Frühsozialistische utopische Gesellschaftstheorien
Frühsozialistische utopische Gesellschaftstheorien sind in der Literatur vorgetragene soziale Konzepte, die in der Praxis niemals umgesetzt wurden. Ohne die materiell notwendigen, ökonomischen Voraussetzungen war und ist die Verwirklichung frühsozialistischer Utopien unrealistisch.
Inhaltsverzeichnis
Kommunismus als utopische Idee und philosophisch begründete Praxis[Bearbeiten]
In frühsozialistischen Utopien spielte das von Karl Marx analysierte „materiell-ökonomische Absolute des Produktionsprozesses bzw. der Arbeit als die alles begründende Wirklichkeit“[1] noch keine zukunftsweisende, evolutionäre Rolle. Wenn man von der oben genannten Definition frühsozialistischer Utopien ausgeht, verstehen sich im 21. Jahrhundert Sozialismus und Kommunismus immer noch als Utopie. Schließlich konnten selbst die Bolschewiki, die die Oktoberrevolution 1917 vollbrachten, mit der Ideologie Lenins und Stalins keine sozialen Entwicklungen einleiten, die nachhaltig zum Untergang kapitalistischer Produktionsweisen geführt hätten. Die sozialistischen und kommunistischen Ideen, die unter weltweit vorherrschenden, sozial sehr flexiblen und dem technischen Fortschritt aufgeschlossenen kapitalistischen Produktionsverhältnissen des 20. Jahrhunderts keine ökonomisch stabile Realform hervorbringen konnten, haben aber eine wissenschaftstheoretische, philosophisch begründete Grundlage. Die praktische Umsetzung dieser philosophischen Erkenntnisse in ein sozialistisches Gesellschaftssystem wurde aber im Zuge der kommunistischen Revolutionen im 20. Jahrhundert durch fanatische Idealisten, deren feudalistisch anmutende Hierarchien und Verstetigung der vertikalen Arbeitsteilung[2] im Realsozialismus verhindert. Die führenden kommunistischen Politiker und Revolutionäre hatten die notwendigen dialektischen Zusammenhänge, die in der Lehre von Basis und Überbau philosophisch begründet vorliegen, nicht genauer bedacht und zu wenig verstanden.
Im Endeffekt sind auch der Leninismus und Stalinismus als Gesellschaftstheorien utopisch zu nennen, da sie in der praktischen Umsetzung kommunistischer Ideen scheiterten. Die Theorie der Umsetzbarkeit sozialer Utopien mit dem Ziel, eine freiheitliche, sich selbst reproduzierende kommunistische Gesellschaft aufzubauen, muss noch genauer analysiert werden. Marx und Engels kritisierten die frühsozialistischen Ideen u. a. deshalb als utopisch, weil sie die ökonomischen Verhältnisse und emanzipatorische Rolle menschlicher Arbeit nicht als die alles entscheidende materielle Basis für gesellschaftliche Fortschritte beschreiben. Deshalb seien alle Frühsozialisten, beginnend von der französischen Revolution bis hin zu Robert Owen, reine Sozialutopisten gewesen. Robert Owen, der erste Versuche der praktischen Umsetzung sozialistischer Ideen machte, erstellte zu seinem Sozialexperiment auch theoretische Begründungen. Er scheiterte mit seinem Vorhaben im Endeffekt aber grandios an den Gesetzmäßigkeiten der vorherrschenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse.
Im Unterschied zu frühsozialistischen Utopien gibt es auch Ideen, die ideale Gesellschaft könne durch moralisch „richtiges Verhalten“ seiner Bewohner herbeigeführt werden. Gewalt, Raub, Mord, Betrug oder andere gesellschaftliche Tatsachen, die durchaus Zeitgeist abhängige asoziale Phänomene sind, sollen nach diesen Vorstellungen teils durch strenge Reglementierung und Erziehung, teils durch Bevölkerungsselektierung aufgelöst werden. Spätestens seit Siegmund Freud und dessen Theorie zur Trieb bedingten Handlungsmotivation ist bekannt, dass diese psychologisch erforschten Phänomene nicht durch Überwachungs- und Erziehungsmaßnahmen oder Exklusion verschwinden. Maßnahmen zur Durchsetzung ethischer Verhaltensmaximen [3] führen allein nicht zur Entwicklung einer idealen Gesellschaft, diese Zielsetzung ist unrealistisch und ebenfalls utopisch.
Beispiele sozialer literarischer Utopien[Bearbeiten]
Der hier betrachtete historische Zeitraum, in dem frühsozialistische Utopien in der Literatur entstanden sind, umfasst Schriften von Anfang des 16. Jahrhunderts und reicht bis Ende des 19. Jahrhunderts, als die von Marx und Engels entwickelte, philosophisch begründete Gesellschaftstheorie vorlag.
Auflistung frühsozialistischer Utopien[Bearbeiten]
Diese Auflistung endet im Jahr 1890 und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Utopia von Thomas Morus (1516)
- Der Sonnenstaat von Tommaso Companella (1623)
- Voyage en Incarie von Etienne Cabet (1887)
- Oceane von James Harrington (1656)
- Das Jahr 2440: Ein Traum aller Träume von Louis Sebastian Mercier (1770)
- The Book of the New Moral Society von Robert Owen (1844)
- Looking Backward von Edward Bellamy (1887)
- Kunde von Nirgendwo von William Morris (1890)
- Freiland von Theodor Hertzka (1890)
- Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus von Oscar Wilde (1891)
- Das Maschinenzeitalter von Bertha von Suttner (1889
Kulturhistoricher Rahmen frühsozialistischer Utopien[Bearbeiten]
Der Rahmen, in dem dieser Utopismus bestand, stand natürlich in krassem Gegensatz zu den Utopien selbst. Gerade die Utopien, die anfangs des 19. Jahrhunderts entstanden, zeichneten ein Bild von einer perfekt geordneten Gesellschaft, die durch diesen Umstand Massen an Überschuss produzierten.
Als das Heilige Römische Reich Deutscher Nation sich auflöste und die von Napoleon Bonaparte mit dem Code Civil in Berührung gekommenen deutschen einzelnen Staaten sich reformierten, entstanden erste bedeutende frühsozialistische Utopien. Deren Maxime ähnelten dem Code Civil, der hier kurz dargestellt wird.
- Gleichheit vor dem Gesetz
- Freiheit für jeden (also keine Sklaverei) – was im krassen Gegensatz stand zu den vorherigen aristokratischen Verhältnissen.
- Schutz des Privateigentums – Oft gehörte nämlich alles dem Kaiser, König oder Fürsten und war nur in zweiter Hand dem eigentlichen Besitzer.
- Vollkommene Trennung von Staat und Kirche. Bis dato konnten Kaiser und Könige nur nach kirchlicher Gnade inthronisiert werden.
- Abschaffung des Zunftzwanges
- Gewerbefreiheit und freie Berufswahl: Oft wurde ohne Zustimmung des Betroffenen zwangsweise ausgebildet.
- Schaffung der jüdischen Basis für die Marktwirtschaft (Dieser Punkt ist nicht für den Kontext wichtig, wird aber oft unterschlagen).
- Aufzeichnungen von Geburten und Todesfällen – Dies führte zu einer Straffung des staatlichen Systems.
Im Code Civil finden sich interessanterweise viele Parallelen zu Utopien, die in dieser Zeit entstanden. Auch ist der plötzliche Umsturz und die totale Revolutionierung eines lang etablierten Systems etwas, das die Menschen in ihren Grundideen und Vorstellungen herauslöst, und somit Platz für neue Ideen schafft.
Wie ist dies aber mit den vielen Visionen vereinbar, wenn dieser Umsturz doch so schnell vonstatten ging? Die aktuellen Verhältnisse waren, wie vorhin schon angesprochen, sehr prekär. Die meisten Utopisten gingen also davon aus, dass alles besser werden würde und dass dies durch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erreichbar wäre. Daran zweifelten nur wenige, da französische Truppen und nachfolgende Zivilisten propagandistisches Material unter der Bevölkerung verteilten. In diesem Material wurde die Größe und der durch das Volk geschaffene Reichtum Frankreichs angepriesen. Auch wenn dies nur in sehr beschränktem Maß der Wirklichkeit entsprach.
Auf jeden Fall spielten die Menschen jener Zeit oft mit sehr vielen verschiedenen Staatssystemen in ihren Köpfen. Aus diesem Klima entstand letztendlich der Frühsozialismus. Dies war auch einer der Hauptkritikpunkte von Marx und Engels. Die Vorstellung, dass alles möglich sei, wurde von ihnen in einen realistischen, wissenschaftlichen Sozialismus umgewandelt.
Robert Owen wurde von ihnen als Musterbeispiel für das Versagen eines nicht bis ins letzte durchdachten Sozialismus genannt. Dennoch setzte Owen seine utopischen Vorstellungen in die Realität um - und scheiterte. Sein real existiernder Sozialismus wat also trotzdem utopistisch.
Quellen[Bearbeiten]
Literatur[Bearbeiten]
- Friedrich Engels - Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft - Dietz Verlag Berlin 1975 – Erstauflage des Dietz Verlages.
- Karls Marx und Friedrich Engels – Manifest der Kommunistischen Partei – Verlag Nikol – erst Auflage des Nikol Verlages.
Websites[Bearbeiten]
- http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1903/03/marx1.htm
- http://www.sterneck.net/utopia/zaigon-owen/index.php
Einzelnachweise und Anmerkungen[Bearbeiten]
- ↑ Arno Anzenbacher: Einführung in die Philosophie. Verlag Herder, Freiburg 2002, ISBN 3-451-27851-0, S. 170.
- ↑ Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Europäische Verlagsanstalt, Köln/Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-434-00353-3, S. 176 ff.
- ↑ Vgl. Maximenethik bei Immanuel Kant und dessen Aussagen über „Freiheit“ und das „Handeln aus Pflicht“ in Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.