Neuropädie

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Neuropädie (v. griechisch νεῦρον - neuron = „Nerv“ und παιδεία - paideia = "Erziehung" bzw. "Bildung) ist ein geschütztes Warenzeichen[1] für eine nicht invasive Therapieform, die, unter Ausnutzung der Anpassungsfähigkeit des Nervensystems an die jeweiligen Anforderungen (neuronale Plastizität) und die Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese)2), durch gezielte Stimulationen (Aktivierungen) des Nervensystems dieses veranlasst, sich organisiert weiter zu entwickeln und die einzelnen neurologischen Bereiche besser miteinander zu vernetzen (sensorische Integration), um damit die Grundlagen für Lernen (Bildung) und Verhalten (Erziehung) zu verbessern. Dabei wird nicht nur die Bewegungssteuerung, die Impulssteuerung und die emotionale Steuerung verbessert, sondern ganz allgemein die geistige Leistungsfähigkeit eines Menschen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Lernfähigkeit aus und auf die Fähigkeit, sich angemessen zu verhalten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte[Bearbeiten]

1994 wurde diese Therapieform von Judith Bluestone (1944-2009) in den USA entwickelt und eingeführt. Judith Bluestone war Neurowissenschaftlerin und hat in ihrer Therapie unter dem Namen HANDLE (Holistic Approach to NeuroDevelopment and Learning Efficiency)3) ihre persönlichen Erfahrungen mit neurologischen Schwierigkeiten (heute würde sie als "Autistin" bezeichnet werden) und die Erkenntnisse aus ihren wissenschaftlichen Studien integriert. Schnell verbreitete sich HANDLE in den USA, wo Bluestone eine anerkannte Expertin bei Diagnose und Therapie speziell im Bereich von Autismus wurde, später ebenfalls im gesamten englischen Sprachraum. Seit 1999 gibt es Therapeuten in der deutschsprachigen Schweiz. In Deutschland wurde im Jahre 2010 diese Therapieform unter dem Begriff "Neuropädie" eingeführt und als Marke geschützt. Ebenfalls als Marke geschützt wurde im Jahre 2011 die Berufsbezeichnung für den Therapeuten "Neuropäde".

Grundlagen[Bearbeiten]

Das Neurologische System (Gehirn, Rückenmark, peripheres Nervensystem, Sensoren wie Augen, Ohren, Nase usw.) veranlasst und organisiert Denken, Fühlen und Handeln (Körperbewegung) eines Menschen. Dabei bilden das neurologische System und der Körper eine Einheit (integriertes System), sie bedingen sich gegenseitig und sind insofern voneinander abhängig, als dass jedes Teilsystem möglichst optimal entwickelt sein und die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt liefern sollte.

Das neurologische System wird durch verschiedene grundlegende Bereiche repräsentiert, die auf ganz bestimmte Aufgaben der Wahrnehmung und deren Verarbeitung spezialisiert sind: Geruchswahrnehmung (Olfaktion), Geschmackwahrnehmung (Gustation), Berührungswahrnehmung (Taktilität), Wahrnehmung des Gleichgewichts und der Gravitation (Vestibularsystem), Muskelspannung im Ruhezustand (Muskeltonus), Bewegungssteuerung (Kinästhetik), Selbstwahrnehmung im Raum (Propriozeption), Hören (Audition), Sehen, Zusammenspiel der Augen (Binokularität), Augenbeweglichkeit (Motilität) , Mundbeweglichkeit (orale Motilität). Zu jedem dieser grundlegenden Bereiche gehören jeweils spezielle Sensoren, bestimmte Teile des peripheren Nervensystems (Zu- und Ableitung der Impulse) und bestimmte Zentren im Rückenmark bzw. im Gehirn, in denen die Verarbeitung und Verknüpfung mit anderen Bereichen stattfindet. Am Ende dieses Prozesses steht immer ein bestimmtes Verhalten (Körperbewegungen) oder ein Lernvorgang.

Die verschiedenen Sensoren, die zu- und ableitenden Nerven, wie auch die Verarbeitungszentren im Rückenmark und im Gehirn entwickeln und vernetzen sich einerseits nach einem bestimmten, von der Natur genetisch "eingebauten", Entwicklungsplan, als auch durch äußerliche Stimulationen, die durch Umweltreize gesetzt werden, z.B. durch Bewegungen, durch taktile, akustische, oder optische Reize usw. Durch diese Stimulationen können die genetischen Potentiale erst vollständig ausgeschöpft werden4)5). Verläuft diese Entwicklung des neurologischen Systems nicht optimal, dann tauchen Schwierigkeiten auf, die sich schon früh bemerkbar machen können in Form von Entwicklungsverzögerungen6), z.B. in der Motorik und/oder der in der Sprachentwicklung aber auch im Sozialverhalten, z.B. als Apraxie, Dyspraxie, Aphasie und andere Sprachstörungen, Autismus - Spektrum - Störung, Tourette-Syndrom, manisch-depressive Störung. Im Kindergarten und insbesondere in der Schule treten dann vermehrt Lern-und Verhaltensschwierigkeiten auf, die sich z.B. äußern können als ADS/ADHS, LRS, Dyskalkulie, Dysgraphie, Dyslexie, Gedächtnisstörungen, Stimmungsschwankungen usw. All diese Störungen werden letztlich verursacht durch Störungen in der Entwicklung einzelner oder mehrerer grundlegender Bereiche des neurologischen Systems. Neuropäden und Neuropädinnen entwickeln für jeden Klienten einen auf dessen Bedürfnisse hin zugeschnittenen Plan mit Aktivierungen. Durch diese Aktivierungen werden gezielt einzelne oder mehrere grundlegende Bereiche des neurologischen Systems gezielt stimuliert. Aufgrund der neuronalen Plastizität und der Fähigkeit zur Neurogenese entwickeln und reorganisieren sich diese Bereiche gezielt und können so ihre Funktion im gesamten neurologischen System besser erfüllen. Durch diese Verbesserung der neurologischen Grundlagen für Lernen und Verhalten verbessern sich auch die mit der Fehlentwicklung bzw. Entwicklungsverzögerung verbundenen Erscheinungen oder verschwinden ganz.

Ziele[Bearbeiten]

Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten werden in den meisten Fällen verursacht im und durch das neurologische System eines Menschen. Indem die für das Lernen und Verhalten zuständigen aber geschwächten Bereiche des Nervensystems (entweder nicht ausreichend entwickelt oder nicht gut in das Gesamtsystem integriert) gefördert werden, verbessern sich diese Schwierigkeiten und Auffälligkeiten oder verschwinden ganz.

Einsatzbereiche[Bearbeiten]

Neuropäden und Neuropädinnen können Menschen jeden Alters bei folgenden Schwierigkeiten unterstützen:


Folgende Veränderungen werden angestrebt:

  • Verbesserung von Bewegungsabläufen und der Körperhaltung um damit aktuelle bzw. später möglicherweise auftretende Beschwerden im Bewegungsapparat (z.B. Rückenleiden, Kniebeschwerden, Verkrampfungen, Verspannungen usw.) zu beseitigen bzw. zu vermeiden (Vorbeugung), etwa durch einen verbesserten Muskeltonus, bessere Körperkoordination oder durch besser integrierte frühkindliche Reflexe.
  • Verbesserung der Sinneswahrnehmung und der Wahrnehmungsverarbeitung im Sinne einer Regulierung der Reizempfindung, einer angemessenen Filterung und Bewertung der empfundenen Reize, einer Regulierung der Geschwindigkeit der Reizverarbeitung und der Regulierung der Reizverarbeitung bis zu einer zweckmäßigen motorischen Antwort.
  • Verbesserung der sensorische Integration
  • Verbesserung der Konzentration und Ausdauer und damit Verbesserung kognitiver Leistungen
  • Stärkung der Motivation und Neugierde
  • Verbesserung der Grob- und Feinmotorik
  • Verbesserung von Gleichgewichtsempfindungen und der Gleichgewichtsreaktionen.

Literatur[Bearbeiten]

  • A.Jean Ayres, J. Robbins, I. Flehmig und R.-W. Flehmig Bausteine der kindlichen Entwicklung: Die Bedeutung der Integration der Sinne für die Entwicklung des Kindes, Springer-Verlag, Berlin, ISBN 3-540-63741-9, 3. Auflage

Englischsprachige Literatur:

  • Judith Bluestone: The Fabric of Autism, 1. Etition, Sapphire Enterprises, LLC, 2005, ISBN 0-9720235-2-6
  • The HANDLE Institute: The Churkendoose Anthology, 1. Etition, The HANDLE Institute, 2002, ISBN 0-9720235-0-X

Einzelnachweise[Bearbeiten]