-jährige Geschichte des Judentums in Polen ihr Ende.

Literaturhinweise[Bearbeiten]

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  • Gegen Krieg, für Kassamraketen. TAZ vom 11.01.2009, abgerufen am 28.02.2009.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Osęka, Piotr: Marzec '68, Kraków 2008, S. 11.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Osęka, Piotr: Marzec '68, Kraków 2008, S. 14.
  3. Schatz, Jaff: The Generation. The Rise and Fall of the Jewish Communists of Poland, Berkeley / Los Angeles 1991, S. 76.
  4. Schatz, Jaff: The Generation. The Rise and Fall of the Jewish Communists of Poland, Berkeley/Los Angeles 1991, S. 96.
  5. Schatz, Jaff: The Generation. The Rise and Fall of the Jewish Communists of Poland, Berkeley/Los Angeles 1991, S. 83.
  6. Davies, Norman: Boże Igrzysko. Historia Polski, Band 2, Kraków 1996, S. 587.
  7. Schatz, Jaff: The Generation. The Rise and Fall of the Jewish Communists of Poland, Berkeley/Los Angeles 1991, S. 85.
  8. Pufelska, Agnieszka: Die "Judao-Kommune" : ein Feindbild in Polen ; das polnische Selbstverstandnis im Schatten des Antisemitismus 1939 – 1948, Paderborn u.a. 2007.
  9. Zit. nach: Osęka, Piotr: Marzec '68, Kraków 2008, S. 14-15.
  10. 10,0 10,1 10,2 Osęka, Piotr: Marzec '68. Kraków 2008, S. 15.
  11. Osęka, Piotr: Marzec '68. Kraków 2008, S. 15 - 16.
  12. Pufelska, Agnieszka: Die "Judao-Kommune": ein Feindbild in Polen; das polnische Selbstverstandnis im Schatten des Antisemitismus 1939–1948. Paderborn u.a. 2007, S. 168.
  13. Pufelska, Agnieszka: Die "Judäo-Kommune": ein Feindbild in Polen; das polnische Selbstverstandnis im Schatten des Antisemitismus 1939–1948. Paderborn u.a. 2007, S. 175.
  14. Osęka, Piotr: Marzec '68. Kraków 2008, S. 17.
  15. Drugi powszechny spis ludności z dnia 7 grudnia 1931 r. Mieszkania i gospodarstwa domowe. Ludność. Stosunki zawodowe. Województwo wołyńskie. Band 70, Warschau 1938, S. 22. Zit. nach: Cornelia Schenke: Nationalstaat und nationale Frage. Polen und die Ukrainer 1921–1939. Hamburg/München 2004, S. 29.
  16. außerdem Gläubige im armenisch-katholischen Ritus
  17. außerdem Gläubige im östlich-katholischen Ritus (Neounion)
  18. Davies, Norman: Boże Igrzysko. Historia Polski. Band 2, Kraków 1996, S. 293.
  19. Berendt, Grzegorz / Grabski, August / Stankowski, Albert: Studia z historii Zydów w Polsce po 1945 r., Warszawa 2000, S.107-111.
  20. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 207
  21. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 207
  22. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 208
  23. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 210
  24. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 211–212
  25. Stola, Dariusz: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000, S. 213

Weblinks[Bearbeiten]

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