Prognostisches Assessment

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Ein prognostisches Assessment verbindet die Erkenntnisse eines Assessments (Persönlichkeits- und / oder Eignungsdiagnostik, Assessment-Center) mit der Potenzialanalyse und erweitert sie um eine weitere Dimension: die zukünftige Weiterentwicklung sowie die dazu benötigten Rahmenbedingungen, den Zeitrahmen und die Grenzen.

Anwendungsgebiete[Bearbeiten]

Psychologie, Personalwesen, Rechtspsychologie, Psychiatrie, Forensische Psychiatrie.

Der Begriff „prognostisches Assessment“ wird auch in der Medizin verwendet, wobei hier der Schwerpunkt auf die Diagnose einer Krankheit sowie deren voraussichtlichen weiteren Verlauf (Diagnose mit prognostischer Aussage) gelegt wird.[1]

In der Eignungsdiagnostik sowie der (forensischen) Psychologie und Psychiatrie[2][3] werden prognostische Aspekte vermehrt beurteilt, einerseits im Rahmen der laufenden Weiterentwicklung bewährter Testverfahren (v. a. in der Persönlichkeitsdiagnostik) sowie mit der Erfahrung mit später erfolgenden Überprüfungen der erstellten Analysen insbesondere bei psychologischen Auswahlverfahren sowie in der Kriminalpsychologie.[4][5]

Im englischsprachigen Raum (v. a. in den USA) ist der Begriff prognostic assessment weit verbreitet.[6]

Inhalt[Bearbeiten]

  • Eine weitgehend vollständige (quantitativ) und zutreffende (qualitativ) Analyse der bekannten (und ggf. genutzten) sowie (noch) verborgenen Fähigkeiten, Talente und Neigungen eines Menschen.
  • In einem Selektions-Assessment (Eignungsdiagnostik) der Vergleich (der Fähigkeiten, Talente und Neigungen) mit einem Anforderungsprofil (Analyse und Beschreibung der vorgesehenen Tätigkeit sowie der Voraussetzungen dazu).
  • Aussage, wie weit die Fähigkeiten, Begabungen und Neigungen weiterentwickelt werden können a) insgesamt, auf die Persönlichkeit bezogen (in der Eignungsdiagnostik i. d. R. mit Zeithorizont von ca. 3-5 Jahren); b) ggf. bezogen auf ein vorhandenes Anforderungsprofil.
  • Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, damit das definierte Potenzial freigesetzt, gefördert und weiterentwickelt werden kann.
  • Dauer bis zum Erreichen der gewünschten und / oder möglichen Ziele.
  • Möglichkeiten der Überprüfung, ob und wie die Ziele erreicht worden sind (Qualitätssicherung, Nachhaltigkeit).

Methodik[Bearbeiten]

Die untenstehenden Methoden werden kombinativ angewandt, damit Informationen, Testresultate, Eindrücke und Rückschlüsse entweder bestätigt, ergänzt oder widerlegt werden können. Das Gesamtbild wird in der Analyse zusammengeführt und differenziert, um schlüssige Aussagen und Empfehlungen zu gewährleisten.

Generieren der Ausgangsdaten:

Evaluation der prognostischen Aspekte:

  • Unterteilung des Datenmaterials in bessere und schlechtere Prädiktoren (Einzel-Daten sowie Variablen für die Voraussage): Bewertung der Daten aus selektiven Kriterien (bezüglich aufgabenbezogener Fähigkeiten resp. Eignungen) sowie im Kontext der Gesamtsicht, also die gesamte Persönlichkeit betreffend.
  • Zuordnung der Daten in bestätigende, ergänzende und widersprüchliche Informationen.
  • Einbezug und kritisches Hinterfragen sowohl objektiv generierter Daten als auch subjektiver Eindrücke der Assessoren und Beobachter, basierend auf Erfahrungswissen, dessen Extrapolation (weiterführende Beurteilung aufgrund der vorhandenen Informationen) und Intuition, wobei alle Schritte begründbar sein müssen.
  • Beurteilung von Vorgehen und Leistung (Resultaten) des Probanden bei unterschiedlichen Testbedingungen (Umfeld, Rahmenbedingungen, Komplexität) während des Assessments.
  • Miteinbezug von Interessen und Neigungen des Probanden sowie deren Einfluss auf die Motivation.
  • Abstützen subjektiver Einschätzungen auf quantifizierbare Gründe (für diese Einschätzung) sowie auf Vergleichswerte bei ähnlichen Konstellationen.
  • Zusammenstellung positiver Erkenntnisse / Befunde (widerspruchsfreie Hinweise), sowie Herleitung weiterer Erkenntnisse durch Ausschlussdiagnose (Ausschluss anderer Möglichkeiten) sowie differentialdiagnostische Vorgehen (begründete Schlussfolgerungen durch selektive sowie gesamtheitliche Berücksichtigung und Gewichtung aller vorhandenen Informationen).
  • Errechnen der gegenwärtig nutzbaren Fähigkeiten sowie der Potenziale aus den Testresultaten sowie den weiteren Informationen, wobei einzelne Faktoren anhand ihrer Wichtigkeit bezüglich des Anforderungsprofils resp. der Fragestellung oder anderer definierter Werte gewichtet werden.
  • Während der Analyse und Erstellung des Gutachtens laufende Überprüfung von Konsistenz, Überblick und Nachvollziehbarkeit aller Aspekte, insbesondere unklarer und widersprüchlicher Hinweise.

Berücksichtigung interkultureller Aspekte: Folgende Fragestellungen sind wichtig, insbesondere in der transkulturellen Medizin und Psychiatrie, aber auch mit Bezug auf die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften:

  • die Frage der Pathogenese: sind in allen Kulturen die gleichen Verhaltensweisen und / oder Krankheiten anzutreffen oder gibt es Störungen, die auf bestimmte Kulturen beschränkt sind? Bestehen Unterschiede in der Häufigkeit spezifischer Erscheinungsformen und lassen sich kulturelle Faktoren nachweisen, welche das Auftreten bestimmter Verhaltensformen oder Krankheiten begünstigen oder zurückhalten?
  • die Frage der Pathoplastik: in welcher Weise werden die Verhaltensweisen oder Krankheitsbilder durch die örtliche Kultur geformt?
  • die Reaktion des Betroffenen auf das Erlebnis der Krankheit resp. seines Verhaltens: während in westlichen Kulturkreisen die intellektuelle Auseinandersetzung besonders auffällt, treten andernorts andersartige Reaktionsweisen in den Vordergrund: elementare motorische Reaktionen, Regression auf kindliche Verhaltensweisen, aggressives und autoaggressives Verhalten.
  • die Reaktion der Umwelt auf die Erkrankung und (abnorme) Verhaltensweisen: hier gibt es eine weite Skala, die von verstärkter Zuwendung bis zur Ausstossung reicht. Es finden sich unterschiedliche Wertungen und Interpretationen, wodurch in der Therapie wiederum die Behandlungsform beeinflusst wird.

Erkenntnisse: Zusammenfassung der Erkenntnisse und ggf. grafische Darstellung der wesentlichen Aspekte (in einem Selektions-Assessment z. B. Intelligenz / Denken, Emotionalität / Vitalität, Konzentration / Belastbarkeit, Sozialkompetenz / Führung) in Potenziale und gegenwärtig nutzbare Fähigkeiten, ggf. in Bezug zum Anforderungsprofil resp. zur Fragestellung:

  • Absolute (quantifizierte) Werte in den einzelnen Kriterien.
  • Qualitative Aspekte (sowohl „in die Breite“ als auch „in die Tiefe“).
  • Verbleibendes z. Zt. noch nicht genutztes resp. nutzbares Entwicklungspotenzial.
  • Bei einem nachfolgenden Coaching oder einer Therapie die Differenz in den nutzbaren Fähigkeiten im Vergleich zu den Anforderungen sowie zum Entwicklungspotenzial (je vor und nach dem Coaching resp. der Therapie).
  • Quantifizierung und qualitative Beurteilung des Erreichten.

Siehe auch[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  • Thomas Baumer: Prognostisches Assessment. Fähigkeiten und persönliche Entwicklung voraussehen. SPEKTRAmedia Verlag, Zürich 2012, ISBN 978-3-908244-94-3; HRM Dossier.
  • Heinz Schuler, Michael Prochaska: Ermittlung personaler Merkmale. Leistungs- und Potentialbeurteilung von Mitarbeitern. In: Karlheinz Sonntag: Personalentwicklung in Organisationen. 3. Auflage. Hofgrefe-Verlag, Göttingen 2006, ISBN 978-3-8017-1817-6.
  • Grant Thornton, Barbara Gaugler, Douglas B. Rosenthal, Cynthia Bentson: Die prädiktive Validität des Assessment Centers – Eine Metaanalyse. In: Heinz Schuler: Assessment-Center zur Potenzialanalyse. Hofgrefe-Verlag, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8017-2035-3.
  • Claus D. Eck, Hans Jöri, Marlène Vogt: Assessment Center. Entwicklung und Anwendung. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-642-12997-1.
  • Wolfgang M. Pfeiffer: Transkulturelle Psychiatrie. Ergebnisse und Probleme. Thieme Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-13-158202-2.
  • Thomas Hegemann, Ramazan Salman (Hrsg.): Handbuch Transkulturelle Psychiatrie. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2010, ISBN 978-3-88414-741-2.
  • Frank Urbaniok: Fotres. Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System. Zytglogge-Verlag, Bern 2007, ISBN 978-3-7296-0697-5.
  • Frank Urbaniok et al.: The prediction of criminal recidivism. The implication of sampling in prognostic models. In: European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience, Volume 257, Nr. 3, 2007
  • Gerhard Buchkremer et al.: The predictability of relapses in schizophrenic patients. In: European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience, Volume 240, Nr. 4-5, 1991
  • Prognostische Validität eines Assessment Centers für den Studien-und Berufserfolg von Berufsoffizieren der Schweizer Armee. (PDF; 215 kB) In: Zeitschrift für Personalpsychologie 4, 2005, S. 170-180, Hofgrefe Verlag, Göttingen

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Validation of the graded prognostic assessment index for patients with brain metastases. doi:10.1080/02841860802342390
  2. Methodological approaches to a prognostic assessment of the age at which paroxysmal-like schizophrenia begins. PMID 3414258
  3. Intuitive prognostic assessment in rehabilitation of long-term psychiatric patients. PMID 1480668
  4. Psychotherapy in Prisons: a supervisor’s view
  5. Klaus Peter Dahle: Strengths and limitations of actuarial prediction of criminal reoffence in a German prison. (PDF; 303 kB)
  6. Annual Reviews Psychology doi:10.1146/annurev.psych.47.1.87
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