Flüssige Organisation

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Die Flüssige Organisation ist ein Begriff aus der Organisationslehre. Er bezeichnet jene Organisationsform (das kann ein Unternehmen, Systeme, etc. sein), in welcher das klassisch-hierarchische Machtgefüge aufgelöst, bzw. gelockert und dynamische, flüssige Strukturen je nach Bedarf gebildet werden. Grundgedanke ist, das Organisationen und Systeme in einer Zeit leben, in der sich die Anforderungen und das Umfeld so schnell ändern, dass hierarchische Strukturen an ihre Grenze stoßen und zu unflexibel sind, um darauf angemessen zu reagieren. Hier entfalten flüssige Organisationen eine wesentlich größere Effizienz und Durchschlagskraft. Das Modell wurde vom Coverdale Unternehmensberater Ralph Schubert im Jahre 2005 entwickelt und ist mittlerweile in mehreren Industrieunternehmen eingeführt.

Grundgedanke ist, dass für jeden auszuführenden Auftrag oder jedes Projekt ein Kompetenzteam gebildet wird, das aus den Mitgliedern besteht, die am besten für den Auftrag geeignet sind und/oder den größten Nutzen für die jeweilige Aufgabe bringen. Im Idealfall kann jeder Mitarbeiter, bzw. jedes Mitglied einer Organisation die Chance bekommen, temporär eine Führungsrolle im Kompetenzteam einzunehmen. Innerhalb dieser Kompetenzteams werden direkt Entscheidungen getroffen und nicht gewartet, bis auf oberster hierarchischer Ebene eine Entscheidung fällt.

In der „Flüssigen Organisation“ wird Führung nicht überflüssig, sondern lediglich von der Spitze in die Fläche verlagert. Mit anderen Worten: Die Verantwortung für Entscheidungen wird dorthin delegiert, wo die größte fachliche Kompetenz liegt. Das ist nicht immer an der Spitze einer Hierarchie der Fall, sondern könnte von jedem dazu befähigten Mitarbeiter in einem Kompetenzteam wahrgenommen werden. In einer flüssigen Organisation hat jeder die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten Entscheidungen zu treffen. Das entlastet eine ansonsten überforderte Führung und erhöht die Qualität von Entscheidungen. Besonders geeignet ist die Flüssige Organisation für kreative, innovative Systeme. Hierarchische Systeme habe ihre Stärke in der Exekution von klaren Prozessen, die sich nicht so schnell ändern.

Flüssige Strukturen – wozu?[Bearbeiten]

Den Nutzen der flüssigen dynamischen Strukturen erklärt sich am besten anhand eines Vergleichs mit der klassischen Organisationsform der Hierarchie. Die Hierarchie ist ein pyramidenförmig aufgebautes Machtsystem. Aus organisatorischer Sicht ist an der Spitze der Pyramide die Entscheidungsgewalt angesiedelt. Sie ist allem anderen übergeordnet und fällt - im klassischen Sinne - alle Entscheidungen alleine. Am Fuße der Pyramide werden üblicherweise die Informationen gesammelt und dann schrittweise nach oben an die Spitze transportiert. An der Spitze der Hierarchie werden die so angesammelten Informationen bewertet und eine Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung wird dann wieder von oben nach unten kaskadiert und schließlich exekutiert. Dieser Vorgang hat sich seit Jahrtausenden bewährt, weil er eine hohe Sicherheit bei der Umsetzung garantiert. Er beansprucht jedoch eine Menge Zeit.

Wie kam es zur Entwicklung der Flüssigen Organisation?[Bearbeiten]

Seit Mitte der 90iger-Jahre des letzten Jahrtausends ist es zu einer enormen Steigerung der Transaktionen und damit zu einer deutlich höheren Rate of Changes für den Menschen und Organisationen gekommen. Die Rate of Changes ist dabei nicht linear gewachsen, sondern verhält sich exponentiell. Das hat zu einer Verschiebung der Anforderungen an Menschen und Unternehmen geführt.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Durch das Mobiltelefon und das Internet sind wir plötzlich jederzeit erreichbar geworden, egal ob während der Autofahrt oder des Urlaubs. Während sich der Briefverkehr in seinen Anfängen über mehrere Wochen hinziehen konnte, ist eine Mail innerhalb von Sekunden an ihrem Zielort und beschleunigt unser Leben und unsere Arbeitsprozesse. Gefühlt, läuft die Zeit immer schneller ab. Eine permanente Reaktionsbereitschaft ist die Konsequenz. Stimmt dies auf der individuellen Ebene, dann hat das zwangsweise auch eine Auswirkung für Unternehmen und Organisationen (www.youtube.com/watch?v=V6Lz-IkkL90). Vor allem in international tätigen Unternehmen, in denen über den Globus verteilt eine 7/24-Betrieb existiert, häufen sich enorme Berge von Transaktionen; die zu bewältigende Arbeit und auch das Fällen von Entscheidungen schnellt ins Unermessliche. Hierarchien stoßen an ihre funktionale Grenze. Es nimmt viel zu viel Zeit in Anspruch, jede Entscheidung an die Spitze der Pyramide zu eskalieren, bevor man eine Entscheidung bekommt und weiterarbeiten kann. Instinktiv spüren das alle Beteiligten einer hierarchischen Organisation und reagieren entsprechend: Die Top-Führungskräfte entscheiden nicht mehr, weil sich das Umfeld zu schnell ändert, und die Mitarbeiter suchen nach informellen Wegen, um überhaupt noch arbeitsfähig zu bleiben. Auf Entscheidungen wird nicht mehr gewartet, sondern einfach gehandelt. Das führt Hierarchien ad absurdum und erzeugt den Impuls zur „Verflüssigung“ von Organisationen. Dieser Vorgang ist heute überlebenswichtig. Abgesehen davon, dass flüssige Strukturen die Ausführbarkeit und Schnelligkeit der Entscheidungsrate und somit die Aufgabenbewältigungsrate erhöhen, können sie auch eine positive Auswirkung auf den psychosozialen Zustand der Mitglieder haben.

„In einer flüssigen Organisation bilden sich für jede Aufgabe und jedes Projekt Arbeitsgruppen, die sich temporär und je nach ihren Fähigkeiten bilden und deren gemeinsames Ziel es ist, ein Projekt gemeinsam abzuschließen. Demgemäß kann jeder Einzelne seine Talente und seine Kreativität im Sinne der Aufgabe ausleben und gleichzeitig die Chance haben, in verschiedenen Arbeitsbereichen Erfahrung zu sammeln. „Oben“ und „Unten“ definiert sich über die Kompetenzen: Expertise, Empathie-, Intuitions- und Kommunikationsfähigkeiten“ (Zitat: Ralph Schubert). Mit dem Freiraum erhöht sich die Arbeitszufriedenheit und die intrinsische Motivation der Mitglieder. Flüssige Strukturen sind ein „Magnet für Talente“ (Referenz zum Youtube-Video), da sie mehr Freiraum für Kreativität und Entfaltung bieten als hierarchischen Strukturen.

Die genauen Unterschiede zwischen flüssigen und hierarchischen Strukturen in ihrer Systematik[Bearbeiten]

Hierarchie[Bearbeiten]

Die Hierarchie basiert auf stabilen Prozessen, ein stabiles Umfeld mit stabilen Arbeitsweisen. In ihrem Grundverständnis funktioniert die hierarchische Organisation wie eine Maschine, Input erzeugt einen vorhersagbaren Output. Ein Zahnrad setzt das nächste in Bewegung, nur dass sich diese Maschinerie von oben nach unten und andersherum bewegt.

Die Aufgabe der Führung ist hier die des Verwaltens von stabilen Prozessen. Sie müssen Arbeitsprozesse kreieren, einleiten, überwachen, messen und abschließen. In der klassischen Hierarchie werden alle Entscheidungen letztendlich von der obersten Führungsposition getroffen, was bei erhöhtem und beschleunigtem Informationsgehalt schnell zu Komplikationen führen kann.

Was bedeutet das für die Arbeitsplanung?

Die Durchführung der Gesamtarbeit basiert auf dem sogenannten Skaleneffekt. Dieser Effekt besagt im Prinzip, dass je nach Menge der Ressourcen oder Produktionsfaktoren, welche von einer Organisation eingesetzt werden, der jeweilige Endertrag zustande kommt und auch bemessen werden kann. In anderen Worten: Wenn der Arbeitsprozess und die Einflussfaktoren bekannt sind, kann man Vorhersagen über das Endprodukt machen. Die Arbeitsstrukturen sind in der hierarchischen Organisation allen Mitgliedern bekannt und verlaufen mehr oder weniger immer gleich ab. Das System basiert auf klaren Regeln und einer klaren Rollenzuteilung. Jedes Mitglied hat seinen Platz in diesem rigoros kontrollierten Gefüge und kennt seine Rolle ganz genau. Dieses Konzept der systematischen Ausführung der Aufgaben verleiht der Hierarchie ihre Vorhersagbarkeit und Stabilität, stellt aber auch ihre wohl größte Verletzlichkeit dar. Werden eine oder mehrere Rollen nicht erfüllt, droht das hierarchische System zu kollabieren. Dementsprechend ist es besonders schwerwiegend, wenn die Führung (also das „Hauptzahnrad“) partiell oder ganz ausfällt.

Die Autoren Ori Brafman und Rod A. Beckström ziehen in ihrem Buch „Der Seestern und die Spinne“ eine Analogie zwischen der hierarchischen Organisation und einer Spinne. Die Spinne ist ein kopfgesteuertes Tier. Ihr Kopf dient als Zentrale und Mittelpunkt für den Rest des Körpers. Schneidet man ihr den Kopf ab, ist die ganze Spinne tot. Ganz im Gegenteil zum Seestern, der im eben genannten Buch als Analogie für sogenannte „dezentralisierte“ Organisationen dient.

Flüssige oder dezentrale Strukturen[Bearbeiten]

Die flüssige Struktur basiert auf Dynamik und permanenter Veränderung. In ihrem Grundverständnis funktioniert die flüssige Struktur wie ein Organismus, der lebendig ist, atmet, sich zusammenzieht oder weiter ausdehnt. Eher wie ein Kaleidoskop. Erhält das Kaleidoskop einen Impuls von außen, verändert es sofort seine Struktur. So ähnlich funktioniert auch die flüssige Organisation. Jedes Mitglied erhält eine gewisse Entscheidungsfreiheit und Verantwortung und fügt sich selbst in das Gebilde ein. Wir können dies anhand eines Produktionsunternehmens verdeutlichen, welches soeben einen Auftrag bekommen hat: Nachdem der Auftrag angekommen ist und registriert wurde, wird die Bearbeitung an ein neu zusammengestelltes Kompetenzteams übergeben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Kompetenzteams zu bilden. In besonders flüssigen Strukturen wählen die Mitarbeiter selbst einen Kollegen zum Kompetenzteamsprecher (Projektleiter). Nachdem jeder seinen Input zur Aufgabe abgegeben hat, wird ein Kompetenzteamsprecher (Projektleiter) gewählt. Grundsätzlich hat die Führung einer flüssigen Organisation die Aufgabe des Gestaltens des Rahmens der flüssigen Organisation. Die Nichtvorhersagbarkeit der Zukunft und die ständig wechselnde Dynamik verlangen von Führung, dass sie über ein gewisses Koordinationsgeschick und soziale Kompetenzen verfügt. Laut Brafman & Beckström haben dezentrale Strukturen einen riesigen Vorteil hierarchischen Strukturen gegenüber, was sie anhand der Analogie mit dem Seestern verdeutlichen: Der Seestern ist dezentral aufgebaut und hat keine „Schaltzentrale“. Schneidet man ihm einen Arm ab, wächst dieser mit der Zeit nach. Teilt man ihn in der Mitte durch, entwickeln beide Hälften ein Eigenleben und funktionieren selbstständig weiter.

Wenn die Strukturen eines Unternehmens sich verflüssigen, ändern sich auch die Geschäftsdynamik und somit die Kompetenzanforderungen an die Mitarbeiter. Diese brauchen eine höhere Anpassungsfähigkeit, da die Rollen und Aufgaben in der Organisation immer wieder neu definiert und verteilt werden. Veränderungskompetenz ist gefragt. Um effektiv im Team zu arbeiten, braucht man gute Kommunikationsfähigkeit, Intuition, Integration und eine offene Feedback-Kultur.

Die Verwendung flüssiger Strukturen hat auch einen enormen Einfluss auf die Karrieremöglichkeiten. Die vielfältigen Erfahrungen, die dieses System bietet, beeinflussen den beruflichen Werdegang jedes einzelnen Mitarbeiters. Während die Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten in einer klassisch-hierarchischen Organisation meist linear festgelegt sind, haben diese in der flüssigen Organisation eine sehr viel höhere Flexibilität.

Mögliche Probleme in einer flüssigen Organisation[Bearbeiten]

Wenn ein Unternehmen sich bewusst dazu entscheidet, flüssige Strukturen einzuführen, sollte der Prozess mit Vorsicht eingeleitet werden. Es gibt verschiedene Theorien zum Thema „Organizational behavior“, und wir wissen, dass jeder Mensch sein eigenes Belohnungssystem (Mesolimbisches System) hat und somit von verschiedenen Faktoren (intrinsisch und extrinsisch) motiviert werden kann. Nehmen wir z.B. die X-Y-Theorie von Douglas McGregor: Laut seiner X-Theorie ist der Mensch (arbeits-) unwillig und braucht Überwachung und Kontrolle durch eine Autorität am Arbeitsplatz und basiert auf einem extrinsischen Belohnungs- und Motivationssystem (z.B. kann diese Belohnung der sichere Arbeitsplatz oder die finanzielle Entlohnung sein). Dies mag für eine Hierarchie hilfreich und sogar unerlässlich sein, ist jedoch in einem flüssigen System eher als Hindernis anzusehen, da diese, wie wir festgestellt haben, auf die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Mitarbeiter angewiesen ist.

Gibt es also eine gewisse Anzahl des Typen „X“ in einem Unternehmen, sollte man während des Transformationsprozesses darauf achten, jeden Mitarbeiter zu integrieren und die Veränderungen Schritt für Schritt einzuführen, damit jeder Zeit hat, sich an die neue Arbeitsmethode zu gewöhnen. Flüssige Strukturen implizieren meist auch ein Gefühl von Chaos, gemeint sind offene Situationen, womit nicht jeder sofort zurechtkommt. Dies ist allerdings vor allem dann wichtig, wenn eine vormals hierarchisch-strukturierte Organisation flüssige Strukturen annimmt, also im Transformationsprozess ist.

Man kann diesen Konflikt jedoch vermeiden, in dem man potentielle Mitarbeiter vorbereitet und trainiert.

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