Analytische Pädagogik

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Analytische Pädagogik ist eine Methodik, die im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen-vornehmlich im Rahmen einer stationären Hilfe (Heimunterbringung)- Anwendung findet. Sie geht zurück auf den Heilpädagogen Winfried Weibels geb.1961, der nach jahrelanger Mitarbeit auf mehreren psychosomatischen Stationen eines Krankenhauses, in dem klassisch psychoanalytisch gearbeitet wurde, die Leitung einer Jugendhilfeeinrichtung mit diversen Gruppen für extrem verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche übernommen hat. In seiner täglichen Arbeit wurde schnell deutlich, dass simple Verhaltenskorrekturen weder im Empfinden der betroffenen Kinder und Jugendlichen noch in dem ihrer Umwelt zu dauerhaften Verbesserungen führen konnten.[1]

Stationäre Jugendhilfe findet statt im Spannungsfeld ganz unterschiedlicher Interessen. Da ist zum einen die Gesellschaft, repräsentiert durch z.B. Jugendamt, Schulen, Dorfgemeinschaft etc. mit ihrem berechtigten Interesse daran, dass die Kinder und Jugendlichen sich einfügen, das Zusammenleben nicht stören und nützliche Mitglieder der Gesellschaft werden. Und da sind zum anderen die Kinder und Jugendlichen mit all dem Schlechten, Zerstörenden und Krankmachenden, das sie in ihrem Leben erlitten haben. Die Analytische Pädagogik soll beiden Seiten gerecht werden können. Sie geht davon aus, dass es bei jedem Menschen drei Bereiche gibt, in denen er emotional verletzbar/berührbar ist. In Analogie zur Freud’schen Psychoanalyse sind dies die Themen Versorgung (Orale Phase) Macht/Kontrolle (Anale Phase) und Selbstwert (Ödipale Phase). Auch analytische Pädagogik sieht Verhaltensauffälligkeiten (Neurosen) als Leistung. Sie erlauben den Menschen, ihre eigentlichen Verletzungen und Verletzbarkeiten vor sich selber und vor der Umwelt zu verbergen. Dinge, die man unbewusst erlebt, tun eben nicht ganz so weh und machen nicht ganz so viel Angst wie Dinge, derer man sich bewusst ist. Alle Menschen haben in ihrer Entwicklung mehr oder weniger schädliche Erfahrungen machen müssen und dies betrifft bei jedem Menschen alle Phasen der psychosozialen (psychosexuellen) Entwicklung. Auffällig (neurotisch) ist Verhalten dann, wenn es nicht gelingt, die Verletzungen, die aktuell (wenn auch unbewusst) besonders belasten, dergestalt zu kompensieren, dass die Umwelt nicht wahrnimmt, dass da etwas dringend kompensiert werden muss- sprich, dass wir Angst haben. Die angesprochenen Verletzungen können mal mehr und mal weniger an die Oberfläche gelangen, können jedoch immer in die oben dargestellten Themenbereiche Versorgung, Macht/Kontrolle und Selbstwert eingeordnet werden.

Menschen, die eine massive Versorgungsproblematik haben, leiden häufig unter Essstörungen, Rauchen viel, kauen Fingernägel, können es nur schwer oder gar nicht ertragen, wenn andere etwas haben, was sie selbst nicht haben etc. Eine andere Möglichkeit, seine Angst nicht übermächtig werden zu lassen, ist der Weg Kontrolle auszuüben. Was ich kontrollieren kann, ängstigt mich nicht so sehr und wenn ich die Kontrolle habe, habe ich auch eine gewisse Macht. Die vermutlich ersten „Rangeleien“ zu dieser Thematik erleben Menschen während ihrer Sauberkeitserziehung. Kinder lernen zu kontrollieren, ob bzw. wann sie in die Windel machen und sind den Ansprüchen ihrer Eltern, es nicht bzw. zu einem von den Eltern gewünschten Zeitpunkt zu tun, ausgesetzt. Dies beinhaltet die Erfahrung, wie belastend es ist, der Kontrolle anderer ausgesetzt zu sein und wie wohltuend es andrerseits ist, selber die Macht/Kontrolle in der Hand zu haben. Im Sinne eines Wiederholungszwanges kreieren Menschen vertraute Situationen. Was vertraut ist, ängstigt nicht. Zudem zeigt sich genau an diesem Punkt der Nutzen/die Leistung einer Verhaltensauffälligkeit/Neurose: Wer stark und mächtig ist, wer die Situation kontrollieren kann, der ist doch wichtig und wertvoll. Narzisstische Persönlichkeiten versuchen häufig durch Überkompensation, Allmachtsphantasien u.Ä. ihr defizitäres Selbstwertgefühl auszugleichen. Werden Menschen mit „Fehlverhalten“ anderer konfrontiert, neigen sie dazu, spontan einem Impuls zu folgen. Es kommt entweder ein pädagogischer/lenkender oder ein analytischer/verstehender Impuls in ihnen hoch. Abhängig davon, welcher Impuls gebildet wird, erfolgt dann die Reaktion. Analytische Pädagogik geht anders vor: Die Mitarbeiter der Einrichtungen sollen in solchen Situationen ganz bewusst den Komplementärimpuls (also den nicht spontan entstandenen Impuls) in sich hochholen, beraten sich -wo immer möglich- mit einem/den Kollegen, werden sich ihrer Eigenanteile bewusst und können so -professionell distanziert- prüfen, ob es für den Jugendlichen hilfreicher ist, dem pädagogischen oder dem analytischen Impuls nachzugeben. Konsequent angewandt, erfahren die Kinder/Jugendlichen auf diese Weise, dass die Betreuer tatsächlich verstehen, warum die Kinder/Jugendlichen handeln wie sie eben handeln. Die Botschaft soll lauten: "Denn ich weiß, wie Du tickst.“ Das Vertrauen, welches aus dieser Erfahrung entsteht, macht es den Kindern und Jugendlichen dann möglich, von sich aus neue Wege zu probieren und Ihr Verhalten den gesellschaftlichen Erfordernissen anzunähern.

Einrichtungen, die mit der Methodik der Analytischen Pädagogik arbeiten, dokumentieren ihre Arbeit in speziell ausgearbeiteten Tagesberichten. Zu jedem betreuten Kind/Jugendlichen werden regelmäßig Fallanalysen durchgeführt.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. W. Weibels: [www.pluspol-jugendhilfe.de Unsere Methodik.] Abgerufen Format invalid.
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