Altruistisch-depressive Neurosendisposition

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Neurosendispositionen im Überblick[Bearbeiten]

Die Neurosendisposition sagt etwas über die Persönlichkeit und Reaktionsbereitschaften eines Menschen aus. Sie bezeichnet zeitlich überdauernde Merkmale eines Menschen, von denen angenommen wird, dass sie schon vor Ausbruch einer zu behandelnden psychischen Störung vorhanden waren.

Die von Boessmann und Remmers unterschiedenen Neurosendispositionen sind folgende:

  1. Die altruistisch-depressive Neurosendisposition
  2. Die abhängige oder dependente Neurosendisposition
  3. Die ängstliche oder vermeidend-selbstunsichere Neurosendisposition
  4. Die zwanghafte (anankastische) Neurosendisposition
  5. Die histrionische oder hysterische Neurosendisposition
  6. Die emotional instabile Neurosendisposition
  7. Die paranoide Neurosendisposition
  8. Die narzisstische Neurosendisposition
  9. Die passiv-aggressive oder negativistische Neurosendisposition
  10. Die pseudounabhängige Neurosendisposition

In den miteinander verwandten Artikeln sind die einzelnen Neurosendispositionen jeweils beschrieben hinsichtlich folgender Aspekte:

Weitere Aspekte zur Charakterisierung der Neurosendispositionen, insbes. hinsichtlich Aufträgen und Gegenübertragung, finden sich unter [1]

Die altruistisch-depressive Neurosendisposition[Bearbeiten]

Psychischer Befund[Bearbeiten]

Der oft gemütvoll veranlagte Patient zeigt ein im Allgemeinen gut angepasstes und sozial erwünschtes Verhalten, übernimmt früh und bereitwillig Verantwortung und Aufgaben, zeigt sich unkompliziert, pflegeleicht und rücksichtsvoll, weil er im besonderen Maß die Anerkennung und Liebe anderer, vor allem der Eltern, braucht. Der Patient erregt aufgrund dieser Eigenschaften leicht die spontane Anteilnahme des Therapeuten. Latent bestehen jedoch – wie Schultz-Hencke betont – Riesenansprüche und Hass auf die versagenden Beziehungspersonen. Der Patient kann seine Bedürfnisse nicht vertreten und nicht verteidigen. Unter Belastung und Versagung, zum Beispiel wenn der Patient nicht genügend Anerkennung und Bestätigung von außen erhält, dekompensiert er leicht, neigt dann zu gedrückter Stimmung, zum Verlust von Lebensfreude und Interesse. Es zeigt sich dann leicht ermüdbar, antriebslos, leidet an Denk-, Konzentrations-, Schlaf- und Appetitstörungen, quälender innerer Unruhe, Selbstzweifeln, Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen und Ich-Hemmung, setzt sich vermehrt mit dem Tod auseinander, Suizidphantasien. Es kann sich auch eine oralsadistische, fordernd-insistierende Haltung mit ausgeprägtem Neid und Missgunst zeigen (passivaggressive Persönlichkeit im Sinne Abrahams).

Biografische Anamnese[Bearbeiten]

Nach Dührssen wurde den vitalen Ansprüchen an das Leben von den ersten Lebenstagen an die Befriedigung versagt. Die Eltern waren unfähig, die Bedürfnisse des Kindes empathisch zu spiegeln und zu befriedigen, zum Beispiel wird das Kind von einer (zum Beispiel voll berufstätigen, mehrere Kinder versorgende oder in einer wirtschaftlichen Notlage befindlichen und daher) überlasteten Mutter hastig und ungeduldig gestillt. Infolge des mangelnden Interesses der Mutter für das kindliche Omnipotenzgebaren muss sich das Kind den Gesten der Mutter anpassen. Oft unsichere Bindung, häufige Abwesenheit eines oder beider Elternteile, schwere Krankheit eines Elternteils, Verlust eines Elternteils, Parentifizierungssituation. Eltern verlegen eigene Ambitionen auf das Kind. Das Kind erwirbt die von den Eltern erwarteten Fähigkeiten (zum Beispiel Geduld, Höflichkeit, Gehorsam, Altruismus, Fleiß, Leistung), lebt aber mit dem Gefühl, dass es eher für imaginäre Eigenschaften als für sein wahres Selbst geliebt wird.

Psychodynamik[Bearbeiten]

Mangelnde Verinnerlichung guter Objekte, dadurch keine ausreichend stabile Selbstrepräsentanzen, Introjektion ambivalenter (geliebter und gehasster) Objekte. Nach Schultz-Hencke sind vor allem orale und aggressive Antriebe gehemmt. Ständige ungesättigte Bedürfnisspannung, ohne dass die natürlichen Bedürfnisse und das Besitzstreben ausgedrückt werden können. Das orale und das aggressive Antriebsmoment sind derart bedrohlich, dass sie durch Furcht und Schuldgefühle vollständig antagonisiert werden müssen. Aufgestaute aggressive Energie findet keinen anderen Weg, als sich gegen das eigene Selbst und die bösen Introjekte zu richten (zum Beispiel in der Form von Selbstmordimpulsen). Infolge der vollständigen Abwehr erscheint der depressiv Strukturierte in Versuchungs- und Versagungssituationen wehrlos. Wendung von Aggressionen gegen das Selbst, kompensatorische Überhöhung des Ich-Ideals, hohe Leistungsmaßstäbe, ein strenges, überforderndes, unnachgiebiges Über-Ich, versteckte fusionäre Sehnsucht und Abhängigkeit von einem äußeren – Liebe und Anerkennung spendenden – Objekt. Persistierendes regressiv-unbewusstes Bedürfnis nach grenzenloser Wertschätzung und emotionaler Sättigung durch ein ideales Objekt.

Quellen[Bearbeiten]

  1. http://www.bericht-online.de , Portal für Psychotherapeuten

Literatur[Bearbeiten]

  • Udo Boessmann, Arno Remmers: Behandlungsfokus, Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 2008
  • Udo Boessmann, Arno Remmers: Das Erstinterview, Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 2011
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