Theorien Sozialer Arbeit

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Theorien Sozialer Arbeit haben sowohl die Aufgabe, die Gegenstandsbereiche der sozialen Arbeit darzustellen, zu erläutern und zu sortieren, als auch Hypothesen, Prognosen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Diese Theorien stellen einzelne Erklärungsansätze über die angemessene Arbeit mit Menschen in schwierigen sozialen Lagen oder der gesellschaftlich gewünschten Arbeit in diesen Handlungsfeldern dar bzw. versuchen, einen Zusammenhang zwischen den Anforderungen und der tatsächlichen Praxis zu beleuchten, Forschungsfragen zu eröffnen oder Konzepte zu entwickeln. In den letzten Jahrzehnten haben sich unterschiedliche Theorieansätze entwickelt, die unterschiedliche Sichtweisen auf das Feld der Sozialen Arbeit zulassen.

Probleme und Gegenstand der Theoriebildung[Bearbeiten]

Die Theorienentwicklung kann hinsichtlich ihrer Gegenstandsbestimmung als offenes Projekt identifiziert werden, in der unterschiedliche Theorien einen Teil des Gegenstandes 'Soziale Arbeit' abzudecken versuchen. Die Theorien, die ihr zugeordnet werden, bilden dabei unterschiedliche Konturen aus und beleuchten unterschiedliche Felder der Sozialen Arbeit, wobei trotzdem immer wieder Schnittmengen zwischen diesen verschiedenen Ansätzen entstehen können. Dennoch besteht die Gefahr der mangelnden Abgrenzung zwischen Theorien Sozialer Arbeit im engeren Sinne und 'theoretischen Beiträgen' von KlassikerInnen bzw. von bedeutenden Wissenschaftlern im Allgemeinen. Ziel von Theorien Sozialer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit den ‚großen‘ Fragen des Gegenstandsbereiches, nicht mit einzelnen, detaillierten Elementen, die jedoch auch immer Teil größerer Überlegungen sind.

Man unterscheidet in der erziehungswissenschaftlichen Tradition Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Unter Sozialpädagogik versteht man die pädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, wobei Fragen der Erziehung und des Aufwachsens im Mittelpunkt stehen. Sozialpädagogik geht dabei weitestgehend im Feld der Jugendarbeit auf. Sozialarbeit andererseits fasst die helfende und unterstützende Arbeit mit Menschen in schwierigen Lebenslagen im weitesten Sinne zusammen. Beide Begriffe werden, wenn keine Unterscheidung nach den spezifischen Arbeitsbereichen nötig ist, unter dem Begriff 'Soziale Arbeit' zusammengefasst.

Aufgrund (1) der Vielzahl von unterschiedlichsten Aufgabenbereichen mit je spezifischen Anforderungen, (2) der Tatsache, dass Schlüsselwörter nicht eindeutig definiert und oftmals aus anderen Wissenschaftsbereichen entlehnt sind und (3) menschliches Handeln nicht kausal definierbar und vorhersehbar ist (Technologiedefizit) es schwierig, eine allumfassende Theorie zu entwickeln, die alle denkbaren Sachverhalte und Personalien in den Blick nimmt und alle Handlungsfelder berücksichtigt. Aus den aktuell vorherrschenden Theorieentwürfen lassen sich aber zumindest vier Themenfelder bzw. Zugänge zur Sozialen Arbeit ableiten.

Gegenstände der Theorien sozialer Arbeit sind demnach (1) Erziehungsherausforderungen in Familie und Schule, (2) die Bearbeitung von gesellschaftlichen (Sozialen) Problemen (beispielsweise Armut), (3) die Risiken der individuellen Lebensführung und –bewältigung und (4) die Dimension des beruflichen Handelns in den Feldern der Sozialen Arbeit.

Es ist also sinnvoll, bei der Theoriebildung zwischen „Sozialer Arbeit als Praxis“ und „Sozialer Arbeit als Wissenschaft“ zu unterscheiden. Im Folgenden sollen nun wichtige beziehungsweise verbreitete Ansätze mit ihren spezifischen Zugängen zum Gegenstand der Sozialen Arbeit vorgestellt und erläutert werden.

Soziale Arbeit und Erziehung[Bearbeiten]

Eine Reihe von Theorien Sozialer Arbeit beschäftigt sich mit der Bedeutung und Ausprägung von Erziehung in der Sozialen Arbeit (erziehungswissenschaftliche Sozialpädagogik). Es handelt sich um historische Ansätze, die die Entstehung der Sozialen Arbeit mit der Industrialisierung und deren gesellschaftlichen Konsequenzen im 19. Jh. begründet. Man konstatiert, dass die Erziehung in Schule und Familie nicht mehr ausreicht, um gesellschaftsfähige Bürger heranzuziehen. Die Sozialpädagogik ist somit als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft zu verstehen, die aus diesem Erziehungsnotstand erwachsen ist. Es entsteht der Versuch, sozialpädagogische Antworten auf die sog. 'Soziale Frage'(Pauperismus, Integration, Industrieproletariat) zu finden, das heißt die soziale Frage mit pädagogischen Mitteln – sozialpädagogischen Institutionen - zu lösen. Hier sind drei Vertreter zu nennen, die diese Richtung vornehmlich geprägt haben: Hermann Nohl, Klaus Mollenhauer und Christoph Sachße/Blanke

Herman Nohl[Bearbeiten]

de:Herman Nohl ist Vertreter einer geisteswissenschaftlich orientierten Sozialpädagogik, die als älteste Schule der Sozialpädagogik für die Jugendwohlfahrt gilt.

Die pädagogische Aufgabe der Gegenwart besteht nach Nohl darin, neue Formen der sozialen Erziehung zu entwickeln, da die ursprünglichen Erziehungsorte Familie und Schule nicht mehr ausreichen, um den mündigen Bürger zu erziehen. Die pädagogische Wirklichkeit (Erziehungswirklichkeit) hat sich verändert, sodass Möglichkeiten – von Geburt an bis zur Lebensreife des Jugendlichen - geschaffen werden müssen, Erziehung außerhalb von Schule und Familie zu gestalten. Dieses neue Arbeitsfeld nennt Nohl 'Sozialpädagogik', wobei er auch die Begriffe 'Notstandspädagogik', 'Jugendwohlfahrt', 'Jugendwohlfahrtsarbeit' verwendet. Nach Nohl ist die Sozialpädagogik „das spannungsreiche System der geistigen Energien, die die Lebensnot der Zeit, insbesondere der Jugend, aufgeweckt hat“.[1] Diese 'geistigen' Energien entspringen fünf sozialen Bewegungen, die auf Probleme der Gesellschaft reagieren:

„(a) Der Sozialismus der Arbeiterbewegung als Reaktion auf die Not der Arbeiter, (b) die innere Mission der Kirchen als Reaktion auf den Verlust des Glaubens, (c) die Frauenbewegung als Reaktion auf den fehlenden Einfluss der Frauen, (d) die sozialpolitische Bewegung als Reaktion auf die sozialen Fragen und Konflikte und (e) das Gemeinschaftsbewusstsein und die Gemeinschaft der neuen jugendlichen Verbindungen als Reaktion auf die Sauflösungserscheinungen der menschlichen Bindungen.“[2][3]

Diese fünf Energien fließen – laut Nohl – in der Jugendwohlfahrtspflege sprich: der Sozialpädagogik zusammen. In ihr soll zunächst immer der einzelne Mensch als Individuum gefördert werden. Er versteht die Jugendwohlfahrtsarbeit als „erzieherische Hingabe an den einzelnen Menschen“[4] , als „Liebe, die auf den fremden Menschen gerichtet ist“[5]. Diese stellt nicht nur eine auf sachliche Hilfe ausgerichtete Wohlfahrtspflege dar, sondern soll dem Einzelnen geistige Inhalte, Kraft und Bindung geben, mit dem Ziel, wieder die Verantwortung für sich selbst und die Gesellschaft zu übernehmen, um wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden, sich als Teil ihrer zu verstehen. Erzieherisches Handeln leitet sich nicht in erster Linie aus äußeren Zielen und Zwecken ab, sondern orientiert sich vielmehr am Kind selbst. Erziehungsziel ist es, die im jungen Menschen angelegten Fähigkeiten zu entfalten und ihm die Möglichkeit zu geben, seine eigene Identität auszubilden.

Klaus Mollenhauer[Bearbeiten]

de:Klaus Mollenhauer gilt in der Literatur als Vertreter einer kritisch-emanzipatorischen Pädagogik. Trotzdem wird er als einer der 'Enkel' Nohls bezeichnet, da er sich zunächst der 'geisteswissenschaftlichen' Pädagogik anschließt.

Auch Mollenhauer stellt in seiner Theorie die Erziehung in den Mittelpunkt der Sozialen Arbeit und der Sozialpädagogik. Erziehung ist für Mollenhauer „ein anthropologischer Grundsachverhalt menschlicher Existenz“[6]. Das Bedürfnis nach Bildung und Erziehung liegt in der Natur des Menschen selbst begründet und stellt somit eine 'Erziehungstatsache' dar. Der Heranwachsende ist angewiesen auf die Unterstützung des sehr langen Bildungsprozesses. Erziehung ist demzufolge von Handlungen zwischen Erwachsenen und Nichterwachsenen geprägt, die zum Ziel haben, sich kompetent am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Erziehung ist im Wesentlichen eine Interaktion zwischen den Generationen. Erziehungsziel ist die Emanzipation des Klienten. Das Verhältnis der Generationen ist im Wesentlichen durch drei Aspekte geprägt: Erstens ist der zu Erziehende angewiesen auf Unterstützung in einem langen und ungebrochenen Bildungsprozess. Zweitens ist dieser Prozess prinzipiell offen und drittens ist es der Erwachsene, der in diesem Erziehungsprozess die herrschende Kultur mit ihren Normen und Werten dem zu Erziehenden näher bringt. Das Verhältnis der Generationen ist dialektisch angelegt, birgt aber aufgrund unterschiedlicher Wertevorstellung Probleme. Aus diesem Grund beschäftigt sich Mollenhauer zunehmend mit den Möglichkeiten, die Konflikte zu entschärfen und offene Gräben zu überwinden. „Einen entscheidenden Zugang zu dieser Problematik sieht Mollenhauer in der Erforschung er Fragen: Was will eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren? Wie leben Jugendliche, und was erwarten sie?“[7] Die Erziehung ist nach Mollenhauer bestimmt durch die Gesellschaft mit ihren Normen und Werten, sodass nicht nur die Erziehung Gegenstand der Sozialpädagogik sein kann. Die Sozialpädagogik hat „als politische und ideologiekritische Institution die Aufgabe der Reflexion der gesellschaftlichen Bedingungen mit dem Ziel der Veränderung der Gesellschaft.“[8]

Christoph Sachße, Thomas Blanke[Bearbeiten]

de:Christoph Sachße und Thomas Blanke gehen mehr als Nohl und Mollenhauer auf die sozialpolitischen Aspekte ein, die durch die Veränderungen in der Industriegesellschaft nötig wurden bzw. sich entwickelt haben.

Die Familie verliert im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung immer mehr ihre Aufgabe der Sozialisation, der beruflichen Reproduktion und der Bildung. Lohnarbeit findet nicht mehr innerhalb der Familie statt und wird so über die Generationen hinweg weitergegeben, sondern wird außerhalb der Familie in Fabriken erledigt.

Die Reproduktion der Arbeitskraft und die Sozialisation der Gesellschaftsmitglieder liegen nun also vermehrt in der öffentlichen Hand und bedürfen neuer Strukturen. Daher sehen Sachße und Blanke die Aufgabe der Sozialarbeit in folgendem Theorieverständnis: „spezifische Aufgabe einer Theorie der Sozialarbeit ist es daher, die Veränderungen der Formen und Mechanismen der öffentlichen Interventionen in die Sozialisationsprozesse der Individuen zu untersuchen und aus gewandelten Erfordernissen der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion zu erklären“. Die Theorie der Sozialarbeit beobachtet also die gesellschaftlichen Veränderungen auch unter dem Aspekt wie staatlichen Maßnahmen auf das Individuum einwirken und damit die Arbeit des Menschen und das gemeinschaftliche Leben verändern, was es zu erklären gilt.

Für Sachße und Blanke sind mehrere Punkte wichtig, die von den Veränderungen beeinflusst werden, beziehungsweise die daraufhin verändert werden müssen, wie zum Beispiel staatliche Versorgungsstrukturen oder die Arbeitseinstellung des Lohnarbeiters. So ist die Einführung von Sozialversicherungen nötig, um sicherzustellen, dass der Lohnarbeiter im Fall einer Erkrankung schnelle Versorgung erhält und zeitnah wieder arbeitsfähig ist. Andererseits wird diese Versorgung auch von den Lohnarbeitern verlangt, da die Familie nicht mehr die Strukturen aufweist, die einen Arbeitsausfall auffangen können.

Mit Blick auf den individuellen Bürger werden neue Aufgaben an ihn gestellt, die in seiner Sozialisation berücksichtigt werden müssen, um ihn erfolgreich in die Lohnarbeitergesellschaft integrieren zu können. Sachße und Blanke beschreiben, dass der Lohnarbeiter sich einerseits den gegeben Hierarchien unterordnen muss, anderseits soll er aber fähig sein rational zu denken. Das Individuum steht also in einem Zwiespalt, der kein natürlich gegebener Zustand ist und durch die Sozialisationsprozesse in Schule und Bildung eingeleitet werden muss. Sachße und Blanke nennen diesen Zustand „die Vergesellschaftung der inneren Natur“[9] . Hier zeigen sich auch Unterschiede zwischen den Gesellschaftsschichten, denn der Lohnarbeiter der unteren Schichten muss in diesen Sozialisationsstrukturen bleiben, wogegen Mitglieder der höheren Schichten diesen Strukturen durch das Erreichen von verantwortungsvollen Positionen entkommen können. Ihnen lastet der Zwiespalt der Sozialisation also nicht so stark an.

Für die Sozialarbeit entstehen Aufgaben im Bereich der Hilfe und der Erziehung. Es fallen sowohl Aufgaben der Hilfe aber auch der Kontrolle in ihren Bereich. Denn das Ziel der gegeben Maßnahmen ist immer die Reproduktion der Arbeitskraft und somit die Eingliederung des Individuums in die Lohnarbeit.

Sachße und Blanke weisen in ihren Überlegungen deutlich darauf hin, dass hinter den Hilfen und Versorgungen auch immer profitorientierte Strukturen stehen, die das staatliche Fortbestehen sichern sollen. So ist durch Industrialisierung nicht mehr die Armut das Kriterium, das zum Ausschluss aus der Gesellschaft führt, sondern die Arbeitsfähigkeit.

Bildung (und Emanzipation)[Bearbeiten]

In diesem Abschnitt wird auf die Frage eingegangen, inwiefern Soziale Arbeit Aufgaben im Bildungsbereich übernehmen könnte. Zudem wird beleuchtet, inwieweit Bildung zur Produktivität in der Theorie sozialer Arbeit beitragen kann. Dabei bezieht sich die Soziale Arbeit auf einen Bildungsbegriff, der dem klassischen Bildungsbegriff in Teilen kritisch gegenübersteht.

Insgesamt scheint Soziale Arbeit in ihrer vermittelnden Position zwischen Individuum und Gesellschaft sowohl geeignet als auch verpflichtet sich der Bildung anzunehmen. Jedoch existieren Befürchtungen und Kritikpunkte, die sich einer Neuverortung der Sozialen Arbeit im Bildungswesen entgegenstellen.

Diskurs: Bildung als Handlungsfeld der Sozialen Arbeit[Bearbeiten]

Die im Jahre 2000 veröffentlichten Ergebnisse der ersten PISA- Studie führten bundesweit zu einer neuen Diskussion über das Verständnis von Bildung in Deutschland. Diese Bildungsdebatte wurde auch im Bereich der Sozialen Arbeit aufgegriffen. Hier wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass Bildung nicht ausschließlich im schulischen Kontext thematisiert werden sollte, sondern ebenso und gerade auch im sozialpädagogischen Kontext. Denn so stellte Thomas Rauschenbach beispielsweise fest, dass „Lebensphasen und Anteile einer institutionalisierten und betreuten Kindheit als feste Bestandteile des Aufwachsens [...] beständig zu [nehmen]“[10]. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist die Kindertagesbetreuung, somit der Bereich der frühen Bildung, nicht etwa dem Bildungssektor, sondern der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet. An diesem Beispiel wird die große Bedeutung die der Bildung in den sozialpädagogischen Handlungsfeldern zukommt, deutlich. Hinzu kommt, dass durch den „[...] Ausbau der Ganztagsschulen und der dabei notwendig gewordenen Kooperation von Jugendhilfe und Schule“[11], der Sozialen Arbeit eine weitere Institution erschlossen wurde.

Das Bildungsverständnis der Sozialen Arbeit[Bearbeiten]

Bildung, wenn sie als „[...] Verbesserung der individuellen Handlungskompetenz“[12] verstanden wird und „ [...] ein Bildungsbegriff, der nicht mit Qualifizierung, Ausbildung und Lernen, sondern mit Verstehen, Aneignung, Mündigkeit in Verbindung gebracht wird“[13], ist durchaus mit den Aufgabenbereichen und den Zielen der Sozialen Arbeit in Einklang zu bringen. Dabei lehnt sich das non-formale Bildungsverständnis der Sozialen Arbeit an den Neuhumanismus und die kritische Bildungstheorie an. In diesem Zusammenhang wird Bildung nicht als „erzieherische Einwirkung auf Individuen, die gesellschaftlichen Zwecken dient“[14] verstanden. Stattdessen bedeutet Bildung im Gegensatz zur Erziehung eine kritische Auseinandersetzung mit Normen, Werten und Ideologien einer Gesellschaft. In dieser kritischen Auseinandersetzung sollte das Individuum dazu befähigt werden sich von gesellschaftlichen Zwängen und Normierungen zu distanzieren. In diesem Sinne wird Bildung als die Fähigkeit verstanden „eine eigenverantwortliche und mündige Lebenspraxis“[15] gestalten zu können. Somit wird deutlich, dass das sozialpädagogische Bildungsverständnis ein „nicht-funktional gedachtes Verständnis von Bildung“[16] impliziert. Die Diskussion um die Bildungsprogrammatik der Sozialen Arbeit konzentriert sich unter anderem auf die folgenden Leitbegriffe: soziale Teilhabefähigkeit, Lebensbewältigung, Aneignung, Selbstbildung, Subjektbildung.[17]

Die Bedeutung der außerschulischen und damit der sozialpädagogischen Praxis steigt im Zuge des non-formalen Bildungsverständnisses stetig. Darüber hinaus wird vor allem die „Ausweitung der Schnittmengen zu anderen Bereichen“[10] offenkundig. Die Kooperation der Sozialen Arbeit mit dem Gesundheitssystem, der Frühpädagogik oder der Schulen ist mehr denn je gefordert. Diese „Vernetzung zu anderen Arbeitsfeldern, Aufgabenbereichen und wissenschaftlichen Subdisziplinen“[18] zeigt eine Umorientierung in der Sozialen Arbeit. In der Konsequenz ruft diese Entwicklung einen Bedeutungszuwachs der Kinder- und Jugendhilfe hervor. Zudem führt das non-formal ausgerichtete Bildungsverständnis zu einer „weiteren Akademisierung der nicht- schulischen Sozial- und Erziehungsberufe“[19].

Konsequenzen und Herausforderungen der Hinwendung zu einem Bildungsbegriff der Sozialen Arbeit[Bearbeiten]

In der aktuellen Bildungsdebatte lassen sich neben diesen primär positiven Konsequenzen jedoch ebenso einige Herausforderungen und Ambivalenzen bezüglich der Hinwendung zum Bildungsbegriff erkennen:

Das bisherige Bildungssystem hat soziale Ungleichheit verstärkt.

  • Auf der Ebene des Individuums lässt sich die Bildungsungleichheit als eine Herausforderung für den Bildungsbegriff darstellen. Denn der Bildungsbegriff fungiert „in Sachen Bildungsungleichheit gleichermaßen als Täter und als Retter“[20]. So führt das Bildungssystem dazu, die sozialen Ungleichheiten tendenziell zu verstärken. Gleichzeitig wird jedoch erwartet, dass Bildung als Mittel genutzt werden kann, um Ungleichheiten entgegenzuwirken und jedem Individuum größtmögliche Selbstentfaltung zu ermöglichen. Hierzu fehlen gegenwärtig allerdings entsprechende Erkenntnisse und umsetzbare Vorschläge.
  • Eine weitere Ambivalenz stellt die „Illusion der Chancengleichheit“ dar. Einerseits wird durch einen erweiterten Bildungsbegriff die Chance des Einzelnen sicherlich erhöht, sodass eine Loslösung der Folgegeneration vom familiären Bildungsstand möglich wird. Auf der anderen Seite sind jedoch auch Grenzen aufzuzeigen. Denn Armut und Arbeitslosigkeit werden, gesamtgesellschaftlich betrachtet, nicht verschwinden. Sie werden sich „allenfalls verlagern“[21]. Denn „Einkommens- und arbeitsmarktbedingte Armuts- und Verteilungsprobleme lassen sich durch Bildung nicht auflösen“[22].
  • Bis heute ist die Debatte um den Bildungsbegriff auch von Skepsis aufseiten der Sozialpädagogik geprägt. Soziale Arbeit möchte neben den Institutionen, wie beispielsweise der Schule nicht untergehen. Man möchte nicht „zum (non-formalen) Ersatzrad am Wagen der (formalen) Bildung [...] werden- das man immer dabei hat, aber hoffentlich nie benötigt-“[23].

Alles in allem überwiegen jedoch die Vorteile der Erweiterung des Bildungsbegriffs der Sozialen Arbeit. Vor allem die Eröffnung neuer Perspektiven und die „stimmigere Selbstverortung der Sozialen Arbeit“[24] legitimieren diese Behauptung. Schließlich steht am Ende die Herausforderung und die Frage inwiefern es sozialpädagogischen Einrichtungen gelingt den emanzipatorisch-kritischen Bildungsbegriff in der Praxis umzusetzen und nutzbar zu machen.

Soziale Probleme[Bearbeiten]

Einen Zugang zur Theoriebildung der Sozialen Arbeit bieten Fragen zu sozialen Problemen und sozialer Gerechtigkeit. Deshalb wird im Folgenden darauf eingegangen, inwiefern das Themenfeld „Soziale Probleme“ in den Theoriebegriff der Sozialen Arbeit hineinfällt. Dies bedeutet im engeren Sinne die Frage näher zu diskutieren, ob die Bearbeitung von gesellschaftlichen Themen wie Armut oder Kriminalität einen Zugang zur Sozialen Arbeit darstellt.

Begriffsdefinition[Bearbeiten]

Aufgrund der Heterogenität seines Gegenstandes ist es schwierig den Begriff der „Sozialen Probleme“ klar zu definieren. Es gibt soweit keine einheitliche Begriffsdefinition. Bisweilen fungiert er als Sammelbezeichnung für spezielle Soziologien wie die Armuts-, Kriminal-, Medizin-, oder Behindertensoziologie.[25] Seinen Ursprung hat der Begriff in der funktionalistischen amerikanischen Soziologie der 1940er und der 1950er Jahre.[26] Es lässt sich festhalten, dass Soziale Probleme einerseits als Versagen des Individuums und anderseits als Versagen bestimmter Sozialisationsinstanzen wie zum Beispiel Familie oder Schule, angesehen werden kann. Das systemische Paradigma versucht, diese beiden Ansätze zu verbinden.

Institutionalisierung[Bearbeiten]

Nach diesem theoretischen Ansatz ist der Handlungsgegenstand der der Sozialen Probleme. Es haben sich bereits verschiedene Institutionen, Systeme und Organisationen ausdifferenziert, die sich auf die Bearbeitung von Sozialen Problemen spezialisieren. Ein System ist die Soziale Arbeit. Diese Systeme und Organisationen haben alle den Bezug zu Sozialen Problemen.[27] Beispiele sind Organisationen der Justiz, wie die Strafvollzugsanstalt, oder Institutionen des Gesundheitssystems, wie die Psychiatrie. Es lässt sich festhalten, dass Kategorien sozialer Probleme in unterschiedlichem Ausmaß institutionalisiert sind und inzwischen als selbstverständlich und allgemein evident behandelt werden. Die Institutionalisierung nimmt meistens die Form von Organisationen an und bildet spezifische Formen von Experten und Expertinnen aus, die Deutung und Bearbeitung sozialer Probleme mehr oder weniger monopolisieren.[28]

Die Definition eines sozialen Problems ist abhängig vom gesellschaftlichen Wertesystem. Soziale Probleme stellen also kulturelle Deutungsmuster dar, welche in höchstem Maße von den zugrunde liegenden Problemdefinitionen abhängen. Soziale Probleme sind „komplexe Bedeutungszuweisungen, in denen vielfältige Schwierigkeiten des Zusammenlebens in der modernen Gesellschaft wesentlich als Störung der gesellschaftlichen Ordnung verhandelt werden“[29]. Sobald ein öffentliches Interesse für Soziale Probleme entsteht, werden Soziale Probleme an die staatliche Politik herangetragen, um diese zu lösen und zu bearbeiten.[30]

Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit bezogen auf soziale Probleme[Bearbeiten]

Soziale Probleme sind laut Staub- Bernasconi der von der Sozialen Arbeit zu betrachtende Wirklichkeitsausschnitt. Ziel ist letztendlich eine selbstbestimmte Lebensführung, also „die Subjekt- Bildung des Klienten, unter gesellschaftlichen Bedingungen, die die Entwicklung autonomer Handlungsfähigkeit in besonderer Weise erschweren“[31].

Soziale Probleme treten in der Soziale Arbeit immer als konkrete Fälle auf. Soziale Arbeit beschäftigt sich mit den Problemen der Lebensführung, die durch gesellschaftliche Strukturen bestimmt sind.[32] Laut Scherr resultieren lebenspraktische Problemlagen aus der spezifischen Verschränkung der Abhängigkeiten (von institutionellen Anforderungen, Kontrollen und Zwängen unter anderem durch den Verlust traditioneller Sicherheiten) und Unabhängigkeiten (Gewinn an individuellen Entfaltungsmöglichkeiten) der Lebensführung in der modernen Gesellschaft.[33] Deshalb setzt die Soziale Arbeit am Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft an.

Lebensweltorientierte Soziale Arbeit[Bearbeiten]

Die Lebensweltorientierung nach Thiersch stellt einen Rahmen für die theoretische und praktische Soziale Arbeit dar. Lebensweltorientierung ist der Ansatz an den alltäglichen Erfahrungen der Klienten. In ihr werden theoretische Konzepte und die praktische Arbeit verbunden, sodass auf individuelle Lebenslagen mit Handlungskonzepten reagiert werden kann.[34] Die Lebensweltorientierung entstand in den 1970er Jahren aus der Kritik an der Expertenherrschaft, die für sich beanspruchte zu wissen, was das Beste für den Klienten sei.[35]

Der theoretische Hintergrund der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit besteht aus vier Traditionen, die in der Sozialen Arbeit verbunden werden und aus denen sich die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit entwickelt hat. Zunächst ist die hermeneutische pragmatische Tradition zu nennen, die aus der Erziehungswissenschaft stammt und sich auf den Alltag des Menschen bezieht, um dann diesen Alltag entsprechend, pädagogisch zu handeln. Begründer dieser Tradition sind Hermann Nohl, Wilhelm Dilthey, Erich Weniger und Klaus Mollenhauer.[36]

Als zweite Tradition ist die phänomenologisch- interaktionistische Tradition zu nennen, die sich primär auf die Analyse des Alltags bezieht. Dabei wird dieser analysiert und „Relevantes“ von „Nicht-Relevantem“ getrennt. Begründer dieser Tradition sind Alfred Schütz, Peter Berger und Thomas Luckmann und Erving Goffmann.[37]

Die kritische Alltagstheorie geht davon aus, dass die Lebenswirklichkeit durch Routine strukturiert wird. Die Routine bietet Sicherheit und Produktivität. Andererseits kann es unbefriedigend sein, diese Routinen aufzulösen um neue Potenziale zu fördern und Blockaden abzubauen. Namen wie Jürgen Habermas, und Pierre Bourdieu sind zu nennen, die zusammengefasst wurden von Lothar Böhnisch, Wolfgang Schröer, Hans Thiersch.[38]

Innerhalb der Lebensweltorientierten Soziale Arbeit lassen sich fünf Aspekte unterscheiden.

  • Zum einen gibt es den phänomenologischen Zugang, bei dem der Mensch nicht als abstraktes Individuum gesehen wird, sondern als ein Mensch der durch seine Umwelt geprägt wird und Erfahrungen macht. Der Mensch setzt sich aktiv mit seiner Umwelt auseinander und ist somit der Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit.[39]
  • Der zweite Zugang beschreibt die Wirklichkeit, in der sich ein Mensch befindet. Diese Wirklichkeit, also sein Alltag lässt sich in unterschiedliche „Lebensfelder“ gliedern.[40] Der Mensch geht durch eine Reihe von Lebensfeldern in seinem Leben. Dabei können sich Schwierigkeiten in den einzelnen Lebensfeldern oder Spannungen zwischen Lebensfeldern ergeben.
  • Der dritte Zugang sieht die Wirklichkeit, in der ein Mensch lebt, normativ-kritisch. Der Mensch steht im Widerspruch seines Lebens. Einerseits ist es entlastend, weil bestimmte Ressourcen und Handlungsmuster gegeben sind, andererseits können diese einengend wirken.
  • Der vierte Zugang sieht den Menschen in Zusammenhang mit der Gesellschaft, die ihn aufgrund ihrer strukturellen Bedingungen und Ressourcen beeinflusst und so in gewisser Weise bestimmt.
  • Der fünfte Zugang bezieht sich auf die Ungleichheiten und Widersprüche innerhalb einer Gesellschaft in den Menschen leben. Der Mensch muss sich innerhalb der Vielfalt von Lebensplänen zurechtfinden und seinen eigenen Lebensplan entwerfen.[41]

Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit verbindet theoretisches Wissen mit Aufgaben, die in der Praxis, also in der Arbeit mit den Menschen geleistet werden müssen. Dabei analysiert sie die Gegenwart aus der sich ein Arbeitsprofil für die lebensweltorientierte Soziale Arbeit ergibt, das sich in sechs Dimensionen gliedern lässt.

  • Die erste Dimension bezieht sich auf die bereits erwähnte Gegenwart und auf die Aufgaben und Herausforderungen, die der Mensch innerhalb der Gegenwart bewältigen muss (Dimension der erfahrenen Zeit)[35]
  • Die zweite Dimension bezieht sich auf den Lebensraum eines Menschen. Dabei wird dieser in den Blick genommen und neue Möglichkeiten erfasst (Dimension des erfahrenen Raumes).[42]
  • Bei der dritten Dimension agiert die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit innerhalb des Sozialraumes eines Menschen. Dabei werden die Familie, Freunde, Eltern, Kinder etc. und ihre Beziehungen untereinander in den Blick genommen (Dimension der sozialen Beziehungen)[35]
  • Die vierte Dimension bezieht sich auf den Alltag eines Menschen. Hier werden die ersten drei Dimensionen zusammen erfasst (Dimension der alltäglichen Bewältigungsaufgaben).
  • Die fünfte Dimension richtet sich an den Menschen und bietet Hilfe zur Selbsthilfe. (Dimension der Hilfe zur Selbsthilfe).
  • Die sechste Dimension bezieht sich auf die gesellschaftlichen Bedingungen in der ein Mensch lebt. Damit sind zum einen die Sozialpolitik gemeint, aber auch normative Bedingungen einer Gesellschaft (Dimension der gesellschaftlichen Bedingungen).

1. Die Praxis lebensweltorientierter Sozialpädagogik

Die Praxis lebensweltorientierter Sozialpädagogik nach Thiersch basiert auf fünf Grundpfeilern, deren Zusammenspiel das Wesen der Lebensweltorientierung darstellen. Gleichermaßen markieren sie das Ziel, den Weg und die Konzeption sozialer Dienste. Diese Grundpfeiler sind Prävention, Alltagsnähe, Regionalisierung, Integration und Partizipation. Oberstes Leitprinzip bleibt aber die Orientierung an den Adressatinnen und Adressaten, sodass der Ansatz grundsätzlich offen zu verstehen ist.

In der Praxis empfiehlt Thiersch eine Diagnostik, die zunächst die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten unter Berücksichtigung ihrer sozialen Möglichkeiten und Fähigkeiten rekonstruiert. Zudem müssen Hilfen notwendige Flexibilität aufweisen, um individuell nützlich sein zu können. Gelingende Hilfe auf Augenhöhe (Partizipation) erfolgt im Sozialraum des Individuums und vor dessen eigener Problemstellung. Hilfen können zum Beispiel bei fehlerbehafteter, einseitiger (schulischer) Bildung um einen Ausgleich mit den Problemstellungen des Sozialraums suchen, um übergreifende Verstehens- und damit Bildungsprozesse beim Individuum einzuleiten. Diese Berücksichtigung des Sozialraums findet sich auch in der grundsätzlichen Offenheit, bürgerliches Engagement (wie Selbsthilfegruppen, Initiativen, etc.) als Teil der Hilfen aufzugreifen.

2. Die Kostenfrage lebensweltorientierter Sozialpädagogik

Die Kosten für lebensweltorientierte Sozialpädagogik ordnet Thiersch dem inhaltlichen Ziel unter. Als Folge der Flexibilisierung sozialer Hilfen fordert er zwar die grundsätzliche Infragestellung jeder institutionellen Hilfeform, warnt aber auch vor einer vorschnellen (politischen) Orientierung an Kosten-Nutzen-Prinzipien. Flexible Schaffung situationsangemessener Hilfen erfordern Bereitschaften bei Anbietern wie der (regionalen) Politik, auf Notwendigkeiten einzugehen. Schwierig sind derart flexible Modelle auch für die beteiligten Anbieter, die nach Thiersch mit dynamischen Strukturen auf die Anforderungen reagieren sollen.

Dienstleistung und Professionalisierung[Bearbeiten]

Soziale Arbeit wird im Rahmen von dienstleitungstheoretischen Ansätzen als personenbezogene soziale Dienstleistung analysiert. Dieser Blick auf Soziale Arbeit eröffnet bestimmte analytische Perspektiven, geht aber auch mit normativen Annahmen einher. Soziale Arbeit tritt in dieser Perspektive nicht mehr Klienten, Adressaten oder Fällen gegenüber, denen geholfen werden muss, oder die behandelt werden müssen, sondern Kunden, die im Rahmen der sozialer Gerechtigkeit eine ihnen zustehende soziale Dienstleistung in Anspruch nehmen. Ganz im Sinne der Metapher, dass der Kunde auch immer König sei, ist in diese Analyseperspektive der Anspruch integriert, dass die Wünsche, Anforderungen und Bedürfnisse des Kunden bei der Dienstleistungserbringung zu beachten sind. Eine analytische Verankerung findet dieser normative Anspruch dabei in der von der sozialwissenschaftlichen Dienstleistungsforschung hervorgehobenen Rolle des Kunden bei der Erbringung von Dienstleistungen: Dieser gilt hier nämlich nicht nur als Konsument von Leistungen sondern er wird auch als Koproduzent der Leistung begriffen, da seine (zumindest minimale) Mitwirkung Vorraussetzung ist, um die Dienstleistung erbringen zu können. Wo der Kunde allerdings beim Friseur 'lediglich' halbwegs pünktlich erscheinen muss und in einer bestimmten Position halbwegs ruhig halten muss, damit der Friseur einen guten Haarschnitt erbringen kann, ist es für die Verbesserung einer Situation eines Adressaten bzw. die Erziehung von Personen notwendig, dass der Adressat selbst gewillt ist, sich und seine Lebenslage aktiv zu verändern. Manchmal ist deshalb die Rede davon, dass der Kunde in der Sozialen Arbeit der eigentliche Produzent der Leistung sei und der Sozialarbeiter nur der Koproduzent.[43]

Ein Problem, welches sich aus dem Ansatz in der Sozialen Arbeit ergibt, ist allerdings die Frage, wer denn eigentlich wirklich der Kunde sozialer Dienstleistungen ist. Denn Leistungen der Sozialen Arbeit werden zwar vom Klienten als Kunden konsumiert, zumeist aber öffentlich finanziert und in Auftrag gegeben. Auch die öffentliche Jugendhilfe (vertreten durch das Jugendamt) übernimmt teilweise die Kundenrolle, da sie die Dienstleistungen zwar nicht selbst konsumiert, aber in Auftrag gibt und bezahlt. Als Auftraggeber und Finanzier hat auch sie Erwartungen und Ansprüche an die zu erbringenden Leistungen. Das Verhältnis von Kunde und Dienstleister ist also durch das sogenannte doppelte Mandat in der sozialen Arbeit komplizierter als etwa beim Friseur. So muss die dienstleistende Institution nicht nur etwas für den Einzelnen tun, sondern diesem im Auftrag von dritten auch kontrollieren bzw. zu einer Veränderung ('Besserung') seines Verhaltens bzw. seiner Lebensweise bewegen. Eine weitere Schwierigkeit der Dienstleistungsdebatte ist, dass sie zwar von der Disziplin zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit genutzt wurde, ursprünglich aber auch aus dem ökonomischen Motiv, soziale Arbeit effizienter und wirtschaftlicher zu gestalten entstand. Wo die einen sich versprechen, den Kunden im Dienstleistungsparadigma mehr Gestaltungerechte einräumen zu können, geht es anderen unter dem Schlagwort Dienstleistung um eine Effizienzsteigerung öffentlicher Dienstleistungen.[44]

Die Dienstleistungsdebatte in der Sozialen Arbeit hat sich in den 1990ern entwickelt. Dabei hat die Idee der Sozialen Arbeit als Dienstleistung zwei maßgebliche Gründe: zum einen dient sie der Entwicklung zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit, zum anderen bedient sie die Forderungen der Öffentlichkeit nach ökonomischen Führung der Sozialen Dienste.[45] Es lassen sich zwei Diskursstränge aufzeigen: ein sozialwissenschaftlich und ein ökonomisch geprägter [35]

Sozialwissenschaftlicher Diskurs:

Zurückgehend auf den französischen Ökonom Jean Fourastié, der Ideen der zukünftigen Gesellschaft als sehr positiv darstellte, lässt sich dieser Diskursstrang als gesellschaftstheoretisch einstufen.[35] So gilt die Dienstleistung in der Volkswirtschaft als „ökonomisches Gut, bei dem im Gegensatz zur industriellen Produktion nicht der materielle Gehalt im Vordergrund steht, sondern eine prozesshafte Leistungserbringung“ [46]. Dienstleistung stellt somit neben dem primären Sektor (wirtschaftliche Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen) und dem sekundären Sektor (industrielle Rohstoffverarbeitung) einen dritten, tertiären Sektor dar.[35] Dieser Sektor ermöglicht dem Kunden, eine aufgewertete Stellung einzunehmen, da er durch seine aktive Beteiligung einen Teil der Produktionskraft darstellt. Soziale Arbeit als Dienstleistung hat den Auftrag die Partizipation an sozialen, ökonomischen und politischen Aktivitäten zu sichern, wiederherzustellen oder zu verbessern und somit flexibel auf einzelne Schicksale zu reagieren und Ungleichheiten und Probleme als soziale Dienste zu kontrollieren und zu reglementieren.[35] Diese Professionalisierung, die dank der Ökonomisierung auch mehr und mehr Anerkennung in der Öffentlichkeit fand, hatte zur Folge, dass neben den „‘klassischen‘ Interventionsformen Geld und Recht [die Soziale Arbeit] als ein integraler Bestandteil moderner Sozialstaatlichkeit hinzu [kam]“[35]. Durch die damit einhergehende Koproduktion entwickelte sich die Soziale Arbeit somit zu einer klientengesteuerten und klientenintensiven Dienstleistung.

Ökonomischer Diskurs:

Durch Reformstrategien des „New Public Management“ , die Effektivität und Effizienz steigern sollten, wurde dem bestehenden Sozialstaatmodell der 1990er versucht entgegenzuwirken.[47] Die Kritik lag zum einen in der Missachtung der Wünsche von Kunden und Kundinnen der Sozialen Arbeit, sowie in der Beschäftigung der Sozialen Arbeit mit sich selbst, was wiederum „die Anspruchsspirale von Bürgerinnen und Bürgern hochschraube und öffentliche Ressourcen verschwende“ [35]. Als Folge wurde die bisherige angebotsorientierte Soziale Arbeit durch neue Ziele ersetzt, die zum einen das Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern zum Sozialstaat und zum anderen die öffentlichen Ressourcen und Steuerungen effizienter und effektiver machen sollten. Für die Soziale Arbeit bedeutete dieses eine bis dato nicht vorhandene Adressaten- und Kundenorientierung, die Berücksichtigung gesellschaftlicher Tendenzen, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem internen Aufbau.[35] Problematische an diesem Ansatz ist der Fakt, dass sozialpädagogische Inhalte mit dem Kundenbegriff und den Ideen des „New Public Management“, wenn überhaupt, schlecht vereinbar sind.[48]

Professionsdebatte

Konzept der Sozialen Arbeit als Dienstleistung: Otto Otto legt in dieser Theorie besonderen Wert auf die Beteiligung der Adressaten. Ihnen soll möglich gemacht werden, ihre Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren, damit sie dazu befähigt werden, zu partizipieren. Otto sieht seinen Ansatz konträr gerichtet zu „organisationeller Rationalität“ [49], die rechtliche oder professionelle Vorgaben als Interpretationsschema für lebensweltliche Erfahrungen und Deutungen benutzt und somit die Adressaten in ihrer Individualität außen vor lässt. Damit Soziale Arbeit als Dienstleistung im Sinne Ottos ermöglicht werden kann, bedarf es einigen Voraussetzungen: Die Organisationsformen müssen flexibilisiert werden, was wiederum mit eine Qualifikation professionellen Handelns einhergeht. Es wird deutlich, dass Otto eine gesellschaftstheoretische Position der Sozialen Arbeit vertritt. Letzteres bedeutet, dass Soziale Arbeit über das „Erziehungstheorem“ und die „funktionale Selbstdefinition der Jugendhilfe“ [50] in den wohlfahrtsstaatlichen Rechten verankert wird. Sie wird deshalb auch als allgemeine Sozialisationsleistung für alle Kinder und Jugendlichen verstanden, und nicht nur für solche, die in der Gesellschaft als problematisch empfunden werden.

Capability Approach: Otto und Schrödter

Die Theorie des Capabaility Approach verfolgt das Ziel, Gerechtigkeitsprinzipien, -normen und –theorien neu zu formulieren und zu erweitern.[35] Der Ansatz zielt ebenfalls darauf ab, Adressaten zu befähigen. Ihre Ressourcen und Fähigkeiten sollen initiiert werden, damit sie ihre Grundbedürfnisse erfassen und ihre Chancen zu Partizipation an der Gesellschaft wahrnehmen. Auf diese Weise wird eine „gerechtigkeitstheoretische informierte Politik“[51] initiiert, die sowohl zwischen dem einzelnen Individuum und der Gesellschaft vermittelt, als auch der Sozialen Arbeit hilft sich zu orientieren, damit diese „Gerechtigkeit im Sinne von Gewährleistung von Verwirklichungschancen“[52] ermöglicht.

Offene Professionalität: Burkhart Müller

In seinem Ansatz der offenen Professionalität zählt Müller drei Faktoren auf, die in einer dreifachen Herausforderung für die Soziale Arbeit resultieren. Erstens muss die Soziale Arbeit auf Alltagsprobleme der Adressaten eingehen. Zweitens soll eine koproduktive Beziehung zu den Adressaten aufgebaut werden, da diese mir ihren Meinungen ebenfalls am sozialpädagogischen Prozess beteiligt sind. Als letzter Punkt ist aufzuzeigen, dass Soziale Arbeit immer mit anderen Professionen kooperieren muss, damit ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden kann. Sind alle drei Faktoren erfüllt, kann nach Müller von „Sozialpädagogischem Können“[35] gesprochen werden. Soziale Arbeit kann sich auf Grund der drei Faktoren nur gemeinsam mit ihren Organisationen professionalisieren, die beiden stehen deshalb zusammen und nicht gegeneinander gerichtet. Besonders wichtig ist demnach die Fähigkeit der Sozialen Arbeit Netzwerk- und Lobbyarbeit zu betreiben.

Rahmenmodell professionellen Handelns: Maja Heiner

Nach Maja Heiner kommt der Sozialen Arbeit ein intermediärer Auftrag zu. Sie soll zwischen Individuum um Gesellschaft, also zwischen Lebenswelt und System vermitteln. In diesem Spannungsverhältnis muss sie die Autonomie der Adressaten fördern und möglichst eine Normalität herstellen. Nur so kann soziale Gerechtigkeit gewährleistet werden. Als Vermittler muss die Soziale Arbeit sich mit widersprüchlichen Standpunkten auseinandersetzten und diese möglichst in Einklang bringen. Übergeordnete Aufgabe ist es also die Teilhabechancen der Adressaten zu verbessern und gesellschaftliche Erwartungen zu realisieren. Heiner nennt als Lösung des Problems die Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit zum „trifokalen Handlungsmodell“.[53] Dazu gehören die fallbezogene Unterstützung zur Verbesserung der Lebensweise, die Veränderung fallbezogener Lebensbedingungen und die fallunabhängige und fallübergreifende Optimierung des Handlungsgeschehens. Damit einhergehend sollte eine ständige Reflexion über das eigene professionelle Handeln stattfinden, sowie über den gesamten Prozess.

Literatur[Bearbeiten]

Soziale Arbeit und Erziehung[Bearbeiten]

  • Blanke, Thomas/ Sachße, Christoph: Theorie der Sozialarbeit. In: Gaertner, Adrian/ Sachße, Christoph (Hrsg.): Politische Produktivität der Sozialarbeit. Campus, Frankfurt/New York, 1996, S. 15 - 51.
  • Engelke, Ernst/Borrmann, Stefan/Spatscheck, Christian: Theorien der sozialen Arbeit. Eine Einführung. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage, Lambertus, Freiburg im Breisgau, 2008.
  • Nohl, Herman: Pädagogik aus dreißig Jahren. Schulte-Bulmke, Frankfurt am Main 1949, S. 133 – 142.
  • Stimmer, Franz (Hrsg.): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Oldenbourg, München, 2000.

Bildung (und Emanzipation)[Bearbeiten]

  • Rauschenbach, Thomas: Bildung – eine ambivalente Herausforderung für die Soziale Arbeit? In: Soziale Passagen, Jg. 1, H. 2, Wiesbaden 2009, S. 209–225.
  • Scherr, Albert: Bildung. In: Dollinger, Bernd; Raithel, Jürgen (Hrsg.): Aktivierende Sozialpädagogik: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2006, S. 51–63.

Soziale Probleme[Bearbeiten]

  • Scherr, Albert: Soziale Probleme, Soziale Arbeit und menschliche Würde. In: Hering, Sabine (Hg.): Bürgerschaftlichkeit und Professionalität: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2007, S. 67–75.
  • Groenemeyer, Axel: Doing Social Problems – Doing Social Control. Mikroanalysen der Konstruktion sozialer Probleme in institutionellen Kontexten – Ein Forschungsprogramm. In: Ders. (Hg.): Doing Social Problems. Mikroanalysen der Konstruktion sozialer Probleme und sozialer Kontrolle in institutionellen Kontexten: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010 S. 13–56.

Lebensweltorientierte Soziale Arbeit[Bearbeiten]

  • Thiersch, H./ Grunwald, K./ Köngeter, S.: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. In: Thole, W. In: Thole, W./ Bock, K. (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010.

Dienstleistung und Professionalisierung[Bearbeiten]

  • Füssenhäuser, Cornelia: Theoriekonstruktion und Positionen der Sozialen Arbeit. In: Otto, Hans-Uwe; Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit: Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 4. Auflage, Reinhardt Verlag, München, 2011.
  • Oechler, Melanie: Dienstleistungsorientierung. In: Otto, Hans-Uwe; Thiersch, Hans (Hrsg.) . Handbuch Soziale Arbeit: Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 4. Auflage. Reinhardt Verlag, München 2011
  • Olk, Thomas /Otto, Hans-Uwe (Hrsg.): Soziale Arbeit als Dienstleistung. Grundlegungen, Entwürfe und Modelle.: Luchterhand Verlag, Neuwied, 2003.
  • Schaarschuch, Andreas: Theoretische Grundelemente Sozialer Arbeit als Dienstleistung. In: Neue Praxis (6)1999, S. 543 - 561

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Nohl, zit. nach Engelke u. a. 2008: 290.
  2. Engelke u. a. 2008: 290.
  3. vgl. Nohl 1949: 133 ff.
  4. Engelke u.a. 2008: 290
  5. Nohl, zit. nach Engelke u.&nbsp m;a. 2008: 291
  6. Mollenhauer, zit. nach Engelke u. a. 2008: 371
  7. Engelke u.a. 2008: 369
  8. vgl. Stimmer 2000: 581
  9. Blanke/ Sachße 1996: 37
  10. 10,0 10,1 Rauschenbach 2009: 215
  11. Rauschenbach 2009: 213
  12. Rauschenbach 2009: 214
  13. Rauschenbach 2009: 210
  14. Scherr 2006: 52
  15. Scherr 2006: 53
  16. ebd.
  17. vgl. Scherr 2006: 54
  18. ebd.
  19. ebd.
  20. ebd.: 219
  21. ebd.: 220
  22. ebd.
  23. ebd.:211
  24. ebd.
  25. vgl. Staub- Bernasconi 2002: 245
  26. vgl. Scherr 2007: 67
  27. Groenemeyer 2010: 15
  28. Groenemeyer 2010: 50
  29. Scherr 2007: 68
  30. vgl. Scherr 2007: 69
  31. Scherr 2007: 73
  32. vgl. Scherr 2007: 68
  33. vgl. Scherr 2007: 71
  34. vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2010: 161
  35. 35,00 35,01 35,02 35,03 35,04 35,05 35,06 35,07 35,08 35,09 35,10 35,11 vgl. ebd.
  36. vgl. ebd: 167
  37. vgl. ebd: 167f
  38. vgl. ebd: 168
  39. vgl. ebd: 169
  40. vgl. ebd: 170
  41. vgl. ebd: 171
  42. vgl. ebd: 172
  43. vgl. Schaarschuch 1999: 55
  44. vgl. Olk/Otto 2003
  45. vgl. Oechler 2011: 258
  46. vgl. Oechler 2011: 259
  47. vgl. ebd.: 261
  48. vgl. ebd.: 262
  49. Füssenhäuser 2011: 1656
  50. ebd.
  51. ebd.
  52. ebd.
  53. vgl. ebd.:1657
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