Allgemeine Ökologie (Universität Bern)

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In diesem Artikel werden Definition, Gegenstand, Umweltbegriff und Charakteristika der Allgemeinen Ökologie als Wissenschaftsdisziplin an der Universität Bern dargelegt. Ferner wird das an der Universität Bern geltende Verständnis des inter- und transdisziplinären Zusammenarbeitens im Wissenschaftsbereich der Allgemeinen Ökologie erläutert sowie das Verhältnis zu den traditionellen wissenschaftlichen Disziplinen und zu anderen Ökologie-Auffassungen geklärt. Die Institutionalisierung der Allgemeinen Ökologie führte an der Universität Bern 1988 zur Gründung der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ).[1]

Definition[Bearbeiten]

Unter Allgemeiner Ökologie versteht man an der Universität Bern

„die Lehre von den wechselseitigen Wirkungszusammenhängen zwischen menschlichen Individuen bzw. Gesellschaften und der natürlichen Umwelt mit ihren physischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten; diese gesamtheitliche Betrachtungsweise bezieht deshalb alle Wissenschaften ein.[2]

Gegenstand und Umweltbegriff[Bearbeiten]

Die Allgemeine Ökologie untersucht die Beziehungen zwischen dem Menschen und der aussermenschlichen Natur. Eine besondere Rolle spielt dabei die Umweltproblematik, d.h. die Auseinandersetzung mit unerwünschten oder bedrohlichen Veränderungen in der Natur, die durch den Menschen verursacht werden[3]. Die Allgemeine Ökologie analysiert Probleme, entwickelt Vorsorge- und Lösungsansätze und leistet Beiträge zu deren gesellschaftlicher Umsetzung.

Der Umweltbegriff der Allgemeinen Ökologie ist relational: Es wird zum einen davon ausgegangen, dass sich Umwelt immer auf eine Entität (bspw. ein Individuum, eine Art, eine Lebensgemeinschaft, eine Gesellschaft) bezieht, und zum anderen davon, dass Entitäten Subjekte in dem Sinne sind, als sie den Bedingungen der sie umgebenden Welt nicht nur ausgeliefert sind, sondern diese auch gestalten (diese Auffassung geht massgeblich auf Jakob von Uexküll zurück[4]). Es wird also ein Interaktionsprozess angenommen zwischen dem Subjekt und der das Subjekt umgebenden Welt, aus dem die spezifische Umwelt dieses Subjekts entsteht.[5]

Charakteristika[Bearbeiten]

Die Allgemeine Ökologie ist ein interdisziplinärer (vgl. Interdisziplinarität und Transdisziplinarität) Wissenschaftsbereich und als solcher auf die Beiträge aus verschiedenen Disziplinen angewiesen. Dies liegt in der Komplexität ihres Gegenstandes der Mensch-Natur-Beziehungen (vgl. Gegenstand und Umweltbegriff) begründet. Die Berner Allgemeine Ökologie ist in den „umweltbewegten“ 1980er-Jahren auf politische Veranlassung hin entstanden (vgl. Institutionalisierung). Seit der Jahrtausendwende haben sich in verschiedenen Disziplinen Nachhaltigkeitswissenschaften herausgebildet. Die Allgemeine Ökologie gehört international gesehen – ebenso wie z.B. die in Deutschland aufgebaute „Sozial-ökologische Forschung“ oder wie die Humanökologie – zu diesem inter- und transdisziplinär (vgl. Interdisziplinarität und Transdisziplinarität) ausgerichteten Wissenschaftsbereich der Nachhaltigkeitswissenschaft/en.

Einordnung innerhalb des Ökologie-Begriffes[Bearbeiten]

Eine Wissenschaft mit dem Namen 'Oecologie' wurde erstmals 1866 durch den Zoologen Ernst Haeckel definiert. Ökologie wurde im Laufe ihrer Geschichte als Wissenschaft nie einheitlich verstanden[6], sondern immer wieder um neue Ansätze angereichert, ohne dass bestehende Ansätze deswegen aufgegeben worden wären.[7] Dies sowie die politisch-gesellschaftliche Umweltdebatte, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weite Teile der Bevölkerung erreichte (angefacht durch Werke wie „Silent Spring“ (1962) der Biologin Rachel Carson oder „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) des Club of Rome sowie durch aufschreckende Ereignisse wie das Waldsterben, den Reaktorunfall in Tschernobyl (1986) oder den Chemieunfall in Schweizerhalle (1986)), führte zur Herausbildung sehr unterschiedlicher Auffassungen darüber, was 'Ökologie' ist und sein soll.

Interdisziplinarität und Transdisziplinarität[Bearbeiten]

Die Allgemeine Ökologie geht im Berner Verständnis inter- und bei Bedarf auch transdisziplinär vor. Interdisziplinarität wird in diesem Kontext verstanden als ein integrationsorientiertes Zusammenwirken von Personen aus mindestens zwei Disziplinen im Hinblick auf gemeinsame Ziele, in welchem die disziplinären Sichtweisen zu einer Synthese zusammengeführt werden. Interdisziplinarität setzt immer Disziplinarität (also die disziplinäre Spezialisierung) voraus. Dabei sind jeweils diejenigen Einzelwissenschaften einzubeziehen, die zur Bearbeitung des Gegenstandes etwas beitragen können. Transdisziplinarität ist im Berner Verständnis eine spezielle Form der Interdisziplinarität, indem zusätzlich zu wissenschaftlichen Disziplinen auch Anwenderinnen und Anwender von Forschungsergebnissen an Forschungsarbeiten beteiligt werden. Ein transdisziplinäres Vorgehen ist insbesondere dann angezeigt, wenn die Wissenschaft gesellschaftliche Probleme aufgreift. Dann ist es oft sinnvoll, dass auch Personen aus den Berufsfeldern mitwirken, die mit diesen Problemen konfrontiert sind und die Ergebnisse in der Praxis umsetzen sollen.[8]

Institutionalisierung[Bearbeiten]

Die Institutionalisierung der Allgemeinen Ökologie an der Universität Bern ging auf eine 1984 von Joy Matter im Grossen Rat des Kantons Bern eingereichte Motion zurück. Infolgedessen wurde 1988 die Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) gegründet.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Der Artikel basiert weitgehend auf: Rico Defila, Antonietta Di Giulio: Institutionalisierung und Charakteristika der Allgemeinen Ökologie an der Universität Bern. In: Antonietta Di Giulio, Rico Defila, Thomas Hammer, Susanne Bruppacher (Hrsg.): Allgemeine Ökologie. Innovationen in Wissenschaft und Gesellschaft. Festschrift für Ruth Kaufmann-Hayoz. Haupt Verlag, Bern 2007, ISBN 978-3-258-07214-2, S. 19–47.
  2. Reglement über das Studium und die Leistungskontrollen in Allgemeiner Ökologie an der Universität Bern vom 18. Mai 2005. (RSL AÖ 2005) (PDF; 51 kB)
  3. Ruth Kaufmann-Hayoz: Der Mensch und die Umweltprobleme. In: Ruth Kaufmann-Hayoz, Antonietta Di Giulio (Hrsg.): Umweltproblem Mensch. Humanwissenschaftliche Zugänge zu umweltverantwortlichem Handeln. Haupt, Bern, Stuttgart, Wien 1996, S. 7–19.
  4. Jakob von Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere. 2. Auflage. Springer, Berlin 1921; Jakob von Uexküll, Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1983.
  5. vgl. dazu bspw.: Bernhard Gill: Zur Vieldeutigkeit der Unterscheidung von Natur und Gesellschaft. In: Karl-Werner Brand (Hrsg.): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven. Leske + Budrich, Opladen 1998, ISBN 3-8100-2155-5, S. 223–247; Ruth Kaufmann-Hayoz, Heinz Gutscher: Transformation toward Sustainability: An Interdisciplinary, Actor-oriented Perspective. In: Ruth Kaufmann-Hayoz, Heinz Gutscher (Hrsg.): Changing Things – Moving People. Strategies for Promoting Sustainable Development at the Local Level. Themenheft des Schwerpunktprogramms Umwelt (SPPU). Birkhäuser, Basel 2001, ISBN 978-3-7643-6252-2, S. 19–30; Ruth Kaufmann-Hayoz: Human Action in Context: A Model Framework for Interdisciplinary Studies in View of Sustainable Development. In: Umweltpsychologie, 10(1), 2006, S. 154–177; Walter Sehrer: Ein rationaler Umweltbegriff. Von Uexküll über Gibson zu Mead – interdisziplinäre Anschlüsse für ein pragmatisch-subjektbezogenes Naturverständnis. In: Karl-Werner Brand (Hrsg.): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven. Leske + Budrich, Opladen 1998, ISBN 3-8100-2155-5, S. 173–200.
  6. Zur Geschichte der Ökologie siehe z.B. Peter J. Bowler: Viewegs Geschichte der Umweltwissenschaften. Ein Bild der Naturgeschichte unserer Erde. Vieweg, Braunschweig, Wiesbaden 1997, ISBN 3-642-47647-3; Heinz-Ulrich Nennen: Oekologie im Diskurs. Westdeutscher Verlag, Opladen 1991, ISBN 978-3-531-12258-8; Engelbert Schramm (Hrsg.): Ökologie-Lesebuch. Ausgewählte Texte zur Entwicklung ökologischen Denkens. Von Beginn der Neuzeit bis zum Club of Rome (1971), Fischer, Frankfurt a. M. 1984; Ludwig Trepl: Geschichte der Ökologie. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zehn Vorlesungen. Athenäum, Frankfurt a. M. 1987 oder auch die Beiträge in Achim Daschkeit, Winfried Schröder (Hrsg.): Umweltforschung quergedacht. Perspektiven integrativer Umweltforschung und -lehre. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, Barcelona, Budapest, Hongkong, London, Mailand, Paris, Santa Clara, Singapur, Tokyo 1998, ISBN 978-3-642-63737-7 (Print) 978-3-642-58801-3 (Online); Otto Fränzle, Felix Müller, Winfried Schröder (Hrsg.): Handbuch der Umweltwissenschaften. Grundlagen und Anwendungen der Ökosystemforschung. ecomed, Landsberg am Lech 1998, ISBN 978-3-527-33057-7; Ekkehard Höxtermann, Joachim Kaasch, Michael Kaasch (Hrsg.): Berichte zur Geschichte und Theorie der Ökologie und weitere Beiträge zur 9. Jahrestagung der DGGTB in Neuburg a. d. Donau, 2000. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 2001, ISBN 978-3-86135-386-7; Joy A. Palmer, David E. Cooper, Peter Blaze Corcoran (Hrsg.): Fifty Key Thinkers on the Environment. Routledge, London, New York 2001, ISBN 978-0-415-14699-9.
  7. Stichworte für solche Ansätze sind etwa 'ökologischer Holismus' (siehe dazu z.B. Frederic E. Clements: Plant Succession. An Analysis of the Development of Vegetation. Washington 1916; Frederic E. Clements: Nature and Structure of the Climax. In: Journal of Ecology, 24, 1936, S. 252–284; John Phillips: Succession, Development, the Climax, and the Complex Organism: An Analysis of Concepts. Parts I-III. In: Journal of Ecology, 1934/1935, 22(2), S. 554–571, 23(1), S. 210–246, 23(2), S. 488–508), 'anthropologische Wende' (z.B. Stephen A. Forbes: The Humanizing of Ecology. In: Ecology, III(2), 1922, S. 89–92), 'new ecology' (siehe dazu z.B. Edward F. Haskell: Mathematical Systematization of „Environment,“ „Organism“ and „Habitat“. In: Ecology, 21(1), 1940, S. 1–16 oder auch 'Ökosystemtheorie' (siehe dazu z.B. Eugene Odum: Grundlagen der Oekologie. 2 Bde., Thieme, Stuttgart, New York 1983, ISBN 3-13-382302-7)
  8. Rico Defila, Philipp W. Balsiger, Antonietta Di Giulio: Ökologie und Interdisziplinarität – eine Beziehung mit Zukunft? Wissenschaftsforschung zur Verbesserung der fachübergreifenden Zusammenarbeit. In: Philipp W. Balsiger, Rico Defila, Antonietta Di Giulio (Hrsg.): Ökologie und Interdisziplinarität – eine Beziehung mit Zukunft? Wissenschaftsforschung zur Verbesserung der fachübergreifenden Zusammenarbeit. Birkhäuser, Basel, 1996, S. 3–24; Rico Defila, Antonietta Di Giulio: Interdisziplinarität und Disziplinarität. In: Jan-Hendrick Olbertz (Hrsg.): Zwischen den Fächern – über den Dingen? Universalisierung versus Spezialisierung akademischer Bildung. Leske + Budrich, Opladen 1998, S. 111–137.
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