Esther Holm

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Esther Holm mit dem Untertitel Roman aus der nordischen Heide ist ein Fortsetzungsroman von Bertha Riedel-Ahrens, der in 46 Folgen im Rendsburger Wochenblatt erschienen ist vom 2. Oktober 1901 (Nr. 230) bis zum 28. November 1901 (Nr. 278). Er erzählt die Geschichte der jungen emanzipierten Ärztin Esther Holm, die trotz ihrer Überzeugung, auf die Liebe verzichten zu müssen, um der Sache der Frauen angemessen dienen zu können, einen Mann findet, der ihr auf Augenhöhe begegnen und für den sie sich zu ihren Gefühlen bekennen kann. Der Roman ist ein früher weiblicher Beitrag zu dem damals noch sehr jungen Genre des Arztromans. Er verbindet mit den Mitteln der Unterhaltungsliteratur Arztthematik und Reflexion zur Frauenbewegung der Jahrhundertwende. Dabei setzt er deutliche sozialkritische Akzente.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt[Bearbeiten]

Esther Holm, eine der drei Töchter des Dichters Thomas Holm, ist eine junge, in Zürich promovierte Ärztin. Sie kehrt in das norddeutsche Dorf ihrer Vorfahren zurück, um ihren Beruf auszuüben. Bald genießt sie trotz einiger Vorurteile hohes Ansehen aufgrund ihrer Heilungserfolge durch moderne sanfte Methoden und ihrer selbstlosen und unentgeltlichen Fürsorge für die Armen. Sie engagiert sich in der Frauenbewegung und beteiligt sich an der Gründung einer der zahllosen, um die Jahrhundertwende entstehenden Frauenvereine. Obwohl sie glaubt, die Beziehung zwischen Mann und Frau nur als Kampf der Geschlechter sehen zu können und auf die Liebe verzichten zu müssen, um die gesellschaftliche Stellung der Frau festigen zu können, verliebt sie sich sehr schnell in den gut aussehenden Regierungsbaumeister Uwe Jens Karlsen, den Sohn des Pastors, der die neue Kirche am Ort erbaut und sich, wie sie, durch sein persönliches soziales Engagement hervortut und seine Zivilcourage – er verhindert einen Dammbruch anlässlich einer drohenden Sturmflut. Esther Holm gesteht sich ihre Gefühle nicht ein, während Uwe Jens schnell seiner Bewunderung für die mutige Frau nachgibt und sich in die „Emanzipierte“ trotz ihrer „Halbmannschaft“ verliebt. Wissend um ihren Widerstand, versucht er, vorerst ihre Freundschaft zu gewinnen. Die beiden gehen dabei durch ein Wechselbad der Gefühle. Aber erst als Uwe Jens am Ende des Romans, an der konsequenten Zurückweisung Esthers verzweifelnd, sich in den Tod stürzen will, indem er versucht, drei Männer zu retten, die durch einen Sturm vom Festland abgeschnitten sind, gesteht Esther Holm sich selbst und dem jungen Mann ihre Liebe. Als sie sogar, überwältigt durch die Leidenschaft, Bereitschaft zeigt, sich ihm zu „unterwerfen“, bietet dieser ihr, den vermeintlichen Geschlechterkonflikt dialektisch überwindend, eine ideale Ehe auf Augenhöhe an: „Vereint wollen wir wirken in allem Guten und Edlen; denn nur die Vereinigung macht stark – was ist der Eine ohne den Andern, der Mann ohne das Weib – sie ohne ihn? Ein Nichts! Halte fest, Esther, dass der denkende Mann Euch nicht beschränken will, sondern wünscht, daß Ihr auf Eurem unendlich weiten Gebiet zur höchsten Entfaltung Eurer Fähigkeiten gelangt – und dieses Gebiet ist unbegrenzt, es reicht so weit wie das weibliche Taktgefühl Euch leiten wird.“ (46. Folge)

Der zweite wichtige Handlungsstrang des Romans betrifft die Liebesgeschichte der jüngeren Schwester Esthers, Rose Holm. Sie glaubt, den unseriösen Schauspieler Curt von Senden zu lieben, den ihr Vater kategorisch ablehnt und der ihr heimlich Briefe schreibt, vermittelt durch seine Schwester, die schöne gesangsbegabte Genia von Senden. Genia hat ihrer sterbenden Mutter versprochen, ihren Verlobten, den Baumeister Uwe Jens Karlsen, aus finanziellen Erwägungen heraus zu heiraten, obwohl sie ihn nicht liebt und dies auch in einer kühnen Unterredung mit ihm anspricht, in der sie ihn um zukünftige Unterstützung bittet, sollte sie sich später in einen anderen verlieben. Als nach einem Schiffbruch ein junger wegen des frühen Verlustes seiner Eltern melancholisch veranlagter Millionenerbe aus Venezuela, Don Stefano Laroche, bei Thomas Holm gepflegt wird, beginnen die Verwicklungen. Auf seinem Krankenlager erblickt Don Stefano die blonde Rose und verliebt sich in diesen „Engel“. Genia, der eine Zigeunerin vorausgesagt hat, dass sich ihr Schicksal erfüllen wird durch jemanden, den das Meer herüberbringt (Folge 5), entbrennt in heißer Leidenschaft zu Don Stefano, der sich jedoch nicht im mindesten für sie interessiert. Als Genia entdeckt, dass ihre Freundin Rose die Auserwählte Stefanos ist, unterstützt sie die Werbung ihres Bruders Curt von Senden um Rose in der Hoffnung, diese von Stefano zu trennen. Sie bewirkt, dass die unreife Rose den windigen Schauspieler trifft und sogar mit diesem heimlich nach Berlin flieht. Rose fügt damit ihrem Ruf einen unermesslichen Schaden zu und erkennt gleichzeitig sehr schnell, dass sie sich in Curt getäuscht hat. Sie weigert sich zwar, mit ihm in ein Hotel zu ziehen, aber der gesellschaftliche Schaden ist da. Ihr Vater und ihre Schwester Esther sind ihr nachgereist und finden sie in Berlin. Der empörte Vater entscheidet, dass die unwürdige Tochter zur Strafe ein Jahr lang bei einer christlichen Berliner Familie in Pension gegeben werden muss, um sich zu bessern. Nach kurzer Zeit stellt sich jedoch heraus, dass diese Familie unmenschlich mit Rose umgeht und Don Stefano, der immer noch in Rose verliebt ist, erreicht zusammen mit Esther, dass die mittlerweile auch gesundheitlich angeschlagene Rose nach Hause zurückgeholt wird. Don Stefano bittet Thomas Holm um ihre Hand. Der besteht auf einer Unterredung, im Laufe derer Rose in Anwesenheit ihres Vaters und Don Stefanos Auskunft geben muss über die Umstände ihrer Flucht. Dann erst soll Don Stefano, den Thomas Holm liebgewonnen hat wie einen Sohn, entscheiden können, ob er Rose weiterhin heiraten will. Um der Schwester diese Demütigung vor dem künftigen Gatten zu ersparen, schlägt Esther vor, das Gespräch ohne Rose zu führen. Sie selbst will die Aussagen von Rose vermitteln. Die Unterredung findet auf diese Art und Weise statt und Don Stefano steht zu seiner nunmehr überglücklichen Braut Rose.

Parallel entwickelt sich die Geschichte Genia von Sendens. Diese steigert sich in ihre unerwiderte Liebe zu Don Stefano hinein. In einer romantischen Nacht hat Stefano sich dazu hinreißen lassen, ihr einen unbedachten Kuss zu geben, den er kurz danach bereut, der aber einen tiefen Eindruck hinterlässt. Genia interpretiert alle Zeichen seiner späteren Gleichgültigkeit zu ihrem Vorteil und führt seine nicht zu übersehende Zurückhaltung ihr gegenüber auf die Tatsache zurück, dass sie noch immer mit Uwe Jens Karlsen verlobt ist. Daher bittet sie diesen auch, sie freizugeben. Uwe Jens, der sich längst in Esther verliebt hat, hält nur noch aus Pflichtgefühl an seiner Verlobung mit Genia fest. Er möchte sie vor Unheil bewahren und hat erkannt, dass Don Stefano eine andere liebt. Daher schiebt er die Entlobung auf und setzt eine Frist, um Genia die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu revidieren. Doch umsonst. Die Frist läuft ab und beide trennen sich gemäß Genias Wunsch. Als Genia Don Stefano ihre Entlobung bekanntgibt, erkennt dieser, das Ausmaß der von ihm entfachten Leidenschaft. In einer letzten Unterredung gibt er Genia respektvoll zu verstehen, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben können. Sie hofft dennoch darauf, dass Don Stefano seine Meinung ändert und der Zufall oder das anrüchige Verhalten Roses, das ihm noch nicht in Gänze bekannt ist, dazu führen wird, dass er sich ihr zuwendet. Als sie ihre Hoffnungen enttäuscht sieht, begeht sie am Tag der Trauung von Don Stefano und Rose Holm Selbstmord, indem sie sich in die Nordsee stürzt.

Textanalyse[Bearbeiten]

Angekündigt wird der Roman in der Nummer 229 des Rendsburger Wochenblatts vom 1. Oktober 1901 mit den Worten: „Wir gestatten uns, unsere geehrten Leser darauf hinzuweisen, daß morgen der mehrfach angekündigte Roman von Riedel-Ahrens Esther Holm seinen Anfang nimmt. Derselbe dürfte auch verwöhnten Ansprüchen genügen. Die Redaktion“. Dem so angepriesenen Werk gelingt es tatsächlich, kritische und vielfach hochmoderne Vorstellungen zu diversen sozialen und politischen Belangen zu formulieren und literarische Qualität zu erreichen, indem es zahlreiche Strukturmerkmale und Motive der Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts aufgreift und geschickt in den Dienst feiner psychologischer Analyse stellt.

Traditionell präsent im Unterhaltungsroman der Zeit sind z. B. die Nord-Süd-Gegensätze (Venezuela–Norddeutschland) gepaart mit den Gegensätzen Gefühlskälte der nordischen Menschen und glühende Leidenschaft der Südländer sowie unschuldige blonde Madonna aus dem Norden und intrigante dunkelhaarige Widersacherin. Damit einher gehen häufig moralische Bewertungen wie südländische Frivolität und Unbeständigkeit sowie nordische Solidität und Aufrichtigkeit. Vielleicht aufgrund der Biographie der Autorin kommt das Werk, auch wenn diese Gegensätze präsent sind, ohne die dualistischen Gut-Böse-Klischees aus. Mit Ausnahme des nichtswürdigen und erzählerisch zweitrangigen Curt von Senden, den die eigene Schwester sofort zu den „Toten“ zählt, als sie ihn durchschaut, werden alle Figuren als aufrichtig und integer dargestellt. Auffallend ist der Mut und die Offenheit, mit der sie ihre inneren Konflikte aussprechen und diese zu lösen versuchen. Ihre seelische Entwicklung steht im Mittelpunkt, weniger das konventionelle narrative Instrumentarium des Unterhaltungsromans (Versprechen an die sterbende Mutter, Prophezeiung einer Zigeunerin, Briefintrige, Eingreifen der Naturgewalten). Dabei äußern sich die Frauen, insbesondere Genia von Senden, mit einer für die damalige Auffassung der Geschlechterrollen ungewöhnlichen Freimütigkeit. Dies wird nicht zuletzt durch Männer wie den unvoreingenommenen Uwe Jens ermöglicht, durch ihn, „der im verwegensten Sinne des Wortes liberal, die Grenzen der moralischen Freiheit in jeder Hinsicht nicht weit genug gesteckt sehen konnte!“ (Folge 4) So kann Genia als ein Kind der Moderne, das die eigene Entscheidung über den elterlichen Willen stellt, auch das heilige, an die sterbende Mutter gegebene Versprechen, Uwe Jens zu heiraten, ohne Skrupel brechen und damit ein viel genutztes Motiv der Unterhaltungs- und Trivialliteratur als antiquierten Kunstgriff entlarven.

Die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit und der Respekt des Lebens und der Umwelt werden durchgängig und leidenschaftlich thematisiert. Sofort nach seiner Rettung belohnt Don Stefano seine Schiffsmannschaft großzügig, Esther arbeitet an der Umverteilung von Vermögen, indem sie die Ärmsten unterstützt mit den Mitteln, die ihr die besser gestellte Klientel zur Verfügung stellt. Sie weicht entsetzt vor einem sterbenden Reh zurück, das von Jägern getötet wird – keine weibliche Schwäche, sondern ein Gefühl, das von dem starken Uwe Jens geteilt wird. Dieser wiederum setzt sich bei Naturkatastrophen mutig für die Allgemeinheit ein und sieht soziales Engagement als wichtiges verbindendes Glied zwischen Mann und Frau (siehe oben).

Die kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Stellung der Frau ist dabei das politische Kernthema von Esther Holm. Schonungslos wird die finanzielle Abhängigkeit Genias unterstrichen, die gezwungen ist, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt, um die eigene Existenz zu sichern. Von einer reichen Freundin wird sie nur wegen ihrer Gesangskünste eingeladen und weiß auch darum: „... die hochmütige Baronin duldet meine Freundschaft mit Kläre im Grunde nur, weil sie mich meiner Stimme wegen vortrefflich als Schaustück für die übrigen Gäste gebrauchen kann, und gelegentlich gibt sie mir das auch zu kosten.“ (Folge 5). Als sie sich mutig von Uwe Jens Karlsen lossagt, wird sie folgerichtig von einigen Bekannten geschnitten. Um vieles grausamer als die diskrete soziale Ächtung Genias fällt aber die Verurteilung Roses nach ihrer Flucht mit Curt aus. Sie kann nur durch die bedingungslose Unterwerfung unter den väterlichen Willen und die Erduldung einer harten Strafe die in den Augen der Welt verlorene Ehre zurückgewinnen. Der Demütigung vor dem zukünftigen Ehemann entgeht sie nur knapp. Das Schicksal der dritten, künstlerisch begabten und klugen Schwester, Karin Holm, die auch in Don Stefano verliebt ist, aber, durch einen Unfall beeinträchtigt, nicht mehr auf einen Ehemann hoffen darf, dokumentiert den als selbstverständlich gelebten brutalen Sozialdarwinismus.

Bei aller Fokussierung auf die Gefühlswelt der Figuren entbehrt Esther Holm jedoch nicht eines gewissen bodenständigen Realismus'. Es sind die pragmatischen, die aktiven Frauen, die sich das Leben erobern, nicht die der Dichtung entstiegenen Kreaturen. So kommt es auch, dass sich die leitmotivisch präsente Vorahnung des Dichters Thomas Holm, der Genias tragisches Ende sieht, erfüllt und die Romantikerin unter den Frauen, literaturästhetisch konsequent, die Todgeweihte ist. Mutter Karlsen unterstreicht Genias Desinteresse am Haushalt und das damit verbundene Risiko, sich von Dienstboten betrügen zu lassen, eine unideologische und realitätsnahe Begründung für die Notwendigkeit einer stringenten lebenstüchtigen Haushaltsführung. Auch die weibliche Attraktivität der Protagonistin entspricht dem modernen Schönheitsideal der berufstätigen Frau, nicht dem der Märchenfee aus der konventionellen Unterhaltungs- und Trivialliteratur: Esther wird nicht als schön beschrieben, sondern als ausdrucksstark, energisch und daher fesselnd. Sie trägt ein einfaches, dunkelblaues Kleid und eine schlichte Frisur (Folge 1) und wenn sie die Armen besucht, zieht sie einen „praktischen“ Mantel an (Folge 2). Frei von jeglicher Koketterie, gibt sie dennoch „etwas auf ein gefälliges Äußere“ (Folge 1). Im Gegensatz zu ihr steht Genia, welche ihre Reize in einer Weise inszeniert, die gleichzeitig deren Vergänglichkeit deutlich macht: sie sitzt träumend „die halbentblößten, mit silbernen Spangen geschmückten Arme von hinten über den Kopf gelegt, so dass die leicht zu künftiger Fülle neigenden schwellenden Formen herrlich zur Geltung kamen.“ (Folge 5) Als Uwe Jens Karlsen und Esther Holm sich anlässlich des drohenden Dammbruches kennenlernen, findet eine jener klassischen Erstbegegnungsszenen statt (Folge 3), die Jean Rousset analysiert hat: „die Augen der Beiden trafen sich zu einem tiefen, forschenden Blick, ein kurzer Blick, und doch lang genug, das Bild des Anderen für immer der Seele einzuprägen, ob auch die Wege nach diesem ersten bedeutungsvollen Begegnen wieder auseinander gehen würden“[1] Doch die roman- und schicksalhafte Tönung der Begegnung wird sofort relativiert durch das gemeinsam Wetteifern bei der Arbeit an der Dammbefestigung: verbunden werden die beiden nicht durch eine Ahnung von Seelenverwandtschaft allein, sondern durch konkrete Leistung und deren gegenseitige Wertschätzung.

Einflüsse[Bearbeiten]

Esther Holm ist, wie häufig die Unterhaltungsliteratur der Jahrhundertwende, stark geprägt von romantischer Ästhetik, aber auch von den Ideen Jean-Jacques Rousseaus und seines Schülers Jacques-Henri Bernardin de Saint-Pierre, dem Verfasser des berühmten Romans Paul et Virginie (1788). Der Gegensatz zwischen dem hässlichen Berlin und der norddeutschen Idylle, nach der sich Rose schon im Laufe ihrer Flucht zurücksehnt, nimmt als gängiges literarisches Stadt-Land-Motiv der Zeit seinen Ursprung im Rousseauismus. Die Reminiszenzen an Bernardin de Saint-Pierre sind zahlreich. So verweisen der Schiffbruch Don Stefanos und die ständige Präsenz von Naturgewalten (Sturmflut, Schneesturm, Unwetter) auf das Schiffsunglück, das Virginie das Leben kostet. Don Stefano und Genia von Senden haben ihre Eltern verloren, Paul und Virginie sind Halbwaisen. Roses Weigerung, Curt von Senden ins Hotel zu folgen, zitiert Virginies Weigerung, sich zu entkleiden, um dem Tod durch Ertrinken zu entkommen. Der Name Roses und die Beschreibung ihres Äußeren transportieren wie bei Virginie ein marienhaftes, durch Reinheit und Unschuld geprägtes Frauenbild. Dass der dichtende Thomas Holm sich durch seine Muse Genia von Senden zu einem Versepos „Nordlicht“ inspiriert fühlt, das der Liebe von Helgo und Ingeborg gewidmet ist, entspricht einer diskreten Mise en abyme von Paul et Virginie durch die Schaffung eines gespiegelten norddeutschen Liebespaares.

Romantik und romantische Weltanschauung als deutsche Geisteshaltung werden von Genia personifiziert, welche ein Plädoyer für die als unbarmherzig geltende Nordsee hält: „So herrlich, so stolz und kraftvoll bezwingend, und in seiner unergründlichen Tiefe doch voll Poesie und Romantik ist auch das deutsche Volk!“ (Folge 19). Romantische Einflüsse prägen ebenfalls die für die Unterhaltungsliteratur typische sentimental überhöhte Sprache, welche von Riedel-Ahrens jedoch zurückhaltend eingesetzt wird, vergleicht man ihre Stilmittel mit dem Pathos einer Clara Gerlach, deren Erzählung Nur ein Künstler (1898) in dem Roman Heine Steenhagen wöll ju dat wiesen! Die Geschichte eines Ehrgeizigen humorvoll parodiert wird.[2]

Die patriotisch-nationalistischen Assoziationen, die mit dem Zelebrieren deutscher Landschaft und der Charakterisierung der Protagonisten (Uwe Jens als blonder Recken oder deutsche Eiche; Esther Holms als „deutsches Weib“ mit einem „deutschen“ Haarknoten) zuweilen einhergehen, münden allerdings niemals in fremdenfeindliche Klischees, obwohl das Genre Unterhaltungsliteratur gerne mit nationalen Stereotypen arbeitet. Die Lebenswelten des Nordens und des Südens bleiben gleichberechtigt nebeneinander stehen und die Personen werben für das Verständnis des jeweils Anderen. So kann auch am Ende des Romans der ständig frierende Don Stefano, der den deutschen Fleiß bewundert („diese Deutsche, die nur dem Ideal rastloser Arbeit leben“ – Folge 13), seine so norddeutsche Rose mit nach Venezuela nehmen.

Rezeption[Bearbeiten]

Vor dem Vergessen gerettet worden ist dieser Roman, der nie in Buchform erschienen und in keiner Bibliographie nachgewiesen ist, von dem Schriftsteller Friedrich Ernst Peters, der in seiner Erzählung aus der französischen Kriegsgefangenschaft Lebendiger Duft vergilbter Blumen schreibt: „Als Elfjähriger las ich im Rendsburger Wochenblatt meine erste ernstzunehmende „Geschichte“, einen wunderbaren Roman, der mir von einem großen beseligenden Geheimnis, von der Liebe, tiefbewegte Kunde gab. Wenn im Märchen Dummhans die Königstochter freit, wenn die beiden vergnügt leben bis an ihr Ende und dem Leser gar noch die schöne Aussicht eröffnet wird, dass sie, falls sie nicht gestorben sind, heute noch leben können, so war das gewiss ein sehr befriedigender Schluss; aber erst hier, bei der Lektüre von Esther Holm kam mir eine erste Ahnung von dem, was ein Leben zu zweien an Seligkeit und Herzeleid in sich beschließen kann. In der Erzählung wurde oft und auf geheimnisvolle Weise Bezug genommen auf ein anderes Paar großer Liebender, auf Paul und Virginie.“[3]

Dass Peters von diesem Roman begeistert war, verwundert kaum, da viele Motive in Esther Holm auf seinen eigenen literarischen Kosmos verweisen. Das Gespür für die norddeutsche Landschaft und die teilweise synästhetisch geprägten Naturbeschreibungen mussten ihm gefallen. So heißt es in Folge 24 zu einem Sonnenuntergang: „eine reine Symphonie der Farben, die sich in zarte Töne aufzulösen schien, wie verhallende Musik.“ Die Peters so wichtige plattdeutsche Sprache spielt in Folge 45 eine Rolle, wo ein Fischer in seiner Muttersprache zu Wort kommt.

Esther Holm ist ein Roman der starken Gefühle und der starken gebildeten Frauen, die auch das Werk von Peters bevölkern (siehe Der heilsame Umweg, Die schmale Brücke usw.) Die Protagonistin Esther hat Henrik Ibsen, einen Kern- und Referenzautor von Peters, gelesen sowie August Strindberg. Sie hat einen sozialen Aufstieg bewältigt - die finanziellen Opfer des Vaters, der der Tochter das Studium ermöglichte, werden kurz in Folge 1 erwähnt - eine Problematik, die auch Peters' persönliche Biographie und später sein literarisches Schaffen tief geprägt hat. Die Offenheit der Figuren für das Fremde, das Südländische konnte dem frankophilen, für Völkerverständigung werbenden Peters, der sich schon im Heimatdorf Luhnstedt mit italienischen Bahnarbeitern anfreundete, nur gefallen.

Esther, die Kämpferin für die Rechte der Frauen, weiß um ihre Situation an der Schwelle zu einer neuen Zeit: "Wir sind Frauen des Übergangs." (Folge 35). Der Roman, der ihre Geschichte erzählt, ist anzusiedeln zwischen Tradition und Moderne – wie das Oeuvre von Friedrich Ernst Peters − und nimmt als Werk des Übergangs und der Veränderung eine ungewöhnliche Stellung in der Geschichte der unterhaltenden Frauenliteratur der Jahrhundertwende ein.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Jean Rousset, Leurs yeux se rencontrèrent. La scène de première vue dans le roman, Paris, Corti, 1981.
  2. Volltext Heine Steenhagen wöll ju dat wiesen! Die Geschichte eines Ehrgeizigen, S. 115
  3. Lebendiger Duft vergilbter Blumen, Nachlass F.E. Peters der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Cb 106.23:20,01–26, S. 1
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