Irrelevanz

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Irrelevanz (aus lat. ir- (in-) = un-, nicht und relevant; Adjektiv: irrelevant) ist eine Bezeichnung für die Bedeutungslosigkeit und damit sekundär auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken, eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist entsprechend eine Bezeichnung für Bedeutsamkeit im gegebenen Zusammenhang, umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine Sinnhaftigkeit oder Wichtigkeit. Das Fremdwort für eine allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz.

Wissenschaftsphilosophie[Bearbeiten]

Für die Wissenschaftsphilosophie nimmt der Begriff „Irrelevanz“ in der theoretischen Physik eine Sonderstellung ein. So schreib Vera Spiller in ihrer Dissertation von 2011 „Verstehen in der Quantenphysik[2], dass es scheinbar irrelevant sei, ob wir die Vorgänge innerhalb derselben verstehen würde.

„Die Gesetze des Mikrokosmos fordern unsere Vorstellungskraft heraus und führten dazu, dass Richard Feynman in einer vielzitierten Bemerkung feststellte: ”I think I can safely say that nobody understands quantum mechanics.” Ein Wortspiel, das zum Nachdenken anregt: Woran liegt es, dass sich die Quantenmechanik unserem Verständnis zu entziehen scheint? Besitzt die Theorie eine intrinsische Struktur, die sich dem menschlichen Verstand prinzipiell widersetzt? Und wenn es so sein sollte, was unterscheidet sie von anderen physikalischen Theorien, die wir besser zu verstehen meinen? In der vorliegenden Arbeit werden diese Fragen verfolgt und drei verschiedene berühmte Interpretationen der Quantenmechanik vorgestellt. ¨ Anschließend wird sich in einer Analyse zeigen, warum manche der Interpretationen, die sich alle auf denselben mathematischen Formalismus beziehen, möglicherweise besser geeignet sind als andere, etwas zu erzeugen, was wir ‘Verstehen’ nennen können.“

Im weiteren Verlauf ihrer Arbeit beschreibt sie die verschiedenen Deutungsweisen (Kopenhagener Deutung, Maudlins Interpretation etc.) der Quantenmechanik, um in Kapitel 5 eine neue Definition des „wissenschaftlichen Verstehens“ zu geben, sprich einer nicht mehr irrelevanten Definition. Ausgehend von der großen Spannbreiten der verschiedenen Eklärtheorien, argumentiert Spiller mit Hilfe von des Philosophen Carl Gustav Hempel, dass sich die moderne Physik nicht mehr auf allein auf die Modelle der klassischen Mechanik stützen kann.

„Was verstehbar ist und verstanden wird, bezieht heute einen weitaus größeren Kreis von Theorien mit ein als allein klassischmechanistische Modelle - einen Kreis, der sich historisch erweitert hat. Dass die Wissenschaft Verstehen tatsächlich als eines ihrer Ziele verfolgt, ist nicht eindeutig nachweisbar. Dass wissenschaftliches Verstehen überhaupt ein wichtiges epistemisches Ziel der Wissenschaft sein soll, haben einige Philosophen bestritten. Hempel beispielsweise vertrat die Meinung, dass es eine Verbindung zwischen Erklärung und Verstehen gäbe, hielt jedoch wissenschaftliches Verstehen nicht für fundamental. (…) Folglich sei eine Analyse des Begriffes des Verstehens für die Wissenschaftsphilosophie nicht relevant.“

Ökonomie[Bearbeiten]

Der Anthropologe David Graeber beschreibt in seinem Buch „Bürokratie: Die Utopie der Regeln“ wie der Begriff der Irrelevanz sich auf den Arbeitsmarkt auswirkt. So hielten knapp ein Drittel aller englischen Erwerbstätigen[3] ihre Arbeit für irrelevant. Grund: anstatt durch Arbeitszeitverkürzungen auch die Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen zu beteiligen, wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, die keinen gesellschaftlichen Nutzen bringen.

Graeber sagt, dass das 20. Jahrhundert weniger als meist gedacht dem Ausbau der Dienstleistungsindustrie, sondern eher des Verwaltungssektors gedient habe. Ob im Finanzsektor, beim Marketing oder im Rechtswesen: überall seien Stellen geschaffen worden, die niemand wirklich „benötige“, und andere Jobs (etwa Hundeausführer) gäbe es nur, weil dem normalen Arbeitnehmer so wenig Freizeit bliebe.[4]

Diese Entwicklung, so stellt Graeber fest, werde sich weiter fortsetzen. Sowohl im Privatsektor als auch bei der öffentlichen Hand, argumentiert er, werde im Namen der Effizienzsteigerung zwar rationalisiert, zugleich aber die Kontrolldichte so erhöht, dass Produktivitätsgewinne sofort wieder verschwänden. Personalkürzungen beträfen fast ausschließlich den Teil der Arbeitnehmer, die echte Leistungen vollbrächten. Ohne bewusstes Gegensteuern landen wir so in einer Welt, die Terry Gilliams „Brazil“ („Dies ist meine Quittung für Ihre Quittung“) viel mehr ähnelt als den Utopien, die eine Befreiung durch Technik vorhersagen.

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten]

  1. „bildungssprachlich“ nach Brockhaus Wahrig – Deutsches Wörterbuch, fünfter Band, 1983, Lemma Relevanz. Diese Zuordnung findet sich aber auch in anderen deutschsprachigen Wörterbüchern.
  2. Vera Spiller: Verstehen in der Quantenphysik. (PDF) Abgerufen am 13. November 2017.
  3. YouGov: British Jobs are meaningless. Abgerufen am 13. November 2017.
  4. London Real: Bullshit Jobs. Abgerufen am 13. November 2017.
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