Präventologie

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Präventologie ist die Lehre (-logie vom griechischen λόγος (Transliteration: lógos), bedeutet „Wort“, aber auch „Lehre“), das Wissen über Prävention (im Sinne von Krankheitsprävention) und Gesundheitsförderung. Sie vereint damit die Lehre der Krankheitsprävention und der Gesundheitsfürsorge, die mit unterschiedlichen Interventionsformen und verschiedenartigen Wirkungsprinzipien das gemeinsame Ziel verfolgen, sowohl die individuelle als auch die kollektive Gesundheit zu stärken und zu verbessern.[1].

Ziele[Bearbeiten]

Das Bestreben der Präventologie ist es, die Ziele von Prävention und Gesundheitsförderung miteinander zu verbinden und dadurch den verantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit, aber auch der Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu fördern.

Ziel der Prävention (lat. praevenire = zuvorkommen, verhüten) ist dabei die Vermeidung des Auftretens von Krankheiten und damit die Verringerung ihrer Verbreitung und die Verminderung ihrer Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung. Die zentrale Strategie ist, die Risikofaktoren für Erkrankungen und die Auslösefaktoren von Krankheiten zurückzudrängen oder ganz auszuschalten[2]. Prävention ist ethisch-normativ und ökonomisch begründet: individuelles Leid soll soweit wie möglich verhindert, die Lebensqualität der Menschen verbessert und das Leben selbst verlängert werden. Gleichzeitig soll Prävention die ökonomischen Lasten für dann unnötig gewordene Krankenbehandlungen verringern[3].

Ziel der Gesundheitsförderung ist es, die Schutzfaktoren zu erhöhen und die gesundheitlichen Lebensbedingungen zu stärken (mit den ökonomischen, kulturellen, sozialen, bildungsmäßigen und hygienischen Aspekten). Die Gesundheitsförderung basiert auf dem salutogenetischen Modell von Aaron Antonovsky, welches davon ausgeht, dass es ein Kontinuum gibt, dessen Pole Gesundheit und Krankheit sind, das so genannte G/K-Kontinuum. Prävention zielt darauf ab, dass sich die Position des Individuums auf dem Kontinuum nicht in Richtung Krankheit verschiebt, Gesundheitsförderung ist darauf ausgerichtet, die Position des Individuums in Richtung Gesundheit zu verschieben[3].

Die präventologische Sicht auf die Gesundheit[Bearbeiten]

Die Gesundheit des einzelnen Menschen und die Gesundheit der Gesellschaft lassen sich nicht eindeutig definieren. Die unterschiedlichen Definitionsversuche, Konzepte und Modelle im Umgang mit Gesundheit und Krankheit zeigen eine relative Welt. Die Psychoneuroimmunologie, die Gesundheitswissenschaften und die Erfahrungsheilkunde formulieren zurzeit eine „Relativitätstheorie der Medizin“, die bisherigen Postulate der Biomedizin werden von dynamischen, biopsychosozialen Konzepten der Gesundheitsförderung oder der Krankheitsbewältigung abgelöst. Eine solche „IntegrierteMedizin“ sieht Gesundheit und Krankheit als Zustandsbeschreibung in einem kommunikativen Gewebe, das Gen, Person und soziale wie physikalische Umwelt miteinander vernetzt. Individuum und Kultur sind miteinander in Wechselwirkungsbeziehungen verbunden.

Die Präventologie denkt daher in vernetzten Strukturen. Sie sieht genetische Vorgaben, die Biografie von Personen und die soziale Kultur miteinander verwoben. Kränkende und heilende Kräfte beeinflussen die Verhältnisse. Dieses Denken und Handeln in dynamischen Wechselwirkungsmustern und kommunikativen Beziehungsfeldern unterscheidet die Präventologie von den Ursache-Wirkungs-Konzepten oder den Defekt- und Reparaturschemata der herkömmlichen Medizin.

Die präventologische Theorie und Praxis muss mit einer relativen Sichtweise umgehen: Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch positiv das Vorhandensein von Lebensqualität, Handlungsfähigkeit, Rollenkompetenz und die Möglichkeit, sein vorhandenes Potenzial gleichzeitig zu erfüllen und zu erweitern. Dies bezieht sich auf die körperliche, seelische, geistige und soziale Ebene. In diesem Sinne ergänzt das präventologische Handeln die Heilkunst der Medizin.

Die Qualität der menschlichen Beziehungen bildet nach den Erkenntnissen der Human- und der Biowissenschaften den wichtigsten Einzelfaktor, der über die Gesundheit oder Krankheit eines Individuums entscheidet. Die Beziehungskrankheiten sind in der Kommunikationsgesellschaft an die Stelle der Infektionskrankheiten des letzten Jahrhunderts getreten und Beziehungslosigkeit ist der gefährlichste Krankheitserreger der modernen Welt und Beziehungsfähigkeit das Antibiotikum der Wissensgesellschaft.

Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, die entgegen ihrem Namen den gesamten Bereich der Präventologie abdeckt, also Prävention und Gesundheitsförderung, beschreibt das Leitbild eines – individuellen und gesamtgesellschaftlichen – modernen Gesundheitsmanagements: „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“[4].

Präventologische Strategien dienen auf individueller Ebene der Stärkung der Motivation, sich mit seiner eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen und zielen darauf aufbauend auf die Entwicklung der Gesundheitskompetenz. Sie entwickeln das Wissen des Einzelnen so, dass gesundheitsschädliches Verhalten reduziert und gesundheitsförderliches Verhalten gestärkt wird und sich gesundheitsförderliche Lebenswelten entwickeln können. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene fördert die Präventologie Maßnahmen des Gesetzgebers, um mit Hilfe von Steuerungsmechanismen präventives Verhalten durchzusetzen, mit denen das Verhalten des Einzelnen und dessen Lebensverhältnisse positiv beeinflusst werden können.

Eine systematische und wirksame Prävention gilt politisch, wirtschaftlich und medizinisch als die zentrale Herausforderung der Gesundheitsversorgung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschrieb im Jahr 2005 in ihrem Bericht über chronische Erkrankungen die neue Perspektive des gesellschaftlichen Umgangs mit den heute vorherrschenden Krankheiten[5]:

  • Chronische Erkrankungen können mit unserem derzeitigen Wissen durch Maßnahmen der Gesundheitsförderung signifikant reduziert werden.
  • Die vorhandenen und wissenschaftlich evaluierten Strategien der Prävention und Gesundheitsförderung sind wirksam und zugleich kosteneffektiv.
  • Eine effiziente und effektive Präventionspolitik baut die präventive und gesundheitsförderliche Versorgung der Bevölkerung systematisch aus.

„Gesundheit muss produktiv als Investitionsfaktor verstanden werden und als ein ko-produziertes Gut mit öffentlichen und privaten Dimensionen, das von vielen Handlungsträgern in der Gesellschaft hergestellt wird und gesamtgesellschaftlichen Nutzen erbringt“ [6]. Die gesundheitspolitischen Leitlinien der WHO verstehen Gesundheit heute als dynamischen Prozess, als integralen Teil des Alltags der Menschen und als Interaktion zwischen Lebensweisen und Lebensumständen.

Handlungsfelder[Bearbeiten]

Die Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1986 gilt heute als das zentrale und wegweisende Grundsatzdokument moderner Gesundheitspolitik. Eine an der Ottawa-Charta orientierte Politik entfaltet auf mehreren Handlungsfeldern Aktivitäten:

  • Sie entwickelt eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik, die sich nicht auf das klassische Gesundheitsressort, also Krankenversicherung und Krankenversorgung oder den öffentlichen Gesundheitsdienst beschränkt, sondern andere Lebensbereiche und Politikfelder berücksichtigt.
  • Sie gestaltet und begünstigt gesundheitsfördernde „Lebenswelten“, arbeitet also in den „Settings“ und verändert sie in Richtung eines gesünderen Lebens.
  • Sie betreibt eine Neuorientierung der Gesundheitsdienste wie Krankenhäuser oder Rehabilitationseinrichtungen, Altenheime oder Pflegeheime. Die anzusprechenden Zielgruppen sind Mitarbeiter und Nutzer gleichermaßen.
  • Sie betreibt eine Gesundheitsversorgung, die zur Entwicklung und Stärkung der gesundheitsrelevanten Ressourcen in der Bevölkerung und in besonders betroffenen Zielgruppen beiträgt.

Setting-Ansatz[Bearbeiten]

Die Strategien der Präventologie, also Prävention und Gesundheitsförderung, setzen innerhalb abgegrenzter sozialer Einheiten (Settings) an. Setting-Ansätze zielen auf die Veränderung des Alltags durch niederschwellige systemische Interventionen in konkreten Lebenswelten wie Schule, Betrieb oder Stadtteil, die alle Beteiligten einbeziehen. Grundlegende Philosophie der Setting-Intervention ist, dass die Zielgruppen als aktiv Handelnde Kompetenzen zur Wahrnehmung ihrer eigenen gesundheitsbezogenen Interessen erwerben und nicht nur Empfänger von gesundheitsförderlichen Botschaften und Angeboten sind. Elemente des Settings-Ansatzes sind:

  • die Entwicklung gesundheitsfördernder Verhaltensweisen
  • die Entwicklung von emotionaler und sozialer Kompetenz
  • die Fähigkeit mit Konflikten und Problemen konstruktiv umzugehen
  • die Entwicklung der Fähigkeit der Selbstwirksamkeit (als erlebter erfolgreicher Selbstwirksamkeitserwartung)

Gesetzliche Grundlagen[Bearbeiten]

Für die präventologischen Themen Prävention und Gesundheitsförderung gelten in Deutschland folgende Rechtsgrundlagen:

Ausgaben für Prävention und Gesundheitsförderung[Bearbeiten]

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat im Jahr 2007 Daten über die Ausgaben verschiedener Staaten im Jahr 2005 für „Prävention und öffentliche Gesundheit“ publiziert. Der Durchschnitt der 20 erfassten Länder betrug 2,5 % der nationalen Gesamtgesundheitsausgaben. Die Extreme waren Kanada (6,1 %) und Island (0,6 %). Deutschland lag mit 3,3 % im oberen Mittelfeld. Gegenüber dem Jahr 2000 hatten die Ausgaben der 20 Länder für Prävention und öffentliche Gesundheit um 6 % zugenommen[7].

Umsetzung[Bearbeiten]

Die Erkenntnisse und Methoden der Präventologie werden von Präventologen (und Präventologinnen) vermittelt. Die Berufsbezeichnung ist geschützt.

Präventologen gestalten lernende Organisationen und lernende Systeme. Sie wollen eine offene Kommunikations- und Kooperationskultur innerhalb der Professionen und Institutionen der Prävention und Gesundheitsförderung erreichen und ein lebendiges gegenseitiges Beziehungsnetz mit aufbauen.

Aufgabe von Präventologen ist es, die Entwicklung von Persönlichkeit und sozialen Fähigkeiten von Menschen zu fördern und ihre individuellen wie sozialen Kompetenzen im Umgang mit Gesundheit und Krankheit zu stärken. Dies geschieht durch Information, gesundheitsbezogene Bildung und Beratung und die Vermittlung von Fähigkeiten oder Methoden zur gesundheitsförderlichen Ernährung, Bewegung und geistigen Einstellung. Dies geschieht sowohl in der Einzelberatung, in der Gruppenberatung als auch in den unterschiedlichsten Settings und Organisationen.

Die Ausbildung zum Präventologen erfolgt durch den Berufsverband Deutscher Präventologen e.V. als staatlich zertifiziertes Fernstudium mit abschließender schriftlicher und mündlicher Prüfung sowie der Anfertigung einer Abschlussarbeit. Die Ausbildung dauert mindestens 12 Monate, die Berufsbezeichnung nach bestandener Prüfung ist „Geprüfte Präventologin“ oder "Geprüfter Präventologe“.

Organisationen in Deutschland[Bearbeiten]

  • gesundheitsziele.de – Forum zur Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen in Deutschland
  • Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA)
  • Berufsverband Deutscher Präventologen e.V.

Literatur[Bearbeiten]

  • Die Ottawa Charta (1986) online
  • Aaron Antonovsky: Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. 1997. (US-amerikanisches Original 1987)
  • World Health Organization: Preventing chronic diseases: a vital investment. WHO global report. 2005.
  • Ilona Kickbusch: Die Gesundheitsgesellschaft, Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft. 2006, ISBN 3-929-79836-0.
  • Klaus Hurrelmann, Theodor Klotz, Jochen Haisch: Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung. 2009, ISBN 978-3-456-84486-2.
  • Curriculum Fachstudium zum Präventologen, hrsg. vom Berufsverband Deutscher Präventologen, 2010.

Siehe auch[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Hurrelmann, S. 12
  2. Hurrelmann, S. 11
  3. 3,0 3,1 Curriculum
  4. Ottawa Charta, S. 5
  5. WHO, s. Literatur
  6. Kickbusch, s. Literatur
  7. OECD Health Data 2007
Gesundheitshinweis Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt keine Arztdiagnose. Bitte hierzu diesen Hinweis zu Gesundheitsthemen in der Wikipedia beachten!


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